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Neue Möglichkeiten oder alte Probleme?

Das Future Music Camp 2022 diskutiert Chancen und Herausforderungen der "Artist Economy"

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 24.05.2022

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Das Future Music Camp 2022 diskutiert Chancen und Herausforderungen der "Artist Economy"

Hanna Kahlert von MIDIA bei ihrer Keynote beim Future Music Camp 2022. © CAPADOL

Eröffnet das Web 3.0 eine neue, bessere Welt für Künstler oder bietet es dieselben Probleme wie das aktuelle Internet – nur auf höherem Niveau? So könnte man das Thema des Future Music Camp 2022 an der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim zusammenfassen.

Ein Interview von Leiter David Stammer mit dem Musiker und Künstler Josef Pötzinger bildet den inhaltlichen Auftakt des Future Music Camps 2022 an der Popakademie in Mannheim. Pötzinger hat mit viel Leidenschaft eine umfangreiche Präsenz im Web 3.0 aufgebaut und dadurch sehr viel Wissen erworben. 

Hier findet ihr unser Interview mit David Stammer, dem Leiter des Future Music Camp!

Mit seiner Band, dem Eletronica-Duo Whoiswelanski, erstellt er regelmäßig NFTs und verfügt über ein großes Netzwerk aus Künstlern und Fans, das er als Teil einer Community begreift, die sich zu einem großen Teil in Discord organisiert hat. 

Möglichkeiten für Künstler und Fans

In Hinblick auf den NFT-Markt sieht Pötzinger nach wie vor ein starkes Wachstum und äußert die Ansicht, dass das Sammeln von NFTs als Ausdruck von Interessen und Persönlichkeit schon jetzt eben so gemeinschaftsfördernd sei wie das Sammeln von Platten.

→ Lest hier unser Interview mit Josef Pötzinger!

NFTs stellen auf jeden Fall eine weitere Möglichkeit für Künstler dar, um Einnahmen zu erzielen. Da sie dezentral erstellt werden können, hat theoretisch jeder die Möglichkeit, an diesem Prozess teilzunehmen und sich als Künstler zu verwirklichen.

So nennt Amke Block, Gründerin der NFT-Agentur Un1k.art, in ihrer Keynote mehrere Beispiele für erfolgreiche künstlerische Tätigkeiten im Web 3.0 von Sigur Ros über The Chainsmokers bis Steve Aoki und Deadmau5. Der Verkauf von NFTs, der Erwerb von Anteilen eines Songs, exklusive Inhalte, früher Zugriff auf Konzertkarten sind nur einige der Möglichkeiten.

Auf dem Weg zur Überforderung

Diese neuen Möglichkeiten haben aber einen Preis. Die Beschäftigung mit dem Web 3.0 erfordert eine intensive Einarbeitung in die grundlegenden technischen Hintergründe einschließlich des Erlernens völlig neuer Begrifflichkeiten.

Eine mögliche Lösung besteht im Aufbau eines Netzwerks, das den Austausch über Ideen und Konzepte ermöglicht und die Verwirklichung kreativer Ideen im Web 3.0 erlaubt – wie die Erstellung von NFTs oder die Durchführung virtueller Konzerte. 

"The future is unwritten"

Schon jetzt konkurriert aber eine Vielzahl von Unternehmen um Marktanteile im Web 3.0, so dass die Beschäftigung mit deren unterschiedlichen Angeboten und Zielen ebenfalls notwendig ist. 

Eine weitere Schwierigkeit ist die Unabgeschlossenheit des Entwicklungsprozesses des Web 3.0, auf die Floris Henning von INTEGR8 in seiner Keynote hinweist. Niemand weiß aktuell, welche der zahlreichen neuen Aspekte des Web 3.0 sich in naher Zukunft auf welche Weise entwickeln werden 

Die Kombination dieser Faktoren kann schnell zur Überforderung führen. Daher stellt sich die Frage, wie "normale" Musikschaffende das Web 3.0 nutzen können, ohne über Expertenstatus zu verfügen.

Umweltfragen und der Krypto-Crash

Ein häufiger Kritikpunkt besteht im gewaltigen CO2-Footprint der Open Source-Blockchain Ethereum. Amke Block weist allerdings daraufhin, dass umweltfreundlichere Alternativen, die auf dem Proof-of-Stake-Verfahren basieren, stetig an Marktanteilen gewinnen. 

Hier findet ihr unser Interview mit Amke Block!

Der aktuelle Crash der Krypto-Währungen und der Preise für NFTs spielt hingegen kaum eine Rolle. Sowohl Josef Pötzinger wie auch Amke Block sehen darin nur einen temporären Einbruch innerhalb eines langfristigen Aufwärtstrends. 

Zwischen Communities und Konzernen

Pötzinger und Block sehen das Web 3.0 dennoch am Scheideweg. Einerseits besteht die Hoffnung auf ein dezentrales Internet, das nicht von Großkonzernen beherrscht wird, andererseits investieren große Konzerne wie Meta (Facebook, Instagram) oder Google massiv in Web 3.0-Technologie. 

Ein Zuschauer stellt daher zurecht die Frage, ob die Versprechungen des Web 3.0 sich nicht als genauso utopisch erweisen werden als die des Web 2.0, das letztlich von multinationalen Großkonzernen beherrscht wird. Völlig offen ist die Frage, wie diese Entwicklung verhindert oder zumindest abgemildert werden kann.

Am Ende werden alle Content-Creator?

Die Demokratisierung und Dezentralisierung der Content-Produktion schafft Möglichkeiten für Künstler, ist aber keineswegs unproblematisch. In ihrer Keynote bringt Hanna Kahlert, Analystin von MIDiA Research, die Probleme der Streaming-Economy mit Hilfe der von ihrer Firma erhobenen Daten auf den Punkt: Es sei sehr leicht ein Künstler zu werden, aber schwierig, nachhaltigen Erfolg zu erzielen.

Musik könne mit Hilfe von Social Media-Apps wie TikTok nicht nur konsumiert, sondern auch durch den Konsumenten selbst gestaltet werden, beispielsweise durch Remixes, Cover, Challenges, Videos, Dance-Performances und vieles mehr.

Dadurch verwandele sich Kreativität selbst in ein Produkt, was von Künstlern verlangt, ein völlig neues Verständnis von Marketing und Promotion zu entwickeln. Das wirft die Frage auf, ob es in Zukunft überhaupt noch Musiker geben wird oder ob diese Tätigkeit im Feld der Content-Produktion aufgehen wird.

Musik und Big Data

Ein weiteres wichtiges Thema des Future Music Camps besteht in den Möglichkeiten Datenanalysen (big data) oder KIs in der Musikwirtschaft einzusetzen. Susanne Flug hat als Mitgründerin und Geschäftsführerin des Unternehmens Takkt eine kostenpflichtige Software entwickelt, die es erlaubt, Lizenzabrechnungen von Musikern und Bands zu analysieren. Ihrer Ansicht nach enthält so gut wie jede Lizenzabrechnung "systematische Abrechnungsfehler" zum Nachteil der Künstler.

Lisa Young-In von der Sony Music-Tochter AWAL verdeutlicht die Wichtigkeit von Big Data-Analysen der Hörerschaft und der Social-Media-Fans eines Künstlers. Das Ziel besteht beispielsweise "Superfans" zu identifizieren und diese mit besonderen Vorteilen oder Einblicken auszustatten – natürlich mit dem Ziel, dass sie neue Fans und damit mehr Einnahmen generieren.

Joshua Weikert stellt sein Unternehmen Cyanite vor, das große Musikkataloge kategorisiert, indem sie diese mit Hilfe von KI analysiert. Das ist u.a. für große Musikverlage wichtig, die teilweise gar nicht mehr überblicken, was sich in ihrem Portfolio befindet. Cyanite steht aber auch Künstlern offen, die diese Software z. B. für besseres Playlist-Pitching nutzen wollen.

Eine häufige genutzte Software ist Chartmetric, die sich auch dafür verwenden lässt, A&R-Aktivitäten auf Basis von Streaming-Daten durchzuführen. Gleichzeitig können Künstler mit globalem Potenzial so feststellen, wo sich ihre Fans bzw. Superfans befinden und gezielt eine neue Hörerschaft erschließen, wie Michelle Yuen erläutert. 

Der Human Factor

Trotz Datenanalysen und globaler Trends und Entwicklungen bleibt das Musikgeschäft ein Business, das auf persönlichen Beziehungen basiert. Das verdeutlicht das Gespräch mit Musikmanager Andreas Schubert, Senior Artist Manager bei Budde Music. 

In lebhafter und sehr greifbarer Art und Weise schildert Schubert nicht nur den schwer greifbaren und in sehr unterschiedlicher Ausprägung existierenden Beruf des Künstlermanagers, sondern auch den psychischen Druck, der damit einhergeht. Dieser führt dazu, dass viele aus diesem Beruf ausscheiden, weil sie u.a. dem Druck ständiger Erreichbarkeit nicht standhalten.

Das Interview mit Schubert lässt sich in Beziehung zu einer Session setzen, in der Studierende der Popakademie ein Projekt vorstellen, in deren Rahmen sie die psychische Gesundheit von Künstlern und Musikern in Hinblick auf ihr Social-Media-Verhalten untersucht haben. Angesichts des ständigen Drucks, online aktiv zu sein, stellt sich schon jetzt die Frage, wie Künstler ihre geistige Gesundheit bewahren können -– und diese Problematik wird in Zeiten des Web 3.0 nicht an Wichtigkeit verlieren.

Dieser Aspekt rundet das wie immer das vielseitige Programm des Future Music Camps ab, das einen Einblick in die moderne Musikindustrie gewährt und dennoch die Beziehung zu Künstlern und Musikern nicht verliert.

Locations

Popakademie Baden-Württemberg

Popakademie Baden-Württemberg

Hafenstraße 33, 68159 Mannheim

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