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"Der Artist ist als Brand zu sehen"

Musikmanager Thorsten Kirmes über Markenbildung als Tool für die Künstlerentwicklung

Interview von Doktor Nic
veröffentlicht am 31.01.2020

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Musikmanager Thorsten Kirmes über Markenbildung als Tool für die Künstlerentwicklung

Thorsten "Thor" Kirmes. © (privat)

Musik-Promotion ist seit einiger Zeit im Wandel. Über diesen Wandel sprechen wir mit Thorsten "Thor" Kirmes. Er ist Künstlermanager (The Red Cat Agency) in Köln und betreut Musiker wie Christina Stürmer. Im Interview verrät uns Thor, wie Promo, Marketing und PR heute aussehen, wie man einzelne Maßnahmen für einen erfolgreichen Release gewichtet und was er angehenden Profis rät!

Backstage PRO: Hi Thor, erst einmal danke, dass du dir die Zeit nimmst! Du bist Managing Director bei Kirmes bzw. der Red Cat Agency in Köln. Erzähl uns doch, was du genau machst.

Thorsten Kirmes: Irgendwann kam bei uns im Team mal das mittlerweile geflügelte Wort "Work-Work - Balance" auf. Das beschreibt meine Arbeit ganz gut. Ich arbeite mit der Herausforderung, zwei musikaffine Firmen in sehr dynamischen Zeiten einerseits zu steuern, parallel aber mit Blick auf die Digitalisierung der Branche fast täglich neu zu erfinden.

Bei der The Red Cat Agency GmbH oder kurz Red Cat bedeutet das, Künstler durch unseren Service Hub zu beraten und mit Dienstleistungen & Content für eine erfolgreiche Karriere auszustatten. Bei KIRMES sind es Marken, die wir vollumfänglich im Bereich "Musik" betreuen und über Kampagnen aktivieren – also das Zusammenspiel zwischen Brands & Musik. Kurz: Sonic Brand Management.

Backstage PRO: Zu deinen Klienten gehört unter anderem Christina Stürmer. Wie ist die Arbeit im deutschen Pop-Bereich?

Thorsten Kirmes: Die Arbeit mit etablierten Künstlern auf dem GSA Markt hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Lag im Rahmen einer Veröffentlichung vor gut fünf Jahren der Fokus etwa noch auf exklusiven Titeln für Vertriebspartner, so versucht man heute deutlich intensiver über die digitale Platzierung nachzudenken.

Weiterhin hat sich die Relevanz der Einkommensströme für Künstler gewandelt. Das Segment "Live & Touring" ist mittlerweile für viele Künstler der wichtigste Income Stream, wobei der klassische Tonträger vermehrt als Merchandising-Produkt gesehen wird.

Damit geht einher, dass die verschiedenen Gewerke, die für eine Künstlerkarriere relevant sind, anders gewichtet werden. Aus Managementsicht gesprochen, hält man dadurch wesentlich mehr Fäden in der Hand als früher und koordiniert heute weitaus mehr beteiligte Parteien, die für einen erfolgreichen Künstleraufbau relevant sind.

"Der beste Metal-PR-Manager ist fehlplatziert, wenn es um den Durchbruch eines neuen Klassik-Genies geht."

Backstage PRO: Arbeitest du auch für Musiker/Genres, die dir eigentlich nicht zusagen?

Thorsten Kirmes: Ja, und sogar sehr gerne. Erstmal hat die Leidenschaft für den Job natürlich mit Musik zu tun – aber eben mit jedem Genre und dem Respekt vor dem Künstler und der Musik selbst. Wenn es jemand schafft, mit Musik und über seinen Brand Menschen und Fans zu berühren oder zu begeistern, dann ist das immer wieder beeindruckend.

Unsere Aufgabe ist es, die Elemente herauszuarbeiten bzw. zu schaffen, die Künstler oder Musik zu mehr Bekanntheit oder zu dem gewünschten Erfolg verhelfen. Wie auch immer dieser vom Artist definiert sein mag. Dabei ist es hilfreich, objektiv an ein Thema heranzugehen. Daher sind wir allen Musikrichtungen gegenüber sehr offen.

Wichtig ist an dieser Stelle allerdings auch anzumerken, dass wir natürlich mit entsprechenden Experten arbeiten, wenn wir verschiedene Genres beraten. In der Promotion bspw. ist der beste PR-Manager für eine Metalband wohl eher fehlplatziert, wenn es um den Durchbruch eines neuen Klassik-Genies geht.

Backstage PRO: Viele scheinen der Auffassung zu sein, ein guter Musikmanager könne alles an jeden verkaufen. Was rätst du Bands, welches Rüstzeug sie mitbringen sollten, um eine Künstleragentur anzusprechen? Könnte jetzt meine eher kleine Punkband auch mit eurer Promo durchstarten?

Thorsten Kirmes: Manager sind keine Zauberer oder Weissager. Artist Management ist ein Joint-Venture zwischen zwei Parteien. Einmal die kreative Künstlerseite und eben die strategische Managerseite. Der Musikmanager kann demnach nur mit dem Material arbeiten, das vorhanden ist. Daher ist zwischen Künstler und Manager eine ganz klare Streitkultur elementar wichtig. Wenn Künstler und Manager konstant einer Meinung sind, wird das üblicherweise nicht sonderlich gut enden. Ein gutes Management ist auch immer ein Korrektiv.

"Was man mitbringen muss? Eine klare und realistische Vorstellung, was man erreichen möchte. Ein paar gute Songs können auch nicht schaden."

Und natürlich kann nicht nur deine Punkband zu unserer Agentur kommen. So oder so befassen wir uns mit der Musik und dem Artist Brand von unseren potentiellen Kunden und versuchen die Dinge umzusetzen, die den größtmöglichen Erfolg versprechen. So finden wir die geeigneten Tools und Maßnahmen und sehen dann auch, ob die besagte Promotion der optimale Weg ist oder ob es ggfs. bessere Optionen gibt.

Was man mitbringen muss? Eine klare und realistische Vorstellung, was man erreichen möchte. Ein paar gute Songs können auch nicht schaden. Alles Weitere ergibt sich dann in den ersten Gesprächen.

Backstage PRO: Gehen wir noch einmal zum Anfang: Wie kam es dazu, dass du diese Karriere eingeschlagen hast? Du warst vorher als Radio PR-Manager tätig. Wusstest du von Anfang an, wohin die Reise gehen soll?

Thorsten Kirmes: Klar war für mich, dass ich in der Musikindustrie arbeiten wollte. Ich komme ursprünglich aus dem Marketing & der PR, habe daher auch in der Promotion angefangen. Damals bei der edel records GmbH – von hier ging es relativ zügig in die Selbstständigkeit und weiter in die Arbeit mit Brands. Damals noch vorwiegend in der Kommunikation.

In dieser Zeit war ich bereits für Christina Stürmer tätig, woraus dann letztendlich meine Arbeit als Künstlermanager hervorging. Nach über 15 Jahren sind daraus mittlerweile zwei Firmen entstanden, die das gewonnene Know-How und die gesammelten Erfahrungen für unsere Kunden in der Musikbranche nutzen.

Letztendlich glaube ich, dass man sich in der klassischen Musikindustrie für einen Weg entscheiden muss. Entweder findet man die richtigen Songs oder man kann die Titel vermarkten und erfolgreich machen. Ich habe mich für letzteres entschieden.

Backstage PRO: Was würdest du Menschen raten, die in diesem Feld eine Karriere anstreben?

Thorsten Kirmes: Wie bei allen Dingen im Leben sollte man sich sicher sein, dass man in der Musikbranche wirklich arbeiten will. Auch wenn alles ganz bunt aussieht, so ist es am Ende des Tages doch ein Business. Wie bei allen anderen Berufen auch. Ein Zitat von Hunter S. Thomson kommt mir bei der Frage nach einer Karriere in der Musikbranche immer in den Sinn:

"The music business is a cruel and shallow money trench, a long plastic hallway where thieves and pimps run free, and good men die like dogs. There's also a negative side."

Wie hoch der Wahrheitsgehalt ist, das muss jeder für sich selbst rausfinden.

Als Einstieg hilft auf jeden Fall ein Praktikum in der Branche. Je länger desto besser. Wobei es darum geht, dass man die Abläufe kennen lernt und einfach den Umgang erfährt. Music Business bedeutet viel Arbeit, meist ein hohes Risiko, durchaus ungeregelte Arbeitszeiten und nicht immer herausragende Bezahlungen. Wenn das nicht abschreckt und man eine schnelle Auffassungsgabe hat und gerne mit Menschen arbeitet, ist das schon mal ein gutes Zeichen.

Backstage PRO: Wie siehst du die Zukunft der PR in deutschen Musikindustrie? Viele behaupten, das Feld müsse sich beim Wandel der Medien stark verändern. Wie erlebst du das? Vor allem im Hinblick auf oldschool Medien versus Social Media.

Thorsten Kirmes: Nicht nur für die Musikindustrie ist der Bereich der PR im deutlichen Wandel. Meiner Meinung nach lässt sich mittlerweile zwischen Werbung und PR kaum noch unterscheiden. Sind Influencerkampagnen nicht ein klassisches PR-Instrument? Ich denke ja – allerdings werden hier einige Werber wiedersprechen.

Um erfolgreich in der Musikindustrie tätig sein zu können, ist es relevant, dass man das Zusammenspiel aller Gewerke im Auge behält. Es gilt einfach, die Fäden in der Hand zu halten. Wir legen den Fokus auf eine klare Positionierung und ein solides Branding, bevor es auf den Markt geht. Uns geht es darum, dass man sicher ist über was man spricht und dass die Kommunikation stringent ist. Wenn das Team, das mit einem Künstler arbeitet, hier ein klares Briefing hat, dann arbeitet man Hand in Hand.

Die Frage, was hier PR oder Werbung ist und wo "alte" und "neue" Medien anfangen bzw. aufhören, ist obsolet. Vielmehr spielt man die erarbeitete Agenda über alle Kanäle aus. Und das bestenfalls mit Erfolg.

Backstage PRO: Was ist in deinen Augen Musik-PR und wo grenzt du ganz klar ab?

Thorsten Kirmes: Im klassischen Sinne wäre Musik PR die Nutzung von Kommunikationsmaßnahmen, die eher "below-the-line" anzuordnen sind. Hierzu zählt nach wie vor bspw. die ganz klassische Hörfunkpromotion. Also die Arbeit mit den Redaktionen und Entscheidern im Radio und mittlerweile auch in den Streamingportalen.

Eine Abgrenzung kann man hier, meiner Meinung nach, nur mit Blick auf die klassische Werbung, also eine Spot- oder Anzeigenschaltung, vornehmen. Die zahlreichen Mischformen und Möglichkeiten der Kommunikation sind einfach nicht mehr klassisch zuzuordnen, da hier zu viele verschiedene Teilbereiche zusammenkommen.

"Heute steht der Artist im Mittelpunkt, nicht die Musik"

Backstage PRO: Red Cat ist die Künstleragentur, mit "Kirmes" berätst du Werbetreibende bei ihrer Musikauswahl. Außerdem gibt es hier einen eigenen Podcast. Wie siehst du die Zukunft der owned media? Manch einer glaubt ja, dieser könnte langfristig den Blogs und Mags den Rang ablaufen. Sind eigene Informations- oder Learningplattformen für dich relevanter?

Thorsten Kirmes: Ein klares "womöglich". Der Podcast "Inside the Music Business" der Red Cat ist natürlich ein klassisches "Owned Media" Tool. Wir haben diesen Podcast ins Leben gerufen, weil wir der Meinung waren, dass es an solchen Informationsquellen mangelt. Vielleicht irgendwo zwischen Entertainment, Know-How und Employer Branding anzusiedeln. Ganz sicher aber eine Informationsquelle für jeden, der im Musik Business arbeitet oder arbeiten möchte.

Dass Owned Media unabhängige Kanäle ersetzen wird, bezweifle ich. Allerdings kann ich mir schon vorstellen, dass sich Kanäle bündeln. Solange hier aber die journalistische Freiheit der Urheber gewährleistet ist, sollte das kein Problem darstellen.

Backstage PRO: Wo liegen deiner Meinung nach die Stärken und Schwächen der (deutschen) Musikindustrie derzeit? Töten Streams wirklich die Sales?

Thorsten Kirmes: Die gesamte Musikindustrie ist im Umbruch. Und sicherlich sind Streams für einige Künstler ein massives Problem, da die physischen Sales kannibalisiert werden. Andere Künstler wiederum profitieren genau von diesem Markt und legen den Fokus auf die Streamingportale und Playlisten. Aktuell ist das vorzugsweise im Deutsch-Rap deutlich zu erkennen. 

Um in der Musikindustrie erfolgreich agieren zu können, muss man auf die aktuelle Situation reagieren. Heute steht der Artist im Mittelpunkt – nicht die Musik. Das muss verstanden werden. Der Artist generiert alle Income Streams und ist vom Grunde her als "Brand" zu sehen. Das klassische Künstlermanagement ist mittlerweile eher ein Brand Management und jegliche Aktivitäten zahlen auf eben diesen Brand ein. Dazu gehört auch die Musik. Aber nicht nur.

Diese Situation bringt möglicherweise mittelfristig eine Stärkung der Musikindustrie mit sich, denn zukünftig werden sich auch andere Sparten vor ähnlichen Problemfeldern sehen und können bestenfalls von dem Know-How aus der Musikindustrie profitieren. Die Schwäche ist für mich ganz klar der Versuch, mit den Werkzeugen von gestern den Herausforderungen von morgen zu begegnen. Das erlebt man leider immer wieder.

"Der gesamte Markt wird mehr und mehr unter einigen wenigen großen Playern aufgeteilt"

Backstage PRO: Wie erlebst du die Live-Kultur? Gehst du noch viel auf Konzerte?

Thorsten Kirmes: Erstmal – ja. Ich gehe auf Konzerte. Vielleicht nicht mehr ganz so häufig wie früher, aber immer wieder gerne. Den letzten Gig, den ich mir angesehen habe, war "Pohlmann" in der Kulturkirche Köln, was ich jedem ans Herz legen kann. Großartiger Künstler in wunderbarer Atmosphäre.

Das angesprochene Livebusiness wandelt sich natürlich auch hierzulande. Der gesamte Markt wird mehr und mehr unter einigen wenigen großen Playern aufgeteilt, was die Arbeit für unabhängige Veranstalter oder Spielstättenbetreiber durchaus vor Probleme stellen kann.

Einige Kollegen vertreten die Meinung, dass die großen "Live-Player" zu den neuen Majors werden. Kann man so sehen und sicherlich ist das Thema "Live" auch zukünftig ausgesprochen wichtig für die Musik – denn letztendlich sind Konzerte oder Auftritte und die damit verbundenen Erlebnisse der Besucher nicht reproduzierbar.

Backstage PRO: Was müssten angehende Musiker, die jetzt vielleicht schon einiges an Konzerten gespielt und sich eine Fanbase aufgebaut haben, beachten, um den nächsten Schritt zu tun?

Thorsten Kirmes: Um längerfristig eine Karriere aufzubauen, sollte man sich einerseits sehr bewusst sein, dass man diesen Weg gehen will. Damit muss man sich sehr eingehend befassen und sich darüber klar werden, dass der Weg durchaus eher holperig ist.

Gleichzeitig macht es Sinn, dass man sich ein wenig Rat einholt. Es gibt zahlreiche Menschen die langjährige Erfahrung haben und diese gerne teilen – hierzu eignen sich natürlich Events wie bspw. das Reeperbahnfestival oder einfach auch mal kontaktieren und um einen Termin bitten. Sowas kann durchaus klappen.

Meiner Meinung nach ist ein Blick von außen ganz hilfreich, um mit seiner Karriere den nächsten Schritt zu tun. Das kann ich nur empfehlen. Oder wie sagt man so schön: Man kann ein Auto nicht von innen anschieben.

Backstage PRO: Danke dir für deine Zeit!

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