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"Songs von 2:30 Minuten Länge sind die Kür"

WDR-Radiomoderator Klaus Fiehe über Radiotauglichkeit, Netzwerke und Mut zum Risiko

Interview von Doktor Nic
veröffentlicht am 08.11.2022

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WDR-Radiomoderator Klaus Fiehe über Radiotauglichkeit, Netzwerke und Mut zum Risiko

WDR-Radiomoderator Klaus Fiehe. © Annika Fußwinkel

Klaus Fiehe war Mitglied der NDW-Band Geier Sturzflug und moderiert seit 1996 seine eigene Sendung bei 1 Live. Im Interview spricht er über Musikjournalismus, den Stellenwert des Radios und gibt Tipps für Bands zu den Themen Radiotauglichkeit und Netzwerken.

Backstage PRO: Viele Musikerinnen und Musiker fragen mich, ob Musikjournalismus, insbesondere im Radio, noch etwas ist, das sie in ihrem Marketingmix brauchen. Ich würde die Frage gerne an dich weitergeben und dich fragen, wie du den Stellenwert der Branche beurteilst.

Klaus Fiehe: Es ist ja natürlich bekannt, dass viele Künstlerinnen und Künstler andere Wege gehen als noch vor etlichen Jahren. Die meisten versuchen über Social Media und Streaming ihre Musik zu lancieren. Ich vermute, da sie selbst wenig Radio hören, haben sie das Medium weniger auf dem Schirm. Ich finde, darüber sollten sie einmal nachdenken, denn ich bin der Meinung, dass Radio pushen und aufbauen kann. 

Backstage PRO: Du meinst, viele Musiker unterschätzen den Einfluss des Radios?

Klaus Fiehe: Ja. Es gibt viele, viele Leute, die Radio konsumieren. Außerdem kenne ich viele Leute, die es endlos gut finden, ihren eigenen Song im Radio zu hören. Das hat eine bessere Wirkung, als auf Youtube zu sehen, wie viele Klicks das Video hat. Als Künstler würden mich Klickzahlen weniger interessieren, da man diese Zahlen ja durch Werbung etc. manipulieren kann.

"Leute wie ich sind ganz einfach zu kontaktieren"

Backstage PRO: Ich denke mir, es geht auch darauf zurück, dass jemand aus einer Redaktion sich ja bewusst dafür entschieden hat, den Song einzusetzen und kein Algorithmus den Song mehr oder weniger zufällig ausspielt. Aber wie findet man als junge Band den richtigen Radiosender?

Klaus Fiehe: Man sollte sich einen Überblick über die Radiolandschaft verschaffen. Für junge Bands scheiden vermutlich die meisten privaten Sender schon einmal aus, denn da laufen häufig nur die Hits der 80er, 90er und so weiter. Aber Leute wie ich sind auch ganz einfach über die jeweiligen Sender erreichbar. Man muss als junge Band nicht hundert Radioleute auf dem Schirm haben, so viele gibt es für neue Musik gar nicht mehr. Aber ein paar gibt es und die gilt es zu finden. Daher plädiere ich für das Radio und vor allem für verschiedene Sendungen.

Backstage PRO: Was sind die Schlüsselfaktoren, die Künstlerinnen und Künstler oder Bands mitbringen sollten, um ins Radio zu kommen? Brauche ich einen Anschluss ans MPN, Agenturen usw.?

Klaus Fiehe: Bands sollten, wenn sie Medien generell anschreiben, keine Romane schreiben und sich kurz fassen. Vor allem sollten sie das downloadfähige Material direkt mitschicken. Es gibt sehr viele junge Bands, die mich bitten, ihre Musik über Soundcloud oder ähnliches anzuhören. Das ist für mich aber viel zu zeitintensiv, denn ich muss ihr Profil aufrufen, die Musik hören und mich nochmal zurückmelden und auf eine Antwort warten, was bei Bands manchmal leider Tage dauert. Ich würde mir, um es klar zu sagen, eine 320 kbps mp3 anlegen und die auch raushauen. Bei Leuten wie mir gelangt das nicht in die falschen Hände.

"Songs von 2:30 Minuten Länge sind die Kür"

Backstage PRO: Ich habe auch noch keinen "Leak" erlebt, der irgendwie kritisch war – vor allem nicht bei ernsthaften Medien. Wie stehst du zu Songlängen, Intro ja/nein? Sollte ich einen Song für das Radio schreiben?

Klaus Fiehe: Bands sollten durchaus auch Songs schreiben, die nicht 4 Minuten lang sind. Das klingt jetzt blöde, denn jede Band soll so lange spielen wie sie will, aber ich spiele auch Songs, die 6 Minuten lang sind. Die Kür besteht aber darin, in 2:30 Minuten alles erzählt zu haben. Das ist in Deutschland ein Dilemma: Wer sich mal die ganze Palette des britischen Post-Punks anhört, stellt fest, dass die Songs alle in zweieinhalb Minuten durch sind – und das sind gute Songs. 

Backstage PRO: Aber der Druck, kurze Songs zu schreiben, kommt ja auch von den Streaming-Services.

Klaus Fiehe: Genau. Leider ist es so, dass Spotify & Co. sogar diktieren, dass es keine langen Intros geben soll und kein Song länger als 3 Minuten sein sollte. Wenn du als Künstler oder als Band ein Intro machen möchtest, dann mache es auf jeden Fall. Aber du brauchst zwei, drei Patronen im Gürtel mit diesen besagten zweieinhalb Minuten. Ich finde das wirklich wichtig.

"Ich finde bedauerlich, dass harte Rockmusik selten im Radio gespielt wird"

Backstage PRO: Bist du ein Fan von Radio-Edits?

Klaus Fiehe: Nein. Ich tendiere mehrheitlich zur Vollversion. Ich kann ja im Studio immer noch daran herumbasteln und an eine bestimmte Stelle ranfahren und alles Mögliche.

Backstage PRO: Welche Genres, Themen oder einfach Arten von Musik hältst du gerade für relevant im Hinblick auf Rundfunk?

Klaus Fiehe: Ich persönlich finde es bedauerlich, aber es ist wahr, dass Rockmusik je härter sie ist, umso weniger wird sie im Radio gespielt. Umso wichtiger sind für diese Stilrichtungen natürlich die entsprechend dafür konzipierten Medien wie Rock Hard, Metal Hammer, Deaf Forever, Rock Antenne oder Radio Bob. Jeder weiß: Im Radio läuft viel R&B. Musikalisch dominieren aber R&B, Elektro, Rap, Dancefloor Pop, der clubtauglich ist, außerdem auch Singer/Songwriter.

Backstage PRO: Die Band scheint dagegen an Bedeutung verloren zu haben.

Klaus Fiehe: Wir haben in der Tat einen massiven Zulauf von Einzelkünstler/innen. Im Gegensatz zu früher ist die Band nicht mehr so der zentrale Körper, obwohl ich das ja persönlich sehr reizvoll finde, in einer Band zu spielen. 

"Die Werbung dauerhaft selbst zu machen ist nicht gut"

Backstage PRO: Was ist für den Erfolg einer Band oder eines Solokünstlers besonders wichtig?

Klaus Fiehe: Vernetzung ist natürlich das A und O. Wenn ich aus Aachen, Bonn oder Solingen komme, stamme ich nicht gerade aus den Metropolen der Musikwelt. Da sollte ich einerseits darauf achten, meine Homebase nicht zu verlieren, andererseits mich aber auch  mit anderen Artists aus allen anderen Städten auszutauschen, um ein Netzwerk aufzubauen. Denn je mehr andere Artists ich kenne, desto eher kennt auch mal jemand einen coolen Verleger oder ein Label oder Leute aus den Medien, also jemanden, der Musik kommunizieren kann. Die Werbung dauerhaft immer nur selbst zu machen, halte ich für nicht so gut. 

Backstage PRO: Du bist also der Meinung, Bands sollten alle Möglichkeiten ausschöpfen?

Klaus Fiehe: Absolut. Ich würde auch ruhig auch mal dort nachfragen, wo du denkst: "Ach das lohnt sich nicht". Es gibt Bands, die einfach so in die USA fliegen, weil sie sich dort vernetzen möchten. Als Newcomer hast du nur eine Handvoll Jahre Zeit und ich würde mich reinhauen und meiner Fantasie freien Lauf lassen! Wenn es jemand gibt, mit dem du zusammenarbeiten möchtest, lerne diese Person kennen!

Backstage PRO: Herzlichen Dank für das Gespräch!

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