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"Die innere Überzeugung ist das allerwichtigste"

"Mein Plan B": Martell Beigang (u. a. Dick Brave) wechselte im Lockdown von der Bühne zum Schreibtisch

Interview von Markus Biedermann
veröffentlicht am 11.02.2022

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"Mein Plan B": Martell Beigang (u. a. Dick Brave) wechselte im Lockdown von der Bühne zum Schreibtisch

Buchautor und Schlagzeuger Martell Beigang. © Jennifer Fey

Martell Beigang war der Drummer von Dick Brave und spielt heute bei den zurückgekehrten M. Walking on the Water und der erfolgreichen Kölsch-Combo Schank. Die Coronapandemie traf den Drummer hart! Seine kreative Energie floss in ein Buchprojekt, das die Frage beantwortet, ob man überhaupt von der Musik leben kann, wenn man nicht bereits ein Weltstar ist.

Backstage PRO: Martell, in welcher Situation hat dich Corona und der erste Lockdown vor fast zwei Jahren erwischt? Musstest du viele Gigs absagen?

Martell: Anfang 2020 hatte ich einen ziemlich vollen Kalender, unter anderem durch eine ausverkaufte Tour mit 35 Konzerten. Als es dann hieß "bis Mai geht erstmal gar nichts", brach für mich eine Welt zusammen. Während der letzten Jahre hatte ich mich daran gewöhnt, regelmäßig um die 100 Konzerte pro Jahr zu spielen und konnte es mir kaum noch anders vorstellen.

"Die finanziellen Auswirkungen waren verheerend"

Backstage PRO: Wie hast du diese Zeit emotional erlebt und wie gelang es in der ersten Phase, den Kopf über Wasser zu halten?

Martell: Nach einer kurzen Zeit mit dem Kopf im Sand, wurde ich doppelt aktiv. Ich versuchte möglichst viel musikalisch anzustoßen, was während meiner Konzerttätigkeit liegengeblieben war. Ich begann zu komponieren und mal wieder Klavier zu üben. Das schöne daran war, dass ich der Musik dadurch wieder viel näher kam. Ich erinnerte mich daran, weshalb ich damals mit allem angefangen hatte.

Backstage PRO: Wie waren die finanziellen Auswirkungen für dich und hast du auf eines der Hilfsangebote zugegriffen?

Martell: Die finanziellen Auswirkungen waren verheerend. Da Konzerte bis in den Herbst hinein abgesagt wurden, verbrannte schnell ein fünfstelliger Betrag. Ich habe direkt Soforthilfe beantragt, die auch bewilligt wurde. Allerdings musste ich diese später komplett zurückzahlen, weil sich herausstellte, dass sie nur für Betriebs- und nicht für Lebenserhaltungskosten verwendet werden durfte. Besser lief es bei der Neustarthilfe: Die bekam ich 6 Monate lang und konnte sie komplett behalten, weil sie mit meinem tatsächlichen Verdienstausfall gegengerechnet wurde. Und toll waren auch zwei Künstlerstipendien aus NRW, die es mir ermöglichten, weiterhin künstlerisch zu arbeiten.

"Als Künstler sollte man seinem Instinkt folgen"

Backstage PRO: Du hast bereits eine gewisse Erfahrung im Bücherschreiben. Wie kam es zu der neuen Idee?

Martell: Im Zuge meiner Rückbesinnung auf meine musikalischen Ursprünge kamen mir viele Geschichten in den Sinn, die ich bislang erlebt hatte. Ich hörte in die über 100 Platten rein, auf denen ich mitgewirkt habe. Schaute nach, ob es sie schon auf Spotify gibt. Dabei entstand die Idee, etwas zu schreiben, das sich an meiner eigenen Playlist entlang hangelte.

Backstage PRO: War das Buch auf gewisse Art auch eine Beschäftigungstherapie im Lockdown?

Martell: Ich hatte immer schon den Drang mich kreativ auszudrücken. Durch meine Arbeit als Drummer, aber auch auf anderen Wegen. So sind unzählige Songs entstanden und eben auch drei popliterarische Romane. Die Zeit, die durch die ausgefallen Konzerte frei wurde, konnte ich durch das Schreiben des neuen Buches kreativ füllen.

Backstage PRO: Ist das Buch so geworden wie es ist, weil du selbst es genau so umsetzen wolltest, oder hattest du beiim Schreiben ein bestimmtes Leser-Publikum vor Augen?

Martell: Ich denke als Künstler sollte man seinem Instinkt folgen und kreativ sein und erst bei der genaueren Umsetzung ans Publikum denken. An erster Stelle sollte der Wunsch stehen, sich auszudrücken, dem man dann uneingeschränkt folgt. Nur dann kann etwas authentisches entstehen. Wenn es an die Details geht, kann und muss man ans Publikum denken, denn man möchte ja auch, dass sich das Ergebnis später irgendjemand anhört beziehungsweise durchliest.

„Musik ist King“ feiert die unglaubliche Kraft der Musik. In seinem vierten Buch beschreibt Martell, wie sie ihn einmal um die Welt reisen ließ und auf die Main-Stage von Rock am Ring und die Hochzeit von Pink gebeamt hat.

„Musik ist King“ feiert die unglaubliche Kraft der Musik. In seinem vierten Buch beschreibt Martell, wie sie ihn einmal um die Welt reisen ließ und auf die Main-Stage von Rock am Ring und die Hochzeit von Pink gebeamt hat.

"Meine Highlights waren, wenn Musik mir wie eine Superkraft erschien"

Backstage PRO: Jetzt da das Buch fertig vor dir liegt: Für wen ist es deiner Meinung nach besonders interessant?

Martell: Mein Buch ist für all jene interessant, die den Traum haben, Musiker zu werden und sich fragen: Geht das überhaupt? Kann man davon leben, wenn man kein Weltstar ist? Aber auch erfahre Musiker werden sich amüsieren, wenn sie bestimmte Anektdoten lesen und sich denken: "hey, das kenn ich auch". Und allen anderen Leserinnen bringt "Musik ist King" einen exklusiven Blick hinter die Kulissen.

Backstage PRO: Du hast einen unabhängigen kleinen Verlag gefunden, der das Buch verlegt. Wie kam es zu dem Kontakt und wie sieht eure Zusammenarbeit aus?

Martell: Dabbelju ist in erster Linie ein Musikverlag. Ich war dort zum Mix der neuen Schank-Single und da fragte mich der Chef beim Rausgehen: Was macht eigentlich dein Schreiben? Ich sagte, dass ich etwas fertig habe, aber mir gerade die Kraft fehle, es an tausend Verlage zu schicken. Er meinte nur: Schick mir das Manuskript doch mal rüber, wir bringen nämlich auch zwei, drei Bücher pro Jahr heraus. Am nächsten Tag meldete er sich wieder und meinte, er wolle es unbedingt veröffentlichen.

Backstage PRO: Wie lief die die Umsetzung, nachdem du zum ersten Mal den Stift fallen gelassen hast – Lektorat, Werbung und anderes mehr?

Martell: Mein Verlag wollte gerne das Weihnachtsgeschäft noch mitnehmen. Deswegen ging alles unglaublich schnell, sprich das Lektorat und die Covergestaltung musste in zwei Wochen über die Bühne gehen. Das merkt man einigen Druckfehlern leider auch an… (lacht)

Backstage PRO: Gibt es bestimmte Skills oder Erfahrungen, die du als Musiker gelernt und verinnerlicht hast, die dir als Autor auch geholfen haben?

Martell: Ich hab als Musiker über die Jahre eine Disziplin entwickelt, die darin besteht, auf Knopfdruck kreativ sein zu können. Weil ich weiß, dass man nicht weit kommt, wenn man immer darauf wartet, bis einen die Muse küsst. Deswegen habe ich mich regelmäßig hingesetzt, um zu schreiben. Auch wenn das manchmal Überwindung kostet, habe ich die Gewissheit, dass nach einer Sitzung mehr auf dem Papier steht als vorher. Und wenn man das oft genug macht, hält man am Ende des Jahres ein erstes Manuskript in den Händen. Und das Überarbeiten ist ja dann eh Fun.

Backstage PRO: Hast du eine eigene Lieblingsstelle in deinem Buch?

Martell: Es gibt einige Höhepunkte im Buch – Momente, wo die Musik mich an Orte geführt hat, die ich sonst nie gesehen hätte. Zum Beispiel die Main-Stage von Rock am Ring oder die Hochzeit von Pink auf Costa Rica. Oder wie mir Wolfgang Flür mal auf die Schulter klopfte und fragte: "Bist du nicht Martell Beigang?" Und ich antwortete perplex: "Bist du nicht einer von Kraftwerk?" Will sagen: Meine Highlights waren immer dann, wenn Musik mich aus meinem Alltag heraushob und mir wie eine Superkraft erschien.

"Es ist lohnenswert, sein Leben der Musik zu widmen"

Backstage PRO: Was glaubst du können andere Musiker/innen von deinen Erfahrungen, die du hier Stück für Stück runterbrichst, für sich selbst lernen?

Martell: Mein Buch zeigt glaube ich ganz eindrücklich, dass es möglich und lohnenswert ist, sein Leben der Musik zu widmen, und dass es – sofern man dies tatsächlich vorhat – wichtig ist, sie ganz in den Mittelpunkt zu stellen.

Backstage PRO: Was also würdest du jungen Menschen sagen, wenn sie von der Musik leben wollen: Den Spruch der Elterngeneration, "lern erstmal was gescheites", oder würdest du sie in ihrer Absicht bestätigen?

Martell: Was ich inzwischen sagen kann: Musiker/in zu werden ist möglich und machbar. Musik ernährt einen. Man muss nicht noch etwas "richtiges" lernen. Wichtig ist aber, dass man versucht, alles über Musik zu lernen, wenn man davon leben möchte. Und vor allem: Niemals damit aufzuhören! Und klar ist auch: Es wird ein anderes Leben sein, als mit einem "normalen" Beruf. Viele berufliche Schritte sind nicht planbar. Man muss bereit sein, spontan zu reagieren. Allen, die sich fragen, ob sie Musiker werden wollen und Zweifel dabei haben, möchte ich raten: Lasst es sein! Eure innere Überzeugung ist das Allerwichtigste. Ich finde es inzwischen auch völlig einleuchtend, Musik als Hobby zu betreiben. Das kann in vielen Fällen für eine bessere Life-Balance sorgen.

Backstage PRO: Nun sind wir Corona ja leider immer noch nicht los. Was sind deine weiteren Pläne?

Martell: Ich habe ein instrumentales Werk für akustische Instrumente komponiert und aufgenommen, ein Album mit grooviger, minimaler Musik unter dem Titel "Musical Matrix". Erfreulicherweise interessiert sich gerade eine Plattenfirma dafür. Ich denke wir werden das Album noch im Frühjahr veröffentlichen und hoffentlich auch live bewerben. Dann stehen weitere Aufnahmen mit verschiedenen Bands an. Ich habe einige Anfragen für Songwriting-Workshops, die im Notfall auch digital stattfinden können. Eine weitere Kneipenquiztour ist gebucht. Mit der Erfahrung, den ersten Lockdown beruflich überlebt zu haben, bin ich eigentlich ganz zuversichtlich. Als Musiker sollte man versuchen, unbedingt weiter zu spielen. Und wenn es live nicht geht, dann eben im Proberaum. Auf die Gefahr hin, dass es kitschig klingt – ich glaube fest daran: Gute Musik findet ihren Weg.

Backstage PRO: Vielen Dank für deine Zeit, Martell, und viel Erfolg mit deinem Buch und dem neuen Album!

Personen

Martell Beigang

Musiker aus Köln Autor bei Backstage PRO

Artists

SCHANK

Tresen Folk aus Köln

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