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Anders als gedacht

Spotify: "Loud&Clear-Report" zeichnet beschönigtes Bild der Einkommenssituation von Musikerinnen und Musikern

News von Backstage PRO
veröffentlicht am 22.03.2024

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Spotify: "Loud&Clear-Report" zeichnet beschönigtes Bild der Einkommenssituation von Musikerinnen und Musikern

© Cottonbro Studio

Spotify hat seinen jährlichen "Loud & Clear Report" veröffentlicht, der die Einkommenssituation von Künstlerinnen und Künstlern auf Spotify beleuchtet. Im Mittelpunkt stehen "aufstrebende und professionelle Künstler*innen", also die 225.000 Artists, die aktiv versuchen, ihren Lebensunterhalt mit Musik zu bestreiten. Dieser Ansatz blendet einen Großteil der Musikschaffenden aus, aber selbst für diejenigen, die er einbezieht, stellt sich die Lage nach Spotify eigenen Zahlen nicht so rosig dar, wie das Unternehmen behauptet.

Der Loud&Clear Report soll über die Auszahlungen informieren, die Spotify im Verlauf eines Jahres tätigt.

Im diesjährigen Bericht heißt es diesbezüblich:

"Artists verdienen Klarheit über die wirtschaftlichen Aspekte des Musik-Streamings. Diese Website soll für mehr Transparenz sorgen, indem sie neue Daten zu Spotifys Tantiemenzahlungen veröffentlicht und die globale Streaming-Wirtschaft, die Akteure und den Prozess aufschlüsselt".

Stark geschöntes Bild

Dieses Ziel ist zunächst begrüßenswert, allerdings ist die Transparenz auf eine Teilgruppe beschränkt. In seinem Bericht legt Spotify nämlich den Fokus auf die 225.000 Künstlerinnen und Künstler, die eine professionelle Musikkarriere anstreben und damit laut Spotify "am meisten von Streaming als Teil ihres Lebensunterhalts abhängig sind". 

Wie kommt Spotify aber zu der Zahl von 225.000? Spotify erklärt, 235.000 Acts hätten mindestens 10 Songs veröffentlicht und damit mindestens 10.000 monatliche Hörer erzielt. Gleichzeitig hätten 210.000 Künstlerinnen und Künstler einen Gig auf Spotify gelistet. Auf dieser Basis nimmt Spotify einfach 225.000 real existierende Recording Artists an.

Indem Spotify hohe Anforderungen stellt, damit ein Act als "professionell" gilt, gelingt es ihnen deren finanzielle Situation schönzurechnen. In Wirklichkeit ist die Situation professioneler Acts aber keineswegs so rosig.

Kleine Acts werden ausgeblendet

Mit der Berechnung Spotifys gibt es gleich mehrere Probleme. Zum einen gibt es eine riesige Zahl an Acts, die eine Musikkarriere anstreben und nicht beide Kriterien von Spotify (mehr als 10 Songs, mehr als 10.000 monatliche Hörer) erfüllen. Daraus kann man aber nicht schließen, dass es sich nicht um professionelle Künstlerinnen und Künstler handelt.

Vor allem ist die Zahl von 10.000 Hörern durchaus keine geringe Hürde. Gerade junge, durchaus ambitionierte Acts sind oft von einer solchen Hörerzahl weit entfernt – von nischigen Genres wie Jazz ganz abgesehen. 

Aber selbst wenn man die Zahl von 225.000 Profis uneingeschränkt akzeptiert, erzielen nach Spotifys eigenen Zahlen lediglich 85.000 Acts mehr als 10.000 US-Dollar Umsatz im Jahr, das sind weniger als 40 Prozent. 

Spotify als Künstlerförderer

Aber vielleicht können auf der Plattform vertretenen Acts auf nachhaltiges Wachstum hoffen. Spotify betont jedenfalls, es sei dem Unternehmen ein Anliegen Künstler*innen-Karrieren auf seiner Plattform voranzubringen. Wortwörtlich heißt es:

"Karrieren beginnen nicht nur auf Spotify, sie wachsen auch auf Spotify. Wir konzentrieren uns darauf, aufstrebenden und professionellen Artists dabei zu helfen, Jahr für Jahr einen nachhaltigen Lebensunterhalt mit ihrer Arbeit zu bestreiten."

Die Zahl der Künstler*innen, die im Verlauf eines Jahres mindestens 10.000, 100.000 und 1 Mio. US-Dollar erwirtschaften konnten, habe sich zudem seit 2017 verdreifacht.

Widersprüchliche Aussagen

In diesem Zusammenhang gibt der schwedische Streaminganbieter an, dass fast die Hälfte derjenigen 23.400 Künstler*innen, die im Jahr 2017 10.000 US-Dollar verdient hatten, 2023 mehr als 50.000 US-Dollar verdienten.

Damit suggeriert Spotify, dass diese Acts von stetigem Wachstum profitieren, widerspricht sich aber selbst. In Folie 2 werden die erwähnten 23.400 Künstler*innen in einer Kategorie zusammengefasst, die zwischen 10.000 und 100.000 US-Dollar Einkommen auf Spotify erzielt.

In Folie 8 behauptet Spotify allerdings, bei den 23.400 Artists handele es sich um solche, die im Jahr 2017 10.000 US-Dollar verdient hätten. Nur eine von beiden Aussagen bzw. Kategorien kann aber korrekt sein. Entweder die 23.400 Acts haben 2017 10.000 US-Dollar oder sie haben zwischen 10.000 und 100.000 US-Dollar verdient.

Wenn 50 Prozent der 23.400 Künstler, die 2017 zwischen 10.000 und 100.000 US-Dollar verdient haben, inzwischen mehr als 50.000 US-Dollar Einnahmen erzielen, so heißt das ohne genauere Zahlen erst einmal gar nichts.

Vor allem lässt sich damit das von Spotify behauptete stetige Wachstum nicht belegen. Laut diesen Zahlen ist es sogar durchaus möglich, dass ein beträchtlicher Teil der 23.400 Künstler*innen des Jahres 2017 stagnierenden oder gar rückläufigen Umsatz erlebt hat.

Streaming als Chance

Dennoch betont Spotify die große Chance, die Streaming Künstlerinnen und Künstlern bieten kann. Im Bericht heißt es etwa, die überwiegende Mehrheit der auf der Plattform präsenten Künstler*innen hätte im CD-Zeitalter nicht die Möglichkeit gehabt, Musik zu veröffentlichen.

Ein Plattenladen nämlich führe demnach maximal die Veröffentlichungen einiger tausend Acts. Das Spotify nicht an Online- und Versandhändler mit durchaus größerem Programm denkt, die es natürlich auch schon im Vinyl- und CD-Zeitalter gab, ist etwas überraschend. Dass die Zahl der auf dem Markt befindlichen Musik stark gewachsen ist, stimmt natürlich dennoch.

Unbekannte Namen verdienen auch

Viele der Künstler*innen, die 2023 Einnahmen von mindestens 1 Million Dollar auf Spotify erzielt haben, sind laut Report keine bekannten Namen, die große Hits erzielt haben. Spotify sieht darin einen Beleg für die Diversität und Vielfalt der Plattform.

Im Detail erklärt Spotify, von mehr als 1.250 Artists, die allein über Spotify mehr als 1 Million Dollar erwirtschaftet haben, hatten mehr als 1.000 keinen einzigen Song, der es in die Global Top 50 von Spotify geschafft hat.

Die Global Top 50 wird aber sehr stark von englischsprachiger Musik dominiert, und zwar vor allem von US-Acts. Insofern sind sogar sehr erfolgreiche Acts, die in anderen Sprachen singen, dort selten vertreten, obwohl sie in ihren jeweiligen Ländern oder Kulturen extrem populär sind.

Eventuell handelt es sich bei einem Teil der Großverdiener (mehr als 1 Million US Dollar Einnahmen) auch um so kreative Streaming-Player wie den Musiker Johan Röhr, der mit hunderten verschiedener Accounts und Psyeudonymen auf Spotify sehr viel Geld verdient.

Daher ist es gut es möglich, dass es sich bei diesen Topverdienern nicht nur um Klassiker handele, wie Spotify betont. Ein Großteil habe die eigene Karriere erst 2010 oder später begonnen.

Der Bericht erklärt:

"Als Faustregel kann man sagen, dass Artists mit etwa 4-5 Millionen monatlichen Hörer*innen oder 20-25 Millionen monatlichen Streams an die 1 Million Dollar pro Jahr herankommen."

Sprachliche Vielfalt

Spotify berichtet im Rahmen des Reports ebenfalls über die kulturelle und sprachliche Vielfalt, die auf der Plattform zu finden ist. 2023 stammten von den 66.000 Künstler*innen, die auf Spotify mindestens 10.000 US-Dollar erwirtschafteten, mehr als die Hälfte aus nicht englischsprachigen Ländern.

Vor allem Sprachen wie Spanisch, Deutsch, Portugiesisch, Französisch und Koreanisch sind dabei stark vertreten. Aber auch Sprachen wie Hindi, Indonesisch, Punjabi, Tamilisch und Griechisch erfuhren 2023 einen Zuwachs im Bereich Musik.

Steigende Ausschüttungen

Spotify erklärt weiterhin, es habe 2023 mit insgesamt mehr als neun Milliarden US-Dollar Rekordzahlungen an die Musikindustrie geleistet. Damit hätte sich die Höhe der jährlichen Zahlungen in den letzten sechs Jahren verdreifacht.

Diese Daten umfassen die durch Spotify ausgezahlten Streaming-Lizenzgebühren an die Rechteinhaber*innen der auf dem Streamingdienst abrufbaren Songs. Zu diesen zählen neben Labels, Verlagen und unabhängigen Vertrieben auch Organisationen für Aufführungsrechte und Verwertungsgesellschaften.

Im Verlauf der letzten zwei Jahre hat Spotify nach eigenen Angaben zudem fast 4 Milliarden US-Dollar an Verlage, Aufführungsrechtsorganisationen und Verwertungsgesellschaften ausgezahlt.

Interessant ist auch, dass Indies, also unabhängige Plattenfirmen in 2023 erstmals ungefähr die Hälfte des erwirtschafteten Einkommens durch Spotify ausmachen. Insgesamt soll es diesen unabhängigen Anbietern gelungen sein fast 4,5 Milliarden Dollar auf Spotify zu erwirtschaften. Dies sei ein vierfacher Anstieg seit 2017.

Änderungen des Auszahlungsmodell noch nicht inbegriffen

Die Ende letzten Jahres angekündigten, höchst kontroversen Änderungen am Auszahlungsmodell Spotifys, werden im Loud&Clear Bericht nicht angesprochen, da sie erst ab dem Jahr 2024 greifen.

In wie weit sich diese auf die Verteilung der Auszahlungen auswirken, wird sich erst im Verlauf des Jahres 2024 zeigen.

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