×

"Die meisten reagieren positiv und freuen sich über klare Regeln"

2G? 3G? Egal! Clubs erleben Ansturm auf Partys, Zurückhaltung bei Konzerten

Spezial/Schwerpunkt von Live Musik Kommission (LiveKomm)
veröffentlicht am 12.11.2021

liveszene coronakrise ticketing schlachthof wiesbaden claus berninger axel ballreich felix grädler livekomm

2G? 3G? Egal! Clubs erleben Ansturm auf Partys, Zurückhaltung bei Konzerten

Der Run auf Partys ist ungebrochen, bei Konzerten herrscht dagegen eine Flaute. © Edoardo Tommasini via pexels.com

Während bundesweit über 2G oder 3G diskutiert wird, stehen Clubbesitzer und Veranstalter vor einer neuen Realität: Der Ansturm auf (2G-)Partys ist ungebrochen, aber beim Kauf von Konzertkarten sind die Besucher aktuell zurückhaltend.

Clubbesitzer stehen aktuell vor einem Dilemma: Viele Bundesländer erlauben Veranstaltungen unter Vollauslastung aktuell nur mit 2G-Regelung. Andere Bundesländer haben entsprechende Regelungen angekündigt oder sind dabei sie umzusetzen.

Für die Clubs bedeutet das, nur Genesene und Geimpfte haben Zutritt - nicht aber Getestete. Anders als manche Besucher glauben, haben die Betreiber nicht die Wahl, ob sie vollbesetzte Partys oder Konzerte unter 2G oder 3G veranstalten wollen. Wenn sie ihren Club oder ihre Halle bis auf den letzten Platz füllen wollen, geht das vielerorts nur mit 2G. 

Begeisterung über 2G vor Ort

Wie aber reagiert das Publikum darauf? Nach Gesprächen mit Clubbetreibern aus verschiedenen Bundesländern sowie mit Vertretern des bundesweiten Clubverbands LiveKomm ergibt sich ein überwiegend einheitliches Bild.

Die Besucher sind dankbar für die Klarheit, die durch die 2G-Regel geschaffen wurde und nehmen entsprechende Angebote, insbesondere für Partys, gerne an. Beschwerden vor Ort sind äußert selten, im Gegenteil: die meisten Besucher befürworten die Vorgehensweise.

So erklärt Hendrik Seipel-Rotter vom Schlachthof Wiesbaden: "Die Gäste vor Ort finden das großartig, die feiern mit uns und freuen sich, dass es endlich wieder Veranstaltungen gibt." Die Impfquote beim Publikum sei sowieso hoch, das hätten die Picknick-Konzerte im Sommer gezeigt:

"Für diese Konzerte mussten wir ebenfalls eine Kontaktnachverfolgung durchführen. Beim ersten Picknick-Konzert waren 70% geimpft oder genesen, beim letzten schon 90%. Daher haben wir uns getraut zu sagen: Unsere Gäste sind größtenteils geimpft. Und genau das nehmen wir jetzt auch wahr."

Kaum negative Reaktionen

Negative Reaktionen tatsächlicher Besucher sind auch in anderen Clubs außerordentlich rar. Claus Berninger, Inhaber des Colos-Saals in Aschaffenburg verschickt stets einen Newsletter, der die beeindruckende Zahl von 50.000 Empfängern erreicht.

Regelmäßig führt der Newsletter zu einem starken Anstieg der Reservierungen oder Kartenkäufe im Buchungssystems des Colos-Saals. Nach dem letzten Versand, so erklärt Berninger, reservierten oder kauften 500 Besucher Karten, während 5 eine Beschwerdemail schrieben, eine Quote von 1% der Käufer oder 0,01% der Empfänger.

Felix Grädler von der halle02 in Heidelberg erklärt ebenfalls, kaum ein Besucher habe seine Karte zurückgegeben, auch wenn eine ursprünglich anders geplante Veranstaltung unter 2G-Regeln stattgefunden hätte. 

Hater "nur" im Internet

Im Internet zeigt sich teilweise ein anderes Bild. Nach der Ankündigung nur noch 2G-Events zu veranstalten, mussten die Betreiber sich massiver Kritik auf Facebook oder anderen Social-Media-Plattformen stellen. 

Viele Verantwortliche zweifeln aber stark daran, dass es sich bei den vornehmlich auf Social Media aktiven Kritikern tatsächlich um regelmäßige oder auch nur gelegentliche Besucher ihres Clubs handelt. 

Felix Grädler hat sich die Profile der 2G-Kritiker näher angesehen und bezweifelt, dass sie jemals die halle02 besucht haben. Jedenfalls besteht zwischen ihrer Kritik und dem Verhalten derjenigen, die aktuell Veranstaltungen besuchen, keine Gemeinsamkeit: “Von Gästen habe ich Kritik an 2G nur selten gehört, im Gegenteil, die meisten reagieren positiv und freuen sich über klare Regeln.”

Hoher organisatorischer Aufwand

Wenn Besucher vor Ort Kritik äußern, dann nicht am 2G-Modell, sondern an den teilweise langen Wartezeiten, die auf den erhöhten Kontrollaufwand zurückzuführen sind. Clubs wie der Schlachthof Wiesbaden setzen daher auf digitale Lösungen, um den Einlassprozess zu beschleunigen und das Personal bei Kontrollen zu entlasten. 

Der Schlachthof akzeptiert daher nur den Impfnachweis durch Corona-Warn-App oder CovPass sowie alternativ einen ausgedruckten Impfnachweis mit scanbarem QR-Code (plus Identitätsnachweis), nicht aber die leicht zu fälschenden gelben Impfausweise. Das entlastet nicht nur die Security, sondern befreit sie auch von der unmöglichen Aufgabe die Impfausweise auf Echtheit zu überprüfen. 

Die Kontaktnachverfolgung erfolgt per Corona-Warn- oder Luca-App, wobei der Schlachthof auch Kontaktformulare zum Ausdrucken und Mitbringen auf seiner Homepage bereitstellt. 

Run auf Partys, Zurückhaltung bei Konzerten

Während die Gäste nach fast eineinhalb Jahren Zwangspause großen Nachholbedarf an Partys haben, sind sie aktuell beim Kauf von Konzertkarten zurückhaltend, vor allem wenn diese Konzerte erst weit in der Zukunft stattfinden. 

Im Gegensatz zu Partys, die häufig sogar ausverkauft sind, liegt die Nachfrage nach Konzertkarten unter den Vergleichszahlen der Jahre vor Corona. 

In Zahlen ausgedrückt heißt das: Vor der Einführung von 2G hat der Schlachthof im Verlauf der Corona-Pandemie lediglich 5-10% der üblichen Karten verkauft. Die aktuelle Rate beträgt zwischen 20 und 100%, letztere Zahl wird aber aktuell fast ausschließlich bei Partys erreicht. 

"Konzerte in ferner Zukunft sind noch nicht auf dem Niveau, wie sie mal waren," resümiert Seipel-Rotter. Der Verkauf von Konzertkarten laufe "schleppend", erklärt auch Axel Ballreich, Mitinhaber des Musikclubs Hirsch in Nürnberg und Vorsitzender der LiveKomm.

Der fehlende Konzertbesucher

Das macht sich auch an einem anderen Phänomen bemerkbar. Bei einigen Konzerten erscheinen zwischen 20 und 40% der Kartenkäufer nicht zum eigentlichen Konzert, berichtet Axel Ballreich. Vor Corona habe diese Quote weniger als 5% betragen. 

Das sei, so Ballreich, "ein ziemliches Drama", da es sich bei fast allen dieser Veranstaltungen um verschobene Konzerte handele. Das habe zur Folge, dass die Besucher nach deutschem Recht eine dreijährige Frist zur Rückgabe der Konzertkarten gegen volle Rückerstattung des Ticketpreises hätten. In England betrage diese Frist sogar fünf Jahre.

Ein Problem, mit dem Veranstalter leben müssen, könnte man meinen. Tatsächlich ist aber die hohe Quote an "No-Shows" auch für die Künstler problematisch, wenn der Veranstalter eine prozentuale Abrechnung mit den Künstlern vereinbart hat. 

Der Abrechnungsprozess erstreckt sich dann über Monate, weil völlig unklar ist, wie viele der nicht-erschienenen Besucher noch von ihrem Rückgaberecht Gebrauch machen.  Tatsächlich “spenden” viele Zuschauer auch ihre Karte, wenn sie nicht kommen können oder wollen, weil sie um die schwierige Lage der Branche wissen. 

Warum die Besucher eine Karte erworben haben, aber nicht das Konzert besuchen, ist nicht klar. Claus Berninger führt das auf die immer noch anhaltende Verunsicherung bezüglich der Pandemie zurück. Gleichzeitig bemerkt er bei anderen Konzerten eine annähernde Rückkehr zur Vor-Corona-Realität. Ein eindeutiges Muster vermag er noch nicht zu erkennen.

Rückkehr zu Normalität verzögert sich

Anders gesagt ist das Problem der Clubs aktuell nicht, dass die wenigen ungeimpften Erwachsenen keine Karten kaufen, sondern dass ein Teil des (geimpften) Stammpublikums aus Vorsicht keine Konzerte besucht.

Steigende Inzidenzen hätten in den vergangen Tagen schon dazu geführt, dass beunruhigte Käufer bereits erworbene Karten für Konzerte im Colos-Saal zurückgegeben haben, so Claus Berninger. 

Es erscheint daher wahrscheinlich, dass sich die Rückkehr zur Normalität verzögert. Felix Grädler rechnet nicht vor Herbst 2022 mit einer weitgehenden Normalisierung der Lage. Angesichts des aktuellen Runs auf Partys warnt er zur Vorsicht. Grädler sieht darin ein "Strohfeuer" und plädiert für nachhaltige Planung. Die aktuelle Entwicklung scheint seine Einschätzung zu bestätigen.

Unternehmen

Live Musik Kommission (LiveKomm)

Verband der Musikspielstätten in Deutschland e.V.

Locations

Colos-Saal

Colos-Saal

Roßmarkt 19, 63739 Aschaffenburg

Schlachthof

Schlachthof

Murnaustr. 1, 65189 Wiesbaden

halle02

halle02

Zollhofgarten 2, 69115 Heidelberg

Der Hirsch

Der Hirsch

Vogelweiherstrasse 66, 90441 Nürnberg

Ähnliche Themen

Veranstalter: Unsicherheit bei Konzertgängern belastet Ticketverkauf

"Es dauert, bis das Vertrauen zurückgekehrt ist"

Veranstalter: Unsicherheit bei Konzertgängern belastet Ticketverkauf

veröffentlicht am 15.04.2022   3

Axel Ballreich (LiveKomm) zu Club-Schließungen: "Mehr Ansteckungen bei illegalen Partys"

Passgenaue Hilfen benötigt

Axel Ballreich (LiveKomm) zu Club-Schließungen: "Mehr Ansteckungen bei illegalen Partys"

veröffentlicht am 23.12.2021   1

Neue Corona-Regeln in allen Bundesländern – das sind die Auswirkungen auf die Kultur (Update!)

Befristet bis zum 15. Dezember

Neue Corona-Regeln in allen Bundesländern – das sind die Auswirkungen auf die Kultur (Update!)

veröffentlicht am 23.11.2021   4

Newsletter

Abonniere den Backstage PRO-Newsletter und bleibe zu diesem und anderen Themen auf dem Laufenden!