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Halbherzig und unzureichend

Neue Details: Das steckt hinter den Spotify-Reformen und dem 1000-Streams-Schwellenwert

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 28.11.2023

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Neue Details: Das steckt hinter den Spotify-Reformen und dem 1000-Streams-Schwellenwert

© Spotify

Spotify hat umfassende Änderungen seines Abrechnungsmodells bestätigt. So sollen Songs ab 2024 nur dann vergütet werden, wenn sie die Schwelle von 1000 Streams pro Jahr überschreiten. Aber warum entscheidet sich Spotify für die Einführung eines willkürlichen Schwellenwertes? Und was ist vom Rest der Reform zu halten?

Zur Erläuterung der Reformen hat Spotify eine ausführliche Verlautbarung veröffentlicht, in der das Unternehmen auch die Gründe für die Einführung des Schwellenwerts erklärt.

Darin erklärt Spotify, Songs mit 1 bis 1.000 Stream pro Jahr erzielten im Durchschnitt Tantiemen von 3 US-cent pro Monat. Da Musikvertriebe von den bei ihnen unter Vertrag stehenden Künstler*innen Gebühren für die Auszahlung von Tantiemen verlangen würden und Mindestbeträge für die Auszahlung festgesetzt hätten, käme ein Großteil der Tantiemen nie bei Künstler*innen an, sondern würde lediglich auf Bankkonten liegen. 

Insgesamt machten Songs mit weniger als 1.000 Streams pro Jahr aber nur 0,5 Prozent der gesamten Streams und Lizenzzahlungen aus. Aufgrund der großen Zahl wenig gestreamter Tracks summiere sich die Höhe dieses auf Bankkonten festliegenden Geldes allerdings auf "zig Millionen Dollar pro Jahr". 

Die Auswirkung des Schwellenwerts

Spotify erklärt, dafür sorgen zu wollen, dass das Geld "den Künstler*innen zugute [kommt], die am meisten von Streamingeinnahmen abhängig sind." Aufgrund der Einführung des Schwellenwerts würden alle Lizenzzahlungen pauschal um 0,5 Prozent steigen.

Gleichzeitig bekämpfe Spotify auf diese Weise Streaming-Betrug, da es einen negativen Anreiz für Uploader schaffe, die hunderte oder tausende Tracks hochladen und für jeden einen kleinen Betrag kassieren. 

Spotify erklärt, an dieser Änderung kein Geld zu verdienen. Die Größe des Lizenzzahlungspools bleibe unverändert und betrage weiterhin 70 Prozent der Gesamteinnahmen von Spotify.

Unglaublicher Vorgang

Update, 7. Dezember: Zudem hat Spotify auf versteckte Weise in den FAQs bekanntgegeben, dass jedes Lied nicht nur 1.000 Streams erzielen muss, sondern auch von einer gewissen Anzahl unterschiedlicher Hörer gehört werden muss. Wie viele Hörer das sein müssen, will Spotify nicht bekanntgeben. 

Das ist ein wirklich unglaublicher Vorgang, denn die Handlungen von Spotify wirken immer willkürlicher und intransparenter.

Kampf gegen Streaming-Betrug

Die offizielle Verlautbarung präzisiert auch die viel diskutierten Maßnahmen gegen Streaming-Betrug, den Spotify als "künstliches Streaming" (engl. "artificial streaming") bezeichnet. 

Spotify erklärt, Labels und Vertrieben eine "Gebühr" für jeden ihrer eingestellten Tracks aufzuerlegen, wenn eindeutiger Streaming-Betrug vorliegt. Wie hoch diese Zahlung sein soll, ist nicht klar. 

Auf Englisch heißt das: "We will start charging labels and distributors per track when flagrant artificial streaming is detected on their content."

Spotify kündigt außerdem den Einsatz neuer Technologie an, um Streaming-Betrug effektiver zu bekämpfen. Auch hierzu gibt es keine weiteren Details.

Neue Regeln für "Nicht-Musik" 

Die offizielle Ankündigung verdeutlicht auch, dass Spotify die Gleichbehandlung von "Geräuschen" oder "Nicht-Musik" im Allgemeinen und echter Musik beenden will. Zur "Nicht-Musik" zählen beispielsweise "White Noise"-Tracks ebenso wie Maschinen- oder Naturgeräusche und Soundeffekte.

Spotify reagiert damit auf die Praxis zahlreicher schwarzer Schafe, die diese "Nicht-Musik" in 30-Sekunden-Tracks aufspalten, um ihre Tantiemen zu maximieren. Spotify zählt bekanntlich einen Song als vollwertigen Stream, wenn er 30 Sekunden abgespielt wurde. 

Falsche Anreize

Spotify gibt in seiner Verlautbarung offen zu, dass der Anreiz für Uploader, die Streaming-Services mit Geräuschen und anderer Nicht-Musik zu fluten, aktuell schlichtweg überwältigend groß ist.

Künftig soll für diese "Nicht-Musik" ein neuer Schwellenwert von 2 Minuten gelten – die effektive Auszahlung von Tantiemen wird also auf 25 Prozent des früheren Wertes reduziert. Was den Noise-Uploadern weggenommen wird, soll in den allgemeinen Tantiemenpool fließen. 

Darüber hinaus will Spotify in den kommenden Monaten Verhandlungen mit den Lizenzgebern (also den Labels) führen, um "Nicht-Musik" nur mit dem Bruchteil der Tantiemen zu vergüten, die echte Musik erhält. 

Wem nützt die Reform?

Die Reformen zeigen, dass Spotify an die Interessen der kleineren Künstler Spotify keine oder wenige Gedanken verschwendet. Das zeigt sich insbesondere bei der Festlegung des Schwellenwerts von 1.000 Streams. Wenn man die Erklärung von Spotify komplett akzeptiert, dann handelt es sich lediglich um einen Versuch, Geld, das nutzlos auf Bankkonten liegt an Rechteinhaber und Künster*innen zu verteilen. 

Allerdings stellt sich die Frage, weshalb dieses Geld nicht zur (wie auch immer gearteten) Förderung von Musik-Acts benutzt wird, sondern einfach in den allgemeinen Tantiemen-Pool fließt. Dort erhalten es im Wesentlichen Acts, die sowieso gute Streaming-Einnahmen erzielen bzw. die Major Labels. In diesem Zusammenhang ist es auffällig, dass Spotify (anders als beispielsweise Youtube) bis zum heutigen Tag kein Förderprogramm für Künstler*innen ins Leben gerufen hat. 

Außerdem kritisieren Organisationen wie VUT oder PRO MUSIK zu Recht die willkürliche Festlegung des Schwellenwerts von 1.000 Streams. Es ist bemerkenswert, dass Spotify sich detailliert zu allen möglichen Aspekten der Reformen äußert, aber nicht dazu, warum sich der Streaming-Dienst auf diese Zahl festgelegt hat. 

Zudem befürchten manche Beobachter*innen, dass die Schwelle von 1.000 Streams erhöht werden könnte. Die Auswirkungen eines Schwellenwerts von 2.000, 3.000 oder gar 5.000 Streams wären noch weitaus stärker. Daher ist es nicht überraschend, dass "kleine und mittelgroße Künstler" oft eine sehr negative Meinung zu dieser Reform und Spotify im Allgemeinen vertreten.

Halbherzige Reformen

Spotifys Reformpläne wirken insgesamt halbherzig. Während der weitaus kleinere Konkurrent Deezer "Nicht-Musik" gar nicht mehr vergüten wird, schreckt Spotify vor diesem Schritt offensichtlich zurück. 

Auch das Vorgehen gegen Streaming-Betrug kommt reichlich spät, zumal andere Streaming-Dienste wie Apple Music schon weiter sind. Die Effektivität wird maßgeblich davon abhängen, wie effizient die neue Erkennungssoftware funktioniert und wie streng die Strafzahlungen umgesetzt werden.

Insgesamt wirkt das Reformprogramm vor allem wie ein Versuch, den Major Labels entgegenzukommen. Sie profitieren am meisten von den angekündigten Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung und der finanziellen Zurückstufung von "Nicht-Musik". 

Alles beim Alten

Das größte Problem der Reformen besteht aber darin, nichts am verfehlten "Pro-Rata"-System zu ändern, bei dem alle Einnahmen in einem Tantiementopf landen. Diese Einnahmen werden dann entsprechend der Anteile von Künstler*innen an allen Streams verteilt. Dieses System schafft zahlreiche falsche Anreize und lädt zu Betrug geradezu ein, wie Spotify selbst eingesteht.

Schon lange gibt es Konzepte für ein user-zentriertes Abrechnungsmodell, bei dem die Beiträge der Premium-User bei den Künstler*innen landen würden, die sie auch wirklich hören.

Kein Interesse an einem user-zentrierten Modell

Allerdings scheinen weder Major Labels noch Streaming-Dienste (mit der Ausnahme von Deezer) ein Interesse an dessen Einführung zu haben. Deezer hat immerhin eine Obergrenze von 1.000 Streams für jeden individuellen User eingeführt, ab der die Streams des Users nicht mehr für den Tantiemenpool relevant sind.

Stattdessen ist es offenkundig die Absicht der Streaming-Dienste und Labels durch die Einführung willkürlicher Faktoren Änderungen des Abrechnungssystems vorzunehmen, aber den Rest des Pro-Rata-Systems bestehen zu lassen. Das betrifft genauso Deezers "Double-Boost" für "echte Künstler*innen" wie Spotifys 1.000 Stream-Schwellenwert.

Ohne die Ersetzung des Pro-Rata-Systems durch ein user-zentriertes Abrechnungssystem wird sich kein echter Wandel einstellen.

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