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Fehlende Attraktivität

Prof. Daniel Eberhard über Lösungsmöglichkeiten für den Musiklehrermangel an Schulen

Interview von Christoph Ohlwärther
veröffentlicht am 16.05.2023

musikunterricht berufswelt

Prof. Daniel Eberhard über Lösungsmöglichkeiten für den Musiklehrermangel an Schulen

Prof. Daniel Eberhard (2023). © Hubert Klotzeck

Bundesweit werden an allen Ecken und Enden Musiklehrkräfte für öffentliche Schulen gesucht. Ohne Gegenmaßnahmen könnten laut Bertelsmann-Stiftung bis ca. 2028 bis zu 25.000 Musiklehrer*innen fehlen. Wir haben mit Daniel Eberhard, Professor für Musikpädagogik und Musikdidaktik an der Universität Eichstätt-Ingolstadt, über den Musiklehrermangel und mögliche Lösungen gesprochen.

Backstage PRO: Herr Eberhard, laut Bertelsmann-Stiftung fehlten 2020 an deutschen Grundschulen bis zu 23.000 Musiklehrkräfte. In Bayern etwa sind derzeit 4.000 Stellen für Grund-, Mittel- und Förderschulen offen. Was ist dran an diesen Zahlen?

Daniel Eberhard: Die bayerischen Zahlen sind im Rahmen dieser Studie nicht ganz unproblematisch, was auf Kommunikationsprobleme zwischen den Durchführenden der Studie und dem bayerischen Kultusministerium zurückzuführen ist. Sicherlich stimmt jedoch die Tendenz. Wir haben generell einen Mangel an Lehrkräften, insbesondere im Fach Musik. Die Studienstruktur in Bayern führt dazu, dass alle Musiklehrkräfte an Grundschulen in unterschiedlicher Tiefe Musik studiert haben. Die Zahl voll ausgebildeter Musiklehrender ist jedoch an allen Schularten zu gering.

Backstage PRO: Wie erklären Sie sich diesen Mangel?

Daniel Eberhard: Die Gründe sind vielfältig. Das kann einerseits damit zu tun haben, dass sich die Einstellung junger Menschen zum Berufsleben generell geändert hat. Viele junge Menschen legen Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance. Zudem hat die Attraktivität des Lehrerberufs durch zahlreiche Umstände und Belastungen allgemein gelitten, das spürt auch der Beruf des Musiklehrers. Vielleicht liegt auch ein Umstand darin, dass es in Deutschland derzeit über 21.000 Studienmöglichkeiten gibt und die junge Generation damit ein stückweit überfordert ist. Der Lehrerberuf zählt heute zudem nicht mehr zu den ganz prominenten Studiengängen wie etwa der Arztberuf. Möglicherweise sprechen auch die Studieninhalte und -strukturen die junge Generation nicht sonderlich an, erst recht in Verbindung mit dem von ihr erlebten Musikunterricht. Gänzlich auf eine alleinige Ursache kann dieser Mangel nicht zurückgeführt werden.

Backstage PRO: Welche Rolle spielen denn die scheinbaren Hürden, um das Musikstudium aufnehmen zu können – etwa wenn es um das Thema Eignungsprüfung geht?

Daniel Eberhard: Empirische Daten fehlen uns dafür noch, aber es laufen gerade Studien dazu an. Ein Problem besteht wohl darin, dass wir in den Eignungsprüfungen,die das sog. Unterrichtsfach Musik im Lehramt erfordern, schlicht die falschen Dinge prüfen.

Backstage PRO: Welche Konsequenzen sollten wir daraus ziehen?

Daniel Eberhard: Ich persönlich glaube, dass wir den Eingang des Studiums gründlich überprüfen und in vielfacher Weise öffnen sollten: im Hinblick auf verschiedene Musikstile, künstlerische, didaktische und pädagogische Kompetenzen und im Hinblick auf die Vielschichtigkeit der Musik in unserer Welt.

Backstage PRO: Die Eingangsprüfungen und die Studienstruktur zu reformieren, sind sicherlich geeignete Mittel, dennoch dürfte es Jahre dauern, bis sich Ergebnisse zeigen. Welche konkreten Maßnahmen sollten ergriffen werden, um dem Rückgang an Interessenten entgegenzuwirken?

Daniel Eberhard: Sofern die in Aussicht gestellten Gelder aus der CSU-Fraktionsreserve genehmigt werden, haben wir vor, ein Programm zu starten, mit dem wir den Musiklehrerberuf nochmal deutlich bewerben wollen. Das soll in Bayern in eine Nord- und Südschiene unterteilt werden. Es soll um mediale Aufklärung in Form von Flyern und Videos gehen, die diesen Beruf plastisch und den aktuellen Standards folgend darstellen. Der Beruf des Musiklehrers soll vor allem vor Ort in Schulen vorgestellt und schmackhaft gemacht werden.

Backstage PRO: Die Bertelsmann Stiftung schlägt als eine Maßnahme vor, "verbindliche Standards und Angebote für Seiteneinsteiger" zu schaffen. Was sollten Seiteneinsteiger mitbringen?

Daniel Eberhard: Wir sind natürlich froh darüber, wenn Menschen dazu bereit sind, den Musiklehrerberuf ergänzend oder überbrückungsweise auszuüben. Gleichzeitig wünschen wir uns aber eine grundlegende Ausbildung. Ungeachtet davon sollten Seiteneinsteiger den Lehrerberuf nicht nur als Plan B betrachten. Sie sollten stattdessen ein aufrichtiges, pädagogisches Interesse an der Zielgruppe haben, didaktische Sensibilität, ein fachliches Interesse an den Inhalten des Musikunterrichts und an allem, was dieses Fach so lebendig macht und dynamisch hält.

Backstage PRO: Inwiefern muss der Musikunterricht an sich umgestaltet werden, um attraktiver für Interessenten zu erscheinen?

Daniel Eberhard: Der Studiengang sollte zunächst in den Blick nehmen, wie heutige Gesellschaften und damit auch Schulgemeinschaften als deren Abbild, strukturiert sind und welche Folgen das konkret für die Ausbildung Musiklehrender hat. Wir leben in einer hochkomplexen, hochdynamischen und globalisierten Welt und ich wünsche mir, dass wir diese Vielfalt als Ausgangspunkt für den Studiengang und den Musikunterricht nehmen. Das bedeutet, wir sollten keinen zu stark eurozentrischen Blick auf die Musikkultur werfen, sondern eine globalisierte Perspektive anwenden. 

Backstage PRO: Was heißt das genau?

Daniel Eberhard: Unterschiedlichste Musikformen müssen in das Studium mit einbezogen werden. Zudem müssen Studierende im Verlauf des Studiums konkrete Vorstellungen über einen schülerorientierten Musikunterricht erhalten, der die Belange der Schüler ernst nimmt. Ich wünsche mir einen Studienaufbau, der neben der notwendigen Bewahrung alter Strukturen, vor allem die Berufspraxis in den Mittelpunkt stellt und den Aspekt der Vielfalt in den Kern des Studiums rückt.

Backstage PRO: Herzlichen Dank für das Gespräch.

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