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Veränderungen im Kleinen und Großen

Das Projekt "Plant A Seeed" zeigt, wie Großveranstaltungen nachhaltiger durchgeführt werden können

News von Backstage PRO
veröffentlicht am 18.09.2023

nachhaltigkeit liveszene

Das Projekt "Plant A Seeed" zeigt, wie Großveranstaltungen nachhaltiger durchgeführt werden können

Seeed (live in Mainz 2022). © Torsten Reitz

Die Konzert- und Veranstaltungsbranche steht vor der Herausforderung, Großkonzerte und Festival nachhaltiger durchzuführen. Beim Projekt Plant A Seeed hat die Reggae-Band Seeed im Rahmen von fünf Konzerten in Berlin den Versuch unternommen, Konzerte klimafreundlicher zu gestalten. Die Ergebnisse sind bemerkenswert.

Als "erstes wissenschaftliches Nachhaltigkeitsprojekt zu Großkonzerten in Deutschland" will Plant A Seeed zeigen, dass die Livemusik-Branche Teil der Lösung gegen die Klimakrise sein kann. 

Hinter dem Projekt steckt The Changency, die Agentur für nachhaltigen Wandel, gemeinsam mit der Berliner Reggae- und Dancehall-Band Seeed und dem Studiengang Theater- und Veranstaltungstechnik und -management der Berliner Hochschule für Technik unter der Leitung von Professor Thomas Sakschewski.

Klimagerechte Livemusik-Branche als Zielsetzung

Im Rahmen von fünf Konzerten der Band Seeed in der Berliner Wuhlheide im August letzten Jahres wurden Daten zu den Handlungsfeldern Soziale Nachhaltigkeit, Konsum & Beschaffung, Ernährung, Mobilität und Ressourcen & Klima gesammelt, die im Anschluss wissenschaftlich ausgewertet wurden und eine Grundlage schaffen sollen, um Veränderung voranzutreiben.

"Mit Plant A Seeed wollen wir Bewusstsein für Klimagerechtigkeit und Verantwortung schaffen und Künstler*innen ermutigen, diese aktiv bei der Umsetzung ihrer eigenen Konzerte einzufordern", so The Changency.

Das Projekt [PDF] baut auf 3 Säulen auf: einer Aktions- und Kommunikationskampagne zu allen fünf Handlungsfeldern, der Klimabilanz der Konzerte und einer wissenschaftlichen Studie [PDF], an der insgesamt 2.700 Menschen vollständig teilnahmen.

Um das Thema Nachhaltigkeit präsenter zu machen, boten die Konzerte Sichtbarkeit für verschiedenen NGOs und Initiativen, denen die Einnahmen der Gästeliste gespendet wurden. 

Das Problem mit dem Konsum

Auf allen Konzerten wurden ausschließlich Merchandise mit GOTS-Zertifizierungen (Global Organic Textile Standard) verkauft und alte Bühnenbanner der Band Seeed in 300 Tragetaschen recycelt. Im Backstagebereich wurden Tee und Kaffee nur in Fairtrade- oder Bio-Qualität beschafft.

Für den Backstage wurde ein vegan-vegetarisches Catering bereitgestellt, wodurch während der fünf Konzerttage insgesamt 1,18 Tonnen CO2 eingespart wurden. Auch Besucher/innen wurden an Gastro-Ständen über die emissionsärmsten Gerichte aufgeklärt.

Klimaverträglicher reisen

Um für eine nachhaltigere Anreise zu sorgen, stellten die Konzerte einen bewachten Fahrradparkplatz zur Verfügung. Die Anreise mit ÖPNV war im Konzertticket inkludiert.

Laut Studienergebnisse stammten zwei Drittel der Besucher/innen aus Berlin und Umland, während 25 Prozent von weiter her anreisten. Hauptsächlich wurde der ÖPNV oder Fernzug genutzt, 30 Prozent kamen mit dem Auto und knapp 10 Prozent mit dem Fahrrad. 

Wertvolle Ressourcen

Durch eine Wasserbar und Mehrwegflaschen im Backstage-Bereich sollen 3.418 Plastikflaschen gespart und durch kostenlos verteilte Taschenaschenbecher ungefähr 3,25 Millionen Liter Wasser vor potenzieller Verschmutzung bewahrt worden sein.

Für die Bühnenshow wurde nachhaltige Technik wie LED Beleuchtung eingesetzt. Außerdem achteten die Veranstalter auf Mülltrennung und führten eine Fankampagne rund um den World Cleanup Day durch.

Klimabilanz lässt Handlungsfelder erkennen

Trotz der Maßnahmen, um allen Besucher/innen eine möglichst klimafreundliche An-/Abreise zu garantieren, hatte deren An-/Abreise mit 87,6 Prozent den mit Abstand größten Anteil am CO2-Ausstoß der fünf Konzerte. Andere Studien sind zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.

"Zukünftig sollte hier noch mehr auf den Hebel der Kommunikation mit den Fans gesetzt werden, um diese für die Anreise-Emissionen zu sensibilisieren. [...] Im Booking sollte darauf geachtet werden, dass Bands optimaler Weise bundesweit spielen, um weite Fan-Anreisen von über 250 Kilometer zu reduzieren.", so The Changency.

Weitere Handlungsmöglichkeiten sieht The Changency auch in den Bereichen Gastronomie und Energie, in denen durch den vermehrten Einsatz von pflanzenbasierten Speisen und dem Wechsel zu verifizierten Ökostrom-Anbietern relativ "leichte Emissionseinsparungen vorgenommen werden" könnten.

Manche Ideen greifen, andere nicht

Während der Einsatz energieeffizienter Technik oder Kampagnen zur klimafreundlichen Anreise sicherlich ein probates Mittel sind, um Wandel herbeizuführen, geht die Aussage zum "deutschlandweiten Touren" an der Realität vorbei.

Die wirtschaftliche Planung von Tourneen erlaubt aus mannigfaltigen Gründen nicht allen Bands und Acts "bundesweit" zu spielen, so dass alle Fans aus näherer Entfernung anreisen können.

Kleine Band verfügen beispielsweise häufig nicht über ein entsprechendes Publikum und die Mega-Acts bevorzugen aus Kostengründen mehrere Shows an einem Ort, um die Kosten für Aufbau, Logistik und Technik zu minimieren.

Wille zur Veränderung 

Eine wichtige Erkenntnis besteht aber auch darin, dass das Publikum bereit ist, Veränderungen zu Gunsten der Nachhaltigkeit hinzunehmen. 

94 Prozent der Befragten wären beispielsweise bereit, einen Euro mehr für Konzerttickets zu zahlen, um "Menschen, die in schwierigen finanziellen Bedingungen leben, ein Konzertticket mitzufinanzieren". 

Beinahe alle Befragten erwarten außerdem, dass Merchandice fair gehandelt und nachhaltig produziert wird. Jede/r Achte wäre auch dazu bereit, dafür einen Aufschlag von bis zu 28 Prozent zu zahlen. Fast zwei Drittel gaben außerdem an, Getränke und Speisen mit Fairtrade- oder Bio-Siegel bevorzugt zu kaufen.

Alternativen zur Bratwurst

Fast 90 Prozent der Befragten gaben an, Nachhaltigkeit sei ihnen wichtiger als eine große Auswahl an Speisen. Für ungefähr drei Viertel wäre ein rein vegetarisches Angebot in Ordnung, und über die Hälfte könnten sich auch mit einem veganen Angebot abfinden. Im Durchschnitt sollen an den fünf Konzerttagen über 60 Prozent des bestellten Essens vegan oder vegetarisch gewesen sein.

Laut Umfrage haben fast alle rauchenden Teilnehmenden einen Taschenaschenbecher benutzt und auch sonst sei sich allgemein bemüht worden, Müll richtig zu entsorgen.

Im Fazit der Studie erklärt The Changency, der Wille zur Veränderung sei längst da, Festivals und Konzerte könnten ihrer "gesellschaftlichen Verantwortung zukünftig noch stärker gerecht werden". 

"Es geht nicht um Schönheitskorrekturen, sondern um eine grundlegende Veränderung. Und eins ist klar: Diesen Wandel schaffen wir nur gemeinsam."

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