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"Künstler brauchen neue Komplizen"

Sten Servaes (Klee) über die Gründung des "C11 Cologne Composing Collective" und warum sich Künstler zusammentun müssen

Interview von Ole Löding
veröffentlicht am 05.03.2019

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Sten Servaes (Klee) über die Gründung des "C11 Cologne Composing Collective" und warum sich Künstler zusammentun müssen

"Künstler brauchen neue Komplizen", sagt Sten Servaes, Songschreiber und Keyboarder der Band KLEE. © Mischa Lorenz

Namhafte Musiker haben in Köln das "C11 – Cologne Composing Collective" gegründet. Mit Gründungsmitglied Sten Servaes – Songschreiber und Keyboarder der Band KLEE – sprachen wir über die Ziele, Veränderungen des Musikbusiness und warum sich Künstler zusammentun müssen.

Die Musikindustrie und mit ihr das Musikerleben wandeln sich in einem rasanten Tempo. Sowohl im Konzert- und Festivalgeschäft als auch bei den Majorlabels konzentriert sich der Markt auf immer weniger Mitspieler. Streaming stellt den gesamten Musikmarkt auf den Kopf, aber bislang monetarisieren sich Plays nicht ausreichend. Steigende Mieten verknappen den verfügbaren Platz für Proberäume, Auftrittsorte und Aufnahmestudios.

Und der Aufstieg Berlins zum Zentrum der bundesdeutschen Kreativindustrie verdeckt zunehmend den Blick auf die vielen innovativen Macherinnen und Macher abseits der Hauptstadt. Newcomer, aber auch etablierte Künstler müssen sich auf veränderte Bedingungen einstellen, um in Zukunft von ihrer Musik leben zu können.

Als Reaktion auf all diese Entwicklungen haben nun prominente Kölner Komponisten und Produzenten das C11 – Cologne Composing Collective gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern zählen die DJ- und Minimal-Legende Hans Nieswandt, der Songwriter Johannes Stankowski (Werle & Stankowski, "Alles wird Grün"), Robert Drakogiannakis von Angelika Express, Martell Beigang von Schank und der Produzent und Erdmöbel-Bassist Ekki Maas.

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Das "Cologne Composing Collective" (C11), © C11-Webseitenscribble

C11 versteht sich als Netzwerk, Sprachrohr der Künstler gegenüber Politik und Kreativwirtschaft, als Musikagentur und als Freiraum für kreativen Austausch. Sten Servaes von KLEE nahm sich die Zeit, uns ein paar Nachfragen zu beantworten.

"Man muss die Vielfalt sichtbar machen"

Backstage PRO: Was war für dich der Anlass, C11 mit zu gründen und dich in einem solchen Zusammenschluss zu engagieren?

Sten Servaes: Mich persönlich hat immer wieder der eingeschränkte Blick von außen auf die Kölner Musikwelt geärgert. Die häufige Verengung auf die Mundart-Bands verdeckt, wie viele tolle Sachen hier daneben eben auch passieren. Bands wie wir mit Klee oder auch PeterLicht wurden und werden zum Beispiel in der Außensicht ja oft sogar nach Berlin verortet, weil wir nicht nach Karneval klingen. Diese schiefe Wahrnehmung war eine der Initialzündungen für die Gründung von C11. Wir saßen bei einem Bier zusammen und dachten uns: Man muss die Vielfalt dieser Stadt doch mal irgendwie sichtbar machen.

Backstage PRO: Weil ihr auch mit so vielen anderen Musikerinnen und Musikern zusammenarbeitet?

Sten Servaes: Ja. Das fiel in dem Moment zusammen mit der Arbeit an unserem kommenden Klee-Album in den Gottesweg Studios. Dort haben die unterschiedlichsten Leute ihr Studio, Roosevelt saß nebenan bei der Band Von Spar, Keshav Purushotham von Keshavara und Timid Tiger sowie etliche andere Kollegen. Immer wieder kam wer rein und dazu, man tauschte sich aus, manche spielten auch spontan etwas mit ein.

Dieses unkomplizierte kollegiale Miteinander war eine tolle und beflügelnde Erfahrung, die ich in solcher Form in anderen Städten auch nicht erlebt habe. Hier wird auch nicht für jede Handreichung gleich eine Rechnung geschrieben (lacht).

Jedenfalls entstand daraus die Idee, dass man dieses besondere Umgehen miteinander auch mal offensiver nach außen tragen sollte. Und alle, die wir dann adhoc angesprochen und denen wir von der Idee erzählt haben, selbst Leute wie Hans Nieswandt, die ja ganz andere Musik machen und auch schon in tausend Projekten stecken, waren sofort dabei. Los ging es mit einer Webseite, und die c/o Pop gab uns die Möglichkeit, C11 bei ihrer 15. Ausgabe im letzten August zu präsentieren. Aber auch das Referat für Popkultur und Filmkultur der Stadt Köln zeigte sich begeistert und unterstützt uns.

"Viele Finanzierungsmodelle sind futsch"

Backstage PRO: Welche Ziele verbindet ihr mit C11 über die bessere Außendarstellung hinaus und wohin soll sich dieses Projekt entwickeln?

Sten Servaes: Hans Nieswandt, der ja in Bochum auch das Institut für Populäre Musik der Folkwang Universität leitet, wird nicht müde zu betonen, dass Künstler in Zeiten wie diesen ‚Komplizen‘ brauchen, um kreativ arbeiten zu können. Komplizen wie Plattenfirmen oder Verlage, die zum Beispiel als Geldgeber fungieren, damit man überhaupt in der Zeit des Schreibens und Aufnehmens seine Miete bezahlen kann. Aber auch ‚Komplizen‘ wie die Musikpresse als Support. Im Augenblick brechen nach und nach nahezu alle diese ‚Komplizen‘ weg. Viele vorherige Finanzierungsmodelle zum Kunstschaffen sind mittlerweile futsch, andere wie das Streaming funktionieren noch nicht so recht.

Backstage PRO: Was ist mit öffentlicher Förderung?

Sten Servaes: Öffentliche Gelder für Popmusik gibt es kaum und die vorhandenen Mittel, zum Beispiel in der Filmförderung oder Filmmusikförderung, gehen oft direkt nach Berlin, weil dort die Strukturen stärker sind und ein direkterer Draht zur Politik besteht. Also ist es eigentlich unausweichlich, dass Künstler anfangen, Tätigkeiten, die früher die o.g. Komplizen gemacht haben, selbst zu übernehmen. Dafür braucht es aber kollektive Strukturen.

Was die Ziele betrifft: Noch sind wir ja am Anfang und auch für uns ist vieles neu. Ich kann mir aber vorstellen, dass sich C11 in Zukunft auch in Richtung Verlags- oder Labelstrukturen entwickelt. Das Kuratieren von eigenen Veranstaltungsreihen, um die Vielfalt in der Stadt zu zeigen oder auch das Publizieren popkultureller Zusammenhänge sind weitere Ansätze. Auch wollen wir natürlich Newcomer fördern. Im Augenblick ist alles noch sehr offen und mitgestaltbar, das macht es für mich aber auch so spannend.

"Gemeinsam hat man mehr Impact"

Backstage PRO: Es ist mühsam und anstrengend, Anträge zu schreiben, sich mit dem Zuwendungsrecht zu beschäftigen, Projektgelder zu beantragen. Da schrecken viele Newcomer zurück. Wie geht es euch damit?

Sten Servaes: Ja, auch wir müssen uns viele Kompetenzen erst einmal erarbeiten und uns bei der unvermeidlichen Bürokratie ebenfalls neue ‚Komplizen‘ suchen. Aber das fällt in einer Gemeinschaft natürlich ungleich leichter. Schon allein, weil man gemeinsam natürlich mehr Impact hat, der Kulturpolitik oder Fördergeldgebern gegenüber beispielsweise. Unser Ziel ist es in jedem Fall, C11 zu erweitern und – ganz wichtig – vor allem auch den Frauenanteil deutlich zu erhöhen. Dass wir Gründungsmitglieder alle schon seit einiger Zeit in der Branche dabei sind und auch gewisses Know-How angesammelt haben, ist natürlich ein guter Motor. Es existiert also schon ein Team, das mit Rat und Tat zur Seite stehen kann.

Dahinter steht eben die Grundüberzeugung, dass wir selbst etwas machen und anschieben müssen. Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass frühere ‚Komplizen‘ oder eben auch die Politik für uns die Schwierigkeiten lösen, die die Umbrüche in der Musikindustrie mit sich bringen. Das müssen wir schon selbst in die Hand nehmen und selbst Komplizen werden.

Backstage PRO: Danke Sten für das interessante Gespräch!

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