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"wir sind keine wohltätigkeitsorganisation"

Interview: Andrea Petricca vom Emergenza Festival beantwortet eure Fragen

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 12.10.2012

emergenza pay-to-play bandwettbewerb andrea petricca

Interview: Andrea Petricca vom Emergenza Festival beantwortet eure Fragen

Andrea Petricca. © Emergenza

Als ihr eure Fragen ans Emergenza-Team eingereicht habt, ergab sich gleich eine lebhafte Diskussion. Zahlreiche meist kritische Fragen wurden gestellt und Erfahrungen ausgetauscht. Dies alles floss in folgendes Interview mit Andrea Petricca ein, der bei Emergenza für das "General Management Deutschland" zuständig ist.

Grundsatzkritik

Backstage PRO: Hallo Andrea. Danke, dass du dir Zeit für die Fragen unserer Community genommen hast. Viele Musiker stehen dem Konzept eines kommerziellen Nachwuchswettbewerbs sehr kritisch gegenüber. Was sagst du dazu?

Andrea Petricca: Wir veranstalten einen kommerziellen Bandwettbewerb, um damit unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Wir sind keine Wohltätigkeitsorganisation und erhalten auch kein Geld von Dritten. Wir arbeiten wie eine Booking-Agentur oder eine Plattenfirma. In Deutschland ist der Fördergedanke sehr stark verbreitet, was schön und gut ist, wenn man diese Förderung erhält – vom Staat oder von anderer Stelle wie beispielsweise von Unternehmen. Die Idee von Emergenza ist eine andere. Am Anfang haben sich Musiker zusammengetan, um bessere Clubs für ihre Konzerte zu finden. "Der große Skandal" kam, als klar wurde, dass wir daran auch etwas verdienen wollen. Ich frage mich hingegen, ob man nicht an einem Job Geld verdienen darf, den man Vollzeit betreibt und der mit großen Kosten verbunden ist. Von daher: Ja, wir sind ein kommerzielles Unternehmen.

Ist das ein besonderes Problem in Deutschland? Sieht man das anderswo lockerer?

In den USA oder in Großbritannien muss man als Band erst einmal Geld bezahlen, um in einem Club auftreten zu können. Das ist dieses ominöse Pay-to-Play-Prinzip. Du willst in einem Club in New York City spielen? Dann zahlst du zwischen 1500 und 2000$, damit der Club auf der sicheren Seite ist. Es liegt dann an dir, gut genug zu sein, um ein entsprechendes Publikum zu ziehen. In England funktioniert das genauso.

Und wie ist es in Deutschland?

In Deutschland existiert die Idee der kulturell hochwertigen Rock- und Popmusik. Natürlich ist Musik ein Kulturgut. Aber es ist notwendig, den Schritt in die Geschäftswelt zu machen, vor allem wenn man später professionell als Musiker arbeiten will. Der Fördergedanke kann in die Irre führen. Später wirst du mit einer Plattenfirma reden, die wissen will, wie viele Fans deine Band hat und welche kommerzielle Basis überhaupt vorhanden ist. Bei Booking-Agenturen ist es genau dasselbe. Jede noch so hochgeförderte Band muss sich irgendwann dieser Realität stellen.

Wie sieht diese Realität im Falle Emergenza genau aus?

Wir zwingen niemanden zum mitmachen. Wir zwingen auch niemanden Tickets zu kaufen. Es gibt viele Clubs und Festivals, die auf einer Mindestticketabnahme durch die Bands bestehen. Jede Band erhält einen Stapel Tickets und wir sagen: "Leute, es ist in eurem Interesse, dass Zuschauer kommen. Wenn ihr aber kein einziges Ticket verkauft, dann spielt ihr dennoch bei uns." Die Bands lernen bei uns auch Eigeninitiative. Wenn man keine Marketingtätigkeit entfalten will, um Fans an sich zu binden, dann wird man keine Chance haben, dem Proberaum im Keller zu entfliehen. Die Welt da draußen wartet nicht auf euch. Das ist die Wahrheit.

Wenn also ein Musiker schreibt, dass er kein Verkäufer sei, dann unterliegt er einem grundsätzlichen Missverständnis darüber, wie das Musikgeschäft läuft?

Das Wort "verkaufen" sollte man keinesfalls im Sinne von "Seele verkaufen" verstehen. Wer aber soll zu einem Konzert kommen, bei dem acht Newcomer-Bands spielen, die kaum jemand kennt? Wir verkaufen als einziger Anbieter unsere Tickets auch über die gängigen Plattformen, aber natürlich kommen zu diesen Veranstaltungen vor allem die Fans der Bands, die durch diese selbst mobilisiert wurden. Da Emergenza mittlerweile etabliert ist, kommen auch viele Besucher, die mit den Bands nichts zu tun haben. Es geht also nicht darum, seine Würde zu verkaufen, sondern darum dafür zu sorgen, dass der Club voll wird, um nicht vor den üblichen 50, sondern vor 400 Leuten zu spielen.

Wie beurteilst du die Aussage, dass Emergenza einen Teil des Risikos dieser Konzertveranstaltungen an die beteiligten Bands weitergibt?

Das ist nicht so, denn wir machen die Verträge mit den Clubs. Und wenn nur wenige Leute kommen, dann tragen wir auch das finanzielle Risiko. Wir buchen in jeder Stadt die besten Clubs und müssen Produktionskosten von mehreren tausend Euro refinanzieren. Wir brauchen beispielsweise stets mehr als 200-250 Zuschauer, um diese Kosten zu decken. Das gelingt nicht immer. Wir haben auch Abende an denen wir kräftig draufzahlen.

Pay-to-Play – Sargnagel der Musikszene?

Könnt ihr nachvollziehen, dass Pay-To-Play für manche den "Nagel auf dem Sarg der Musikszene" darstellt, weil es die Performance entwerte, wenn der Musiker für seinen Auftritt bezahlen muss?

Groovespire (live in Hamburg, 2011)

Groovespire (live in Hamburg, 2011), © Nina Schober

Wir verlangen lediglich ein Pfand von 90€, das zurückerstattet wird, je nachdem wie viele Tickets die Band verkauft. Theoretisch können Bands ihr Pfand also komplett zurückerhalten und sogar Geld durch das Konzert verdienen. Wenn eine Band keine Tickets verkaufen kann oder will, dann wird sie für lediglich 90€ ein Konzert in einem hervorragenden Liveclub spielen. Natürlich kann man diese Clubs auch privat buchen und versuchen, die Tickets selbst zu verkaufen. Die Kosten sind dann aber sehr viel höher.

Wo liegt denn die Schmerzgrenze, die man Bands zumuten kann?

Andere Bandcontests [an dieser Stelle stand aufgrund eines Versprechers ursprünglich: "Festivals"] verlangen teilweise deutlich mehr – bis zu 200€. Wir verstehen das Pfand von 90€ nicht als Verdienst, sondern vor allem als Garantie, dass die Band das Konzert wirklich spielt. Wo die Grenze liegt? Das müssen die Bands auch selbst entscheiden. Wir sind aber seit 15 Jahren im Geschäft und gut etabliert, viele Bands melden sich bei uns an. Warum sollten sie das tun, wenn wir so schlimm sind?

Habt ihr denn Schwierigkeiten, manche Veranstaltungen mit Bands zu füllen oder könnt ihr euch vor Anmeldungen kaum retten?

Wir betreiben kaum Promo. Die Bands suchen und finden uns. Es gibt Städte, in denen wir kaum einen Finger bewegen müssen, beispielsweise in München oder Berlin. Dort gibt es doppelt so viele Bewerber wie freie Plätze. In anderen Gegenden ist das schwieriger, vielleicht weil es ein Überangebot gibt. Stuttgart ist ein Gegenbeispiel. Baden-Württemberg ist generell problematisch, aber das sind Ausnahmen.

Der Artist-Pool: kein Kerngeschäft

Ein User hat folgendes geschrieben "Wer von Emergenza eine Förderung erwartet, könnte enttäuscht werden". Würdest du dieser Aussage widersprechen?

Plan Z (live im Substage, Karlsruhe 2012)

Plan Z (live im Substage, Karlsruhe 2012), © Ann Buster

Grundsätzlich leisten wir keine Förderung, denn wir sind Konzertveranstalter. Trotzdem – und das wird gerne vergessen – haben wir einen nicht-gewinnorientierten Artist-Pool, aus dem wir jedes Jahr dreißig Festivalslots an unsere besten Bands vergeben. Dazu kommen weitere 120 Konzerte, die wir ermöglichen. Das ist unsere Art der Förderung.

Wie viele Bands sind in diesem Artist-Pool?

Der Artist-Pool ist in verschiedene Regionen aufgeteilt. In jeder Region werden jedes Jahr sieben bis zehn Bands nach verschiedenen Kategorien aufgenommen. Wir veranstalten auch Coachings, Seminare und im letzten Sommer ein Bandcamp. 

Votings und Wildcards

Viele Musiker stören sich an der Art der Abstimmung in den Vorrunden, wo nach Handzeichen gezählt wird und damit jene Bands gewinnen, die die meisten Fans mitgebracht haben. Ich nehme an, diese Art der Kritik hört ihr häufig?

Ja, aber diese Kritik ist oberflächlich. In einer Vorrunde spielen acht Bands, davon kommen vier weiter. Wenn eine Band die meisten Fans hat, dann erreicht sie natürlich die nächste Runde. Es qualifizieren sich aber auch drei weitere Bands! Außerdem haben wir ein Wildcard-System. Wenn eine Band besonders gut war, es durch das Publikum aber nicht geschafft hat, dann laden wir sie nochmals ein. Daher sage ich in etwas provokanter Manier: Eine Band, die die erste Runde nicht schafft, ist schlichtweg nicht gut genug.

Ob eine Band, die beim Publikum durchgefallen ist, eine zweite Chance verdient hat, entscheidet also der Emergenza-Manager vor Ort?

Ja. Gegebenenfalls holt er sich von den Clubbesitzern oder anderen Verantwortlichen eine zweite Meinung ein. In München müssen beispielsweise alle Beteiligten – also die Manager aus den Regionalbüros von Emergenza, die die ganze Veranstaltung organisiert haben, aber auch die Techniker und Clubverantwortlichen – einen Feedback-Bogen ausfüllen. Wenn dort jeder eine Band nennt, die gut war, es aber nicht geschafft hat, dann reagieren wir und vergeben an diese Bands eine Wildcard.

Habt ihr mal erwogen, in den Vorrunden Stimmzettel einzuführen?

In Hamburg setzen wir in der Vorrunde Stimmzettel ein. Ich selbst halte nichts davon, da es keinen Beweis gibt, dass die Zuschauer die Band wirklich live erlebt haben. Man kann einfach irgendetwas ankreuzen und den Stimmzettel einwerfen. Wenn man per Handzeichen abstimmt, muss man jedoch persönlich anwesend sein.

Sinn und Nutzen der Jury

Manche jungen Musiker wünschen sich mehr Feedback von der Jury.

Get The Last Clap (live in Hamburg, 2011)

Get The Last Clap (live in Hamburg, 2011), © Nina Schober

Die Manager vor Ort sind in der Regel bereit und offen dafür Feedback zu geben, wenn die Bands zu ihnen kommen und nach ihrer Meinung fragen. Nach dem Finale ist das noch sehr viel ausgeprägter: Da lade ich alle Bands zu mir ein und teile ihnen einzeln das Feedback der Jury mit.

Es kam auch der Vorwurf auf, dass die Jury nur dabei sei, um zu verhindern, dass eine Band mit wenig verkauften Karten doch noch durch den Publikums-Vote in die nächste Runde kommt.

Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Jury ist deshalb da, damit gute Bands, die weniger Leute mitgebracht haben, dennoch eine Runde weiterkommen. Wenn es nur darum ginge Bands mit den meisten Fans weiterkommen zu lassen, dann bräuchten wir keine Jury.

Eintrittspreise und Erwartungen

Haltet ihr die Höhe der Eintrittspreise für gerechtfertigt?

Die Preise entsprechen nicht dem Niveau eines Jugendzentrums, weil die Show, die wir bieten, qualitativ weit darüber hinausgeht, etwa was Technik und Räumlichkeiten angeht. Das muss finanziert werden. Nach fünfzehn Jahren haben wir dieses Jahr den Preis erstmals auf neun Euro erhöht. Angefangen haben wir 1996 mit sechzehn Mark. Trotz Mehrwertsteuererhöhung, steigender Kosten und Inflation blieben die Eintrittspreise konstant.

Emergenza ist nach allen Maßstäben ein sehr erfolgreiches Unternehmen. Es hat in einem Geschäft überlebt, in dem viele andere gescheitert sind. Dennoch ist das Image offenbar teils negativ. Warum ist das so?

Wir können nicht alle Bands glücklich machen. Das ist das Konzept des Wettbewerbs. Manche Bands haben aber auch zu viele Erwartungen an Emergenza, obwohl ich immer betone, das wir keine Plattenverträge vergeben oder einer Karriere notwendigerweise Flügel verleihen. Das muss jede Bands selbst in die Hand nehmen – das sagen wir ihnen auch sehr deutlich. Wir bieten den Bands an, in den besten Clubs mit hervorragenden technischen Voraussetzungen zu spielen. Natürlich haben wir auch Kontakte ins Musikbusiness. Aber wir versprechen nichts. Das wäre nicht seriös.

Danke dir, Andrea, und danke auch an die Backstage PRO-Nutzer, die sich durch ihre Fragen an Emergenza an diesem Interview beteiligt haben. Habt ihr weitere Fragen und Anmerkungen? Wir freuen uns auf euer Feedback in den Kommentaren.

Unternehmen

Emergenza Deutschland

Veranstalter, Booking-Agentur, Marketing/PR in 80333 München

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