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"Der Bedarf übersteigt das Angebot bei weitem"

Kommunale Kultur leidet unter Raummangel. Verschiedene Konzepte sollen ihr eine Chance geben. Aber werden sie der Szene gerecht?

Spezial/Schwerpunkt von Michael Erle
veröffentlicht am 27.06.2023

kulturpolitik clubsterben liveszene

Kommunale Kultur leidet unter Raummangel. Verschiedene Konzepte sollen ihr eine Chance geben. Aber werden sie der Szene gerecht?

Das geschlossene Café Gramsci in Dachau. © Michael Erle

Hohe Immobilienpreise und Konflikte mit Anwohner/innen beschleunigen das Clubsterben. Dabei existieren auch in Großstädten durchaus Möglichkeiten, Räume für Kultur zu schaffen. Über passende Konzepte existiert aber keine Einigkeit. Während einige Kommunen auf Zwischennutzung setzen, verlassen sich andere auf engagierte Einzelkämpfer – und riskieren damit den Verlust von Kulturorten.

Es war ein herber Schlag für die Kulturszene: Anfang 2023 musste das Cafe Gramsci in Dachau bei München schließen. Mit seinem hochkarätig besetzten Programm hatte es sich über die Grenzen des Freistaats hinaus einen Namen gemacht. Grund für die Schließung war der schlechte Zustand des historischen Gebäudes, der eine Sanierung nötig gemacht hätte. 

Da die Stadt Dachau aber nicht bereit war, den Betrag von 300.000-500.000 Euro aufzubringen, beschloss sie die sofortige und dauerhafte Schließung des Cafe Gramsci. Zum Vergleich: Die Sanierung des Kulturforum Klosterkirche in Traunstein kostete 14 Millionen Euro!

Es folgte eine Suche nach der Ursache: Wie konnte ein so wertvoller Kulturort verloren gehen? Wer hätte den Erhalt der historischen Immobilie vorantreiben sollen? Zwischen der Stadt als Besitzer, dem Brücke e.V. als Pächter und Betreiber Christian Salvermoser kam es zu gegenseitigen Schuldzuweisungen. 

Kein Geld für die Sanierung

Kai Kühnel, 2. Bürgermeister der Stadt Dachau und Vorsitzender des Kulturvereins TollHausDachau e.V. stellt die Lage wie folgt dar:

"Die Brücke e.V. war mehr als ein Jahrzehnt für das Gebäude zuständig und hat das Areal, zu dem auch das Café Gramsci gehört, an die Stadt zurückgegeben. Daraufhin gab es zwei Begehungen durch die Verantwortlichen der Stadt und Fachplanern. Die Erkenntnis war, dass ein Weiterbetrieb aus Sicherheitsgründen nicht mehr zu verantworten ist – etwa wegen veralteter Elektroinstallation und mangelnder Standsicherheit. So detailliert interessiert das natürlich niemanden, aber der transportierte Eindruck in den Medien ist, die Stadt hätte mir nichts, dir nichts das Cafe geschlossen. So war das nicht." 

Da die Stadt nicht bereit ist, Geld in das Gebäude zu investieren, verweist sie auf die Möglichkeit, das Cafe an anderem Ort zu betreiben, obwohl ihr klar ist, dass das für den Betreiber keine Option ist. Dazu Kühnel: "Das Café Gramsci könnte sicherlich in anderen Räumen weiter betrieben werden, wenn der Betreiber das wollte. Aber ob ein anderer Ort eine gleichwertige Atmosphäre bietet, ist eine andere Sache". Der Brücke e.V. war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Der Bedarf übersteigt die vorhandenen Räume

Wie viele Bühnen gerade in Ballungsräumen hatte auch das Café Gramsci, im Herzen der Altstadt Dachaus gelegen, immer wieder mit Beschwerden wegen Lärm zu kämpfen. Diese beiden Probleme   die Höhe der Mieten in hochpreisigen Stadtlagen und der Umgang mit Anwohner/innen bzw. Lärm – stellen ein grundlegendes Problem für Kulturschaffende dar, so auch in der nahen Landeshauptstadt München.

Jennifer Becker, Pressesprecherin des Kulturreferats München erklärt dazu:

"Zum einen gibt es in München wenig Leerstand. Zum anderen brauchen Kunst und Kultur bezahlbare Räume. Und die sind schwer zu finden in einer prosperierenden Stadt. München steuert kommunale Immobilien bei, beispielsweise Atelierhäuser, Stadtteilkulturzentren oder Bandübungsräume bei. Aber der Bedarf ist weit größer als das, was die Stadt leisten kann. Wir brauchen auch das Bewusstsein von Unternehmen und Privaten, dass eine Großstadt ohne Kultur nicht lebenswert wäre. Und am besten eine entsprechend aufgeschlossene Haltung als faire/r Vermieter/in."

Konzepte zur Kulturförderung in Ballungszentren

Es obliegt oftmals den Kommunen, hier Lösungen zu finden, um das kulturelle Leben nicht veröden zu lassen. Dabei kommen verschiedene Konzepte zu Tragen:

Förderungsmöglichkeiten

Gerade die größeren Kommunen bieten umfangreiche Fördermöglichkeiten. In München etwa reichen diese von Beiträgen zur Übungsraummiete über “Residencies” und der Förderung für Veranstaltungen und andere Projekte bis hin zur Unterstützung bei der Finanzierung von Zwischennutzungen. Eine Übersicht gibt es hier

Bereitstellung städtischer Räume

Gemeinden stellen über Stadtteil- und Jugendzentren, aber auch Kultureinrichtungen oder VHS-Gebäude Übungsräume, Bühnen oder Ausstellungsflächen für bildende Kunst zur Verfügung. 

Vermittlung von privaten Zwischennutzungen

In Ballungszentren stehen gerade gewerblich genutzte Räume bisweilen längere Zeit leer, bis Anträge entschieden oder Finanzierungen aufgestellt werden können. Hier lassen sich Zwischennutzungen oft ohne große Umbaumaßnahmen umsetzen. Die Stadt München hat hierzu ein eigenes Kompetenzteam eingerichtet, das Räume vermitteln soll und Kulturschaffende berät. Mehr dazu gibt es unter dieser Adresse.

Für München sind Zwischennutzungen laut Becker ein wichtiges Element des Kulturkonzepts:

"Zwischennutzungen sind wichtig für Experimentelles, für Kooperationen und Vernetzungen. Sie sind Möglichkeitsräume auf Zeit. Eine der größten Zwischennutzungen, die des sanierungsbedürftigen Gasteig, stellt die Stadt selbst zur Verfügung. Aber auch große Kaufhäuser, alte Fabriken oder beispielsweise das ehemalige Gesundheitshaus werden temporär bespielt. Wir müssen nur aufpassen, dass wir den dauerhaften Bedarf an Flächen nicht aus dem Auge verlieren – auch im Sinne der Nachhaltigkeit des kulturellen Engagements".

Andere Kommunen können Zwischennutzungen wenig abgewinnen. Kai Kühnel, 2. Bürgermeister von Dachau sieht darin keine adäquate Lösung: "Zwischennutzungen sehe ich etwas skeptisch, denn für sie muss der gleiche Planungsaufwand zum Beispiel beim Brandschutz betrieben werden wie bei einer dauerhaften Nutzung eines Gebäudes. Da bevorzuge ich persönlich die Taube auf dem Dach".

Vermittlung von öffentlichen Zwischennutzungen

Erfolgreiche, gewerblich genutzte Projekte mit Kultcharakter wie etwa das "Wannda Festival" oder die Cafés "Gans Woanders" und "Gans am Wasser" machen Kommunen oft als Zwischennutzung auf öffentlichen Flächen möglich. Hier wechselt zwar die Zuständigkeit vom Kultur- in das Baureferat, die Bewilligung von Fördermitteln geschieht aber – wie oben erwähnt – als Teil der Kulturarbeit. Mehr zu diesem Thema könnt ihr hier lesen.

Die Rolle der Vereine

In manchen Kommunen kommt Vereinen eine tragende Rolle in der Kultur zu; sie fungieren als Bindeglied zwischen Verwaltung und Kulturschaffenden. Sie leben natürlich vom Engagement der dort engagierten Künstler, kommen aber bisweilen an ihre Grenzen – wie etwa das Beispiel des Café Gramsci zeigt.

Michael Kottermeier vom Schere, Stein, Papier e.V., der ebenfalls in Dachau aktiv ist, erklärt dazu:

"Ich denke, bestimmte Szenen werden nur durch Vereine repräsentiert. Kulturschaffende wie auch Rezipienten von Szenen brauchen Orte und Räume, um diese zu beleben und ihre Inhalte zu teilen. An unsere Grenzen stoßen wir durch den Mangel an Räumen und Zugängen zu diesen. Aber auch engagierte Mitwirkende zu finden ist nicht einfach. Als Verein der versucht, niedrigschwellig zu agieren und Räume für möglichst alle zu öffnen – frei von Konsum – ist es kaum möglich, Räume zu bespielen oder zu bekommen."

Die Erfahrungen seines Vereins fasst Kühnel folgendermaßen zusammen: "Unser Verein hat die Erfahrung gemacht, dass wir besser mit kleinen Veranstaltungen zurechtkommen. Für uns sind 200 Gäste schon viel, da beschränken wir uns auf 2 bis 3 Veranstaltungen im Jahr. Darüber hinaus gehen wir nicht mehr, überwiegend veranstalten wir in Räumen um die 50 Personen".

Eine Chance für Kultur

Die Situation der Veranstaltungswirtschaft und der Künstler/innen, die auf sie angewiesen sind, ist vor allem in Ballungszentren schlecht. Club- und Bühnensterben sind die Folge der hohen Immobilienpreise und der Veränderung des urbanen Raumes, der weniger Platz für “störende” Nachbar/innen bietet. 

Ohne kommunale Förderung wäre die Situation jedoch noch schlimmer – es ist die Aufgabe der öffentlichen Gemeinschaft, Kultur (auch Subkultur und unbequemes) Raum zu geben. Musiker/innen und Veranstalter/innen, die sich nicht zumindest über die Angebote vor Ort informieren, vergeben eine Chance, sich das Leben leichter zu machen.

Andererseits müssen sich Städte auch der Bedeutung bestehender Kulturorte bewusst sein und alles dafür tun, sie zu erhalten. Das gilt besonders dann, wenn es sich um vergleichsweise überschaubare Beträge handelt. Wenn ein Kulturort erst einmal verloren ist, dann meistens unwiederbringlich – und der Schaden ist weitaus höher als ein paar hunderttausend Euro.

Locations

Café Gramsci

Burgfriedenstraße 3, 85221 Dachau

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