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Unterschiedliche Herangehensweisen

Streit wegen Steuerfreiheit von Neustart Kultur Stipendien

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 06.10.2023

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Streit wegen Steuerfreiheit von Neustart Kultur Stipendien

© Bobby Hendry

Über das Bundesprogramm Neustart Kultur boten Bund und Länder in der Coronakrise zahlreiche Stipendien für Künstler*innen an. Die steuerliche Behandlung dieser Stipendien war lange Zeit unklar. Inzwischen herrscht bei einem Teil der Stipendien Klarheit, bei anderen jedoch nicht. Wir haben recherchiert.

In Hinblick auf Neustart Kultur sind sich viele Betroffene einig, dass das Bundesprogramm in der Coronakrise wichtige Hilfen für Künstler*innen und Kulturinstitutionen bereitstellte. 

Stipendien im Rahmen von Neustart Kultur

Teil von Neustart Kultur waren auch zahlreiche Stipendienprogramme, die teilweise von Verwertungsgesellschaften, teilweise aber auch von anderen Institutionen vergeben wurden.

Besonders wichtig: Es handelte sich um Gelder, die aus dem Etat der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) stammten, nicht um Gelder dieser Institutionen selbst. Sowohl Verwertungsgesellschaften wie andere Institutionen, die Stipendien vergaben, verteilten diese Mittel lediglich.

Übersicht der Stipendien

Ein Überblick aller Stipendienprogramme des Bundes findet sich hier. Darüber hinaus legten zahlreiche Bundesländer landesspezifische Stipendien auf, die in der Regel nur im jeweiligen Land ansässigen Künstler*innen zugute kamen.

Im Einzelnen geht es um diese Stipendien:

  • Stipendien der Verwertungsgesellschaften GEMA, GVL, VG Wort und VG-Bild-Kunst im Rahmen von Neustart Kultur
  • Stipendien anderer Institutionen: Für den Musikbereich relevant sind Stipendien des Deutschen Musikrats, des Musikfonds, das Pop Stipendium der BV Pop, die ebenfalls im Rahmen von Neustart Kultur vergeben wurden
  • Stipendien der Bundesländer wie das "Auf Geht's"-Stipendium des Landes Nordrhein-Westfalen, die "Hessen kulturell neu eröffnen"-Stipendien oder vergleichbare Programme in anderen Ländern

Einkommenssteuerpflichtig oder nicht?

Bei allen diesen Stipendien stellt sich die Frage, ob sie als Einkommen zählen und daher einkommensteuerpflichtig sind. Für den ersten Fall ist diese Frage inzwischen geklärt, da sich das Bundesfinanzministerium mit den obersten Finanzbehörden der Länder darauf verständigt hat, die Stipendium der Verwertungsgesellschaften nach § 3 Nr. 11 Einkommensteuergesetz steuerfrei zu behandeln

Nach diesem Paragraphen sind "Bezüge aus öffentlichen Mitteln oder aus Mitteln einer öffentlichen Stiftung, die [...] als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung oder Ausbildung, die Wissenschaft oder Kunst unmittelbar zu fördern" einkommenssteuerfrei. Bislang wurden von der Rechtsprechung aber nicht Lebenshaltungskosten, sondern lediglich Sachaufwendungen oder Personalkosten verstanden.

Der Bund hat aber klargestellt, dass Stipendien der Verwertungsgesellschaften nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei sind. Wer also ein solches Stipendium erhalten hat, muss dafür definitiv keine Einkommensteuer zahlen. 

Unklarheit bei Stipendien des Musikrats, des Musikfonds und der BV Pop

Ungeklärt ist der Status der Stipendien im Rahmen von Neustart Kultur, die von anderen Institutionen vergeben wurde. Im Musikbereich zählen dazu der Deutschen Musikrat, der Musikfonds und das Pop Stipendium der BV Pop.

Die Stipendien des Deutschen Musikrats richteten sich an freiberufliche Musiker*innen, Dirigent*innen und Komponist*innen der "klassischen Musik" von der Alten Musik über die "klassisch-romantische" Periode der Klassik bis hin zur Neuen Musik. Antragsberechtigt waren ebenso Musiker*innen des klassischen und modernen Jazz.

Die Stipendien des Musikfonds deckten hingegen die experimentellen Spielarten der modernen Musik einschließlich des experimentellen Jazz ab. Das Pop Stipendium der BV Pop richtet sich wiederum explizit an Nachwuchskünstler*innen der Pop- und Rockmusik. 

Unterschiedliche Behandlung 

Die steuerrechtliche Einordnung dieser und weiterer (nicht-musikbezogener) Stipendien ist immer noch nicht geklärt. Nach Auskunft von Gregor Hotz, dem Geschäftsführer des Musikfonds, werden die Stipendien je nach Bundesland, teilweise sogar nach Sachbearbeiter, unterschiedlich behandelt.

Der Deutsche Musikrat erklärt sogar, die Finanzämter bundesweit hätten die Neustart Kultur-Stipendien sogar "größtenteils" als steuerpflichtig gewertet. Gregor Hotz rät betroffenen Stipendiaten bzw. Stipendiatinnen Einspruch einzulegen, wenn das Finanzamt das Stipendium als einkommenssteuerpflichtig behandelt. 

Unklare Gründe

Auf Nachfrage von Backstage PRO erklärten sowohl Musikfonds als auch Musikrat, die Gründe, warum die verschiedenen Neustart Kultur-Stipendienprogramme steuerlich unterschiedlich behandelt werden, seien ihnen unbekannt.

Der einzige von außen ersichtliche Unterschied besteht darin, dass es hinsichtlich der von Verwertungsgesellschaften vergebenen Stipendien eine explizite Mitteilung hinsichtlich der Steuerfreiheit an die Finanzämter gab. Bei den übrigen Neustart-Kultur-Stipendien blieb diese Anweisung jedoch aus.

Die Ungleichbehandlung sei laut Gregor Hotz "absolut unverständlich", weil die Gelder ja allesamt aus demselben Fördertopf stammten, nämlich Neustart Kultur. Die Verwertungsgesellschaften verteilten diese Bundesmittel auf die gleiche Art und Weise wie Musikrat, Musikfonds und BV Pop.

"Vollends untragbar"

Der Deutsche Musikrat betrachtet die Ungleichbehandlung der Stipendien als "vollends untragbar" und fordert die Bundesregierung auf, auch für die übrigen Stipendien die Steuerfreiheit festzustellen. Prof. Martin Maria Krüger, Präsident des Deutschen Musikrats, erklärt dazu:

"Der Deutsche Musikrat appelliert daher an die Bundesregierung, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, Abhilfe zu schaffen und so Gleichbehandlung sicherzustellen. Ressortübergreifend muss unter Leitung von Bundesfinanzminister Christian Lindner mit einer Anweisung an die Finanzämter endlich die Steuerfreiheit der Stipendien abschließend geregelt werden."

Unterschiede bei Landesstipendien

Bezüglich der Länder hat die Berliner Kanzlei Laaser recherchiert [Link zum PDF], dass Nordrhein-Westfalen und Hessen die Steuerfreiheit ihrer Landesstipendien "Auf geht's" bzw. "Hessen kulturell neu eröffnen" offiziell bestätigt haben. Gleiches gelte für Arbeitsstipendien der Kulturstiftung Sachsen. 

Hinsichtlich der "Im Fokus" Stipendien des Landes Rheinland-Pfalz erklärt das Finanzministerium des Landes, dass das Land keine speziellen Richtlinien erlassen habe und dass die Beurteilung der "IM Fokus" Stipendien "nach dem Gesetz und den vom Bundesministerium der Finanzen erlassenen Richtlinien" erfolge. "Schwierigkeiten oder Unregelmäßigkeiten" rheinland-pfälzischer Finanzministerien seien bislang keine bekannt.

In Berlin hat hingegen das Finanzgericht Berlin-Brandenburg geurteilt, dass ein im Rahmen eines Corona-Hilfsprogramm vergebenes Stipendium nicht steuerfrei sei. Es berief sich auf den Paragaphen § 3 Nr. 44 Einkommensteuergesetzes, nach dem Stipendien nur dann steuerfrei sind, wenn sie der Aus- und Weiterbildung dienen.

Sofern Bund und Länder in dieser Frage nicht noch für Klarheit sorgen erscheint es wahrscheinlich, dass sich der Bundesfinanzhof (BFH) früher oder später mit der Materie befassen wird.

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