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Neue Perspektiven

Joscha Oetz von der Offenen Jazzhaus Schule Köln über das Berufsfeld Schule für Musiker/innen

Interview von Martell Beigang
veröffentlicht am 21.06.2022

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Joscha Oetz von der Offenen Jazzhaus Schule Köln über das Berufsfeld Schule für Musiker/innen

Joscha Oetz, Leiter der Jazz Haus Schule in Köln. © privat

Musikschulen und Regelschulen haben in den letzten Jahren ihre Kooperationen intensiviert. Über die interessante, aber auch herausfordernde Zusammenarbeit sprachen wir mit Joscha Oetz, der seit 2020 die Offene Jazz Haus Schule in Köln leitet.

Backstage PRO: Es scheint einen Trend zu geben, dass Regelschulen zunehmend Musiker/innen einladen, um ihr Angebot zu erweitern. Woran liegt das?

Joscha Oetz: Ganztagsunterricht an den Schulen führt dazu, dass Schultage für viele Kinder immer länger werden, mindestens bis 15 Uhr, meistens bis 16 Uhr. Dadurch haben Musikschulen ein echtes Problem. Denn wenn Kinder schon 8 Stunden in der Schule waren, haben sie danach keine große Lust mehr, noch zur Musikschule zu gehen. Das wurde erkannt, und darum hat sich das System Schule den Musikschulen geöffnet.

"Kulturelle Angebote an Kinder sind in vielen Familien kein Standard"

Backstage PRO: Gibt es noch weitere Gründe für diese Entwicklung?

Joscha Oetz: Es hat sich außerdem herausgestellt, dass Kinder, die zu Hause nicht viel Unterstützung bekommen, was Konzertbesuche oder Musikunterricht an der Musikschule angeht, gegenüber den Kindern benachteiligt sind, bei denen ein solchen Angebot eher Standard ist. Im Bildungsbürgertum ist es traditionell ja eher so, dass die Kinder sich kreativ betätigen sollen, dass sie zumindest ein Instrument ausprobieren, dass sie in Konzerte oder ins Museum gehen. Und es gibt all die, bei denen das tendenziell bis gar nicht der Fall ist. Und dieser Unterschied fängt bereits in der Kita an.

Backstage PRO: Was unternehmen die Schulen dagegen genau?

Joscha Oetz: Hinter der Idee des Ganztagsunterricht steht die Idee der Chancengleichheit. Aber da es in der Regel zu wenig regulären Musikunterricht an der Schule gibt, wurden verschiedene Programme aufgelegt, die zum Ziel haben, dass Schulen Künstler/innen einladen, zum Beispiel "Kultur macht Schule" von der Kulturstiftung der Länder oder "Kultur macht stark" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Es ist gewollt, dass das Biotop Schule sich öffnet. In NRW zum Beispiel durch das JeKits-Programm (Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen). 

Backstage PRO: Gibt es so etwas nur in NRW?

Joscha Oetz: JeKits in dieser Form gibt es nur in NRW, aber es gibt bundesweit ähnliche und andere Programme.

"Mehr Kinder sollen Zugang zu kultureller Bildung haben"

Backstage PRO: Wie kam es dazu, dass die Jazz Haus Schule mit Regelschulen zusammenarbeitet?

Joscha Oetz: Unsere Zusammenarbeit mit Schulen startete mit einem Pilotprojekt Mitte der 1990er mit der Gesamtschule Holweide. Das ging damals von der Schule aus. Diese hatte gehört, was die Jazz Haus Schule leistet und hat sich dafür interessiert. Inhaltlich stand Bandarbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Musik von Jazz über Rock bis Hiphop im Mittelpunkt. Dabei wurde eine sehr offene Arbeitsweise ohne strengen Lehrplan gepflegt, denn man braucht nicht unbedingt Noten zum Musik machen. Daraus folgten weitere Projekte.

Backstage PRO: Wie hat sich das in den folgenden Jahren entwickelt?

Joscha Oetz: Die Tendenz, Musikschullehrer/innen in Schulen zu schicken, verstärkt sich gerade. Man hat erkannt, dass das sinnvoll ist und man dadurch mehr Kinder erreicht. Das Zielt besteht darin, die Quote der Kinder zu erhöhen, die Zugang zu kultureller Bildung, Musik und Tanz haben. Das ist eine politische Entscheidung, die mit Blick auf die Ganztagsentwicklung getroffen wurde. Und das hat Auswirkungen. 

Backstage PRO: Ihr könnt auf eine lange Zusammenarbeit mit Schulen zurückblicken.

Joscha Oetz: Die Jazz Haus Schule hatte schon ein Projekt mit der Grundschule am Manderscheider Platz in Köln, lange bevor es Jekits gab. Dort hatten wir einen Musikschwerpunkt der sich explizit mit neuer und experimenteller Musik beschäftigte. Das wurde damals von Projektmitteln des Bundes bezahlt. Danach kam Jekits, wir waren also damals schon voll im Trend.

"Wir spielen eine wichtige Rolle als Partner von Schulen"

Backstage PRO: Was hat sich aus diesem Projekt entwickelt?

Joscha Oetz: Dieses Projekt gibt es bis heute, und daraus ist ein zweites Projekt entstanden an einem Standort, den man früher "sozialer Brennpunkt"“ genannt hätte. Hinzu kommen 11 JeKits Schulen und das Schulprofil populäre und experimentelle Musik (SPEM) an der Integrierten Gesamtschule Innenstadt (igis). 

Backstage PRO: Wie fällt dein Fazit aus?

Joscha Oetz: Inzwischen ist der Bereich Schule und unsere Rolle als Partner in der Bildungslandschaft unserer Stadt von zentraler Wichtigkeit für uns. Dazu kommen viele Kooperationen mit OGS-Trägern, denn diese suchen nach Musikangebote für den Nachmittag. Insgesamt arbeiten wir mit circa 40 Schulen im Kölner Raum zusammen.

Backstage PRO: Wie sieht der Unterricht konkret aus? 

Joscha Oetz: Es wird alles das angeboten, was Schulpädagogen bzw. Schulpädagoginnen so nicht machen können, weil sie eine ganz andere Ausbildung haben, also Songwriting, Pop, Jazz, experimentelle Musik und Improvisation. Kurz gesagt: viel mehr Praxis.

Die Jazz Haus Schule versucht also nicht den klassischen Musikunterricht zu ersetzen, denn dieser folgt ja einem Curriculum, sondern durch alternative Angebote die kulturelle Vielfalt zu vergrößern. Im Rahmen unserer Möglichkeiten tragen wir so zu ein wenig mehr Bildungsgerechtigkeit bei.

"Die Zusammenarbeit erfordert gute Abstimmung"

Backstage PRO: Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Musikschule und staatlicher Schule?

Joscha Oetz: Die beiden Systeme sind sehr unterschiedlich, und ich wäre nicht ehrlich, wenn ich sagte, dass es immer einfach sei. Das erfordert gute Abstimmung und Kommunikation, was viele Ressourcen in Anspruch nimmt, aber ich glaube, dass diese gut eingesetzt sind, denn am Ende tut man den Kindern und Jugendlichen wirklich etwas Gutes.

Backstage PRO: Welche Eigenschaften sind noch für die Zusammenarbeit nötig?

Joscha Oetz: Koordination, gegenseitiges Verständnis, zum Beispiel in Sachen Stundenplan. Die Bedürfnisse freischaffender Künstler/innen finden nicht immer Berücksichtigung, beispielsweise lohnt es sich einfach nicht, für eine Stunde Unterricht in die Schule zu kommen.

Backstage PRO: Was sind die praktischen Probleme?

Joscha Oetz: Vor allem Raummangel, manche Schulen haben kaum Räume mit guter Akustik für Gruppenunterricht am Instrument. Klavierunterricht kann man ja überall geben, aber gerade der Gruppenunterricht ist in manchen Räumen akustisch problematisch. In Köln gibt es dazu noch einen Mangel an Schulgebäuden.

"Der Musikunterricht soll im Zentrum des Schulgeschehens stehen"

Backstage PRO: Wann findet der Unterricht statt?

Joscha Oetz: JeKits in Grundschulen wurde vom Land NRW entwickelt, um zu verhindern, dass der Musikunterricht in die Randstunden abgedrängt wird. Er soll im Gegenteil im Zentrum des Schulgeschehens angesiedelt werden. Daran haben wir uns ein Beispiel genommen und versuchen, weitere Musikprojekte im Zentrum des Schulgeschehens anzusiedeln, denn das ist total wichtig.

Backstage PRO: Kann dieses Unterrichten an Regelschulen für Musiker/innen ein Teil des Einkommens generieren?

Joscha Oetz: Durchaus.

Backstage PRO: Welche Qualifikationen sind dazu notwendig?

Joscha Oetz: Für viele Musiker/innen ist es ganz normal, ihren Lebensunterhalt nicht ausschließlich durch Livespielen zu verdienen. Unterrichten gehört oft und oft auch gerne dazu.

Aber während es für die meisten Musiker/innen ganz natürlich ist, Einzelunterricht zu geben, ist es weitaus herausfordernder, mit großen Gruppen zu arbeiten. Dazu gibt es aber auch Fortbildungen bei uns. Zudem erarbeiten sich viele unserer Dozent/innen autodidaktisch und durch uns betreut in der Praxis die nötigen Fähigkeiten. 

Backstage PRO: Vielen Dank, Joscha, für das interessante Gespräch.

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