Droht die kulturelle Pleitewelle?
Bayerischen Clubs drohen hohe Rückforderungen aus Spielstättenförderprogramm (Update!)
Axel Ballreich, Vorsitzender der LiveKomm und Mitinhaber des Musikclubs "Hirsch" in Nürnberg, gehört zu den Unterzeichnern des Statements an die bayerische Verwaltung. © Axel Ballreich
Update, 25. Mai 2021: Wie Claus Berninger, Inhaber des Colos-Saals in Aschaffenburg uns mitteilte, sind die Rückzahlungen inzwischen vom Tisch.
Aufgrund der geschlossener Intervention der betroffenen Clubbesitzer sowie öffentlichem und politischem Druck änderte das Ministerium seine Rechtsauffassung und ermöglicht den betroffenen Clubs die rückwirkende Änderung der Anträge, so dass sie den Zeitraum für die Beantragung der Hilfen neu festlegen konnten.
Laut Berninger hätte der Colos-Saal mit einer Rückzahlung von bis zu einer sechsstelligen Summe rechnen müssen.
Die Entscheidung des Ministeriums ist nur konsequent, weil es der Gipfel der Absurdität gewesen wäre, die bayerischen Clubs mit einem Hilfsprogramm zu ruinieren, das sie hätte retten sollen.
Ende des Updates. Der ursprüngliche Text folgt ab hier:
Mit einem Corona-Hilfsprogramm im Sommer 2020 wollte Bayern den ansässigen, größeren Spielstätten schnell und unbürokratisch unter die Arme greifen. Im Rahmen des Programms konnten antragsberechtigte Spielstättenbetreiber Einnahmeausfälle für die Monate Juli bis Dezember 2020 erstatten lassen.
In einem Statement der bayerischen Clubbetreiber/innen, das der Backstage PRO-Redaktion vorliegt, bezeichnen die bayerischen Veranstalter/innen das Programm als das "deutschlandweit beste Coronahilfsprogramm": Die meisten antragsberechtigten Spielstätten hätten das Hilfsprogramm im Sommer 2020 beantragt und zügig die Hilfen erhalten.
Das Hilfsprogramm des Bundes
Zu diesem Zeitpunkt konnten die Betreiber/innen jedoch noch nichts von dem zweiten Lockdown Ende 2020 wissen. Ebenso wenig wussten sie bei der Beantragung der bayerischen Hilfen um die außerordentlichen Wirtschaftshilfen des Bundes, die November- und Dezemberhilfen.
Laut ihrer Stellungnahme reichten die bayerischen Spielstättenbetreiber/innen für diese deutschlandweiten November- und Dezemberhilfen ebenfalls Anträge ein, in denen sie je ordnungsgemäß angaben, bereits Hilfen vom bayerischen Staat erhalten zu haben. Die Hilfen des Freistaats wurden vom Bund von den November- und Dezemberhilfen abgezogen; laut eigener Aussage hat keiner der Antragssteller versucht, doppelte Hilfen zu beantragen oder gar doppelte Auszahlungen erhalten.
Überschneidung der Hilfsprogramme
Dass nun zahlreiche bayerische Location-Betreiberinnen und -Betreiber den finanziellen Ruin fürchten, liegt darin begründet, dass die bayerische Verwaltung von den Antragsteller/innen fordert(e), die beantragten November- und Dezemberhilfen aus dem vom Freistaat geförderten Zeitraum (Juni-Dezember) herauszunehmen. Die Änderungen wären innerhalb eines Monats nach Erhalt des Förderungsbescheides möglich gewesen.
Da die meisten Antragsteller/innen (die Rede ist von gut 90 Prozent) ihre Bescheide jedoch bereits im September 2020 erhielten, wäre eine Antragsänderung nur bis Oktober 2020 möglich gewesen – dass hier aufgrund des neuerlichen Lockdowns überhaupt Änderungsbedarf bestehen würde, war zu diesem Zeitpunkt laut Aussage der Clubbetreiber/innen also noch nicht abzusehen.
Somit sahen diese auch keinen Anlass, besagte Monate aus dem Förderbescheid des bayerischen Hilfsprogramms herauszunehmen.
Glückspilze ...
Die bayerische Finanzverwaltung spricht nun von einer Überkompensation und verlangt von voraussichtlich 30 Spielstätten bis zu 100% der gezahlten Hilfen zurück.
Die Spielstätten-Betreiberinnen und -Betreiber, die ihren Hilfsantrag erst sehr spät eingereicht haben, konnten mit ein wenig Glück den Antragszeitraum der bayerischen Hilfen noch auf Juli bis Oktober abändern. Sie haben Glück gehabt und müssen keine Rückforderungen fürchten, da sie nun offiziell bayerische Hilfen für Juli bis Oktober und bundesweite Hilfen für November und Dezember erhalten haben.
... und Pechvögel
Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Antragsteller/innen, die im Statement schlicht als "Pechvögel" bezeichent werden, da sie keine Chance hatten, die Monate November und Dezember zu streichen.
Obwohl sie die Anträge korrekt und fristgerecht eingereicht haben und die erhaltene Spielstättenförderung des bayerischen Programms von der des Bundes abgezogen haben – also in Summe keine doppelte Förderung beantragt haben –, erwarten diese Antragssteller/innen nun Rückforderungen von bis zu 300.000 Euro.
Darüber hinaus monieren die bayerischen Spielstätten in ihrem Statement, dass das Vorgehen der bayerischen Finanzverwaltung erst recht spät im Jahr 2021 kommuniziert wurde. So verpassten es die meisten Betroffenen auch, Überbrückungshilfe II für die Monate September und Oktober 2020 zu beantragen.
Diese Hilfe hätte den Spielstättenbetreibern, die mit einer Rückforderung konfrontiert sind, zumindest dabei helfen können, den Schaden durch die drohenden Rückzahlungen ein wenig zu verringern. Die Frist zur Einreichung der Beantragung dieser Überbrückungshilfe ist mittlerweile jedoch abgelaufen.
Lösungsvorschläge
Ein Lösungsvorschlag der Spielstättenbetreiber/innen ist es, mit einer Musterklage gegen dieses von ihnen als "Ungleichheit" bezeichnete Vorgehen der bayerischen Landesregierung vorzugehen. Erste betroffene Betreiber/innen hätten sich zu diesem Zweck bereits verwaltungsrechtlich beraten lassen.
Gleichzeitig schreiben sie in ihrem Statement, dass es politisch gesehen einfach wäre, die bayerische Verwaltung über das Verwaltungsrecht dazu zu bewegen, die ursprünglichen Bescheide im Rahmen einer Aufhebung des Verwaltungsaktes wieder zu "öffnen". Dadurch hätten die betroffenen Spielstätten die Möglichkeit, den Förderzeitraum auf Juli bis Oktober 2020 zu ändern.
Diese Möglichkeit sei auch tatsächlich im Verwaltungsrecht vorgesehen: Beim Eintreten neuer Umstände kann ein rechtskräftiger Bescheid im Nachhinein geändert bzw. "geöffnet" werden.
Die Location-Betreiber/innen appellieren daher an die Verwaltung, eine solche Öffnung zu ermöglichen: Durch diesen einfachen Verwaltungsakt könne man eine ungeahnte kulturelle Pleitewelle abwenden und gleichzeitig eine faire Förderung der bayerischen Spielstättenbetreiber/innen sicherstellen.
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