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Musikkonsum-Umfrage: Die Deutschen hören Musik auf konservativen Wegen – und gerne kostenlos
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© Pixabay via Pexels
Die Streaming-Revolution geht an Deutschland nicht vorbei, aber im Gegensatz zu vielen anderen Ländern vollzieht sie sich eher im Schneckentempo. Das zeigt das Ergebnis einer aktuellen YouGov-Umfrage.
Radio, Radio, Radio
Im Detail bedeutet das: Die Deutschen lieben ganz klassisch das Radio. 62 Prozent der Befragten gaben an, Musik in der Regel im Radio zu hören. Ältere Befragte nutzen das Radio aber häufiger (84 Prozent!) als jüngere (26 Prozent).
Auf Platz zwei der beliebtesten Musikkanäle stehen mit 34 Prozent werbefinanzierte Streaming-Dienste. 28 Prozent der Befragten nutzen Streaming-Dienste im monatlichen Abo. Beide Streaming-Angebote zusammen machen 54 Prozent aus und sind damit trotz starken Wachstums immer noch knapp weniger verbreitet als das Radio.
Radio beliebter als Streaming, © YouGov
Hörgewohnheiten und Umsatz
Ein interessanter Vergleich ergibt sich, wenn man die Ergebnisse der Umfrage den aktuellen Halbjahreszahlen des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI) gegenüberstellt. Danach macht Streaming mittlerweile 73,3 Prozent des Umsatzes des deutschen Musikmarktes aus.
Im einen Fall geht es zwar um Hörgewohnheiten und im anderen um Umsätze, dennoch verdeutlicht die Gegenüberstellung, dass die Deutschen kostenlose Formen des Musikkonsums bevorzugen wie Radio oder werbefinanziertes Streaming.
Umsatzanteile aus dem Musikverkauf im ersten Hj. (2022), © Bundesverband Musikindustrie e.V.; GfK Entertainment
Im Gegensatz zum Radio tauchen werbefinanzierte Streaming-Angebote in der Statistik des BVMI auf, leider aber nur in einem wenig differenzierten Block in der Kategorie "Streaming". Viel interessanter wäre es, die Umsatzanteile von werbefinanzierten Streaming auf der einen und Streaming-Abos auf der anderen Seite zu kennen.
Physische Formate
Immerhin 31 Prozent der Befragten hören Musik nach wie vor über CDs. Mit 45 Prozent ist der Anteil insbesondere bei Befragten im Alter von 60 bis 75 Jahren hoch.
Weiterhin hören 11 Prozent der Deutschen Musik auf Vinyl, erstaunliche 5 Prozent sogar auf Audio-Kassette, die in den letzten Jahren vor allem im Underground/Indie-Bereich ein Revival erlebte.
Da Mehrfachnennungen möglich waren, ist es nicht möglich, die Zahlen einfach zu addieren, um festzustellen, wie viele Deutsche Musik auf physischen Tonträgern hören. Dennoch zeigt die Umfrage, dass man die Verbreitung von CDs, Vinyl und Kassetten nicht unterschätzen sollte.
Generationenwechsel
Während CDs noch immer gerne gehört werden – gerade auch von älteren Generationen –, sind die CD-Verkäufe seit Jahren rückläufig. Der Halbjahresbericht des BVMI spricht von einem Umsatzanteil von gerade einmal 12,8 Prozent.
Dabei sind physische Medien eigentlich eine gute Einnahmequelle für Musikerinnen und Musiker – ganz im Gegensatz zum Audio-Streaming: Hier erhalten die Artists pro Musikwiedergabe einen geringen Betrag, der bei werbefinanzierten Streams noch einmal geringer ausfällt als bei Abo-Streams.
Downloads und Musikfernsehen
Die YouGov-Studie erhebt auch die Hörgewohnheiten im Hinblick auf weniger verbreitete Medien: So dürften wenige auf der Rechnung gehabt haben, dass 12 Prozent der Deutschen Musik noch immer über Musiksender wie MTV, Deluxe Music und andere hören. 17 Prozent der Befragten gaben zudem an, Musik primär als Downloads (MP3, WAV, FLAC etc.) zu konsumieren; 13 Prozent erleben Musik in erster Linie live.
Insgesamt verdeutlicht die Umfrage die Vielfalt des Musikkonsums und die Existenz ganz unterschiedlicher Nischen, die gleichwohl nicht vollkommen getrennt voneinander sind, sondern zahlreiche Überschneidungen haben. Anders gesagt: Viele Befragte konsumieren Musik je nach Kontext auf unterschiedlichen Wegen.
Die Gegenüberstellung von Hörgewohnheiten und Kaufverhalten zeigt aber auch, dass die Deutschen Musik zwar vielfältig konsumieren, jedoch nicht sonderlich viel Geld für diese ausgeben möchten. Das legen verschiedene Faktoren nahe, und zwar die anhaltende Popularität von CDs bei gleichzeitiger Abnahme der CD-Verkäufe, der hohe Anteil des Radiokonsums und die Beliebtheit werbefinanzierter Streaming-Angebote.
Musik im Alltag
Laut der Studie hören die Deutschen am liebsten beim Autofahren Musik (61%). 57 Prozent erledigen ihre Hausarbeit mit Hintergrundmusik am besten, gefolgt von 43 Prozent, bei denen die Musik beim Ausüben ihrer Hobbies nicht fehlen darf. Auch beim Essen (24%) begleitet uns die Musik. Ähnlich sieht es beim Sport (23%) und während der Arbeit aus (22%).
21 Prozent der Befragten hören Musik auch im Badezimmer, andere lassen sich von ihr morgens wecken (17%) oder lassen sich in öffentlichen Verkehrsmitteln von ihr beschallen (17%). Auch beim Spazierengehen (15%) oder beim Einschlafen (11%) erfüllt Musik ihren Dienst. Leider fragte die Studie nicht danach, wer Musik hört und dabei nichts anderes macht, sich also voll auf die Musik konzentriert.
Musik begleitet uns in Alltagssituationen, © YouGov
Die beliebtesten Musikgenres
Die Umfrage beinhaltete zudem eine Mehrfach-Auswahl von 20 gängigen Musik-Genres, um herauszufinden, was die Deutschen am liebsten hören. Mit 53 Prozent steht Pop-Musik an erster Stelle, gefolgt von Rockmusik mit 45 Prozent.
Die wenig ausagekräftige Kategorie "Oldies/Evergreens" rangiert mit 35 Prozent auf Platz 3. Platz vier belegt Schlager mit 29 Prozent, gefolgt von Hard Rock/Heavy Metal und elektronischer Musik (EDM, Techno, House) mit jeweils 20 Prozent.
Hip-Hop erreicht 19 Prozent, Country immerhin 18 Prozent, 17 Prozent hören Blues, Soul & Funk, 16 Prozent Klassik, 16 Prozent Musicals, 15 Prozent R&B, 13 Prozent Reggae & Ska, 13 Prozent Indie/Alternative, 12 Prozent Weltmusik, 10 Prozent Liedermacher und Sänger/Songwriter, 9 Prozent Volksmusik, 9 Prozent Punk und 9 Prozent Jazz.
Bei Frauen ist Pop-Musik am beliebtesten. Rock und Pop dominiert das Hörverhalten der Altersgruppe zwischen 50 und 59. Die jüngsten Befragten (18 bis 29 Jahre) hören dagegen am liebsten Hip Hop.
Diese Ergebnisse sind sicherlich keine Überraschung, verdeutlichen aber das Bedeutungswachstum von Hip Hop und R&B, insbesondere bei der jüngeren Generation.
Musik der Jungen, Musik der Alten
Noch viel deutlicher wird dieser Umstand, wenn man das Hörverhalten einzelner Genres über die Altersgruppen hinweg betrachtet: So hören 36 Prozent der Befragten zwischen 18 und 29 Hip-Hop, aber nur 8 Prozent der über 60-jährigen! Ein ähnliches Bild zeigt sich bei R&B (21 zu 12 Prozent). Im Vergleich zu Älteren hören junge Musikfans zwischen 18 und 29 auch wesentlich seltener Heavy Metal, Schlager und Klassik.
Das gegenläufige Bild, also wachsende Beliebtheit mit zunehmendem Alter, zeigt sich (nicht überraschend) bei Oldies, aber auch bei Rock, Schlager, Country, Blues, Soul & Funk, Klassik, Musicals, Reggae (!) und Weltmusik. Nur wenige Genres sind über alle Altersgruppen einigermaßen gleichmäßig beliebt wie Pop-Musik.
Die beliebtesten Musikgenres, © YouGov
Ausgaben für Musik
Die Ausgaben für Musik pro Monat liegen laut der Umfrage bei 12 Euro. Damit sind die Kosten für Tonträger und Streaming-Abos ebenso gemeint wie die Ausgaben für Konzerttickets. Männer geben mehr Geld für Musik aus als Frauen (15 Euro gegenüber 9 Euro). Die Gründe für diese bemerkenswerte Diskrepanz müssten unbedingt näher untersucht werden.
Befragte im Alter von 40 bis 49 Jahren geben am meisten für Musik aus (16 Euro), die Altersgruppen 18-29 und 30-39 liegen mit 15,40 und 14,92 Euro nur knapp dahinter. Ab 50 sinken die Ausgaben für Musik stark – auf 10,41 Euro in der Altersgruppe 50-59 und auf 8,19 Euro ab 60 Jahren.
Dass viele Deutsche Musik nur kostenlos hören, zeigt auch dass 46 Prozent aller Befragten gar nichts für Musik ausgeben.
Die durchschnittlichen Ausgaben für Musik liegen in Österreich im Übrigen bei 15 Euro pro Monat und damit ein Viertel höher als in Deutschland. Österreicher besuchen auch mehr Konzerte als Deutsche (27% gegenüber 20%).
Auch hier zeigt sich die bereits angesprochene Diskrepanz zwischen Bedeutung und Wert der Musik: Während die Zahlen von YouGov zum Hörverhalten anschaulich die herausragende Bedeutung von Musik illustrieren, zeigt sich gleichzeitig, dass die Deutschen im Vergleich zu Österreichern weniger bereit sind, für diese Musik auch zu zahlen.
Wer macht selbst Musik?
Nur eine Minderheit der Deutschen spielt ein Instrument: 14 Prozent aller Befragten geben an, ein oder mehrere Instrumente zu spielen. Männer (16%) spielen häufiger Instrumente als Frauen (12%).
Männer geben auch eher an, in einer Band, einem Chor oder solo zu singen (7% gegenüber 3%). Insgesamt betätigen sich 5 Prozent der Befragten als Sängerinnen oder Sänger. Weitere 5 Prozent der Befragten erklären, mit der Musikszene (abseits vom Musizieren) beruflich verbunden zu seien.
So wirkt Musik
Die Studie zeigt: Musik beeinflusst die Stimmung. Auf 81 Prozent der Befragten wirkt sich Musik positiv auf die eigene Stimmung aus. Für 79 Prozent hat sie sogar eine entspannende Wirkung. Interessant ist auch, dass 73 Prozent angaben, Musik verbinde Länder und Kulturen. Knapp die Hälfte der Befragten sagen hingegen, dass sie sich bei Musik gut konzentrieren können.
Wie Musik uns beeinflusst, © YouGov
Die Daten beruhen auf einer Online-Umfrage, an der 2.050 Personen zwischen dem 19. und 26. August 2022 teilnahmen. Die Ergebnisse wurden gewichtet und sind nach Angaben von YouGov repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 bis 75 Jahren.
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