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"Im Studio kaufst du nicht nur Zeit"

Jens Siefert (RAMA Studio) über die Vorteile von Aufnahmen im Profi-Tonstudio

Interview von Mario Rembold
veröffentlicht am 29.06.2018

rama recording tonstudio

Jens Siefert (RAMA Studio) über die Vorteile von Aufnahmen im Profi-Tonstudio

The Tidal Sleep im RAMA Studio. © Rama

Im Profi-Studio zahlt man nicht nur für die Nutzung teuren Equipments, sondern auch fürs jahrelange Know-how des Tontechnikers vor Ort. Jens Siefert erklärt, wann sich der Weg ins Studio lohnt, und was er mit seinen Kollegen im RAMA-Studio Mannheim so macht.

Damals wurden hier Speisefette hergestellt, heute entsteht Musik auf dem ehemaligen Fabrikgelände irgendwo in Mannheim. RAMA ist also ein passender Studioname, wobei das Akronym nicht für einen Brotaufstrich steht, sondern für Recording Audio Mannheim. Mischpult und Mikros haben ihren Platz in einem Saal gefunden, der damals als Mitarbeiter-Kino und Mehrzweckraum diente. 2013 haben wir euch das RAMA-Studio bereits in einem Interview vorgestellt. Seither hat sich einiges getan.

Zum Beispiel ist Jens Siefert dazugestoßen. Alleine oder zu zweit wäre es sehr schwer bis unmöglich, ein Studio dieser Größenordnung mit der technischen Ausstattung an den Start zu bekommen und zu halten, erklärt er uns. "Mit einer funktionierenden Community von positiv getriebenen Verrückten sieht das aber schon ganz anders aus".

Jens hat uns kürzlich erst Tipps gegeben, wie man ein optimales Verhältnis zwischen Lautheit und Dynamik erzielt. Dabei deutete er schon an, dass man es im heimischen Wohnzimmer schwerer hat als in einem professionellen Studio. Also haben wir hierzu noch mal bei Jens nachgefragt:

Welche Vorteile bietet ein Studio? Wie wichtig sind technische Ausstattung und der Raum?

"Der Raum atmet mit der Band"

Backstage PRO: 2013 wart ihr auf Liveaufnahmen im Studio spezialisiert. Ist das immer noch euer Alleinstellungsmerkmal?

Jens Siefert: Wir machen das nicht ausschließlich, aber wir mögen das alle sehr gern. Es hat eindeutig Charme und eine besondere Energie, wenn eine Band in einem Raum steht und zusammen spielt. Wir wissen ja mittlerweile sehr gut, wie wir das mit Mikrofonen einfangen können.

Backstage PRO: Wie ist das denn mit dem Übersprechen der Instrumente? Wenn man später auf der Vocal-Spur das Schlagzeug hört, ist das Abmischen doch sicher recht kniffelig.

Jens Siefert: Selbst das kann gut funktionieren, wie man sehr gut an unseren Melting Butter Live Sessions sehen und hören kann. Klar gibt es physikalische Grenzen. Wenn der Gesang einfach zu flüsterleise und die Band zu laut ist. Aber dazwischen kann man mit der richtigen Mikroauswahl, der Ausrichtung und dem Abstand zum Schlagzeug oder mit Screens einiges machen oder das Übersprechen sogar positiv als Raumsound nutzen. Es kommt immer auf die Situation an. Für Plattenaufnahmen im Live-Verfahren nehmen wir den Gesang meist erst später separat auf. Für das Live-Band-Recording gilt, dass gerade die Übersprechungen zwischen den Instrumenten  diesen echten, dreidimensionalen Sound mit sich bringen. Es lebt und der Raum atmet mit der Band.

Backstage PRO: Beim Live-Konzert sind kleine Fehler nicht so schlimm, doch eine Aufnahme für die Ewigkeit sollte ja möglichst rund klingen. Nutzt ihr da Hilfsmittel wie Metronom oder Klicktracks für ein gleichmäßiges Tempo?

Jens Siefert: Da stellen wir uns komplett auf die Bands und Musiker ein und schauen, wie sie sich am besten fühlen und was am besten funktioniert. Wir haben auch gar nichts gegen Aufnahmen ohne Klicktrack. Auch das kann musikalisch voll Sinn machen.

Backstage PRO: Fehler kann man bei einem Live-Take ja nicht so einfach rausschneiden wie beim Aufnehmen der Einzelspuren nacheinander. Muss die Band so lange spielen, bis der eine perfekte Take im Kasten ist? Oder puzzelt ihr anschließend aus unterschiedlichen Takes das Beste zusammen?

Jens Siefert: Genau. Wir nehmen in der Regel mehrere Takes auf, die dann in der digitalen Audio-Workstation übereinander liegen. Dann kann man zwischen den Takes hin und her springen und bei Bedarf Stellen ganz leicht flicken. Natürlich solltest du zwischen den Takes nichts Grundlegendes an den Mikrofonen, dem Setup oder an dem, was gespielt wird, verändern. Denn sonst wird das Kombinieren unterschiedlicher Takes schwieriger.

Jens Siefert

Jens Siefert, © (privat)

Backstage PRO: Heute kann man ja auf jedem modernen Rechner Musiksoftware installieren und dann selber loslegen mit den eigenen Musikproduktionen. Was kann ich in eurem Studio machen, was nicht auch zuhause möglich wäre?

Jens Siefert: Naja, wir sind wahrscheinlich ganz anders ausgestattet. Der wichtigste Faktor ist aber: Wir haben höchstwahrscheinlich den größeren und für Aufnahmen besser klingenden Raum. Wir haben überhaupt erstmal einen klingenden Raum – den hast du vermutlich nicht. In den meisten Fällen nutzt man zuhause ein Wohnzimmer oder einen Kellerraum von vielleicht zwanzig, dreißig Quadratmetern und zweieinhalb bis drei Metern Deckenhöhe. Da hast du schon mal viel mehr Stress mit unschönen Reflexionen, Flatterechos und besonders mit stehenden Wellen. Klar kannst du das akustisch breitbandig bedämpfen, mit Diffusion arbeiten und einen kontrollierten Raum daraus machen.

Das wird dich aber einige tausend Euro kosten, denn das geht nicht mit Noppenschaum oder Akustik -Kits. Du wirst für den Umbau einen Experten brauchen – und da ist die Frage, ob sich diese Investitionen lohnen. Denn im Endeffekt hast du dann trockene Aufnahmen, die du je nach Genre wieder mit künstlich erzeugter Ambience zum Leben bringen musst. Für trockene Siebziger- oder Pop-Drums, Akustikgitarren, akustische Instrumente und Vocals kann ein solcher professionell gemachter kleiner Raum zu Hause funktionieren. Aber große räumliche Rockdrums, laute Amps oder Bläsersätze gehen da wohl eher nicht. Noch dazu wenn man Nachbarn hat.

Backstage PRO: Vom Aufnehmen im eigenen Wohnzimmer würdest du also abraten?

Jens Siefert: Versteh mich nicht falsch. Homerecording und die heutigen Möglichkeiten sind super. Und wer Glück mit seinem Raum hat und genug Budget, den akustisch fit zu machen, wer sich das Know-how und das passende Gear aneignet, der kann schon sehr weit kommen – je nachdem was er vorhat und innerhalb physikalischen Grenzen. Wir haben halt glücklicherweise einen günstig geschnittenen 170-Quadratmeter-Raum mit einer Deckenhöhe von etwa fünf Metern. Über die letzten Jahre haben wir diesen Raum zudem so gestaltet, dass er sehr lebendig klingt. Das ist insbesondere für Schlagzeugaufnahmen und Live-Recordings total geil. Man hat da einen echten großen Raumsound. Wir können den Raum aber auch schnell bedämpfen, wenn wir möchten – falls die Produktion das braucht.

Backstage PRO: Also braucht ihr gar keine künstlichen Hall-Effekte, sondern ihr mischt einfach das Atmo-Mikro mit dem echten Raumklang rein?

Jens Siefert: Oft gibt es sogar mehrere Sets an Raummikrofonen, mit denen wir arbeiten. Natürlich haben wir auch Hallgeräte und Effekte für die Nachbearbeitung. Aber in unserem Raum können wir direkt einen lebendigen Sound erzeugen, den du so meiner Meinung nach nicht im Nachhinein erzeugen kannst. Was ich damit meine, kannst du in einem kurzen Video von mir zu Raummikrofonen auf meinem Youtube-Kanal hören – auch schon durch das Kamera-Mikrofon.

Backstage PRO: Im heimischen Wohnzimmer kann man sich diesen eigenen Raumklang nicht zunutze machen?

Jens Siefert: Wenn du ein günstig geschnittenes Wohnzimmer mit sehr hohen Decken und sagen wir über 50 Quadratmetern Grundfläche hast, wenn du in die nötigen akustischen Maßnahmen investierst, dann vielleicht. Das größte Problem sind halt die Raummoden. Die effektiv zu bedämpfen ist aufwändig.

Backstage PRO: Du meinst die stehenden Wellen?

Jens Siefert: Genau, die stehenden Wellen. Die sind in kleinen Räumen viel ausgeprägter und schlechter verteilt. Der Frequenzgang sieht aus wie eine Achterbahn. Wenn du so einen Wohnzimmerraum durchmisst mit einem Testsignal aus einem Lautsprecher im Mikrofonierungsabstand von vielleicht einem Meter, dann siehst du, was der Raum aus diesem Signal macht. Bei einigen Frequenzen gibt es tiefe Löcher, bei anderen Überhöhungen von 15 bis 20 Dezibel oder noch mehr.

Backstage PRO: Und an jedem Punkt im Raum sieht dieser Frequenzgang anders aus, oder?

Jens Siefert: Ja. Er verändert sich auch mit dem Aufstellungsort des Lautsprechers. Das Problem hast du deutlich weniger in einem sehr großen Raum mit günstigen Längenverhältnissen und den richtigen Maßnahmen. Da ist der Frequenzgang viel linearer.

"Wenn du einen guten Raum hast und weißt, wie du welche Mikros aufstellen musst, dann ist dir mehr geholfen als mit dem tausend Euro teuren Preamp"

Backstage PRO: Also ist es gar nicht so wichtig, ein teures Mikrofon zu besitzen, sondern der Raum macht viel mehr aus.

Jens Siefert: Genau. Das fängt ja schon damit an, dass deine Ohren in einem akustisch ungünstigen Raum gar nicht beurteilen können, was du gerade machst. Du nimmst bei dir zuhause in solch einem "Achterbahnraum" auf. Und wo spielst du das Material dann ab? Wahrscheinlich auch in diesem Raum! Du drückst Play, und dein aufgenommenes stark gefärbtes Signal kommt aus den Boxen und wird noch mal durch den Raum verfärbt. Da hörst du dann also totalen Murks und wunderst dich, warum dein teures Mikro so scheiße klingt. Meiner Meinung nach wird Equipment daher oft überschätzt, zumindest als Allheilmittel. Wenn du einen guten Raum hast und weißt, wo deine Klangquelle stehen sollte und wie du welche Mikros aufstellen musst, dann ist dir mehr geholfen als mit dem tausend Euro teuren Preamp. Das zu verstehen ist der erste große Schritt zu brauchbaren Aufnahmen.

Bei einem Tag im Studio kaufst du also im Endeffekt nicht nur Zeit mit teurem Equipment. Du kaufst eben auch die adäquaten Räumlichkeiten, um überhaupt eine amtliche Aufnahme machen zu können. Und du kaufst das Know-how von Leuten, die sich höchstwahrscheinlich schon länger mit dem Thema befassen als du das je in deinem Leben schaffen wirst, wenn du das nicht Vollzeit machst.

Die Band Finding Harbours mit Jens Siefert (Mitte)

Die Band Finding Harbours mit Jens Siefert (Mitte), © Finding Harbours

Backstage PRO: Ihr habt den Schritt gewagt, ein eigenes Studio aufzubauen. Am Anfang hat man ja weder Equipment noch Erfahrung. Wie bist du das angegangen?

Jens Siefert: Bei mir war das fast die klassische Studio-Story. Als Musiker im Teenager-Alter gestartet, dann vom Audiofieber gepackt worden, den damaligen Proberaum ausgebaut und zum Studio umfunktioniert, um die ersten Demos und dann später die Platten der eigenen Band aufzunehmen. Das typische learning by doing. Dann habe ich ein Praktikum im Blubox Studio in Troisdorf gemacht. Später ist dann unser damaliger Livemischer Dennis mit seinem Studioequipment in die damaligen Band-Räume eingezogen und hat dort seine Audio-Produktionen gemacht. Von und mit ihm konnte ich dann auch sehr viel lernen. Wir haben zudem oft tagelang experimentiert und geforscht und kein Sonnenlicht gesehen. Irgendwann nach zwei bis drei Jahren Assistieren, Hören und Verstehen, hab ich dann angefangen, meine ersten Produktionen zu machen.

Backstage PRO: Es gibt ja diverse Ratgeber, in denen Profis beschreiben, was man beim Aufnehmen und Abmischen beachten sollte. Doch zu jeder Regel kommt dann immer die Einschränkung "aber es kommt drauf an". Das finde ich etwas frustrierend.

Jens Siefert: Es stimmt aber. Es kommt immer auf den Kontext, das Genre, den Song und das Ausgangmaterial an; und auf ca. 15.678 weitere Variablen. Alle Tipps, die du da liest, die stimmen genau so. Du kannst sie alle wortwörtlich nehmen. Trotzdem bringen sie dir wenig, wenn du in deiner Entwicklung und deinem Hören noch nicht so weit bist. Sonst könntest du auch ein Buch über Herzchirurgie lesen und wärst anschließend Experte. Da steht ja auch drin, wo du reinschneiden musst, und es ist alles korrekt. Trotzdem hilft dir das nicht, wenn du plötzlich selber am offenen Herzen stehst. Ich persönlich hatte erst nach fünf Jahren praktischer Beschäftigung mit Tonaufnahmen das erste Mal das Gefühl: "Jetzt hab ich’s kapiert!". Was ja ungefähr der allgemein bekannten 10.000-Stunden-Regel entspricht. Ab da kam das Gefühl dann alle paar Monate wieder.

"Man sollte sich meiner Meinung nach erst Profi nennen, wenn die Ergebnisse, die man liefert, auch so klingen"

Backstage PRO: Wenn man mit einem Studio startet, geht man aber irgendwann den Schritt und sagt: "Buch mich, ich bin Profi!"

Jens Siefert: Man sollte sich meiner Meinung nach erst Profi nennen, wenn die Ergebnisse, die man liefert, auch so klingen. Ich hab die ersten zig Produktionen in dem ersten Studio für sehr wenig bis kein Geld gemacht und auch kommuniziert, dass ich noch lerne, aber hochmotiviert bin. Das war eine krasse Zeit mit viel Käsebrot essen und wenig Sonne.

Erst ab 2010 kam dann das erste Mal das Gefühl auf, dass man sich vor den Ergebnissen größerer Studios oder älterer Hasen nicht mehr zu verstecken braucht. Das war mit Platten wie dem ersten The Hirsch Effekt-Album "Holon: Hiberno", Zodiacs 2011er EP, "The Giant" von Ahab, die damals zur Doom/Sludge Platte des Jahres im Metal Hammer gewählt wurde, der "Trymmermensch" von Caleya, und der "Mitten ins Herz EP" von Fox Named King.

Backstage PRO: Falls jemand aus der Region Mannheim gern bei euch aufnehmen will – wie unterstützt ihr die Leute? Könnt ihr auch beim Einspielen und Arrangieren helfen oder macht ihr nur die Technik?

Jens Siefert: Klar können wir helfen. Wir haben alle einen musikalischen Background. In der Regel nehmen wir hier aber schon Bands auf, die wissen, was sie wollen und das auch selbst spielen; wir fangen das dann ein. Wir können neben der Aufnahmetechnik aber auch Produzententätigkeiten übernehmen oder mit am Songwriting feilen, falls das gewünscht ist. Wir sind da für alles zu haben. Zudem kennen wir mittlerweile auch wirklich sehr viele krasse Musiker, Arrangeure und Texter. Ich denke, dass wir selbst auf die ungewöhnlichsten Wünsche oder Projekte adäquat reagieren könnten.

Backstage PRO: Vielen Dank, Jens, dass du dir wieder einmal Zeit genommen hast für unsere Fragen!

Wer in oder um Mannheim herum wohnt und gern mit dem Studio in Kontakt treten will: RAMA haben auch hier bei Backstage PRO einen Account. Ebenso gibt es eine offizielle RAMA-Webseite.

Unternehmen

RAMA Tonstudio

Tonstudio und Recording, Musikproduktion in 68163 Mannheim

Personen

Jens Siefert

Producer /Mix- und Mastering Engineer Rama Tonstudio aus Mannheim Musikproduzent bei RAMA Tonstudio

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