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Ergebnisse der Keychange-Studie des Reeperbahnfestivals

Jüngere Besucher wollen mehr Gendergerechtigkeit bei Konzerten und Festivals

Spezial/Schwerpunkt von Christoph Ohlwärther
veröffentlicht am 22.11.2022

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Jüngere Besucher wollen mehr Gendergerechtigkeit bei Konzerten und Festivals

Frauen - hier die Band Friedberg beim Heimspiel Knyphausen 2022 - sind auf Festivals immer noch unterrepräsentiert. © Torsten Reitz

Vor allem die Generation unter 30 fordert mehr Gendergerechtigkeit in der Musikbranche. Das hat die jüngst im Rahmen des Reeperbahnfestivals vorgestellte Keychange-Studie ergeben. Konzert- und Festival-Veranstalter/innen sollten diese Entwicklung im Auge behalten.

Dass die Musikbranche von einer ausgewogenen Gendervielfalt weit entfernt ist, zeigte die MaLisa-Stiftung, als sie 2021 fünf Musikpreise (darunter die 1Live Krone, den Preis des Jugendradio-Senders des WDR oder den Musikautorenpreis der GEMA) hinsichtlich einer gerechten Geschlechterverteilung untersuchte (PDF).

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Männer sowohl bei den Nominierungen als auch bei den Preisverleihungen ein großes Übergewicht hatten. 

Die Keychange-Studie

Nach der diesjährigen vom Reeperbahnfestival und Kantar herausgegebenen Keychange-Studie, die den Titel "Nutzer*innenbefragung zur Ausgewogenheit von Geschlechterverhältnissen bei Musikangeboten" trägt (PDF), denkt dennoch eine Mehrheit von 72 Prozent, dass Männer und Frauen in der Musikbranche gleich behandelt würden.

Dem stimmen auch alle befragten Altersgruppen zu: 76 Prozent der über 50-jährigen, 72 Prozent der 30-40-jährigen sowie 68 Prozent der 16-29-jährigen gehen von einer Chancengleichheit der Geschlechter aus.

Die Studie bestätigt jedoch auch, dass die jüngere Generation vermehrt Gendergerechtigkeit in der Musikbranche fordert. Das gilt vor allem bei der Gestaltung der Line-ups von Konzerten und Festivals.

Je jünger die Zielgruppe, desto wichtiger das Geschlechtergleichgewicht

So machen sich insbesondere Musiknutzer/innen unter 30 Jahren bewusst Gedanken darüber, ob Männer und Frauen gleichermaßen vertreten sind. Zusätzlich wünscht sich knapp die Hälfte der befragten 16-29-jährigen, dass Geschlechterungleichheiten häufiger thematisiert werden.

Auch bei Musik-Kaufentscheidungen sind es jüngere Menschen, denen ein gerechtes Geschlechtergleichgewicht wichtig ist. 

Konkreter ausgedrückt: Je jünger die Zielgruppe, desto höher die Auseinandersetzung mit der Geschlechterausgewogenheit. Das gilt sowohl für Besucher/innen von Musikangeboten wie Festivals, Konzerten der populären Musik oder Opern (einzig bei klassischen Konzerten ist die Reflexion bei 30-49-Jährigen am höchsten), als auch für das Konsumieren von Radio- und Streamingdiensten.

Ältere Menschen hingegen, namentlich die Altersgruppe 50+, glaubt eher als jüngere, dass Männer und Frauen bei Musikangeboten gleichermaßen vertreten sind.

Hohes Interesse an gendergerechten Festivals

Was bedeuten diese Ergebnisse in Zukunft für Veranstalter/innen? Zu berücksichtigen ist zunächst, dass nach der Studie in den kommenden Jahren vermutlich mehr Menschen auf eine ausgewogene Geschlechterverteilung achten werden, und zwar unabhängig vom Alter. Derzeit achten rund 30 Prozent der Festivalbesucher/innen beim Kauf eines Tickets auf ein gendergerechtes Line-up, bei klassischen Konzerten sind es gut 26 Prozent, bei Rock/Pop-Konzerten 22 Prozent.

Für das zukünftige Verhalten gaben aber 4 von 10 Festivalbesucher/innen an, sich vermehrt für ein gendergerechtes Line-up zu interessieren. Bei klassischen sowie Popular-Konzerten waren es jeweils gut 3 von 10 Besucher/innen. Blickt man spezifischer auf die Altersgruppe 16 bis 29, so will sogar jeder zweite Festivalbesucher beim Ticketkauf ein gerecht verteiltes Line-up berücksichtigen. 

Die Frage nach der Auswahl

Allerdings fehlt es nach wie vor an genügend Musikangeboten, die ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis vorweisen können. Die Studie des Reeperbahn-Festivals bezieht sich an dieser Stelle etwa auf die Analyse "Gender in Music" (2022) der MaLisa-Stiftung. Nach dieser ist zwar der Frauenanteil im letzten Jahrzehnt um etwa 7 Prozent gestiegen. Dennoch sind Künstler/innen – vor allem auf großen Festivals – mit einer Quote von unter 10 Prozent stark unterrepräsentiert. 

Dabei ist die Nachfrage für gendergerechte Musikangebote nicht gering: Wenn sie die Wahl hätten, würden sich altersunabhängig 56 Prozent aller Befragten für ein Festival entscheiden, das eine Selbstverpflichtung für ein ausgewogenes Line-up unterzeichnet hätte. Bei Pop-Konzerten sind es 48 Prozent, bei klassischen Konzerten 46 Prozent.

Richtet man hier ebenfalls den Blick auf die jüngere Altersgruppe, so würden 68 Prozent ein Festivalticket, 64 Prozent eine Pop-Konzertkarte und 59 Prozent ein Ticket für ein klassisches Konzert kaufen, sofern das Geschlechterverhältnis ausgewogen ist.

Der Druck nimmt zu

Veranstalter/innen sollten vor allem letztgenannte Zahlen für die Auswahl ihres Line-ups nicht unterschätzen. Zwar stimmen alle Altersgruppen mehrheitlich der Aussage nicht zu, dass es mehr Festivals geben sollte, auf denen ausschließlich Frauen auftreten sollen. Das gilt auch für junge Besucher/innen, wobei bei ihnen die Zustimmung am höchsten ist.

Dennoch wird der Ruf nach deutlich mehr Geschlechtervielfalt in den Line-ups mit abnehmenden Alter lauter. So hält eine Mehrheit der unter 30-jährigen eine Quote für eine sinnvolle Maßnahme, um Geschlechtergerechtigkeit bei Musikangeboten herzustellen, auch wenn diese Mehrheit ziemlich knapp ist. Alle weiteren Altersgruppen lehnen die Einführung von Quoten dagegen ab.

Der Druck einer nachwachsenden jüngeren Generation wird jedenfalls in den Jahren wahrscheinlich nicht weniger. Veranstalter/innen von Festivals und Konzerten sollten sich also ermutigt fühlen, mehr Musikerinnen oder Bands, die einen größeren Frauenanteil besitzen, einzuladen. Besonders die größeren Locations und Festivals dürfen sich angesprochen fühlen. 

Mehr Mut der Veranstalter/innen erforderlich

Laut der Reeperbahn-Studie gibt es bereits einige Festivals, die gezielt versuchen, einer höheren Gendervielfalt in den Line-ups nachzukommen. Dabei handelt es sich aber um kleinere Veranstaltungen, wie das B-Sides Festival oder das Gurtenfestival (beide in der Schweiz). 

Größere Festivals, nennen kann man für Deutschland etwa Rock am Ring und Rock im Park sowie Southside und Hurricane, standen häufiger für die Auswahl ihrer Line-ups in der Kritik. Rock am Ring begründete seine niedrige Frauenquote (5,62 Prozent für 2022) etwa durch die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, während die Veranstalter des Southside und Hurricane-Festivals ihr Line-up mittels eines (angeblich) geringen Frauenanteils in der Musikbranche rechtfertigten.

Begründungen dieser Art greifen jedoch zu kurz und drücken eine gewisse Trägheit aus. Damit mehr Frauen in der Musikbranche vertreten sind, muss ihnen mehr Sichtbarkeit zugestanden werden, etwa auf Festivals oder Konzerten. Tauchen mehr Musikerinnen in den Line-ups auf, so steigen natürlich die Chancen, mehr Bekanntheit zu erlangen und Teil einer Musikszene zu werden. Passiert das jedoch nicht, so tragen Veranstalter/innen jedoch dazu bei, den Status Quo einer männlich dominierten Musikbranche aufrechtzuerhalten.

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