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"Kleine und mittlere Unternehmen benötigen dringend Hilfe"

Prof. Jens Michow über die Aussichten der Veranstaltungsbranche für 2023 und Forderungen an die Politik

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 03.01.2023

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Prof. Jens Michow über die Aussichten der Veranstaltungsbranche für 2023 und Forderungen an die Politik

Prof. Jens Michow fordert weitere Hilfen für Veranstalter. © Daniel Lakomski & Jan Huebner

Prof. Jens Michow ist einer der bekanntesten und einflussreichsten Vertreter der Veranstaltungsbranche. Im Interview spricht er über seine Abwahl als Präsident des BDKV, die schwierige Lage der Veranstalter und schlägt Lösungen vor.

Backstage PRO: Herr Prof. Michow, kürzlich fand ihre lange Tätigkeit als Präsident des BDKV ein nicht ganz einvernehmliches Ende. Inzwischen sind einige Wochen vergangen. Welche Emotionen herrschen bei Ihnen vor? Zorn über die Umstände der Abwahl oder Stolz auf die langjährige Tätigkeit und die erreichten Leistungen?

Prof. Jens Michow: Zur Einvernehmlichkeit habe ich alles gesagt, was es zu sagen gibt. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass sich in den letzten Wochen so viele Mitglieder in berührender Weise für meine Arbeit bedankt haben. Die zahlreichen persönlichen Dankesschreiben waren überwältigend. Ich danke allen dafür sehr! 

Dass mein bisheriger Co-Präsident und einzelne Mitglieder des alten Vorstands, von dem ja fünf Personen im Rahmen der allseits geforderten "Erneuerung" auch zum neuen Vorstand gehören, bei der Mitgliederversammlung aus durchschaubaren Motiven jeden Anstand vermissen ließen, hat mich zwar zunächst einmal sehr überrascht und auch getroffen, beschäftigt mich aber heute auch nicht mehr. Ab jetzt beschäftige ich mich nur noch mit der Zukunft. 

Backstage PRO: Vor welchen Herausforderungen steht die neue Führung des BDKV und unter welchen Voraussetzungen kann sie diese bewältigen? 

Prof. Jens Michow: Der BDKV hat mit Johannes Everke einen neuen Geschäftsführer, der für seinen neuen Job brennt und in den alle Mitglieder große Hoffnungen setzen. Ich bin sicher, dass er sich sehr engagieren wird, um diese zu erfüllen, sich die erforderlichen Kontakte zu erarbeiten und für die Branche zu kämpfen. Der neu gewählte BDKV-Vorstand hat nunmehr die Aufgabe, den Verband zu führen. Das wird allein aufgrund der neuen in der Satzung verankerten Führungsrolle mehr zeitliches Engagement erfordern, als es bisher der Fall war.

"Die Live-Branche wird 2023 vor großen Herausforderungen stehen"

Backstage PRO: Wie steht es um die Veranstaltungsbranche insgesamt?

Prof. Jens Michow: Die Branche wird 2023 – so jedenfalls die Aussagen vieler Praktiker – vor außerordentlich großen Herausforderungen stehen. Es ist zwar offenbar so, dass die größeren Veranstalter wieder das Vorkrisenniveau erreicht haben. Damit dürften sich auch die von CTS Eventim veröffentlichten, beeindruckenden Neunmonatszahlen sowie das Steigen der Aktie erklären lassen. Gleichwohl darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Künstler und Bands in den vergangenen Monaten ihre Tourneen abgesagt haben. Außerdem sind die Verkaufsergebnisse der kleinen und mittleren Veranstaltungen unbefriedigend und führen häufig zu nicht unerheblichen Verlusten. Zudem sagen aktuell zahlreiche Unternehmen Veranstaltungen auch für 2023 ab und sind bei Neuplanungen sehr zurückhaltend. Die Entwicklung könnte auch die Gefahr in sich bergen, dass noch mehr Arbeitnehmer/innen über ihre berufliche Zukunft in der Branche nachdenken und in andere Wirtschaftszweige abwandern.

Backstage PRO: Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für den Umgang mit der Politik? 

Prof. Jens Michow: Auf der Grundlage dieser Entwicklungen wird es erforderlich sein, der Politik zu veranschaulichen, wie wenig repräsentativ ausverkaufte Top-Events für den Gesamtzustand der Branche sind und wie dringend ein Großteil unseres Wirtschaftszweiges – so bedauerlich wir das selbst finden mögen – auf weitere Hilfen angewiesen ist. Die Branche fordert hier immer wieder die Verlängerung der Wirtschaftlichkeitshilfe, die ja offenbar ohnehin nicht durchsetzbar ist. Sie allein würde allerdings auch nicht helfen, da es keine pandemisch bedingten Veranstaltungseinschränkungen mehr gibt.

Backstage PRO: Wie könnte eine bessere Lösung aussehen?

Prof. Jens Michow: Es wird darum gehen, eine Projektförderung zu verhandeln, die z.B. in einer Neuauflage von Neustart Kultur bestehen könnte. Grundsätzlich müssen Anstrengungen unternommen werden, die bestehenden Kontakte zu den parlamentarischen Staatssekretären sowohl des Wirtschafts- als auch des Finanzministeriums sowie zur Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) zu pflegen und auszubauen. 

"Die Forderungen an die Politik sollten sich auf Projektförderungen konzentrieren"

Backstage PRO: Welchen Einfluss hat die Inflation auf die Veranstaltungsbranche?

Prof. Jens Michow: Wir erleben alle eine erhebliche Verteuerung der Lebenshaltungskosten. Und nun muss nicht nur die Veranstaltungsbranche, sondern die gesamte Gesellschaft noch häufig auf das Doppelte gestiegene Energiekosten und erheblich gestiegene Personalkosten bewältigen. Derartige Kostensteigerungen führen zwangsläufig dazu, dass die Menschen weniger Geld für Freizeitaktivitäten ausgeben können. Eine Erhöhung der Ticketpreise wird gleichwohl unvermeidbar sein. Dabei wurde ja schon in der Vergangenheit zuweilen über die Höhe der Ticketpreise geklagt. In Zeiten, in denen Tourneen und Veranstaltungen abgesagt oder gar nicht erst geplant werden, ist das natürlich nicht geeignet, den Ticketverkauf anzukurbeln. 

Backstage PRO: Welche Lösungen existieren für die Probleme? Sind sie überhaupt ohne politische Intervention lösbar? 

Prof. Jens Michow: Wir haben leider förderrechtlich das Problem, dass grundsätzlich nur Kosten förderfähig sind, die nicht zum allgemeinen Betriebsrisiko zählen. Bei Kostensteigerungen, die auf den Angriffskrieg in der Ukraine oder z.B. den demografischen Wandel zurückzuführen sind, handelt es sich jedoch um ein allgemeines Betriebsrisiko von Veranstaltungsunternehmen, auch wenn für die Kostensteigerung die Auswirkungen eines Krieges ursächlich sind. Daher sollte sich der BDKV zukünftig bei den Forderungen an die Politik vornehmlich auf Projektförderungen konzentrieren und hier mit dem dafür erforderlichen Know-how des Förderrechts mit allen dafür in Frage kommenden Ministerien verhandeln.

Backstage PRO: Welche Unternehmen benötigen die Hilfe besonders dringend?

Prof. Jens Michow: Die Veranstaltungsbranche hat bis 2020 nie staatliche Förderungen in Anspruch genommen. Wenn die beachtlichen Förderungen, die unseren Unternehmen in den letzten drei Jahren das Überleben gerettet haben, nicht verloren sein sollen, werden die kleinen und mittleren Unternehmen dringend auf weitere Förderungen angewiesen sein. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass sie es sind, die die kulturelle Vielfalt unseres Landes gewährleisten. Und sie werden leider die ersten sein, die den aktuellen Herausforderungen ohne solche Hilfen nicht standhalten können.

"Veranstalter bleiben schutzlos auf dem Risiko von Absagen sitzen"

Backstage PRO: Im krassen Gegensatz zur unbestrittenen Notlage der Veranstalter stehen die hohen Gewinne von Eventim und der DEAG. Welche Erklärung haben Sie dafür? 

Prof. Jens Michow: Die von Ihnen genannten Unternehmen führen überwiegend Veranstaltungen mit nationalen und internationalen Top-Acts durch. Viele dieser Veranstaltungen wurden erst in diesem Jahr und daher unter den Kostenvoraussetzungen dieses Jahres geplant. Es handelt sich dabei häufig um Veranstaltungen mit Künstlern, deren Konzerte auch vor der Pandemie stets ausverkauft waren. Hier gibt es eine Nachfrage, die es in diesem Ausmaß bei mittleren und kleineren Veranstaltungen eben nicht gibt. Damit sind erhebliche Umsätze erwirtschaftet worden. Das dürfte die wesentliche Ursache für die Gewinne der von Ihnen zitierten Unternehmen sein.

Backstage PRO: Wie beurteilen Sie den Antrag der CDU/CSU, der fordert, den Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen bis Ende des Jahres 2023, hilfsweise bis zum Verbrauch der ursprünglich bewilligten Restmittel, fortzuführen? 

Prof. Jens Michow: Ich habe diesen Antrag initiiert und an dem Inhalt des Antrags intensiv mitgearbeitet. Das deutliche Nein der Regierungsparteien habe ich erwartet. Allerdings gibt es bei allen drei Regierungsparteien Politikerinnen und Politiker, die zwar bei der kürzlichen Bundestagsdebatte zum Sonderfonds aus Parteidisziplin gegen dessen Verlängerung gestimmt haben, die im Vorwege immer wieder erkennen ließen, dass auch sie dieser Forderung gar nicht so ablehnend gegenüberstehen. Das gilt insbesondere auch für das Haus der BKM. Solange es aber keinen hinreichenden Ersatz wird hier weiter gebohrt werden müssen. 

Backstage PRO: Welche Ziele haben Sie denn überhaupt mit einer Verlängerung des Fonds verfolgt? Die Wahrscheinlichkeit für Absagen wegen Corona ist deutlich gesunken.

Prof. Jens Michow: Es wird aller Voraussicht nach keinen Lockdown mehr geben. Aber es ist nicht auszuschließen, dass Tourneen aufgrund einer Corona-Erkrankung von Künstler/innen abgesagt werden müssen. Da private Versicherungen pandemische Risiken überhaupt nicht mehr versichern, blieben die Veranstaltungsunternehmen schutzlos auf dem Kostenrisiko sitzen. Insbesondere nicht konzernale Unternehmen werden nicht dazu imstande sein, alle Kosten zu tragen und den Kartenkäufern gezahlte Eintrittsgelder zu erstatten. Damit wären wir wieder bei den Problemen angekommen, die 2020 nur durch die Gutscheinregelung gelöst werden konnten. 

"Der Energiefonds muss auch Veranstaltern offenstehen"

Backstage PRO: Welche Informationen haben Sie zum geplanten Energiefonds? 

Prof. Jens Michow: Dieser Fonds soll ja nur dazu dienen, die gestiegenen Energiekosten von Kultureinrichtungen aufzufangen. Obwohl zwischenzeitlich mitgeteilt wurde, dass auch Veranstaltungsunternehmen antragsberechtigt sein werden, höre ich, dass dies nur in besonderen Fällen möglich sein wird. Und dass die Kultureinrichtungen, also die Spielstätten, die ihnen zufließende Förderung 1:1 an die Veranstaltungsunternehmen weitergeben, wage ich zu bezweifeln. Auch scheint hier übersehen zu werden, dass die Spielstätten gar nicht mehr so hohe Energiekosten haben werden, wenn die Zahl der Veranstalter, die sie bisher gebucht haben, aus den vorstehend dargestellten Gründen abnimmt.

Backstage PRO: Was müsste Ihrer Ansicht nach geschehen?

Prof. Jens Michow: Ich empfehle, dass sich der Verband hier schnellstens in die Debatte um die Verteilung der Gelder einmischt und darauf drängt, dass die Förderung die zu erwartende Kostensteigerung tatsächlich hinreichend kompensiert. Das Antragsverfahren muss unkompliziert gestaltet werden und vor allem muss die Förderung den Veranstaltungsunternehmen unmittelbar zugutekommen und nicht etwa nur vornehmlich in öffentliche Einrichtungen fließen. Und es muss den Politiker/innen auch klar gemacht werden, dass die steigenden Energiekosten für die Branche lediglich ein Teilproblem sind, mit dessen Bewältigung sich die Vielzahl der dargestellten weiteren Probleme nicht lösen lässt. Ich befürchte nämlich, dass dem BDKV bei allen weiteren Forderungen mit dem Hinweis begegnet wird, dass man mit dem Energiekostenentlastungsfonds nun doch hinreichend geholfen habe.

"Ich habe monatelang an der Entwicklung von Förderprogrammen mitgewirkt"

Backstage PRO: Welche Leistungen des BDKV seit Beginn der Corona-Pandemie sind aus Ihrer Sicht besonders hervorzuheben? 

Prof. Jens Michow: Ich sage das mal ganz frank und frei: Ich bin stolz auf das, was während der Pandemie erreicht wurde. Es begann mit der Gutscheinregelung und ging weiter mit dem Live-Programm von Neustart Kultur. Aus den geplanten 20 Millionen sind immerhin 80 Millionen Euro geworden und die gleiche Summe konnte dann auch noch für Neustart Kultur II verhandelt werden. Es ist mir gelungen, die BKM dazu zu bewegen, auch nicht-musikalische Kulturprogramme zu fördern, was ursprünglich überhaupt nicht geplant war. Dafür wurden weitere 20 Millionen zur Verfügung gestellt. An der Erarbeitung der Förderprogramme habe ich Monate lang intensiv mit dem Ziel mitgewirkt, für die Branche das Optimale herauszuholen.

Backstage PRO: Was ist ansonsten noch während der Pandemie an konkreten Hilfen für Veranstalter vereinbart worden?

Prof. Jens Michow: Zusammen mit den Verbandsvertretern des Forums Veranstaltungswirtschaft haben wir durchgesetzt, dass die November/Dezemberhilfe auch von Dienstleistern beantragt werden konnte, die zwar selbst nicht unmittelbar, sondern über Dritte – z.B. Künstler/innen – von Schließungsmaßnahmen betroffen waren. Damit kamen in unserem Gewerbe nicht nur erstmals auch die Künstleragenturen in den Genuss einer Förderung, sondern dieses Verhandlungsergebnis kam tausenden Dienstleistern aller Branchen zugute, die lediglich indirekt von einem Lockdown betroffen waren. Auch die Erstattung der Vorlauf- und Ausfallkosten, die seitens des BDKV immer wieder gefordert und dann als besondere Förderung von Kulturveranstaltungs-Unternehmen in die Überbrückungshilfen aufgenommen wurde, haben der Branche sehr geholfen. Von erheblicher finanzielle Bedeutung für alle Veranstaltungsunternehmen ist die von mir mit der BKM verhandelte Reduktion der Eigenbeteiligung der Veranstalter bei der Ausfallabsicherung des Sonderfonds von 20% auf 10%. Außerdem haben wir gemeinsam mit dem Forums Veranstaltungswirtschaft dazu beigetragen, dass der EU-Beihilferahmen im Oktober 2020 von 750.000 auf 3 Millionen Euro und die monatliche Fördergrenze der Überbrückungshilfe von 500.000 auf 1,5 Mio. Euro erhöht wurde. 

"Ich mache weiter, solange ich in der Branche etwas verändern kann"

Backstage PRO: Hat sich durch diese zahlreichen Verhandlungen die Wahrnehmung der Branche durch die Politik verändert?

Prof. Jens Michow: Zunächst einmal ist es nicht so, dass die Politik erst während der Pandemie wahrgenommen hat, wer wir sind. Das gilt insbesondere für die Kulturveranstaltungswirtschaft. Der BDKV hatte auch bereits vor der Krise sehr gute Kontakte zu allen relevanten Parteien und Politikern in Berlin und auf diesem Wege ja auch schon vieles erreicht. Die Verbandsvertreter/innen des Forums Veranstaltungswirtschaft haben der Politik allerdings veranschaulicht, dass der Wirtschaftszweig nicht allein aus den Kulturveranstaltern besteht, sondern darüber – insbesondere mit dem B2B-Bereich – weit hinausgeht. Das hat natürlich das Gewicht des Wirtschaftsbereichs erheblich erhöht und ist auch den Kulturveranstaltungen zugutegekommen. Man muss heute keinem Politiker mehr erklären, welche wirtschaftliche Bedeutung wir haben und wie viele Arbeitsplätze von uns abhängen. Dazu haben nicht nur unsere Gespräche mit der Politik, sondern eine umfangreiche von uns initiierte Medienberichterstattung beigetragen.

Backstage PRO: Sie haben deutlich gesagt, dass Sie sich nicht zur Ruhe setzen werden. Werden Sie auch kulturpolitisch aktiv bleiben und wenn ja, auf welche Weise?

Prof. Jens Michow: Ich  bin mein ganzes Leben im Kulturbereich tätig gewesen. Dass ich das auch noch in einem Alter getan habe, in dem sich andere schon längst zur Ruhe gesetzt haben, hat seinen simplen Grund darin, dass mir diese Arbeit viel Spaß gemacht und mich erfüllt hat. Ich habe definitiv nicht vor, auf diese Arbeit künftig zu verzichten. Und solange ich für die Branche noch etwas bewirken kann, sehe ich darin auch keine Notwendigkeit. Zunächst einmal werde ich mich allerdings mehr meiner Anwaltskanzlei widmen. Zu allem anderen kann ich nur sagen: wait and see!

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