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"Mit der CD kann man gutes Geld verdienen"

Stefan Vogelmann vom Indie-Vertrieb Broken Silence: "Die neuen Spotify-Regeln sind eine Böswilligkeit"

Interview von Jan Paersch
veröffentlicht am 06.02.2024

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Stefan Vogelmann vom Indie-Vertrieb Broken Silence: "Die neuen Spotify-Regeln sind eine Böswilligkeit"

Stefan Vogelmann, Gründer des Indie-Vertriebs Broken Silence. © Broken Silence

Der unabhängige Hamburger Musikvertrieb Broken Silence wird in diesem Jahr 20 Jahre alt – Gründer und Chef Stefan Vogelmann berichtet im Interview über Streaming, Herstellungskosten von Tonträgern und seine Veröffentlichungs-Strategie für Newcomer.

Rainald Grebe und Helge Schneider haben schon auf der graubraunen Sofagarnitur mit Blümchen gesessen, die Stefan Vogelmann und sein Partner Holger Fleder 2004 vom Sperrmüll retteten. Damals hatten beide nicht viel Geld; ihre alte Firma Energie Für Alle (EFA) hatte Konkurs angemeldet. 

Fleder und Vogelmann, 1963 in Heilbronn geboren, bauten ihren eigenen Musikvertrieb auf, unabhängig von den Majors natürlich, mit dutzenden Labels zwischen Punk, New Wave, Jazz, Rock, Weltmusik, Reggae und Kabarett. 

Heute vertreibt die Broken Silence Independent Distribution GmbH die Tonaufnahmen für mehrere hundert Labels aus dem Indie-Bereich – und das sowohl auf physischen Tonträgern wie CD, Vinyl und DVD wie auch im Download- und Streaming-Bereich.

Auch 20 Jahre später steht die Couch noch am Platze – Broken Silence ist Indie in Reinkultur. Stefan Vogelmann erzählt hellwach von seiner Karriere. Hinter ihm stehen Vinyl- und Bücher-Regale. An deren Stirnseiten jede Menge Fotos: Helmut Schmidt, Madness, Billie Eilish.

Backstage PRO: Stefan Vogelmann, Ihr Vertrieb Broken Silence hat eine Bandbreite von Punk über World Music bis Avantgarde. Wie verkauft man das?

Stefan Vogelmann: Indem man genau weiß, wo die richtigen Plattenläden sind. Die guten gibt es noch: a-Musik in Köln, Dussmann in Berlin, Michelle Records in Hamburg. Man braucht 70 gute Fachgeschäfte, die ihr Publikum ständig mit Neuheiten füttern. Diese Läden muss man ständig motivieren. Wenn man 25 davon hat, ist das aber auch schon sehr gut. Wir haben mit den größten World-Labels Europas gearbeitet, mit Piranha, Peter Gabriels World Circuit. World, Jazz und Avantgarde – das beißt sich nicht. Das geht ineinander über und verbessert das Musikverständnis.

Backstage PRO: Wie haben Sie mit den vielen "kleinen" Acts Erfolg?

Stefan Vogelmann: Wir haben gelernt, den Musikern das zu geben, was für sie am besten passt. Die Einstellung: "Ich als Vertrieb weiß es besser" – das bin ich nicht. Ich weiß aber, wie Vermarktungstricks funktionieren, falls sie benötigt werden.

Backstage PRO: Was hat sich denn zum Beispiel im Jazz gut verkauft?

Stefan Vogelmann: Die "Live at Fabrik"-Reihe bei Jazzline lief von Anfang an gut (Live-Mitschnitte aus der Fabrik Hamburg, u.a. von Gil Evans und McCoy Tyner, d.Red.), die haben wir nicht nur an Jazzläden verkauft. Da gehen wir an Kulturbeflissene ran. Auf 1000 CDs kommen im Jazz 500 Vinyl, im Pop ist es eher umgekehrt. Aber Vinyl ist teuer geworden! Ein Dreier-Vinyl hat vor drei Jahren 20 Euro im Einkauf gekostet, jetzt sind es 30! Ein Händler muss dafür im Laden 44,90 Euro verlangen. Viele sind auch deshalb bei der CD geblieben, weil sie die Vinyl-Preise nicht mitmachen wollen.

Backstage PRO: Man hört, dass kaum jemand sich so gut im flächendeckendem CD-Vertriebsservice, gerade für Jazz- und World-Labels, auskennt wie Sie.

Stefan Vogelmann: Ich bin Verfechter der CD – man kann damit gutes Geld verdienen. Die CD ist nicht so schwierig in der Herstellung. Was bei Vinyl alles schiefgehen kann! Vinyl ist Teermasse, wird in der Regel in Thailand hergestellt, auch nicht gerade ein ökologisches Produkt. Jetzt kommt Bio-Vinyl aus PET-Flaschen. Das wird nicht teurer sein, aber die Puristen wollen das Original. Und noch ist die CD doppelt so stark wie das Vinyl. Gerade Ältere wollen ihre CD-Sammlung weiter ausbauen.

Backstage PRO: Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?

Stefan Vogelmann: Die CD wird in den nächsten Jahren immer schwächer werden, Vinyl stärker. Aber auch das wird sich nivellieren und nicht weiter ansteigen – während die CD vielleicht ganz wegfallen wird.

Backstage PRO: Wie sieht Ihre Strategie bei Newcomern aus?

Stefan Vogelmann: Wir machen gar kein Vinyl! Wir fangen mit CDs an. Ein junger Act muss sich erst einen Fankreis erarbeiten. Die Leute brauchen etwas Haptisches, ein Autogramm kannst du auch auf ein CD-Booklet schreiben. Im Jazz-Bereich machen wir selbst beim zweiten Album nur eine CD, wenn es nach mir geht. Erst wenn die Nachfrage steigt und auch die Presse mitgeht, kommt Vinyl. Die Schallplattenherstellung ist so aufwändig und die Herstellung dauert! Eine CD habe ich in zwei Wochen auf dem Tisch.

Backstage PRO: Broken Silence macht auch Digitalvertrieb. Wie läuft das?

Stefan Vogelmann: Wir enkodieren auch Musik, aber für die Auslieferung an die Portale brauchen wir Aggregatoren. Das sind bei uns The Orchard und Believe Digital. Die motivieren wir, für einzelne Tracks in Playlisten aktiv zu werden, auch für solche, die sieben Minuten lang sind. Gute Leute können da einiges rausholen, den Zug darf man nicht verschlafen. Wir sind schon 2004 ins Digitale gegangen – das macht aktuell 50% des Umsatzes aus.

Backstage PRO: Wir reden vermutlich vor allem über Spotify. Nun hat der Streamingdienst angekündigt, nur noch Tantiemen für Songs auszuschütten, die jährlich mehr als 1000 Streams ansammeln. Was sagen Sie dazu?

Stefan Vogelmann: Im Jazz erreicht fast nichts so viele Streams! Klar, dass wir jetzt auf die Barrikaden gehen. Es sieht so aus, als würde Spotify das durchziehen. Das wird Konsequenzen haben. Daniel Ek wird sich das noch einmal überlegen.

Backstage PRO: Aber Songs mit weniger als 1000 Streams bringen doch kaum Geld?

Stefan Vogelmann: Richtig, auch für uns ist es so, das alles, was über 1000 Streams liegt, 94 Prozent des monetären Gesamtvolumens ausmacht. Aber wir kümmern uns doch um den Aufbau von Künstlerinnen! Ich kann doch nicht denen mit 990 Streams sagen, dass es 0,0 Euro gibt. Die Welt ist für MusikerInnen ohnehin schwierig genug. Nicht jede Musik ist für Liveauftritte gemacht. Es ist eine Böswilligkeit gegenüber jeder Kunstform, die am Anfang steht, die anders erfahrbar ist. Wir setzen uns für die ein, die nur 30 Streams haben. Auch daraus kann große Kunst werden. Es geht ums Prinzip. Da gibt es keine zwei Meinungen.

Backstage PRO: Hat ein Boykott Chancen?

Stefan Vogelmann: Es könnte auch erfolgreiche Künstler geben, die das nicht mitmachen. Es gibt ganze Labels, die nicht mitziehen wollen – das muss man publik machen. Denn das möchte Spotify nicht, das schadet ihrem Aktienkurs. Die wollen gut dastehen und durch Verschlankung gefallen.

Backstage PRO: Sprechen wir über Ihre Anfänge. Ihre Arbeit als Vertriebler begann 1988 bei EFA (Energie Für Alle), einem Independent-Vertrieb aus dem Umfeld von Ton Steine Scherben.

Stefan Vogelmann: Das war ein heißer Indie! Da wurde ein Job im Außendienst frei. EFA hatte damals Sonic Youth im Programm, Jazz war eher niederrangig. Meine erste LP im Koffer war "Ultramega OK" von Soundgarden. Ich habe Touren von Heilbronn bis zum Bodensee gemacht. Ich war motiviert, war immer der umsatzstärkste Verkäufer. Das war gar nicht mein Ziel, es hat einfach Spaß gemacht.

Backstage PRO: EFA war damals riesig und hat 200 Labels vertrieben.

Stefan Vogelmann: Wenn nicht sogar mehr! EFA war weltweit aktiv, mit einem Programm von Gerhard Polt bis Hole. In den Neunzigern waren wir im Dance- und Techno-Bereich die Nummer eins. Wir haben aber auch mit Rodger Hodgson von Supertramp und mit Joe Zawinul gearbeitet. Was für ein feiner Mensch, was für tolle Manieren, was für ein genialer Musiker. Sein Album "My People" war 1996 sehr erfolgreich, da konnten wir sofort 25.000 Stück ausliefern. Ausliefern! Heute ist es ein Traum, wenn das als Endergebnis des Verkaufs rauskommt.

Backstage PRO: 2004 ging EFA Pleite – und Sie gründeten mit Holger Fleder Broken Silence.

Stefan Vogelmann: Ich war loyal, wäre auch heute noch bei EFA. Aber die Geschäftsführung hat gravierende Fehler gemacht, und wir als leitende Angestellte mussten das ausbaden. Es war wichtig, das zu erleben – um zu sehen, wie man es nicht macht. Integer bleiben, was auch kommt. Sich selbst nicht bereichern, wenn es gut läuft und Geld zurücklegen.

Backstage PRO: Da hilft es vielleicht, Schwabe zu sein?

Stefan Vogelmann: Absolut! Ich wusste: Haste Geld, geht’s dir besser. Ich bin Kaufmann. Von mir haben sich Freunde Geld geliehen, nicht umgekehrt. Bei Broken Silence konnten wir uns am Anfang kein großes Gehalt auszahlen, das war wichtig, um fähige Mitarbeiter zu gewinnen. So sind wir schneller groß geworden, weil wir nicht alles allein machen mussten.

Backstage PRO: Ganz andere Frage: Was ist das beste Album der Musikgeschichte?

Stefan Vogelmann: Das kann man ja gar nicht beantworten! Okay, für Leute in meinem Alter ist es wohl "Rumours" von Fleetwood Mac. Das hat so viel eröffnet, so viele Stile! Immer noch ein faszinierendes Album.

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