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Musikszene in der Pandemie

Studie verdeutlicht schwierige wirtschaftliche und soziale Situation freischaffender Musiker

Spezial/Schwerpunkt von Florian Endres
veröffentlicht am 28.06.2022

coronakrise musikereinkommen

Studie verdeutlicht schwierige wirtschaftliche und soziale Situation freischaffender Musiker

© Kinga Cichewicz via Unsplash

Der Landesmusikrat NRW stellte die Ergebnisse seiner Studie über die wirtschaftliche und soziale Situation freischaffender Musiker/innen in NRW vor. Die Studie unterstreicht deren schwierige Lage, die sich durch die Corona-Pandemie nur verschärft hat – und das nicht nur in Nordrhein-Westfalen.

Der Landesmusikrat Nordrhein-Westfalen (LMR NRW) veröffentlicht die Ergebnisse der Studie "Die wirtschaftliche und soziale Situation von vollständig oder teilweise freischaffenden Musikpädagog*innen sowie Musiker*innen in NRW".

Bei dem Projekt handelt es sich um eine Follow-Up-Studie von Prof. Heiner Barz von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Auftrag des LMR NRW. Die Daten wurden im Januar und Februar 2022 im Rahmen einer Online-Umfrage erhoben; insgesamt haben sich 235 Beschäftigte aus den Bereichen Musikpädagogik und Musikbusiness beteiligt.

Deutlich unter Durchschnitt

Die Studie des LMR NRW kommt zu dem Ergebnis, dass insgesamt 69 Prozent der Befragten ihre Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit erwirtschaften. Der Rest verdient sein Einkommen durch einen für die Branche typischen Mix aus freiberuflich erwirtschafteten Honoraren und Einkünften aus unselbstständigen Beschäftigungsverhältnissen.

Das monatliche Durchschnittseinkommen der befragten in der Sparte Musik lag für das Bezugsjahr 2021 bei 1.611 Euro – eine deutliche Verringerung im Vergleich zum Bezugsjahr 2019, in dem das durchschnittliche Einkommen immerhin noch bei 2.028 Euro lag.

Selbst unter Einbezug sonstiger Einkünfte liegen die Befragten Musikschaffenden und Musikpädagog/innen mit 2.135 Euro im Bezugsjahr 2021 (Bezugsjahr 2019: 2.492 Euro) noch immer deutlich unter dem vom Statistischen Bundesamt ausgewiesenen Durchschnittseinkommen von 4.100 Euro im Jahr 2021.

Keine Neuigkeiten

Natürlich sind die in der vom Landesmusikrat in Auftrag gegebenen Einkommensverluste in der freien Musikszene weder eine neue Feststellung noch auf NRW begrenzt.

Der Deutsche Musikrat hat bereits in seiner im Mai 2021 veröffentlichten Studie "Eiszeit?" auf die Folgen der Corona-Pandemie für Musiker/innen hingewiesen und dabei insbesondere die erlittenen Einkommensverluste etwa durch Konzertabsagen in den Vordergrund gerückt. Die neuere Studie des Landesmusikrates zeigt, dass die Probleme auch im Laufe des Jahres 2021 fortbestehen.

Die Studie des DMR bezifferte die Einkommensverluste von selbständig Tätigen im ersten Lockdown auf durchschnittlich etwa 44 Prozent, wobei gut ein Fünftel der Befragten sogar einen Umsatzausfall von 100 Prozent angab. Im zweiten Lockdown erfasste die Studie des Musikrates einen Umsatzrückgang im Bereich der selbstständig Tätigen von mehr als 45 Prozent im Vergleich zur Ausgangslage.

Positives Mindset

Trotz des vergleichsweise niedrigen Einkommens gibt der größte Teil der Befragten an, nach wie vor zufrieden mit der Berufswahl zu sein: 69 Prozent der Befragten würden sich wieder für den gleichen Werdegang entscheiden. 80 Prozent geben an, in ihrem Berufsfeld "im Hinblick auf Aspekte wie Sinn und Bedeutung" weiterhin erfüllt zu sein.

Gleichzeitig geben 63 Prozent der Befragten jedoch an, mit ihrer Einkommenssituation unzufrieden zu sein.

Auswirkungen der Coronakrise

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie wurden von einer deutlichen Mehrheit der Befragten als problematisch erlebt: 2021 waren es 79 Prozent, 2020 sprachen immerhin 74 Prozent der Befragten von Belastungen durch die Folgen der Pandemie.

Die Befragten sprachen dabei bereits bekannte Problemfelder an – Konzertabsagen und die daraus folgenden finanziellen Einbußen für Künstler/innen sowie die Einschränkung der Möglichkeiten des Musikunterrichts und des Probebetriebes. Ein Künstler schreibt dazu, dass "98 Prozent aller Auftritte abgesagt wurden – in nur einem Fall gab es ein Ausfallhonorar".

Während dieser Künstler grundlegend seine Existenz durch seine Unterrichtstätigkeiten sichern konnte, fiel Gruppenunterricht aus und Video-Unterricht war oftmals unerwünscht: "Die wirtschaftliche Lage desolat! Ich hatte 3 Konzerte im Jahr 21. Normal sind ca. 30." Dadurch, so schildert es der Künstler, fehlte ihm zunehmend die Motivation, mit seinem Instrument zu üben.

Die Hürden der Bürokratie

Als weitere Belastung empfanden die Musikschaffenden und Musikpädagog/innen den mit der Pandemie und den Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung einhergehenden bürokratischen Aufwand.

Durch die ständigen Änderungen der Corona-Schutzmaßnahmen in Bezug auf die Regelungen, mit den einhergehenden Verschiebungen der Auftritte oder des Unterrichts in die virtuelle Welt, musste für die Organisation und Planung die doppelte Zeit aufgewendet werden.

Digitale Welten

Hinsichtlich der Digitalisierung geben sich einige Befragte der LMR-Studie durchaus zufrieden mit den Möglichkeiten von Online-Formaten und -Erfahrungen – zumindest, wenn deren Digitalisierung sich aufgrund des Formates anbietet. 

Hier findet ihr unsere Umfrage zum Thema Livestream-Konzerte

Andere gaben hingegen an, dass ihr Angebot sich nur schwer digitalisieren ließ, oder dass digitale Handreichungen von Kund/innen, beispielsweise Musikschülerinnen und -schülern, gar nicht erst angenommen wurden – so wurden digitale Unterrichtsformate als "notwendig, aber ‘unzureichend’ und ‘unbefriedigend’ beschrieben."

Staatliche Hilfen

Hinsichtlich der Wirksamkeit von staatlichen Hilfen im zweiten Corona-Jahr war die Meinung der im Rahmen der Studie Befragten zwiegespalten. Mehr als die Hälfte erklärte, dass die Umsatzeinbußen durch Finanzhilfen gedeckt werden konnten: Während 39 Prozent angaben, den wirtschaftlichen Schaden mit den Hilfen "einigermaßen" kompensieren zu können, bezeichneten 16 Prozent die Hilfen sogar als "sehr gut".

Auf der anderen Seite berichteten 45 Prozent der Befragten, dass sie von den Finanzhilfen kaum oder gar nicht profitieren, beziehungsweise keine spürbaren Effekte bemerkten. Ein Grund dafür war der nicht optimal gestaltete Antragsprozess und die fehlenden Möglichkeiten zur Finanzierung der Lebenshaltungskosten.

Gefürchtete Rückzahlungen

Insgesamt haben 64 Prozent der Befragten staatliche Corona-Hilfen beantragt. Im Vergleich zum Vorjahr ist deren Anteil damit deutlich gewachsen: So gaben in der Befragung des DMR aus dem Jahr 2021 nur 38 Prozent der Befragten an, staatliche Hilfen beantragt zu haben.

Laut LMR gaben für das Jahr 2021 55 Prozent der Befragten an, Probleme mit Rückzahlungsforderungen der Hilfen gehabt zu haben – 64 Prozent davon hielten die Forderungen für nicht gerechtfertigt: Insbesondere wurden die zu hohen Rückzahlungssummen sowie die sich häufig ändernden Bedingungen der Bewilligung von den Befragten bemängelt.

Auch in einer Backstage-PRO-Umfrage von Anfang 2022 kamen wir zu einem ähnlichen Ergebnis – wenngleich wir uns hier nicht nur explizit an Freiberufler/innen richteten: Nur 63 Prozent der Befragten konnten die Hilfen vollständig behalten. 37 Prozent gaben an, dass sie sie komplett oder teilweise wieder zurückzahlen mussten – die Höhe der Rückzahlungen lag dabei vornehmlich im Bereich zwischen einem und 50 Prozent:

Psychische Probleme

Die Ergebnisse der Umfrage zeigen auch, dass der Anteil der Befragten, die noch optimistisch in die Zukunft blicken, rückläufig, aber dennoch überwiegt: 54 Prozent der Befragten starteten tendenziell mit eher positiven Erwartungen in das Jahr 2022 (2020: 59%), während 37 Prozent negative Erwartungen formulierten (2020: 24%).

Laut Auswertung zehrt das Fehlen gesellschaftlicher Anerkennung für die Musik an der Psyche vieler Musizierender. Zusätzlich fehlt die Wertschätzung der Musik- und Kulturbranche im Allgemeinen, die wiederum auch Zweifel an der "Systemrelevanz" der Branche bedingen: "Als plötzlich nicht systemrelevant erklärt zu werden, war ein großer Schock."

Fehlendes Vertrauen

Immer wiederkehrend kommt auch eine große Enttäuschung über ein gesellschaftliches Klima und eine politische Entscheidungsebene zum Ausdruck, in der Kunst, Kultur und Musik als vernachlässigbares Randphänomen entwertet werden.

Ein gar nicht so kleiner Teil der Befragten berichtet auch von existentiellen Nöten, von Existenzangst, von Ungewissheit, Angst, Frustration, Depression, Hoffnungslosigkeit, vom Ende aller Gewissheiten – und vom Nachdenken über einen Berufswechsel:

"Die Sicherheit, mit eigener Arbeit und Anstrengung mein Leben zu bestreiten, ist komplett weg. Das Vertrauen in mein Berufsfeld ist komplett weg."

Zukunftsperspektive

Tatsächlich zeigt sich auch aktuell, in einer Zeit, in der die Corona-Maßnahmen weitestgehend gelockert wurden, noch immer ein destabilisierendes Element der Pandemie: Konzerte und Festivals müssen weiterhin wegen erkrankter Musiker/innen, fehlendem Personal oder einfach einem zögernden Publikum kurzfristig abgesagt werden.

Lest hier unseren Artikel zum Thema Festivalabsagen nach der Pandemie!

Gleichzeitig steigen die Infektionszahlen derzeit wieder an, weshalb die Länder den Bund auffordern, wieder stärkere Maßnahmen durchzusetzen – was vorerst jedoch nicht der Fall ist. Das bedeutet für Musikerinnen und Musiker erneut Ungewissheit.

Die fehlende Planungssicherheit ist einer der Punkte, die nicht nur die befragten Musiker/innen der Studie des Landesmusikrates NRW als besonders belastend hervorgehoben haben; auch Branchenverbände und einzelne Akteurinnen und Akteure monieren diese immer und immer wieder. Es wäre daher an der Zeit, dass Bund und Länder mit einer vorausschauenden Pandemiepolitik dieses Problem endlich einmal eindämmen. 

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