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Katastrophale Zustände

Die Auswirkungen des Brexits treffen britische Künstler hart

Spezial/Schwerpunkt von Christian Grube
veröffentlicht am 18.11.2022

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Die Auswirkungen des Brexits treffen britische Künstler hart

Frank Turner, hier bei einem Aufritt beim Highfield Festival 2019. © Christian Grube

So schlecht die Lage der Live-Branche in Deutschland ist – in Großbritannien ist sie noch schlechter. Dazu tragen auch die Sonderbelastungen von Musikern durch den Brexit bei. Wir haben mit britischen Musikern wie Frank Turner und Midge Ure (Visage, Ultravox) über die Folgen gesprochen.

Der Brexit liegt nun fast zwei Jahre zurück, aber britische Künstler leiden nach wie vor unter den dramatischen Folgen dieser beispiellosen Fehlentscheidung.

Besonders bitter: Zahlreiche britische Künstler hatten im Vorfeld massive Bedenken, die sich vollauf bestätigt haben. Das bestätigen bekannte britische Künstler wie Midge Ure (Ultravox, Visage) und Frank Turner gegenüber Backstage PRO.

Nur ein Hoffnungsschimmer

Frank Turner sieht die gesamte Live-Industrie im UK aus aus vielen verschiedenen Gründen in ihren Grundfesten erschüttert. Die Probleme sind teilweise dieselben wie auf dem Kontinent: Die Besucherzahlen seien allgemein um etwa 40-50 Prozent zurückgegangen, abgesehen von sehr großen Shows von Superstars. 

Gleichzeitig seien die Ticketpreise für die größeren Shows stark gestiegen, wozu auch dynamische Preise beitragen, deren Rolle Frank Turner als verhängnisvoll beurteilt. Zudem scheuten viele Menschen noch davor zurück auszugehen, während andere ihre Freizeitgestaltung grundlegend verändert hätten.

Ein weiterer Faktor sei die Inflation, die Menschen zwinge, ihr Geld zusammenzuhalten, weshalb sie weniger Konzerte besuchten. Nur einen Aspekt beurteilt Frank Turner positiv:

"Der Silberstreif am Horizont ist, dass die Atmosphäre bei den Shows dieses Jahr verrückt war, die Leute sind sehr dankbar, dort zu sein. Aber es ist kein sonniger Moment für die Live-Industrie und es sieht nicht so aus, als ob es die nächsten 5 oder 10 Jahre besser wird."

Bürokratie und ihre Kosten

Ganz ähnlich beurteilt Live Aid-Mitorganisator und Visage bzw. Ultravox-Sänger Midge Ure die Lage. Im Rahmen seiner "Voice & Vision"-Tour äußerte er sich wie folgt:

"Es ist so wunderbar wieder auf Tour zu sein und das zu tun was ich am Besten kann. Es ist aber auch ziemlich strange, dass Shows nicht mehr 'erlaubt' werden müssen."

Allerdings sei die Lage der Live-Branche insgesamt sehr schwierig, so Midge Ure. Für als britischen Künstler kämen zudem die Auswirkungen des Brexits hinzu:

"Der Einfluss des Brexits auf meine Arbeit ist enorm und verbessert hat er gar nichts. Die zusätzliche Bürokratie ist für meine Crew ein Albtraum und verursacht hohe Kosten. Als Beispiel: Mein Merchandise liegt über zwei Wochen beim Zoll in Köln. Ich habe fast kein Vinyl mehr für die weitere Tour, und das alles mit der Post nachsenden zu lassen, wird noch viel teurer. Dadurch muss ich nun meinen Online-Shop schließen und warten, bis sich die Dinge von selbst regeln. Es ist ein Albtraum und die britische Regierung ignoriert das."

Die massive Kostensteigerung wird auch von Michael Schmidt, dem Präsidenten der Britischen Handelskammer in Deutschland bestätigt:

 "Der Brexit hat im Jahr 2021 – wie befürchtet – zu signifikant höheren Kosten für Verwaltung, Logistik, Zölle, Finanzierung und IT-Anpassungen bei gleichzeitig gesunkenen Umsatzerlösen geführt".

Diesen Umstand erleben jetzt britische Musiker, wenn sie in Kontinentaleuropa auf Tour gehen.

Die Kleinen leiden am meisten

Frank Turner versucht ein realistisches Bild des gestiegenen Aufwands zu zeichnen:

"Der Brexit hat nicht geholfen, um es milde auszudrücken. Die Pandemie hat dazu geführt, dass viele Regeln und Vorschriften nicht sofort ausgearbeitet wurden, da während der Lockdowns niemand unterwegs war, also ist alles aktuell ziemlich chaotisch. Aufgrund des Niveaus, auf dem ich auf Tour bin, betrifft mich das nicht sehr – obwohl mein Produktionsleiter einen weiteren Tag damit verbringen muss, an der Logistik zu arbeiten. Aber für kleinere Bands halte ich es für tödlich. Viele europäische Festivals zögern auch, britische Bands zu buchen, was schwierig ist."

Zahlreiche britische Künstler lassen ihr Merchandise in der EU herstellen, um zu vermeiden, dass der Zoll ihnen in die Quere kommt, berichtet Frank Turner. Grund seien die beklagenswerten Zustände an den Grenzen:

"In der Praxis haben derzeit viele Grenzschutzbeamte oder Zöllner buchstäblich keine Ahnung, was die Regeln sind oder wie sie sein sollen. Es herrscht das totale Chaos. Viele Bands bringen viel Zeit und Geld auf um sicherzustellen, dass alles rechtlich korrekt ist – und dann überprüft niemand etwas wie früher. Es ist ein Witz."

Frank Turner hat nicht viel Hoffnung, dass sich an der Situation etwas ändert. Er befürwortet Ausnahmen insbesondere für kleinere Acts beim Grenzübertritt, damit die hohen Kosten nicht eine Tour auf dem europäischen Festland zum Verlustgeschäft machen. 

Was sagen die Befürworter?

Aber wie gehen diejenigen Musiker mit den Problemen um, die den Brexit befürworteten? Dazu zählt beispielsweise Bruce Dickinson, Frontmann von Iron Maiden. Er zeigte sich schon 2021 unzufrieden über die Folgen des Brexits:

"Es ist ja bekannt, dass ich für den EU-Austritt gestimmt habe, weil ich dachte, er bringe viel Flexibilität. Doch wir Künstler als größter UK-Export können bei der ganzen Bürokratie nicht einfach raus und spielen." 

Seine Aufforderung an die britische Regierung, mit europäischen Staaten über Erleichterungen für britische Künstler zu verhandeln, brachte ihm viel Kritik und Spott von denjenigen ein, die darauf verwiesen, dass sich Briten vor dem Brexit dank des Europäischen Binnenmarktes unbehelligt in der EU bewegen und dort arbeiten durften. Ein Twitter-User spottete: 

"Das klingt, als wolle er, dass Großbritannien und die europäischen Länder eine Art Abkommen schließen, um den freien Verkehr von Menschen, Waren und Dienstleistungen zu ermöglichen, fast so, als könnten wir eine Union der europäischen Länder gründen und als Teil davon einen Binnenmarkt schaffen."

Keine einfache Lösung

Die Berichte von Frank Turner und Midge Ure verdeutlichen, wie unentbehrlich für viele Künstler nicht nur der freie Verkehr von Personen, sondern auch von Waren ist. Wenn Merchandise beim Zoll feststeckt oder zahllose Dokumente für die Einfuhr von Waren ausgefüllt und eingereicht werden müssen, verursacht das hohe Kosten, die letztlich zu Lasten der Einkünfte der Künstler gehen. 

Diese Auswirkungen des Brexits sind ein Problem, für das es keine einfache Lösung gibt, denn die EU kann Nicht-Mitgliedern nicht die gleichen Vorzüge bieten wie Mitgliedern. Großbritannien hat sich aber gerade gegen die Mitgliedschaft entscheiden – und diese Entscheidung hat eben Folgen.

Ob begrenzte Ausnahmen für Künstler im beiderseitigen Reise- und vor allem Warenverkehr möglich sind, müssen Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU ergeben. Da sie aber nicht einfach und schnell umzusetzen sind, werden britische Künstler noch lange mit den Folgen kämpfen.

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