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Außergewöhnlich ist nur der Preis

Springsteen-Konzertkarten in den USA kosten wegen dynamischer Preise bis zu 5.000 Dollar

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 29.07.2022

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Springsteen-Konzertkarten in den USA kosten wegen dynamischer Preise bis zu 5.000 Dollar

Bruce Springsteen live zu sehen ist bisweilen ein teures Vergnügen. © Danny Clinch

Wer den Boss live erleben will, muss in den USA teilweise tief in die Tasche greifen. Dank dynamischer Preise kosten Konzertkarten bis zu 5000 Dollar. Was sind die Hintergründe? Und droht ähnliches auch in Deutschland?

Dynamische Preise (engl. dynamic pricing) bedeutet, dass die Kosten für eine Ware oder ein Produkt nicht konstant, sondern von Angebot und Nachfrage, Such- und Kaufverhalten der Kunden, Tageszeit und weiteren Faktoren abhängig sind. 

Die bekanntesten Beispiele sind Preise für Flugtickets oder Hotelbuchungen: Je nach Nachfrage schwanken die Preise beträchtlich. Die genaue Höhe der Preise wird durch Algorithmen festgelegt.

Bis zu 5.000 Dollar für den Boss

Seit einiger Zeit wächst auch die Nutzung von dynamischen Preisen bei Konzertkarten. Ein besonders extremer Fall ist Bruce Springsteen: Karten für seine US-Hallen-Tour mit der E-Street-Band im Frühjahr 2023 kosteten wegen dynamischer Preise bei dem in den USA marktbeherrschenden Kartenanbieter Ticketmaster bis zu 5.000 Dollar. 

Dabei handelte es sich im Übrigen keineswegs um besondere VIP, Meet & Greet, FOS, Golden Circle, Logenplätze, Business-Karten oder ähnliche Sondertickets, sondern um stinknormale Stehplatzkarten für die Innenräume der Hallen.

Ausgerechnet Springsteen

Naturgemäß sorgte das in der leidenschaftlichen Fanbase des US-Amerikaners für jede Menge Aufsehen. Bruce Springsteen gilt seit langer Zeit als besonders fannaher Künstler. 

In seinen Songs thematisiert er in eindringlichen Bilder und Szenarien das Leben der US-amerikanischen Arbeiterklasse bzw. Mittelklasse. Viele seiner Fans, die Springsteen als "einen der ihren" betrachten, empfinden die hochpreisigen Konzertkarten daher als Schlag ins Gesicht.

Der Manager beschwichtigt

Aufgrund der wachsenden Empörung meldete sich Springsteens Manager Jon Landau in der New York Times zu Wort und erläuterte: "Bei der Preisgestaltung für diese Tour haben wir uns genau angesehen, was unsere Mitbewerber machen. Wir haben Preise gewählt, die niedriger sind als Preise von manchen Künstlern oder sich auf dem gleichen Niveau bewegen wie die Preise anderer Künstler." ("In pricing tickets for this tour, we looked carefully at what our peers have been doing. We chose prices that are lower than some and on par with others.").

Weiter erklärte Landau: "Unabhängig von den Kommentaren über eine geringe Anzahl von Karten, die 1.000 Dollar oder mehr kosten, liegt unser tatsächlicher Durchschnittspreis bei etwa 200 Dollar. Ich glaube, dass das im heutigen Umfeld ein fairer Preis ist, um jemanden zu sehen, der allgemein als einer der größten Künstler seiner Generation gilt."

Jon Landau verkennt bei diesen Äußerungen, dass sich die Kritik nicht an den Preisen von 200 Dollar entzündet hat, sondern an der “geringen Anzahl” von Karten, für die Ticketmaster vierstellige Beträge aufrief. Eines ist aber klar. Die Verantwortung für die Preise und die exakte Höhe der Preise liegt bei Springsteen und seinem Management.

Ticketmaster kassiert

Neben John Landau versuchte auch Ticketmaster die Empörung zu beschwichtigen. Das Unternehmen verwies darauf, dass die meisten Karten ja gar nicht so teuer gewesen seien. Gegenüber dem US-Magazin Variety erklärte Ticketmaster, nur 11,2 % der Karten seien mit variablen Preisen verkauft worden, 88,2% hingegen zum Festpreis. 

Der durchschnittliche Preis der Karten habe 262 Dollar betragen. 56% der Tickets seien für weniger als 200 Dollar verkauft worden und nur 1,3% der für mehr als 1000 Dollar. 

Das Unternehmen geht natürlich nicht darauf ein, dass die exorbitant teuren Karten einen weitaus höheren Anteil am Gesamtumsatz und Gesamtgewinn einer Tour besitzen, als ihre reine Zahl nahelegt. Anders gesagt: Sie sind für die Ticketunternehmen besonders lukrativ. 

Gegen den Ticketzweitmarkt

Und die überhöhten Preise haben noch einen anderen Effekt: Sie erschweren den Ticket-Zweithändlern die Arbeit. Michael Rapino, CEO von LiveNation erklärte in einem Podcast, Konzertkarten seien auf dem Zweitmarkt oft mehr wert als beim regulären Verkauf. 

Warum sollten Künstler diesen Gewinn nicht für sich beanspruchen? Dynamische Preise sind ein Mittel, den "wirklichen Marktwert" eines Künstlers zu ermitteln und den möglichen Gewinn von Ticketzweithändlern zu begrenzen. Der Zweitmarkt für Konzerttickets ist ein lukratives Geschäft, aber warum sollten nicht die Erstverkäufer das dort kursierende Geld einstreichen? 

Erste Tour seit 2016

Das gilt besonders für einen Künstler wie Bruce Springsteen, dessen Liveshows einen legendären Ruf besitzen und der zudem seit 2016 nicht mehr mit der E-Street-Band aufgetreten ist. 

Es überrascht nicht, dass seine loyalen Fans in Massen versuchten, Konzertkarten zu erwerben. Es überrascht ebenfalls nicht, dass Springsteen und sein Management versuchen, den Gewinn zu optimieren. Dass allerdings aufgrund der hohen Nachfrage mehrere tausend Euro für ein Ticket fällig werden können, ist nicht mehr nachvollziehbar und wirft ein schlechtes Licht auf Ticketmaster, Jon Landau und Springsteen selbst.

Keine Extrempreise in Deutschland

Die Lage in Deutschland ist aktuell eine andere. Die Karten für die ausverkauften Springsteen-Konzerte in Düsseldorf, Hamburg und München sowie am Hockenheimring waren teuer, aber nicht absurd überteuert. Reguläre Karten kosteten zwischen 76 und 200 Euro, für bestimmte VIP-Packages wurden zwischen 300 und 400 Euro fällig.

Anders als in den USA, wo Springsteen Mehrzweckhallen mit einer Kapazität von 15.000 bis 20.000 Zuschauern auftritt, handelt es sich bei den Europakonzerten um Stadionshows mit einer wesentlich höheren Besucherzahl. Daher generieren diese Konzerte auch mehr Einnahmen. Ob Springsteens Management daher auf dynamische Preise verzichtet hat, lässt sich freilich nicht sagen.

Ein weiterer möglicher Grund der niedrigeren Preise ist, dass der deutsche Ticketmarkt anders als der US-amerikanische nicht von einem Unternehmen bestimmt wird. In den USA beherrschen LiveNation und dessen Tochterunternehmen Ticketmaster den Live-Markt vollkommen, während es in Deutschland mit Eventim mächtige Konkurrenz gibt. 

Komplizierte rechtliche Fragen

Ein weiterer Faktor besteht in der Tatsache, dass dynamische Preise nach deutschem und europäischem Recht komplizierte rechtliche Fragen aufwerfen. Manche Rechtswissenschaftler vertreten sogar die Auffassung, dass dynamische Preise aus Gründen des Datenschutzes unzulässig seien. Selbst Juristen, die sie grundsätzlich für zulässig halten, weisen darauf hin, dass der Anbieter Sorgfaltspflichten zu erfüllen hat. 

So erklärt der österreichische IT-Recht-Experte Dr. Tobias Tretzmüller, zur DSVGO-konformen Ausgestaltung von dynamischen Preise müssten "die Käufer vorab ausreichend informiert, der Grundsatz der Datenminimierung gewahrt und entsprechende technische und organisatorische Maßnahmen zum Schutz der Daten ergriffen werden." Letztlich sei die "konkrete Ausgestaltung im Einzelfall individuell zu beurteilen".

Wie unklar die Rechtslage ist, zeigt sich daran, dass die Rechtsanwälte Lars Eckhoff und Florian Dietrich keine Notwendigkeit sehen, potentielle Käufer auf dynamische Preise hinzuweisen. Zur Unsicherheit trägt bei, dass sich die Rechtslage häufig ändert und vor allem, dass es zu dynamischen Preisen bislang kaum Urteile gibt.

Dennoch dürfte die Verbreitung dynamischer Preise für Konzerttickets auch in Deutschland zunehmen, vor allem weil sie Künstlern und Managern jede Menge Gestaltungs- und Gewinnoptimierungsmöglichkeiten bieten. Wer allerdings den Bogen überspannt, muss mit jeder Menge negativer Publicity und eventuell einem Imageschaden rechnen.

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