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Langsamer Fortschritt

Von Reading zu Rock am Ring: Männer dominieren Festival Line-ups weltweit

News von Florian Endres
veröffentlicht am 08.06.2022

festivalorganisation liveszene geschlechtergerechtigkeit

Von Reading zu Rock am Ring: Männer dominieren Festival Line-ups weltweit

Eine der wenigen Frauen des Festivals: Victoria De Angelis, Bassistin von Maneskin, bei Rock am Ring 2022. © Peter H. Bauer

Während die Festivalbranche nach zwei Jahren Stillstand wieder auf die Beine kommt, sind Bemühungen um diversere Line-ups laut einer neuen Studie der BBC im Vereinigten Königreich auf der Strecke geblieben. Doch auch in Deutschland mehrt sich die Kritik.

Eine Studie der BBC hat herausgefunden, dass im Jahr 2022 nur 13 Prozent der Headliner der 50 größten Festivals im UK weiblich sind, es sich also entweder um einen All-Female-Band oder eine weibliche Solokünstlerin handelt. 

Den insgesamt 26 weiblichen Bands oder Solo-Artists unter insgesamt 200 Headlinern stehen 149 (74,5%) Solo-Künstlern bzw. rein männlich besetzte Bands gegenüber. Immerhin zwölf Prozent der Headliner-Acts bestanden sowohl aus Männern als auch Frauen, während gerade einmal ein Act sich selbst als nicht-binär identifiziert. 

Old News

Leider ist diese Ungleichheit zwischen den Geschlechtern nichts Neues: Bereits 2017 hatte die BBC in einer Erhebung festgestellt, dass 80 Prozent der Festival-Headliner Männer oder männlich besetzte Bands waren.

Als Reaktion darauf hatten zahlreiche Festivals im Rahmen der Initiative Keychange der PRS versprochen, bis 2022 ein 50/50-Geschlechterverhältnis in Festival-Line-ups zu erreichen. Mehr als 300 Festivals haben sich mittlerweile der Initiative angeschlossen – doch fast keins dieser Festival hat das versprochene Ziel erreicht. 

Immer wieder Corona

In dieser Hinsicht lohnt sich der Blick nach Deutschland: Das Traditionsfestival Rock am Ring stand bereits 2021 wegen seines unausgewogenen Line-ups in der Kritik – und änderte laut dem Verband Music Women* auch in der Anfang Juni 2022 stattgefundenen Ausgabe wenig daran. Der Gesamtanteil von Musikerinnen am Line-up des Mega-Festivals lag gerade einmal bei 5,62 Prozent

Warten auf den nächsten Ring

Rock am Ring-Veranstalter Matt Schwarz sieht die Verantwortung für die geringen Veränderungen in erster Linie in den Nachwirkungen der Corona-Pandemie:

"Wir haben einen Großteil des Line-up dieses Jahr aus den abgesagten Editionen übernommen. Es war uns wichtig, den Künstler:innen der COVID-19 bedingten Absagen die Chance zu bieten, auch dieses Jahr aufzutreten."

Dennoch sei die aktuell geführte Debatte äußerst wichtig, es ist laut Schwarz gut, dass sie geführt wird und das Thema soll bei der Planung der nächsten Ausgabe von Rock am Ring priorisiert werden. Zentrale Bereiche und Führungspositionen bei dem Festival seien bereits jetzt weiblich besetzt.  

Strukturelle Probleme

2018 waren ganz ähnliche Vorwürfe gegen FKP Scorpio, Veranstalter der Zwillings-Festivals Southside und Hurricane, aus ganz ähnlichen Gründen laut geworden. FKP Scorpio reagierte 2018 prompt auf diese Vorwürfe und gab an, dass es in einigen für die Festivals relevanten Genres schlicht nicht genug Künstlerinnen gäbe, um mit diesen "ein sichtbareres Zeichen zu setzen".

Grund dafür sind laut der Agentur gesellschaftlich und medial geprägte Rollenbilder: Bevor sich die Line-ups von Festivals als Abbildern der Gegenkultur ändern, müsse ein gesamtgesellschaftlicher Wandel erfolgen.

Eine Frage der Chancen

Auch die von der BBC befragte Musikerin Maggie Rogers vertritt die Meinung, dass die Debatte um die Festival-Line-ups schlussendlich Ausdruck eines größeren gesellschaftlichen Problems ist. So nennt sie u.a. das unausgewogene Geschlechterverhältnis in der Musikindustrie an sich als Grund für die Zusammensetzung der großen Festivalprogramme. 

Auch, dass es so wenige Frauen in Headliner-Positionen gibt, hängt laut Francine Gorman, Organisatorin des Strawberries & Creem-Festivals in Cambridge, mit der gesellschaftlichen Struktur zusammen: 

"Frauen und geschlechtsspezifische Minderheiten haben im Laufe der Jahre weitaus weniger Möglichkeiten als ihre männlichen Kollegen gehabt. Deshalb dauert es ein wenig, bis Künstlerinnen und Künstler den Status erreicht haben, dass sie in der Lage sind, einen Headliner-Slot einzunehmen."

Das von Gorman organisierte Strawberries & Creem-Festival ist eines der Festivals, die laut BBC das Keychange-Ziel eines Festivals mit ausgeglichenem Geschlechterverhältnis erreicht haben – ebenso wie das Standon Calling Festival.

Ziel erreicht?

In Deutschland fand am Pfingstmontag erstmals das von Caroline Kebekus organisierte DCKS-Festival statt, auf dem – als Protest gegen die männlich dominierten Line-ups der tradierten Festivals – ausschließlich Frauen spielten. Mit dabei waren u.a. Lea, die No Angels, Mine, Ebow und Luna. Denn auch für Kebekus steht fest

"Die Ausrede, es würde ja nun mal keine weiblichen Bands geben, darf nicht mehr gelten. Denn es gibt sie, man muss ihnen nur Platz geben. Und genau da setzt unser Festival an: Es geht eben um Sichtbarkeit. Unsere Acts sind Vorbilder für Frauen und Mädchen. Mädchen sollen wissen, dass auch sie Festivals headlinen können."

Ein langer Weg

Francis Gorman sieht derartige Projekte als wichtige Etappen auf einem Weg zur einer stärkeren gesamtgesellschaftlichen Geschlechtergleichheit: Der Fortschritt der letzten Jahre und die zunehmenden Bemühungen um insgesamt diversere Line-ups würden sich früher oder später auszahlen – denn eine höhere Zahl von Frauen auf Festivals führe unweigerlich zu einer wachsenden Anzahl von weiblichen Headlinern. So gibt Gorman weiter an: 

"Es scheint einen Mythos in der Live-Musikindustrie zu geben, dass Künstlerinnen keine Tickets verkaufen, aber ich habe noch keine Beweise dafür gesehen. Tatsächlich sind die Beweise, die ich gesehen habe, genau das Gegenteil."

Diese Angst, dass mit weiblichen Artists keine Tickets verkauft werden (können), scheint insbesondere die programmatische Überlegungen von deutschen Großfestivals wie etwa dem Southside und dem Hurricane zu leiten.

Chancen und Inspiration

Es ist zweifelsohne richtig, dass Line-ups und auch die Belegung von Headliner-Slots stets ein Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse sind; Ausdruck einer zu großen Teilen noch immer männlich dominierten Musikindustrie.

Doch werfen Projekte wie das Strawberries & Creem- oder das DCKS-Festival die Frage auf, ob ausharren und auf eine Veränderung zu warten wirklich die richtige Strategie ist. Denn zweifelsohne trifft auch Gormans Aussage zu, dass es erst dann mehr weibliche Headliner geben wird, wenn Frauen und weibliche Bands insgesamt mehr Sichtbarkeit erhalten – sei es auf Festivals oder Konzerten. 

Diese Sichtbarkeit wiederum könnte auch langfristig dazu führen, dass (junge) Frauen auch endlich mehr Künstlerinnen auf der Bühne sehen, die sie als Vorbilder wahrnehmen – und die sie inspirieren, selbst ein Instrument in die Hand zu nehmen

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