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Optimistisches Gedankenspiel

Steckt in der Coronapandemie eine Chance für die lokale Musikszene?

Spezial/Schwerpunkt von Rodney Fuchs
veröffentlicht am 24.07.2020

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Steckt in der Coronapandemie eine Chance für die lokale Musikszene?

Die Mannheimer Band Go Get It bei einem Gig auf dem Maimarktgelände. © MKB

Noch immer hält die Coronapandemie die ganze Welt in Atem. Wann die ersten Clubs und Konzerthallen wieder zu gewohnten Bedingungen öffnen, bleibt trotz einiger Lockerungen unklar. Eine Limitierung auf eine bestimmte Personenanzahl beim geforderten Mindestabstand ergibt marktwirtschaftlich für Viele keinen Sinn. Doch wer kann sich in dieser Situation gut positionieren für bessere Zeiten mit weiteren Lockerungen? Gibt es vielleicht eine Chance für local Acts und regionale Musiker? Rodney Fuchs sieht Anlass zum Optimismus.

Hartes Stück Brot

Als Musiker in Corona-Zeiten Geld zu verdienen ist ein ernstes Problem. Weggebrochene Konzerte, ausgefallene Gagen und laufende Kosten treiben selbstständigen Vollzeitmusikern ein Loch in die Geldbörse. Und die Coronahilfen, zumeist ausgelegt auf Unternehmen, greifen oft nicht bei soloselbstständigen Künstlern

Wann ist eine Besserung in Sicht?

Wenn wir das Szenario der bundesweiten Cluböffnung durchspielen fällt schnell auf, dass ein Tag X momentan nicht genannt werden kann. Den Stand der Dinge haben wir an anderer Stelle übersichtlich zusammengefasst.

Eine Öffnung wird voraussichtlich spontan geschehen, was den Clubs und ihren Betreibern nur ein kurzes Zeitfenster gibt, um ein Programm auf die Beine zu stellen. Wie auch Norbert Schön, der Inhaber und Betreiber des Mainzer Kulturclubs schon schön, die Situation beschreibt:

"Aktuell sind keine großen Bookings möglich, da nicht absehbar ist, ab wann internationale Künstler wieder auf unseren Bühnen spielen dürfen und können. Irgendwann wird eine Ansage kommen und wir werden vielleicht zwei bis drei Wochen Zeit haben ein Live-Programm auf die Beine zu stellen."

Doch woher kommen die Acts, die zuerst zurück auf unsere Bühnen strömen werden?

Lokale Bookings erscheinen machbarer

Es erscheint nicht logisch, dass wir dieses Jahr noch Künstler aus den USA in Deutschland bewundern dürfen. Auch Künstler aus den näheren Nachbarstaaten könnten unter Reglementierungen leiden.

Stattdessen werden vielleicht Künstler aus dem direkten Umland diese Situation zu ihren Gunsten nutzen können. Denn…:

  • Sie sind nah an der Szene,
  • zumeist sehr flexibel
  • und können innerhalb kurzer Zeit ein Publikum an Land ziehen.

Hierin liegt eine klare Chance für lokale Künstler, die für eine kurzfristige Organisation viel greifbarer sind als größere, überregionale Bookings.

Die Zeit des Überangebots ist vorbei

In den vergangen Jahren gab es stellenweise nahezu ein Überangebot an Konzerten. In Metropolregionen wie dem Rhein-Main-Gebiet kam es für die Konzertgänger oft dazu, dass man sich zwischen verschiedenen Konzerten entscheiden musste. Ein Luxusproblem in Zeiten von Corona!

Parallel laufende Konzertreihen mit teils kostenlosen Konzerten sowie ein hohes Angebot an internationalen Bands erschweren es lokalen Künstlern immer, ein Publikum an Land zu ziehen. Doch nun darf die Frage erlaubt sein: Muss es immer eine große Band aus Übersee sein?

Natürlich dominiert bisher weiterhin der Gedanke, das Bands mit exotischem Hintergrund eine größere Zugkraft hätten, auch weil sie oft bekannter sind. So war die britische Rockmusik der deutschen Rockmusik in Sachen Popularität oft voraus und bis heute funktioniert englischer Indie-Rock besser, als sein deutsches Pendant.

Neu gewonnener Reiz

Eine lokale Band, die bis zu vier mal im Jahr in derselben Location spielt, nutzt sich ab und verliert ihren Reiz. Doch jetzt, wo keinerlei Konzerte stattfinden können, werden auch lokale Bands wieder spannend.

Was haben die Künstler aus der DIY-Ecke in der Zeit gemacht? Womit werden sie uns überraschen? Die Zeit im Lockdown ließ viele Möglichkeiten und Kapazitäten frei, die eventuell für neue, spannende Musik genutzt werden konnten. Manche Musiker hatten eventuell Zeit dafür, sich mehr mit ihren Fähigkeiten auseinanderzusetzen und sich zu verbessern. All das wird nur die Zukunft zeigen.

Doch es ist gewiss, dass diese Künstler wohl als erstes auf unsere Bühnen treten werden und dann vielleicht auch spannender sind, als je zuvor. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Gigs dieser Bands nicht mehr als selbstverständlich angesehen werden und sie durch die Umstände aus ihrer Rolle im "Vorprogramm" heraus treten können.

Es braucht einen Mindshift

Es gibt etliche gute, vielseitige Musiker und Gruppen, die nur auf ihre Chance warten. Möglicherweise wird sich die Tür zu dieser Chance in den kommenden Wochen öffnen, wenn es darum geht, innerhalb kurzer Zeit ein Live-Programm anzubieten.

Aktuell bleibt die Hoffnung auf eine Perspektive, während die Lust auf Konzerte zunehmend wächst und einem bewusst wird, wie sehr diese Erfahrung eines Live-Konzerts nach Wochen der Abstinenz fehlt.

Wenn nach der Coronakrise irgendwer auf einen Startvorteil  – insofern man bei der Dramatik der Krise und aller gebotenen Zurückhaltung überhaupt von sowas sprechen mag – setzen kann, dann vielleicht die regional gut vernetzen Szenen, die unter den aktuellen Bedingungen ausgerechnet auch am meisten leiden.

Doch dafür benötigt es auch eines größeren Mindshifts in der Rest-Bevölkerung und vor allem bei typischen Konzertgängern: Diese Künstler müssen als ebenso wenig selbstverständlich angesehen werden wie die Clubs unserer Städte.

Außerdem benötigen Bands und Musiker eine kluge eigene Zielsetzung und einen Plan.

Support Your Locals

In den letzten Wochen ging es darum, lokale Unternehmen wie Cafés, Restaurants und Bars in diesen schwierigen Zeiten zu unterstützen. Die Möglichkeiten reichten von Merchandise-Artikeln über Gutscheine bis hin zur einfachen Spende.

Doch ist es nicht auch wichtig die lokalen Kunstschaffenden zu unterstützen? Sei es der Kauf von Merchandise, das Streamen einer CD oder das einfache "darauf Aufmerksam machen" auf die Musik eines lokalen Künstlers. All diese Elemente unterstützen Künstler.

Der Kauf von virtuellen Konzertkarten, die in Zukunft eingelöst werden können, ist ebenfalls eine kreative Idee, die kurzfristig funktioniert. Doch wenn wir die lokalen und regionalen Gastronomen, oder auch Bauern unterstützen, sollten wir ebenfalls die lokale Kultur bekräftigen. Oder können wir uns dort etwa Abstriche erlauben?

Euer Feedback

Unser Autor Rodney Fuchs studiert Musikwissenschaft, schreibt als als freier Musikjournalist und spielt in zwei Mainzer Bands das Schlagzeug. Dort ist er auch als freier Booker tätig.

Welchen Blickwinkel hast du auf die aktuelle Situation?

Wir sind sehr auf eure Meinungen gespannt! Schreibt euer Feedback in die Kommentare.

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