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Nach zwischenzeitlichem Rückgang

Britische Studie zeigt: Illegale Musiknutzung nimmt wieder zu

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 14.07.2023

streaming urheberrecht

Britische Studie zeigt: Illegale Musiknutzung nimmt wieder zu

© Viktor Forgacs via Unsplash

Nach einer britischen Studie wächst die illegale Musiknutzung nach dem Ende der Corona-Pandemie deutlich, was sich vornehmlich im Zuwachs bei illegalen Downloads zeigt. Gleichzeitig gilt es, die Ergebnisse nicht überzubewerten, denn die Studie enthält einige Tücken.

Wer erinnert sich noch an den Slogan "Copy kills music"? Erdacht von der deutschen Tonträgerindustrie im Jahr 2000 sollte er das damals populäre Kopieren von Musik-CDs mit Hilfe von CD-Brennern bekämpfen – natürlich vergeblich. 

Dass es sich bei gebrannten, im Freundes- oder Bekanntenkreis getauschten CDs häufig gar nicht um illegale Vervielfältigungen handelte, da die Privatkopie bis zum heutigen Tag erlaubt ist, sei nur nebenbei erwähnt.

Die digitale Revolution und ihre Folgen

Ungefähr zur gleichen Zeit trat Napster als erste Quelle zum Download bzw. zum Teilen von MP3s seinen Siegeszug an – und veränderte die Musikindustrie für immer. In der Folge wurde das illegale Downloaden von MP3s zu einer Art Volkssport, was die verwöhnten Labels vor ein riesiges Problem stellte.

Die Musikindustrie reagierte mit Kopierschutz, Kampagnen, Klagen und Abmahnungen, die wenig am Verhalten der User änderten, aber viel Erbitterung und Spott auslösten. 

Erst viele Jahre später begannen Labels nach Lösungen zu suchen, welche die technischen Neuerungen im Zuge der Digitalisierung nicht bekämpften. Das Ergebnis ist die Streaming-Landschaft, wie wir sie heute kennen.

Illegale Downloads sind weit verbreitet

Wer aber glaubt, illegale Musiknutzung führe längst ein Schattendasein, könnte angesichts einer Studie des englischen Intellectual Property Office (IPO) überrascht sein. 

Diese zeigt, dass Downloads von Musik immer noch weit verbreitet sind – und dass ein beträchtlicher Teil dieser Downloads aus illegalen Quellen stammt. Im Gegensatz dazu spielt das illegale Streamen von Musik so gut wie keine Rolle.

Im Detail gaben 41 Prozent der Befragten an, Musik im Streaming zu konsumieren, immerhin 28 Prozent nutzten Downloads. Von denjenigen, die Musik streamen, nutzen fast alle legale Anbieter (98 Prozent). Das ist auch nicht überraschend, da die Angebote der verschiedenen Streaming-Plattformen nahezu identisch sind.

Ganz anders verhält es sich bei denjenigen, die Musik downloaden: Nicht weniger als 21 Prozent nutzen ausschließlich illegale Quellen, 24 Prozent eine Mischung aus legalen und illegalen Quellen, zusammengerechnet sind das 45 Prozent!

Eine Kostenlos-Kultur?

Bei Musik handelte es sich um das erste Entertainment-Format, das großflächig im Internet zum Download zur Verfügung stand. An das Herunterladen von Filmen war in den 2000ern noch nicht zu denken und Software und Computerspiele wurden schon aufgrund der größeren Datenmenge wie Musik-CDs kopiert. 

Es ist möglich, dass sich aus diesem Umstand eine gewisse "Download"-Kultur entwickelt hat, die auf die Legalität der Angebote nicht so genau schaut. Dafür spricht auch, dass Musiknutzende laut der Studie zurückhaltend auf die Frage reagieren, was sie täten, wenn ihre illegalen Quellen nicht mehr zur Verfügung stünden.

Nur 32 Prozent erklärten, in diesem Fall kostenpflichtige Angebote nutzen zu wollen – weniger als bei allen anderen untersuchten Medieninhalten. Möglicherweise handelt es sich um das Ergebnis einer gewissen "Kostenlos Kultur" in Hinblick auf Musik. Allerdings könnten auch andere Aspekte eine Rolle spielen.

Was ist eigentlich illegal?

Die Studie macht nämlich keine näheren Angaben zur Art der illegalen Musiknutzung. Ob beispielsweise Downloads von unautorisierten Aufnahmen (sog. Bootlegs) zu den in der Studie untersuchten illegalen Nutzungen zählen, ist unklar. 

Zwischen dem Download unveröffentlichter Aufnahmen, die ansonsten nirgendwo erhältlich sind, und dem illegalen Download veröffentlichter und offiziell erhältlicher Aufnahmen, die leicht auf legalem Weg verfügbar wären, gibt es allerdings beträchtliche Unterschiede.

Während im ersteren Fall der Schaden für Label und Künstler kaum existent ist, kann die illegale Nutzung offiziell veröffentlichter Inhalte echten materiellen Schaden erzeugen.

Wenige Hörer sind ausschließlich illegal unterwegs

Eine weitere mögliche Erklärung für die Nutzung illegaler Quellen ist zudem die Nichtverfügbarkeit des eigentlich offiziell veröffentlichten Materials: Die früher einmal erhältlichen Tonträger sind nicht mehr erhältlich (engl. out of print/oop) und bei Streaming-Diensten findet sich die gesuchte Musik nicht. 

Diese Überlegung ist nicht unbedeutend, denn die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass nur ein sehr kleiner Teil derjenigen, die auf illegale Quellen zurückgreifen, ausschließlich illegale Quellen nutzt. 

Lediglich 3 Prozent gaben an, sich Musik ausschließlich auf illegalem Weg zu beschaffen. Immerhin 22 Prozent erklärten jedoch, sowohl legale als auch illegale Quellen zu nutzen. Insgesamt nutzten also laut der Studie 25 Prozent aller Musikhörer/innen zumindest teilweise illegale Quellen. 

Anstieg bei Nutzung illegaler Quellen

Da bei Musik, anders als bei Filmen oder Serien, die Kataloge der Major Labels und der großen Indie-Labels gleichermaßen bei allen offiziellen Streaming-Anbietern verfügbar sind, liegt die Annahme nahe, dass Musikfans teilweise illegale Quellen nutzen, um besondere Bedürfnisse zu erfüllen. Damit sind die erwähnten unautorisierten Aufnahmen, aber auch anderweitig nicht leicht erhältliche Musik gemeint.

Die Zahl derjenigen Musikhörer/innen, die legale wie illegale Quellen nutzen, ist allerdings zwischen 2021 und 2022 von 13 auf 22 Prozent gestiegen – und sicherlich handelt es sich dabei nicht nur um Bootleg-Hörer/innen und Raritätensammler/innen. 

Allerdings ist illegale Musiknutzung nach wie vor weit davon entfernt, ein Volkssport zu sein wie vor ca. 20 Jahren. Die Unterschiede im Hinblick auf Alter und Geschlecht sind im Übrigen nicht so ausgeprägt, wie man es vielleicht erwarten könnte. Tendenziell sind die Nutzer illegaler Musikquellen aber eher jünger und männlich.

Mögliche Gründe

Die Studie untersucht die Gründe für illegale Musiknutzung nicht systematisch, sondern präsentiert lediglich Schlaglichter der Meinungen einzelner User. Dabei zeigt sich, dass finanzielle Erwägungen für die Nutzung illegaler Inhalte eine wichtige Rolle spielen.

Die User erklären, auf anderem Weg nicht alle gewünschten Medienformate nutzen zu können. Steigende Lebenshaltungskosten und wirtschaftliche Probleme führten auch dazu, dass die Befragten Abonnements kündigten, um Ausgaben zu reduzieren. 

Zur spezifischen Situation der Musik macht die Studie in diesem Zusammenhang keine Aussage. Allerdings unterscheidet sich die sehr einheitliche Streaming-Landschaft doch sehr von der Situation in Hinblick auf Film/TV-Streaming-Abos, bei der zahlreiche Anbieter um Aufmerksamkeit konkurrieren.

Ähnlichkeit von Musik zu Film- und TV-Inhalten

Die Befragten äußerten sich nicht nur über ihren Musikkonsum, sondern auch über ihre Nutzung von Filmen, Live-Sport-Übertragungen, Videogames, Software, digitalen Zeitschriften, E-Books und Hörbüchern.

Dabei zeigen sich einige interessante Unterschiede und Ähnlichkeiten. Die Nutzung illegaler Inhalte ist bei Filmen und Fernsehinhalten grundsätzlich ähnlich. Nur ein sehr kleiner Teil nutzt ausschließlich illegale Inhalte, weitaus mehr nutzen sie gelegentlich. 

Das überrascht nicht so sehr, da der Weg der Beschaffung illegaler Musik, Film- und TV-Inhalte grundsätzlich ähnlich ist. Wie bei Musik spielt bei Filmen und TV-Inhalten die illegale Nutzung kaum eine Rolle, wenn Streaming genutzt wird.

Musik liegt nur im Mittelfeld

Ganz anders ist die Lage bei anderen Medienarten, die in der Studie untersucht wurden. Bei Hörbüchern (10 Prozent), E-Books (11 Prozent), digitalen Zeitschriften (22 Prozent), Software (22 Prozent) und Live-Sport-Übertragungen (15 Prozent) nutzten viele mehr User ausschließlich illegale Quellen. 

Die höchste Gesamtzahl bei der Nutzung illegaler Inhalte (teilweise und ausschließlich illegale Quellen) verzeichnet die Kategorie der digitalen Zeitschriften (41 Prozent). Aber auch Software (38 Prozent) und Live-Sport-Übertragungen (36 Prozent) verzeichnen eine hohe Zahl von Nutzern illegaler Inhalte.

Die Studie selbst verortet Musik dementsprechend in einer mittleren Kategorie, wenn es um die Intensität der Nutzung illegaler Quellen geht.

Großes Sample

In der Studie, die nach Ende der Corona-Maßnahmen im Mai 2022 durchgeführt wurde, wurden 5749 Personen in zwei Stufen detailliert zu ihren Online-Entertainment-Aktivitäten befragt. 

Im ersten Schritt füllten die Teilnehmer der Studie eine Online-Befragung aus. Im zweiten Schritt wurden 50 ausgewählte Befragte Teil einer Online-Community, in der sie noch einmal spezifische Angaben über ihr Nutzerverhalten machten.

Hochrechnung von Gesamtzahlen

Aus dem Sample der Befragten rechnet das IPO die potentielle Zahl desjenigen Teils der britischen Bevölkerung hoch, die zumindest gelegentlich illegale Quellen zum Konsum von Musik nutzt. 

Da die illegale Nutzung von Musik weiter verbreitet ist als bei anderen Medien, errechnet das IPO eine Zahl von 9,2 Millionen Nutzern illegaler Quellen von Musik. Bei Filmen beträgt diese hochgerechnete Zahl 8,1 Millionen und bei Fernsehinhalten 6,2 Millionen. Andere Medienformen bleiben dahinter weit zurück: Es hören nun einmal mehr Menschen Musik als Hörbücher.

Blick in die Zukunft

Die britische Studie untersucht illegale Nutzung von Medien schon seit 2015. In diesem Zeitraum blieb die illegale Musiknutzung zu Beginn konstant, stieg 2019 stark an, um dann 2020 mit Beginn der Corona-Pandemie deutlich zurückzugehen. 2022 erreichte sie annähernd wieder das Niveau von 2019.

Wie sich dieser Trend fortsetzt, hängt vermutlich auch mit der allgemeinen wirtschaftlichen Lage zusammen: Wenn Menschen sich legale Angebote nicht mehr leisten können oder wollen, könnte die illegale Musiknutzung weiter ansteigen. Die von den Labels geforderten Preiserhöhungen für Streaming-Abos würden diesen Trend möglicherweise weiter befeuern.

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