"Es dauert, bis das Vertrauen zurückgekehrt ist"
Veranstalter: Unsicherheit bei Konzertgängern belastet Ticketverkauf
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Keine Überraschung: Der Kartenverkauf für Open Air Events läuft besser als für Hallenshows. © Torsten Reitz
Im Herbst 2022 veröffentlichten wir einen Artikel mit dem Titel "2G? 3G? Egal! Clubs erleben Ansturm auf Partys, Zurückhaltung bei Konzerten". Bevor steigende Infektionszahlen zur Schließung von Clubs und Diskotheken und zur Absage vieler Partys und Konzerte führten, erlebten Veranstalter ein kurzes Zwischenhoch. Damals erwiesen sich vor allem Partys als Verkaufsschlager, während bei Konzerten größere Zurückhaltung herrschte.
Run auf Events für junge Leute
Ein knappes halbes Jahr später zeigt sich ein ähnlicher Trend. Wie uns Veranstalter berichten, läuft der Vorverkauf für Veranstaltungen am besten, die sich primär an junges Publikum richten. Das gilt insbesondere für Partys, wobei es nicht auf Themen, Musikstile oder Zielpublikum ankommt.
Laut Axel Ballreich vom Concertbüro Franken sind die Besucher bei Partys auch beim Konsum von Getränken alles andere als zurückhaltend, was sich in einem überraschend hohen Pro-Kopf-Umsatz zeige. Trotz zahlreicher Preissteigerungen in allen Bereichen des Lebens zögern die Partygäste offensichtlich nicht damit, Geld auszugeben.
In Hinblick auf Club- und Hallenkonzerte sei die Nachfrage ebenfalls für Veranstaltungen am größten, die sich an junge Zuschauer richten. Das betreffe beispielsweise Konzerte aus dem Deutschrap-Bereich.
Last Chance to see?
Gefragt sind auch Konzerte von berühmten Bands, bei denen es nicht klar ist, wie häufig sie noch live zu sehen sein werden bzw. Veranstaltungen, die über ein Image der Exklusivität verfügen, da die entsprechenden Acts nicht jedes Jahr in Deutschland live zu sehen sind.
So haben die Rolling Stones den überwiegenden Teil ihrer Karten für ihre Stadionkonzerte in München und Gelsenkirchen verkauft und auch die Konzerte von Coldplay oder Ed Sheeran sind gut verkauft oder sogar ausverkauft.
Eine Größenordnung kleiner ist das für ca. 10.000 Besucher geplante Open Air-Konzert von Deep Purple bei "Lieder am See" in Enderndorf (Mittelfranken), das vom Concertbüro Franken veranstaltet wird. Dennoch ist die Nachfrage nach Karten für das Event so groß, dass die Veranstalter laut Geschäftsführer Axel Ballreich über eine Erweiterung des Geländes nachdenken.
Lieber Draußen als Drinnen
Open-Air-Konzerte verkaufen sich grundsätzlich besser als Veranstaltungen in Clubs oder Hallen, berichtet Axel Ballreich. Das bedeutet aber nicht, dass keine Unterschiede spürbar sind.
Ältere Besucher seien beim Kartenkauf zurückhaltender, während Konzerte im Metal- oder Punkrock-Bereich (wie die Broilers) aktuell besser liefen, erklärt Benjamin Metz, der als Booker für zahlreiche Open Air-Festivals und Konzertreihen in Südwestdeutschland verantwortlich ist (u.a. für den Gießener Kultursommer und das DaCapo Festival in Alzey).
Der lange Weg zurück in die Normalität
Die Veranstaltungen liefen wieder an, aber bis zum Erreichen der Normalität brauche es einfach noch etwas Zeit, so Metz. "Die Leute müssen wieder einfach wieder Vertrauen fassen, dass die Veranstaltungen stattfinden - und dass sie ihr Geld zurückerhalten, wenn sie nicht stattfinden."
Ähnlich sieht es Hendrik-Seipel-Rotter, Pressesprecher des Schlachthofs in Wiesbaden: "Es ist nicht verwunderlich, dass nach zwei Jahren Pandemie und zigfachen Verschiebungen erst einmal Vertrauen zurückgewonnen werden muss und dass Veranstaltungen auch tatsächlich stattfinden, wenn sie angekündigt werden."
Verlässliche Aussage von Seiten der Veranstalter sind dabei entscheidend, findet Claus Berninger, Inhaber des Colos-Saals in Aschaffenburg: "Immer wenn wir Klarheit über die Bedingungen schaffen konnten, unter denen Konzerte stattfinden könnten, hat sich das Publikum eingefunden und wieder Karten gekauft".
Lieber später als jetzt
Während der Vorverkauf für Shows, die erst in einigen Monaten stattfinden sollen, nach den übereinstimmenden Aussagen aller Veranstalter einigermaßen befriedigend läuft, zögern viele Musikfans Karten für Konzerte zu erwerben, die schon in den nächsten Wochen stattfinden sollen und die in der Regel bereits mehrfach verlegt wurden.
Besonders schwach sei die Nachfrage für Hallenshows in der Größenordnung von 1.500 bis 5.000 Besuchern. Axel Ballreich nennt als Beispiel das mehrfach verschobene Konzert von The Sisters Of Mercy, das eigentlich vor 1.500 Besuchern im ausverkauften Löwensaal in Nürnberg hätte stattfinden sollen.
Aufgrund von Renovierungsmaßnahmen wurde es aber in die größere Stadthalle Fürth verlegt, wodurch noch einmal Karten verfügbar wurden. Trotz intensiver Werbemaßnahmen verkauften die Veranstalter in den vergangenen zwei Wochen aber nur etwas mehr als 150 zusätzliche Tickets - weitaus mehr wären möglich gewesen.
Unter den Erwartungen
Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Schlachthof Wiesbaden. Während der Club geschlossen war, lag der Kartenverkauf bei lediglich 5% des Normalniveaus. Seit der Wiedereröffnung stieg dieser Wert auf immerhin 30% des normalen Kartenverkaufs.
So erfreulich diese Entwicklung sei, sie reiche nicht aus, um viele der in den nächsten Wochen anstehenden Konzerte profitabel zu gestalten. “Darunter, dass in den Schließungszeiten nahezu keine Karten gekauft wurden, leiden vor allem Konzerte der nächsten Wochen, die teilweise weit unter Erwartung liegen. Das können wir auch nicht mehr aufholen, da können wir noch so viel Werbung machen", erklärt Hendrik Seipel-Rotter.
Für Clubs wie den Schlachthof, die zum Regelbetrieb ohne Kapazitätsbeschränkungen zurückgekehrt sind, ist das ein großes Problem: Hilfsprogramme, die Verluste bei Konzerten nur dann ausgleichen, wenn die Kapazität reduziert ist, greifen in solchen Fällen schlichtweg nicht.
Hohe No-Show-Quote
Benjamin Metz berichtet, bei älteren Events hätten die zahlreichen Verschiebungen Zweifel bei Konzertbesuchern geweckt, ob ihre Karten noch gültig seien bzw. ob die Veranstaltungen wirklich stattfinden, weshalb sie entsprechende Nachfragen stellen. Grundsätzlich gelte aber, dass Karten für nur verschobene Veranstaltungen weiterhin gültig sind.
Das zeigt sich auch in hohen “No-Show-Quoten”, also einer hohen Zahl von Ticketkäufern, die zu einem anstehenden Event nicht erscheinen. Laut Hendrik Seipel-Rotter beträgt diese Quote bis zu 25%. Normal seien unter 5%. Ein beträchtlicher Teil der Besucher gibt allerdings seine Karten nicht gegen Erstattung des Kaufpreises zurück, sondern betrachtet sie laut entsprechenden Äußerungen als "Spende" an Künstler, Clubs und Veranstalter, wie Claus Berninger stellvertretend für viele bayerische Clubs berichtet.
Andere Besucher haben möglicherweise nicht auf dem Schirm, dass eine mehrfach verlegte Show stattfindet oder sie haben die Karten verloren oder keinen Zugriff mehr darauf. Schließlich gibt es sicherlich auch Besucher, die wegen gesundheitlicher Risiken auf den Besuch von Konzerten verzichten.
Viele Gründe für die Zurückhaltung
Axel Ballreich vermutet, dass manche Besucher erst einmal die Karten für mehrfach verschobene Events benutzen wollen, bevor sie neue Karten erwerben. "Es gibt durchaus Zuschauer, die sich melden und erklären, sie hätten Konzertkarten für 500 Euro zu Hause und wollten erst abwarten."
Andere sind aufgrund gesundheitlicher Bedenken oder wegen der Aufhebung der meisten Corona-Maßnahmen zurückhaltend mit dem Kauf von Konzertkarten. Das Gegenteil seien Besucher, die keine Konzerte besuchen wollte, solange dort Maskenpflicht gelte: "Ich erwarte, dass diese Besucher jetzt wieder kommen", erklärt Ballreich.
Kurz vor der Rückkehr zur Normalität?
Benjamin Metz glaubt, das deutsche Publikum brauche im Vergleich zu Engländern und Amerikanern aufgrund der späteren Aufhebung der Corona-Maßnahmen erst noch etwas Zeit, bevor sich herumgesprochen habe, dass Konzerte wieder im üblichen Rahmen stattfinden.
In England und den USA laufe der Vorverkauf besser, weil die Leute einfach wieder besser im Rhythmus seien. Metz erwartet, dass sich in einigen Wochen auch in Deutschland eine ähnliche Entwicklung abzeichnet.
Unklarer Trend
Uneinigkeit gibt es über die Frage, ob sich ein positiver Trend abzeichnet. Axel Ballreich sieht bestenfalls einen leicht positiven Entwicklung, während Benjamin Metz berichtet, dass die Nachfrage "merklich anzieht".
Einigkeit besteht aber in einem anderen Punkt: "Wir freuen uns, dass es wieder losgeht, aber die Gesamtsituation bleibt herausfordernd", erklärt Benjamin Metz.
Das zwinge die Veranstalter zu besonderem Einsatz, den er freilich gerne leistet: "Ich sehe das sportlich. Ich lasse die Shows nicht auf mich zukommen, sondern versuche früher als in der Vergangenheit Werbung zu machen und gemeinsam mit den Künstlern Gas für die Shows zu geben."
Hendrik Seipel-Rotter sieht das ähnlich: "Wir freuen uns riesig, dass unsere Gäste endlich die Shows besuchen können, für die sie seit Monaten, wenn nicht Jahren, Karten am Kühlschrank hängen haben. An dieser Stelle noch einmal danke an alle, die Karten aufgehoben und nicht zurückgegeben haben. Es wird ein intensives Konzertjahr."
Personen
Benjamin Metz
Booking Manager, Event- & PR-Management aus Darmstadt
Locations
Colos-Saal
Roßmarkt 19, 63739 Aschaffenburg
Schlachthof
Murnaustr. 1, 65189 Wiesbaden
Löwensaal
Schmausenbuckstrasse 166, 90480 Nürnberg
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