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"Im Prinzip haben alle Bock auf Film"

"Mein Plan B": Milena Fessmann, Radiomoderatorin, DJ und Music Supervisor

Interview von Martell Beigang
veröffentlicht am 13.11.2018

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"Mein Plan B": Milena Fessmann, Radiomoderatorin, DJ und Music Supervisor

Milena Fessmann. © Filmfest Gent

Nur wenige Musiker leben davon, ausschließlich mit ihrer eigenen Musik auf der Bühne zu stehen. Für die meisten Profis besteht ihr Job aus ganz unterschiedlichen Facetten. In unserer Serie Plan B stellen wir euch Kollegen vor, die interessante Nischen besetzen. Heute: Milena Fessmann (49), Radiomoderatorin, DJ und Music Supervisor.

Milena moderiert seit zwanzig Jahren die Radiosendung "Free Falling" bei Radio Eins Berlin. Sie war lange Zeit DJane und hat sich schon vor vielen Jahren als eine der ersten Music Supervisorinnen selbstständig gemacht.

Wir haben uns vor einigen Jahren kennengelernt. Heute spreche ich mit ihr am Telefon – netterweise kann sie sich auf Anhieb erinnern.

"Es ist immer schwierig den ersten Job zu bekommen"

Backstage PRO: Was war dein erster Job im Musikgeschäft?

Milena: Mit 17 Jahren habe ich mit zwei Freundinnen Parties unter dem Namen Rydell High veranstaltet (benannt nach der Highschool von Grease). Dort haben wir unsere Lieblingsplatten gespielt, alte Schinken und alles durcheinander. Es war immer total voll. Im Wechsel war von uns dreien immer eine an der Tür, eine hat Kasse gemacht und eine hat aufgelegt. Damit habe ich mir mein Politologie-Studium finanziert.

Backstage PRO: Wie kamst du dazu Musik für Filme auszusuchen?

Milena: Neben meinem Studium habe ich beim Jugendradio "Radio4U" moderiert und dort viele Filmbeiträge gemacht. Eine Freundin von mir war damals Herstellungsleiterin beim Film "Sonnenallee" (Regie Leander Hausmann) und sie meinte: "Mach doch mal eine Kassette mit Musik", die den Film begleiten könnte. Leander fand sie zwar fürchterlich, aber die Sache hat Spaß gemacht und so stand die Idee so etwas öfter zu machen plötzlich im Raum. 1998 habe ich dann meine Firma Cinesong gegründet.

Ich hab das allen Leuten erzählt, die ich kannte und die irgendwie etwas mit Film zu tun hatten. Und irgendwann kam dann auch der erste kleine Film, dann ein größerer und so fing das alles an. Es ist immer schwierig den ersten Job zu bekommen, aber ab da geht es leichter. Inzwischen habe ich über 200 Filme betreut.

"Der Teil, dass man sich kreativ tolle Musik ausdenkt, ist leider der kleinste am Ganzen"

Backstage PRO: Hattest du damals viel Konkurrenz?

Milena: Es gab damals schon Musikberater in Deutschland, vor allem Männer. Mein Glück war es sicher, dass ich eine Frau und jung war und damit im selben Alter wie viele Regisseurinnen und Regisseure. Außerdem hatte ich wegen meiner Arbeit beim Radio und als DJ den richtigen Stallgeruch. Das hat sehr geholfen. Ab da habe ich dann überhaupt erstmal gemerkt, wie kompliziert die Arbeit als Musik Supervisor doch ist und habe ganz viel lernen müssen. Musik ist halt immer Geschmackssache.

Backstage PRO: Wie läuft so eine Zusammenarbeit eigentlich ab?

Milena: Meistens werde ich vom Produzenten angerufen und der sagt, wir machen ein neues Projekt, und fragt: Hast du Lust und Zeit? Das spannende ist, das die Anfragen immer sehr unterschiedlich sind. Es melden sich große und kleine Produktionen.

Dann schickt der Produzent mir das Drehbuch und ich schaue, ob da schon irgendwelche Sachen anfallen. Das heißt, gibt es Musik, bei denen ich die Rechte klären muß? Das dauert schon mal eine ganze Weile und man muß gucken, ob man die überhaupt finanzieren kann.

Der Teil, dass man sich kreativ tolle Musik ausdenkt, ist leider der kleinste am Ganzen. Man muß Rechte (Masterrechte und Verlagsrechte) anfragen und klären, muß das Budget einteilen. Meistens reicht das Budget dann nicht und ich muß mich mit der Regie hinsetzen und darüber sprechen, was braucht der Film, was ist schon da? Gibt es einen Komponisten? Zum Beispiel weil der Regisseur schon immer mit Person X zusammengearbeitet hat.

Alles was mit Musik zu tun hat, läuft idealerweise über meinen Schreibtisch. Aber auch da gibt es Ausnahmen. Manchmal muß ich auch nur ein paar Rechte klären, manchmal viel mehr als das machen. Es ist immer sehr unterschiedlich und zum Glück sehr abwechslungsreich.

"Bei Musik muß man sich immer erst auf dieselben Begrifflichkeiten einigen"

Backstage PRO: Mußt du auch mit dem Score-Komponisten zusammenarbeiten?

Milena: Im Idealfall ist von vornherein klar, was Score ist und welche weiteren Songs in den Film kommen. Aber ich finde gut, wenn es Kommunikation auf allen Ebenen mit allen Beteiligten gibt. Natürlich besteht die Gefahr, dass der Filmkomponist das Gefühl hat, ich würde ihm in seine Arbeit pfuschen, was ich natürlich nie machen würde. Klar kommt es manchmal zu Schwierigkeiten bei der Kommunikation, weil mein Gegenüber nicht so erfahren ist oder man aneinander vorbeiredet.

Bei Musik muß man sich halt immer erst auf dieselben Begrifflichkeiten einigen. Wenn du zum Beispiel definieren sollst, was du unter groovy verstehst, dann ist das nicht unbedingt deckungsgleich mit dem, was ich darunter verstehe. Wenn der Regisseur zum Beispiel sagt: Ich möchte gerne etwas "dunklere" Musik, bedeutet das dann mehr Moll oder einfach langsamere oder gar langweiligere Musik? Im Prinzip besteht mein Job darin dauernd zwischen allen Beteiligten zu moderieren.

Backstage PRO: Wahrscheinlich ist da eine gewisse Menschenkenntnis von Vorteil.

Milena: Ja, definitiv.

Backstage PRO: Wenn der Fall eintritt, dass die Rechte für ein Stück zu teuer sind und es nachgestellt werden soll. Ist das dann auch dein Aufgabengebiet?

Milena: Ehrlich gesagt bin ich kein großer Freund von Soundalikes. Das heißt, ich probiere immer erst eine existierende günstigere Variante zu finden. Es gibt so viele kleine Labels, die man fragen kann, denn im Prinzip haben die alle Bock auf Film.

Wenn du natürlich ein Radiohead-Ersatz suchst, dann findest du so schnell keinen, aber vielleicht gibt es ja andere spannende Musik, die denselben Zweck erfüllt. Erst wenn ich gar nichts finde, würde ich befreundete Musiker fragen, ob sie sich mal Gedanken zu dem Thema machen könnten.

Und dann, erst ganz am Ende, sollte man über ein Soundalike nachdenken. Das ist nämlich eher schwierig. Am Ende wollen alle, dass es haargenauso wie das Original klingt und das ist ja eh unmöglich. Es gibt viel tolle Musik da draußen, da kann man doch besser die nehmen.

"Mir fehlt die Zeit alles zu hören"

Backstage PRO: Hat die digitale Technik deine Arbeit sehr verändert?

Milena: Klar, ich bin ja eine Ein-Frau-Firma und muß mir meine Zeit genau einteilen.

Früher, als ich angefangen habe, mußte ich für bestimmte Tracks ins RBB Audio Archiv fahren um mir CDs auszuleihen und die dann in den Computer laden. Heute kann ich die Tracks irgendwo runterladen. Aber manche Dinge macht das Internet auch komplizierter. Wenn ich zum Beispiel im Schneideraum sitze und jemand auf Youtube irgendwelche Musik aussucht, die gut passen könnte, ist manchmal gar nicht klar welcher Künstler das überhaupt ist. Oder angenommen du weißt, dass der Künstler Pavarotti heißt, dann findest du nicht unbedingt (auch nicht mit shazam) direkt die entsprechende Version der Aufnahme. Eine CD oder LP hab ich früher einfach rumgedreht und dann stand da genau drauf, von wem die Musik ist.

Backstage PRO: Lässt du dir von bestimmten Programmen Musik empfehlen?

Milena: Eher nicht. Ich nutze iTunes eher zum stöbern und lasse mich inspirieren. Praktisch für meine Arbeit ist natürlich auch, dass man Musik jetzt einfacher und schneller verschicken kann.

Backstage PRO: Wie kommst du darüber hinaus an neue Musik? Werden dir auch viele Demos zugeschickt und hörst du die dann überhaupt an?

Milena: Mir werden schon manchmal Sachen zugeschickt. Aber mir fehlt die Zeit alles zu hören. Durch meine Radiosendung werde ich natürlich auch dauernd bemustert und bin dadurch in Sachen Indiemusik immer ziemlich up to date. In manchen Fällen rufe ich auch einfach mal bei der Universal an, aber meistens dauert mir das zu lange und deswegen kaufe ich mir die Sachen dann lieber direkt selbst und lade sie runter. Ich kaufe auch immer noch viel auf Vinyl.

Wenn du dich für ein bestimmtes Genre interessierst, sagen wir für Kunst, dann sitzt du ja auch nicht den ganzen Tag herum und liest in Kunstzeitschriften, sondern du kriegst einfach eine Menge mit, weil du in der Szene bist – durch Artikel, durch Austellungen durch Gespräche mit Freunden und Kollegen. Ich habe einfach ein ziemlich großes Netzwerk in dem eine Menge passiert.

Manchmal schicke ich auch einfach ein Briefing raus an kleine Labels und Verlage und stelle Fragen wie: "Ich muß "Where is my mind" von den Pixies ersetzten und habe nicht viel Geld, habt ihr da was für mich?"

Backstage PRO: Du hast neben deiner Arbeit auch einen Film produziert. Eine Doku über die Produzentenlegende Conny Plank.

Milena: Genau, "The Potential of Noise" kam 2017 in die Kinos und man kann ihn jetzt auf DVD kaufen oder streamen. Der Conny Plank Film war mein erstes Projekt. Das Thema bot sich einfach an, weil dort ganz viele Songrechte geklärt werden mußten. Ich bin sehr zufrieden mit dem Film, es hat etwa vier Jahre gedauert ihn zu produzieren, aber es hat alles wunderbar geklappt und ich habe viel gelernt dabei.

[Conny Plank hat unzählige Bands und Künstler aufgenommen und produziert: Eurhytmics, Ultravox, Herbert Grönemeyer, Ideal,  Heinz Rudolf Kunze...; Anm.d.Red.]

"Von einem Film kann man nicht leben"

Backstage PRO: Wie teilt sich deine momentane Arbeitszeit auf? Legst du noch auf?

Milena: Ne, das habe ich irre lange und viel gemacht, bis vor drei Jahren, aber jetzt habe ich damit aufgehört. Radio mache ich noch einmal in der Woche für zwei Stunden. Den Rest der Zeit arbeite ich für Cinesong und meine Filmfirma Sugar Town Filmproduktion.

Backstage PRO: Mußt du da Akquise betreiben oder kommt deine Kundschaft von allein?

Milena: Ehrlich gesagt, kommt die Kundschaft von selbst auf mich zu.

Backstage PRO: Lehnst du auch manchmal bestimmte Projekte ab?

Milena: Selten, denn eigentlich waren alle Projekte irgendwie spannend, die ich bisher hatte.

Backstage PRO: Wie lange arbeitetst du an einem Film?

Milena: So lang der Film geht, also gerne mal ein Dreiviertel Jahr.

Backstage PRO: Und dann sicher auch parallel an mehreren Projekten?

Milena: Klar, von einem Film kann man ja nicht leben. Gerade arbeite ich an etwa acht Filmen gleichzeitig.

Backstage PRO: Was sind Deine Pläne für die Zukunft?

Milena: Ich werde versuchen weiter in Richtung Filmproduktion zu gehen, das macht mir gerade wahnsinnigen Spaß. Ich kenne da viele Leute in diesem Feld und darum tut sich gerade einiges.

Backstage PRO: Ist das nächste Projekt schon in Arbeit?

Milena: Diverse, aber als nächstes mache ich erstmal eine deutsch französich libanesiche Co-Produktion bei der Hiam Abbass Regie führen wird.

Backstage PRO: Vielen Dank für das spannende Gespräch und weiterhin viel Erfolg!

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