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Die Schere im Kopf?

Led Zeppelin, Robin Thicke und Co.: Wie beeinflussen Plagiats-Prozesse das Songwriting?

Spezial/Schwerpunkt von Florian Endres
veröffentlicht am 19.06.2019

urheberrecht

Led Zeppelin, Robin Thicke und Co.: Wie beeinflussen Plagiats-Prozesse das Songwriting?

Led Zeppelin (Song Remains the Same, 1976). © Warner Bros. Entertainment Inc.

Ob "Stairway to Heaven" oder "Blurred Lines": Immer häufiger sehen sich Songwriter mit Plagiarismus-Klagen konfrontiert. Doch wo hört der mehr oder weniger zufällige Einfluss eines Liedes auf ein anderes auf, und wo beginnt das Plagiat? Und wie wirkt sich die steigende Gefahr einer gerichtlichen Auseinandersetzung auf das Songwriting aus?

Dass es zwischen dem Song "Taurus" (1968) der amerikanischen Rockband Spirit und dem Led Zeppelin-Megahit "Stairway To Heaven" (1971) musikalische Übereinstimmungen gibt, ist eindeutig. Doch ist "Stairway to Heaven" deswegen ein Plagiat?

Spirit vs. Led Zeppelin

Bereits 2014 sollte ein Gericht eine Antwort auf genau diese Frage finden. Spirit-Bassist Mark Andiss und der Nachlassverwalter des "Taurus"-Komponisten Randy California hatten eine Klage gegen Led Zeppelin wegen deren angeblicher Urheberrechtsverletzung eingereicht. 

2016 entschied das US-Bundesgeschworenengericht zu Gunsten Led Zeppelins: Die Gemeinsamkeiten zwischen "Taurus" und "Stairway To Heaven" reichten nach Einschätzung des Richters nicht für den Tatbestand der Urheberrechtsverletzung aus, der verwendete a-moll-Akkord finde sich in dieser Form in vielen Stücken.

Musical Analysis of Led Zeppelin's "Stairway To Heaven" Copyright infringement Suit

Im Falle eines Schuldspruches hätten Robert Plant und Jimmy Page – die beiden Autoren des Songs – California in die Credits aufnehmen und dessen Erben an den Tantiemen beteiligen müssen.

Offene Fragen

Der Nachlassverwalter Randy Californias legte Einspruch gegen das Urteil ein. Im Herbst 2018 entschieden drei Richter eines Bundesberufungsgerichtes, dass der 2016 zuständige Richter einen Verfahrensfehler begangen habe: Er habe die Geschworenen fälschlicherweise darüber informiert, dass einzelne Noten oder Tonleitern nicht unbedingt schutzwürdig seien. 

Dagegen legten wiederum Led Zeppelin Einspruch ein, dem vom Gericht stattgegeben wurde. Die Causa "Stairway To Heaven" muss nun erneut verhandelt werden, eine Anhörung ist für September 2019 geplant.

Inspiration und Kopie

Ein weiteres viel beachtetes Beispiel ist der Plagiarismus-Prozess um "Blurred Lines" von Robin Thicke und Pharell Williams. Die Erben Marvin Gayes warfen den Songwritern vor, in ihrem Song die Rhythmusspur von Gayes "Got To Give It Up" plagiiert zu haben. 

Blurred Lines Marvin Gaye Comparison Copyright Lawsuit

Robin Thicke gab gegenüber einem Reporter an, "Got To Give It Up" bewusst als stilistische Inspiration für "Blurred Lines" verwendet zu haben – eine Aussage, die er später vor Gericht wieder zurückzog.

Die Frage der Inspiration

Es ist unmöglich zu beurteilen, welche Aussage Thickes der Wahrheit entspricht. Dennoch wirft der Fall die Frage nach dem Stellenwert von Inspiration auf:  Musik entsteht nicht einfach aus dem Nichts, Musikautorinnen und -autoren sind in ihrem Songwriting stets bewusst oder unbewusst von ihrer Umgebung und eben auch der Musik in ihrer Umgebung beeinflusst.

Gerichte müssen also – im Falle von "Blurred Lines" entscheiden, ab wann (bewusste) Inspiration – sei es nur in Form einer Stimmung oder eines Gefühls – die Grenze zum urheberrechtlich relevanten Plagiat überschreitet.

Anders als im Led Zeppelin-Fall gaben die Richter der Familie Gayes recht: Thicke und Williams müssen damit Marvin Gaye posthum als Autoren von "Blurred Lines" anführen und die Familie an den Tantiemen beteiligen. 

Begrenzte Möglichkeiten

Songwriter Robert Plant behauptete im Gegensatz zu Thicke, den angeblich kopierten Song "Taurus" gar nicht zu kennen, jegliche Übereinstimmung sei rein zufällig. Und das, obwohl sich eine Kopie des Spirit-Albums in seiner Plattensammlung befand und Led Zeppelin sogar als Vorgruppe für Spirit spielten.

Abseits dieser Widersprüche in Plants Behauptung muss jedoch tatsächlich die Möglichkeit zufälliger Übereinstimmungen in Betracht gezogen werden. Die Ausdrucksmöglichkeiten innerhalb der (Pop-)Musik sind beschränkt: Es gibt weder unendlich viele verwendbare Töne, noch unendliche Möglichkeiten, diese zu kombinieren. Einander ähnelnde Songs sind also statistisch gesehen bereits vorprogrammiert – insbesondere in einer Zeit, in der eine unüberschaubare Anzahl bereits geschriebener Lieder existiert.

So kann es also – wenn man Plant denn glaubt – durchaus passieren, dass sich Musikstücke tatsächlich zufällig gleichen. Wie in Zukunft mit solchen zufälligen Ähnlichkeiten umzugehen ist, wird wohl nicht zuletzt der Ausgang des "Stairway to Heaven"-Prozesses zeigen.

Zunehmende Unsicherheit

Fest steht, dass Plagiatsvorwürfe sich in den vergangenen Jahren häufen. Zwar gelangen die Details darüber oft nicht an die Öffentlichkeit, da die beteiligten Parteien sich außergerichtlich einigen – doch hat allein die Möglichkeit einer solchen rechtlichen Auseinandersetzung folgen für das Handwerk des Songwritings. 

Viele Musikautorinnen und -autoren geben an, sich zunehmend von der stets drohenden Gefahr eines kostspieligen Urheberrechtsprozesses verunsichert zu fühlen. In einem Artikel der New York Times wird beispielsweise der Autor Evan Bogart zitiert, der u.a. schon für Madonna, Rihanna und Beyoncé geschrieben hat.

Bogart gibt an, sich während des Komponierens derzeit immer häufiger selbst zu hinterfragen, aus Angst, etwas zu kopieren, das er nicht (mehr) richtig zuordnen kann. Während er am nächsten Hit-Chorus feilt, sorgt er sich ständig um die möglichen Konsequenzen, die ein unabsichtliches Plagiat haben könnte. 

Denn neben der Gefahr eines Gerichtsprozesses bedeuten auch außergerichtliche Einigungen stets, dass die Einnahmen durch einen Song auf mehr Songwriter aufgeteilt werden müssen – und die einzelnen Beteiligten somit jeweils weniger erhalten.

Überreaktion?

Die Angst von Künstlerinnen und Künstler bzw. deren Songwritern reicht inzwischen sogar so weit, dass diese den Autorinnen und Autoren von potentiell ähnlichen Songs bereits im Vorfeld Beteiligungen zusichern, um sich einen späteren Gerichtsprozess zu ersparen. 

Im Interview mit Vulture gibt beispielsweise die Musikerin Bebe Rexha an, vor der Veröffentlichung die Songwriter von Meredith Brooks Stück "Bitch" an ihrem Stück "I'm A Mess" beteiligt zu haben. Sie sei zwar ein Fan von "Bitch", habe den Song jedoch nie bewusst kopieren wollen. Dennoch erschien ihr das Endergebnis so ähnlich, dass sie sich dafür entschied, die Tantiemen zu teilen.

Sänger und Musikautor Sam Smith hingegen gibt an, in Zweifelsfällen stets einen Musikwissenschaftler um Rat zu fragen: Dieser kann für Smith bereits im Vorfeld der Veröffentlichung einschätzen, ob das betreffende Stück für ein Plagiat gehandelt werden könnte. Ist dies der Fall, so ändert Smith meist einzelne Teile des Songs, um potentiellen Vorwürfen zu entgehen.

Einzelfälle

Die genannten Beispiele zeigen, dass die derzeitige Häufung von Plagiatsvorwürfen einen deutlichen Einfluss auf den kreativen Prozess des Songwritings hat. Songwriter müssen sich ihrer bewussten wie unbewussten Einflüsse klarwerden – und mögliche Ähnlichkeiten im besten Fall noch vor der Veröffentlichung von Experten prüfen lassen, um ein Plagiat zu verhindern. 

Die Unsicherheit, die damit einhergeht, stellt ein Problem für den kreativen Prozesss als solchen dar – und wirft gleichzeitig die Frage auf, inwieweit der rechtliche Eingriff in die Kreativität eigentlich als angemessen gelten kann.

Freilich gibt es in jedem Fall einer potentiellen Urheberrechtsverletzung die Möglichkeit, dass die Angeklagten etwa fälschlicherweise bestreiten, einen plagiierten Song schon gekannt zu haben oder eben nicht. Doch abseits von dieser stets vorhandenen Unsicherheit gilt es doch zu hinterfragen, inwieweit Inspiration oder auch simple Zufälle die oft herben finanziellen Eingriffe in das Leben von Musikerinnen und Musikern rechtfertigen. 

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