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"Der schönste Beruf der Welt"

Jan Kalt betreibt die Schraubfabrik und gibt hier Tipps für Musiker und angehende Tontechniker

Interview von Markus Biedermann
veröffentlicht am 02.05.2014

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Jan Kalt betreibt die Schraubfabrik und gibt hier Tipps für Musiker und angehende Tontechniker

Jan Kalt ganz in seinem Metier: Immer am schrauben!. © Markus Biedermann (2014)

Seit 11 Jahren existiert die Schraubfabrik nun schon. Zuerst hatte das Tonstudio seinen Sitz im Odenwald, mittlerweile belegt Jan Kalt gleich mehrere Räume im Mannheimer Musikpark. Dort kann der Tontechniker, Produzent und Steinberg-zertifizierte Coach sein umfassendes Portfolio anbieten. Wir sprachen mit ihm über seine eigenen Erfahrungen in der Branche und entlockten ihm einige Tipps für Bands und all jene, die im Studiobereich ebenfalls Fuß fassen wollen.

Backstage PRO: Hallo Jan! Danke, dass du uns in deinem Studio empfängst. Das sieht hier natürlich direkt professionell aus, aber so hast du wahrscheinlich nicht angefangen. Wann hast du deine Leidenschaft fürs Schrauben entdeckt?

Jan Kalt: Damals war ich noch keine zwölf Jahre alt und fing gerade mit dem Schlagzeugspielen an. Bei einem Bekannten zuhause konnte ich an einem Synthesizer-Modularsystem von Roland experimentieren. Da bekam ich aber erst nach eineinhalb Stunden Knöpfchendrehen und Kabelstecken so eine Art Walgesang heraus – ein magischer Moment! Das ist jetzt 30 Jahre her, aber an diese haptische Erfahrung erinnere ich mich noch genau.

Backstage PRO: Das war die Initialzündung, die später zur Schraubfabrik führen sollte?

Jan Kalt: Ja genau. Die Schraubfabrik habe ich vor elf Jahren in der Soundfabrik Fürth gegründet, dem Musikgeschäft von Wolfgang Klingelhöfer, den ich sehr schätze. In der Halle neben dem Geschäft haben wir eine Raum-in-Raum-Konstruktion gebaut. Viel Equipment hatte ich damals noch nicht. Gemischt wurde zum Beispiel über HiFi-Boxen. Aber Mehrspuraufnahmen waren möglich. Einige Rockbands, ein Kabarettist und Nonnen zählten zu meinen ersten Kunden.

Backstage PRO: Nonnen?

Jan Kalt: Die Nonnen der Marienschwesternschaft Darmstadt, von denen eine auf mich aufmerksam wurde, als sie ein Kabel in der Soundfabrik kaufte. Die haben sich damals für digitale Aufnahmen interessiert. Dadurch habe ich nebenher mit meinem Schulungsprogramm begonnen, das aus Workshops für Steinbergs Cubase und Wavelab bestand.

"Ich habe zwei Musiksozialisationen durchlaufen"

Backstage PRO: Musiker bist du aber auch selbst immer geblieben?

Jan Kalt: Immer! Damals spielte ich in verschiedenen Bands, darunter The Fatal Impact und Red Face Guru. Wir hatten einen tollen Proberaum mitten im Wald, mitten im Nichts, in dem man Tag und Nacht Radau machen konnte. Ich habe quasi zwei Musiksozialisationen durchlaufen: Als Musiker und Songwriter, aber auch als Produzent. Denn noch vor der Schraubfabrik kamen bei mir mehr und mehr Projekte im Bereich der elektronischen Musik hinzu. Zuerst habe ich zuhause produziert, später im „Druckkammer-Studio“ – so hatte ich das genannt, weil es winzig war, die Boxen aber groß wie Kühlschränke. Da entstand entsprechend Druck, wenn man die Musik aufdrehte.

Backstage PRO: Bist du mit deinen damaligen Bands selbst mal in ein anderes Studio gegangen?

Jan Kalt: Das war auch eine Erfahrung, die zur Gründung der Schraubfabrik beigetragen hat. Mit der einen Band landeten wir in einem Studio, das auf Blues- und Rockbands spezialisiert war. Mit unserem Genre zwischen Dark Wave und EBM konnten die nichts anfangen. Da verwirrte schon, dass wir mit Drumcomputer angerückt waren. Die CD finde ich heute immer noch schlecht. Ich habe mir danach jedenfalls geschworen, alles selbst zu lernen und künftig besser zu machen.

Das "Studiosterben" überstanden

Backstage PRO: Heute bietest du in deinem Mannheimer Studio mehr an als das, was du dir damals auf die Agenda geschrieben hast. Welche Startbedingungen hast du hier vorgefunden?

Jan Kalt: In den ersten Räumen, die ich hier genutzt hatte, war ich Untermieter und musste dadurch nur eine vergleichsweise geringe Miete zahlen. Das hat mir durch die Finanzkrisen-Zeit geholfen, in der das Wort „Studiosterben“ deutschlandweit in aller Munde war. Treue Kunden und meine breite Aufstellung haben mir beim Überleben natürlich auch geholfen.

Backstage PRO: Räumlich hast du dich zwischenzeitlich nochmal verändert und vor allem auch erweitert.

Jan Kalt: Seit zwei Jahren bin ich hier im ehemaligen Studio der Popakademie. Als diese gut ausgestatteten Räumlichkeiten im Musikpark frei wurden habe ich direkt zugeschlagen – ich wollte mich ja auch erweitern.

Backstage PRO: Was sind heute deine hauptsächlichen Standbeine?

Jan Kalt: Die groben Richtungen sind vor allem Recording, Mixing, Mastering und Schulungen. Ich bin auch sehr dankbar, dass sich viel dahingehend entwickelt hat, dass ich wieder mehr Kompositionen mache, zum Beispiel für Werbung oder andere Videoproduktionen, die gemafreie Musik benötigen. Ebenso produziere ich zunehmend eigene Songs für reine Interpreten, wobei ich bei Bedarf dann weitere Komponisten und Musiker hinzuziehe.

"Ich wollte immer Musik komponieren und produzieren"

Backstage PRO: Es treffen sich also deine Freude am Musikmachen mit Einnahmemöglichkeiten, die deine Existenz sichern können?

Jan Kalt: Genau. Ich wollte immer Musik komponieren und produzieren und es ist gut, dass ich dieses Standbein habe. Aber alles andere ist auch wichtig, zum Beispiel das Live-Recording für meine Partner aus dem Videobereich.

Backstage PRO: Recording im Studio wiederum umfasst bei dir…?

Jan Kalt: Im Bereich Recording bin ich spezialisiert auf Gesangs- und Sprachaufnahmen. Daneben laufen aber auch Band- und Instrumentalaufnahmen, die man hier in verschiedenen Räumen machen kann. Darunter noch ein Studio mit vollwertiger Regie, das ich mit befreundeten Musikern und Komponisten gemeinsam angemietet habe.

Backstage PRO: Das eignet sich besonders für Bands?

Jan Kalt: Ja, denn es lässt sich perfekt für Vorproduktionen nutzen. Bands können sich einmieten, ich mikrofoniere alles, aufgenommen wird dann ganz eigenständig auf 24 Spuren. Die Aufnahmen nehmen die Bands dann entweder mit nach Hause, um sie selbst abzumischen, oder ich übernehme das in meinem Hauptstudio. Der Vorteil ist, dass Bands wirklich lange am Stück aufnehmen können ohne einen Engineer für die komplette Zeit bezahlen zu müssen.

"Ich würde niemandem davon abraten selbst aufzunehmen"

Backstage PRO: Verläuft an diesem Punkt zwischen Vorproduktion und der weiteren Studioarbeit für dich die Grenze, ab der sich Bands spätestens professionelle Studioarbeit leisten sollten?

Jan Kalt: Heutzutage kommen viele Bands mit ihren selbst aufgenommenen Tracks zu mir und wollen Mixing oder Mastering. Viele können wirklich in akzeptabler Qualität zuhause bzw. im Proberaum aufnehmen, nur muss das dann noch veröffentlichungsreif zusammengemischt werden. Und das bekommt nicht jeder hin, weil nicht jeder über die ganz spezifische, hierfür notwendige Erfahrung verfügt. Deshalb empfehle ich: Nehmt etwas Geld in die Hand und geht zu einem Profi. Das geht schnell und macht euch deutlich weniger Stress. Ich kann auch grundlegend durch Workshops helfen, zum Beispiel indem ich mit Equipment im Proberaum anrücke, man gemeinsam mal alles durchspielt. Dann kann sich die Band immer noch selbst entscheiden, ob sie sich dieses oder ähnliches Equipment leistet, um jederzeit wieder selbständig aufnehmen zu können, oder ob es doch von Beginn an ins Studio gehen soll.

Backstage PRO: Einen gewissen Teil selbst zu machen ist ja dein eigener ursprünglicher Ansatz…

Jan Kalt: Ich würde niemandem davon abraten selbst aufzunehmen, denn wie du sagst komme ich ja selbst aus der Homerecording-Ecke. Mit eigener Ausrüstung kannst du aufnehmen wann du willst, nämlich bestenfalls dann, wenn es gerade perfekt passt und du deine beste Performance ablieferst. Und damit schlägst du qualitativ im Endeffekt jedes Million-Dollar-Studio.

Backstage PRO: Wie sehr bringst du dich persönlich in deine Arbeit ein?

Jan Kalt: Ich sehe mich da in einer dienenden Position. Am Ende muss das fertige Produkt den Kunden gefallen und nicht mir persönlich. Ich glaube auch, dass der jeweilige Musiker selbst am besten weiß, wie seine Sachen klingen sollen. Das gilt es umzusetzen. Daher soll auch die gesamte Technik für die Musiker in den Hintergrund rücken – die Gedanken darüber mache ich mir. Insgesamt muss ich für eine gute Atmosphäre sorgen. Die Leute sollen sich wohlfühlen, um gute Ergebnisse abliefern zu können.

"Lernt eure Texte auswendig!"

Backstage PRO: Gibt es bestimmte Dinge, die du als Auftragnehmer von Musikern und Bands erwartest? Was siehst du als professionelles Mindestmaß an?

Jan Kalt: Oh ja! Also wer zum Einsingen zu mir kommt sollte wenigstens seinen Text sicher drauf haben. Ich bin vor allem dann selbst mehr als happy, wenn der Kunde happy ist und am Ende des Tages eine schöne Aufnahme entstanden ist. Je länger es dauert, desto mehr kostet es ja auch. Also lernt eure Texte auswendig und wisst was ihr singen wollt! Es macht einfach Bauchschmerzen, wenn du weisst, dass jemand nun schon das Geld in die Hand nimmt, um in ein professionelles Studio zu gehen, dann aber nicht gut vorbereitet oder zu nervös ist. Im Studio herrscht eben immer eine besondere Situation vor.

Backstage PRO: Dein wichtigster Tipp zur richtigen Vorbereitung lautet also?

Jan Kalt: Üben, üben, üben! Und mehreren Leuten vorspielen, vor allen Dingen solchen, die es ehrlich mit einem meinen und nicht nur den Bauch pinseln wollen. Vielleicht einfach mal einer ganz fremden Person vorspielen. Und wenn es alle geil finden, dann nehmt es auf!

"Der vielseitigste Beruf der Welt"

Backstage PRO: Wie schätzt du das Interesse junger Menschen ein, sich lieber auf deine Seite des Pults zu schlagen, also eine Karriere im Tonstudio-Bereich anzustreben?

Jan Kalt: Weil ich das natürlich für den schönsten Beruf der Welt halte, denke ich: Alle wollen Producer werden! Das ist natürlich nicht so, aber das Interesse ist bei jungen Leuten auf jeden Fall vorhanden. Bei mir kommen pro Woche so um die sechs Anfragen auf ein Praktikum an. Man erkennt das Interesse auch am regen Zulauf an Schulen wie SAE oder Deutsche Pop.

Im kleinen Rahmen einer Privatausbildung biete ich das selbst an, auch zurzeit beschäftige ich wieder einen Azubi bei mir. Er lernt hier unter realen Bedingungen mit echten Kunden, wie Business und Handwerk funktionieren. Man sollte dabei übrigens die psychologische Komponente nicht unterschätzen: Musiker können Diven sein, können schüchtern sein oder extrovertiert – damit klarzukommen ist nicht immer einfach. Aber all das macht den Job in meinen Augen zum vielseitigsten Beruf der Welt.

"Macht soviel wie möglich!"

Backstage PRO: Wenn du heute selbst nochmal am Anfang stehen würdest, wie würdest du es angehen?

Jan Kalt: Ich kann nur empfehlen soviel wie möglich einfach zu machen: Nimm soviel Bands auf, wie du kannst. Arbeite gerade am Anfang auch mal für lau, hauptsache es macht Spaß und du sammelst wichtige Erfahrung. Na klar muss man später irgendwann wirtschaftlicher denken, das mache ich ja heute auch selbst. Jedenfalls reicht es anfangs nicht sich zurückzulehnen und darüber zu freuen, dass man ein Laptop und eine Soundkarte besitzt. Im Gegenteil. Wahrscheinlich muss man nebenher noch andere Jobs machen, um sich überhaupt mal Gerätschaften leisten zu können.

Backstage PRO: Gibt es Dinge, die du aus heutiger Sicht anders machen würdest?

Jan Kalt: Im Rückblick hätte ich vielleicht die ungefähr 20.000 Euro, die mich meine Ausbildung gekostet hat, lieber direkt in Geräte gesteckt und mit diesen einfach probiert und gearbeitet. Dazu begleitend ein Praktikum in einem Tonstudio gemacht und versucht, irgendwo den Fuß in die Tür zu kriegen – was schwierig ist, aber es geht. Das wäre vielleicht besser gewesen, als an einem völlig überfüllten Bildungsstandort das dortige Studio mit zahllosen Leuten teilen zu müssen, nur um nachher dann meine Aufnahmen und Mischungen nicht einmal veröffentlichen zu dürfen… wie das halt so ist in diesen Einrichtungen. Kurzum: Leute, kauft euch Geräte. Probiert, experimentiert. Und verkauft niemals ein Gerät oder Instrument, sondern lernt es, bist ihr es in- und auswendig beherrscht.

Backstage PRO: Wie werden Interessenten auf dich aufmerksam?

Jan Kalt: Ich bin glücklicherweise bei Suchmaschinen richtig gut positioniert, außerdem bin ich ja auch hier bei Backstage PRO und anderen Netzwerken zu finden, stelle meine Leistungen dar, zeige Referenzen. Es ersetzt zwar nichts das persönliche Gespräch, aber die meisten Interessenten melden sich tatsächlich über das Internet. Ich nehme mir dann auf jeden Fall die Zeit und biete einen kostenlosen Beratungstermin an, um Fragen oder weitere Details direkt zu besprechen. Das würde ich Musikern generell immer empfehlen: Geht vor Ort, lasst euch Produktionen vorspielen. Lasst euch zeigen, was der Kollege bisher gemacht hat.

Backstage PRO: Danke für deine Zeit, Jan!

Eure Fragen, euer Feedback

Liebe Backstage PRO Community! Jan Kalt ist wie erwähnt hier bei Backstage PRO aktiv. Falls ihr konkrete Anfragen habt, könnt ihr diese direkt über sein Profil an ihn persönlich richten. Feedback zum Interview könnt ihr wie gewohnt hier in den Kommentaren loswerden!

Und hier noch ein Backstage PRO Tipp: Auf der Suche nach Tonstudios in eurer Region hilft euch unser Firmenverzeichnis!

Unternehmen

Tonstudio Schraubfabrik

www.tonstudio-mannheim.de

Tonstudio und Recording, Label, Musikproduktion, Musikunterricht und Ausbildung in 68159 Mannheim

Personen

Jan Kalt

Produzent, Dj, Mixing-Engineer, Mastering-Engineer aus Mannheim Songwriter, Schlagzeuger, Keyboarder bei Braincurry, Toningenieur/Produzent bei Tonstudio Schraubfabrik

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