Hohe Hürden für staatliche Eingriffe
Roger Waters, Rammstein & Co. – Konzertverbote sind oft keine Lösung
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Roger Waters bei seinem Auftritt in Frankfurt. © Torsten Reitz
Roger Waters ist seit vielen Jahren ein prominenter, leidenschaftlicher Verfechter der Bewegung BDS (Boycott, Divestment, Sanctions), die einen Boykott Israels, den Rückzug von Investitionen aus Israel sowie Sanktionen gegen Israel wegen der Politik des Landes gegen die Palästinenser fordert.
Mit seiner immer wieder dokumentierten Israelfeindlichkeit bewegt sich Waters sehr hart am Antisemitismus, was Waters freilich bestreitet. Im Vorfeld seiner fünf Stationen umfassenden Deutschlandtour sprachen sich daher Kommunalpolitiker in den betroffenen Städten Hamburg, Berlin, Köln, Frankfurt und München für eine Absage oder sogar ein Verbot der Konzerte aus.
Aufrufe zur Absage
In diesem Zusammenhang war der unterschiedliche Verlauf der Debatte in den einzelnen Städten bemerkenswert. In Hamburg, Berlin und Köln drehte sich die Debatte vornehmlich um die Absage der Konzerte durch den privatwirtschaftlichen Veranstalter FKP Scorpio oder durch die ebenfalls privatwirtschaftlichen Hallenbetreiber.
In Hamburg erklärte Katharina Fegebank (Grüne), die zweite Bürgermeisterin von Hamburg, lediglich, Hamburg könne "im Gegensatz zu anderen Städten das Konzert nicht verbieten", da Veranstalter und Hallenbetreiber privat seien. In Köln forderten die Stadtrats-Fraktionen von Die Grünen, CDU, SPD, FDP und Volt den Hallenbetreiber der Lanxess Arena auf, "alles dafür zu tun, um das Konzert noch zu verhindern."
Die Verbotsdiskussion in Frankfurt und München
Anders in Frankfurt und München: In diesen beiden Städten befinden sich nämlich die Hallen, in denen Roger Waters auftrat, in öffentlicher Hand. Die Frankfurter Festhalle ist Eigentum der Messe Frankfurt, die zu 60% der Stadt Frankfurt und zu 40% dem Land Hessen gehört. Die Olympiahalle in München befindet sich im Besitz der Olympiapark München GmbH (OMG), einer hundertprozentigen Beteiligungsgesellschaft der Stadt München.
Nach einigen kontroversen Äußerungen von Roger Waters im Vorfeld der Tour erklärten Kommunalpolitiker in beiden Städten es zum Ziel, die Konzerte zu verbieten. In München kamen die Verantwortlichen aber bald dahinter, dass ein solches Verbot rechtswidrig wäre und verzichteten daher darauf, das Konzert zu verbieten.
Kein generelles Verbot wegen "unerwünschter Meinungen"
Zur Begründung verwiesen sie auf ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, das vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bestätigt wurde. Das Gericht erklärte darin: "Die Gemeinden sind nicht befugt, Bewerbern den Zugang zu ihren öffentlichen Einrichtungen allein wegen zu erwartender unerwünschter Meinungsäußerungen zu verwehren."
Weiter erklärte das Gericht: "Als Träger einer öffentlichen Einrichtung können die Gemeinden Veranstaltungen zu der gegen den Staat Israel gerichteten BDS-Kampagne nicht schon unter Verweis auf deren (nach ihrer Einschätzung bestehende) antisemitische Grundtendenz untersagen, sondern erst dann, wenn durch die Aktivitäten der Befürworter dieser Kampagne die Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährdet würde."
Gescheitertes Verbot in Frankfurt
Trotz dieser sicher auch in Frankfurt bekannten Entscheidung mit bundesweiter Wirkung, beschloss der Magistrat nach Rücksprache mit dem Land Hessen, die Messe Frankfurt dazu anzuhalten, den Vertrag mit dem Veranstalter FKP Scorpio bezüglich des Roger Waters-Konzerts "aus wichtigem Grund" zu kündigen.
Diese Maßnahme kam einem Auftrittsverbot gleich, gegen das Roger Waters sogleich rechtliche Schritte einleitete. Das Verwaltungsgericht Frankfurt hob das Konzertverbot erwartungsgemäß auf, da es den Musiker in seinem Grundrecht auf Kunstfreiheit verletze. Waters habe einen Anspruch auf Durchführung des Konzerts.
Das Gericht erklärte weiterhin, für die juristische Bewertung entscheidend sei, "dass der Auftritt des Antragstellers in seiner Gesamtschau nicht den Schluss zulasse, dass der Antragsteller nationalsozialistische Gräueltaten verherrliche oder relativiere oder sich mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziere."
Eingriffsmöglichkeiten des Staates
Darin liegt der entscheidende Punkt. Der deutsche Staat hat durchaus das Recht - und in manchen Fällen sogar die Pflicht - Konzerte zu verbieten. Davon macht er öfter auch Gebrauch, wenn es sich beispielsweise um die Konzerte von Nazi-Bands handelt, bei denen Symbole von Nazi-Organisationen oder anderen verbotenen Parteien oder Vereinigungen gezeigt werden.
Auch aufgrund verbotener Meinungsäußerungen (Leugnung der Shoa, Volksverhetzung) bei derartigen Konzerten können Veranstaltungen untersagt oder abgebrochen werden.
Schwache Begründung
Die Begründung des Magistrats der Stadt Frankfurt zur Konzertabsage stützte sich aber nicht auf die Behauptung, im Rahmen des Konzerts seien volksverhetzende Äußerungen oder das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole zu erwarten.
Stattdessen berief sich der Frankfurt Magistrat auf "israelfeindliche Äußerungen" von Roger Waters und schlug damit einen Holzweg ein. Es gibt nach deutschem Recht keine Handhabe, ein Konzert aufgrund von unpassenden Meinungsäußerungen zu verbieten, egal für wie dumm, falsch, überzogen oder wertlos andere diese Äußerungen halten.
Strenge Regeln für den Staat
Die Meinungs- bzw. Kunstfreiheit hat selbstverständlich Grenzen in der Anstachelung zum Hass gegen Minderheiten, Andersdenkende oder in sonstigen Aufrufen zu Gewalt. Aber davon war bei Roger Waters nicht die Rede.
Für Veranstaltungsorte in öffentlicher Hand gelten dabei besonders strenge Regeln, denn Grundrechte wie Meinungs- oder Kunstfreiheit sollen ja Menschen (Ausländer wie Roger Waters eingeschlossen) vor übermäßigen Eingriffen des Staates in ihre Grundrechte schützen.
Interessanter Wechsel des Veranstalters
Für Betreiber privatwirtschaftlicher Veranstaltungsorte gelten andere, weniger strenge Regeln. Das gilt im Übrigen auch für Konzertagenturen.
Es ist vermutlich kein Zufall, dass Roger Waters dieses Jahr erstmals von FKP Scorpio veranstaltet wurde und nicht von Live Nation, die frühere Tourneen organisiert hatten. Die Gründe für diesen Wechsel sind unbekannt.
Fragwürdige Berichterstattung
Im Hinblick auf das zwischenzeitliche de facto-Verbot des Konzerts von Roger Waters in Frankfurt hat sicherlich auch die teilweise ungenaue Online-Berichterstattung unnötig Verwirrung gestiftet. Während hessenschau und FAZ korrekt erklärten, das Konzert solle abgesagt werden, schossen andere Medien wie t-online über das Ziel hinaus und behaupteten, der Auftritt von Roger Waters werde endgültig nicht stattfinden.
Auch die ansonsten seriöse Frankfurter Rundschau führte ihre Leser mit der Headline "Messe Frankfurt sagt Roger-Waters-Konzert ab und kündigt Vertrag" in die Irre. Das Journal Frankfurt sprach sogar davon, dass das Konzert "final" abgesagt worden sei, während die Frankfurter Neue Presse bereits über Schadensersatz spekulierte. Hier wäre eine genauere Berichterstattung dringend geboten gewesen.
Kein Verbot von Rammstein-Konzerten
Der Fall Rammstein ist etwas anders gelagert, aber nicht weniger spannend. Nachdem Vorwürfe wegen sexuellen Fehlverhaltens gegen Till Lindemann laut wurden, organisierten verschiedene Personen und Organisationen eine Online-Petition, um die Konzerte der Band im Berliner Olympiastadion zu verhindern.
Kultursenator Joe Chialo (CDU) erteilte solchen Forderungen aber eine klare Absage. "Die Forderung ist emotional verständlich, rechtlich gibt es keinen Hebel", erklärte er gegenüber der dpa. Er betonte, dass er die Vorwürfe der Frauen ernst nehme, verwies aber auf die Unschuldsvermutung und warnte gleichzeitig vor übereilten Entscheidungen: "Ich bin sehr vorsichtig, aus diesem Spin immer gleich Handlungsanleitungen abzuleiten."
Um Gefahren abzuwenden, ergriff die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) ein weitaus effektiveres Mittel. Sie untersagte Aftershow-Partys der Band sowie von Bandmitgliedern in den städtischen Liegenschaften. Im Übrigen gelte es, die noch laufenden Entwicklungen abzuwarten.
Das Fazit
Es ist eine Sache, wenn Privatpersonen oder Organisationen das Verbot eines Konzerts fordern oder eine Online-Petition starten. Aufgrund der in Deutschland herrschenden Meinungsfreiheit steht ihnen das offen.
Viel problematischer ist, wenn staatliche Institutionen den Versuch unternehmen, unliebsame Meinungsäußerungen durch Konzertverbote zu unterdrücken. Konzertverbote sollten sich auf Fälle beschränken, in denen strafbare Handlungen zu erwarten oder sogar vorgekommen sind.
Aus gutem Grund gelten für staatliche Eingriffe in die Meinungs- und Kunstfreiheit hohe Hürden, die weder bei Roger Waters noch bei Rammstein erreicht waren. Waters' Meinungen mögen unpopulär, einseitig, falsch oder fehlgeleitet sein, aber sie sind nicht illegal.
Ein Konzertverbot von Rammstein scheitert schon daran, dass keinem Mitglied der Band strafbare Handlungen im Rahmen der eigentlichen Konzerte vorgeworfen wurden – im Gegensatz zu den Aftershow-Parties. Aktuell laufen Ermittungen gegen Till Lindemann, aber ob es zu einer Anklage oder einem Gerichtsverfahren kommt, ist völlig offen.
Verfechter von Konzertverboten sollten sich auch folgende Frage stellen: Angenommen, Deutschland hätte in der Zukunft eine weniger liberale Regierung, wäre es wirklich wünschenswert, wenn diese Regierung aus ihrer Sicht unliebsame Auftritte einfach verbieten könnte? Ist es nicht gerade Voraussetzung einer liberalen, offenen Gesellschaft Kontroversen und Debatten zu führen und widerstreitende Meinungen zu tolerieren?
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