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Wegweisend oder Ausnahme?

Taylor Swifts Neuaufnahmen ihrer Alben veranlassen Labels strengere Fristen in Verträgen festzulegen

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 14.11.2023

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Taylor Swifts Neuaufnahmen ihrer Alben veranlassen Labels strengere Fristen in Verträgen festzulegen

Taylor Swift (2023). © Universal Music

Mit ihrem großen Einfluss hat Taylor Swift durch ihre Entscheidung, ihre früheren Alben als "Taylor's Version" neu aufzunehmen und zu veröffentlichen, einen erheblichen Einfluss auf die Musikindustrie ausgeübt. Sowohl Major- als auch Indie-Labels haben begonnen, ihre Verträge mit Künstlern und Künstlerinnen zu überarbeiten und die Fristen zu verlängern, die festlegen, wann neue Versionen ihrer Songs veröffentlicht werden können.

Zwischen 2006 und 2017 veröffentlichte Taylor Swift sechs Alben auf dem Label Big Machine Records. Dabei handelte es sich um ihr selbstbetiteltes Debütalbum aus dem Jahr 2006 und um "Fearless" (2008), "Speak Now" (2010), "Red" (2012), "1989" (2014), und "Reputation" (2017).

Während Big Machine Records die Masterrechte, also die Rechte an den eigentlichen Tonaufnahmen, hielt, besitzt und besaß Taylor Swift die Verlagsrechte, also die Rechte an den eigentlichen Songs.

Taylor wechselt das Label

Kurz vor dem Ende ihres Vertrags mit Big Machine Records im November 2018 verhandelte Taylor Swift mit dem Label über den Rückkauf der Masterrechte und eine gleichzeitige Vertragsverlängerung. Beide Seiten kamen aber zu keiner Einigung, weshalb Taylor Swift zu Republic Records wechselte, das Teil der Universal Music Group ist.

Im Juni 2019 verkaufte Big Machine-Records-Gründer Scott Borchetta das Label für angeblich 300 Millionen US-Dollar an den US-Medienunternehmer und Künstlermanager Scooter Braun, der unter anderem mit Justin Bieber, Ariana Grande und Kanye West zusammenarbeitete. 

Die Sache wird persönlich

Taylor Swift bezeichnete den Verkauf an Scooter Braun als "worst-case-scenario", da sie Braun beschuldigt, sie jahrelang terrorisiert und versucht habe, ihre Karriere zu beschädigen. Hintergrund war ein Streit zwischen Taylor Swift und Kanye West, der damals von Scooter Braun gemanagt wurde, über das Lied  "Famous" sowie das dazugehörige Video.

In der Textzeile "I feel like me and Taylor might still have sex / Why? I made that bitch famous" spielt Kanye West darauf an, er habe Taylor Swift zu Berühmtheit verholfen, als er 2009 bei den MTV Music Awards die Bühne stürmte, als Taylor Swift für das beste Video ausgezeichnet wurde, während Kanye West meinte, Beyoncé habe den Preis verdient.

Taylor Swift ist der Überzeugung, Scooter Braun habe in den Jahren nach diesem Vorfall aktiv versucht, ihr zu schaden, weshalb sie im Verkauf von Big Machine-Records eine Bedrohung ihres musikalischen Erbes sah. Für eine ausführliche Darstellung des persönlichen Konflikts zwischen Swift und West/Braun auf Englisch siehe hier.

Der Entschluss zur Neuaufnahme

Nachdem es Taylor Swift nicht gelungen war, die Masterrechte ihrer ersten sechs Alben zurückzukaufen, fasste sie einen Plan, der gänzlich einzigartig in der Musikgeschichte ist: Sie entschloss sich, alle Alben noch einmal komplett neu aufzunehmen und als "Taylor's Version" zu veröffentlichen.

Möglich war das, weil Taylor Swift alle Songs selbst geschrieben hatte und damit die Verlagsrechte komplett hielt. Wäre das anders, wären diese Neuaufnahmen nicht ohne weiteres möglich gewesen. Bisher erschienen neue Versionen von "Fearless" und "Red" (beide 2021) und "Speak Now" und "1989" (beide 2023). 

Wettbewerb zwischen Alt und Neu

Die ursprünglich veröffentlichten Versionen dieser vier Alben sind aber weiterhin erhältlich, weshalb aktuell quasi ein Wettbewerb zwischen Originalen und Neuaufnahmen herrscht. Die Originale generieren natürlich weiterhin auch Einnahmen für die Eigentümer der Masterrechte. Das ist aber nicht mehr Scooter Braun, der sie längst mit Gewinn an einen namentlich nicht bekannten Investmentfonds veräußert hat.

Nach einer Analyse des Online-Magazins Music Business Worldwide erzielte "Fearless (Taylor's Version) im Jahr 2022 mehr als 401 Millionen Streams, während das auf Big Machine veröffentlichte Original 257 Millionen verbuchte. Bei "Red" besteht sogar eine noch größere Kluft: 962 Millionen Streams für "Taylor's Version" im Vergleich zu 255 Millionen Streams für das Original.

Lukrativer Entschluss

Der Erfolg der neuen Versionen liegt mit Sicherheit auch an der Öffentlichkeit des Streits mehrerer Superstars bzw. prominenter Persönlichkeiten, an dem sich zahlreiche weitere prominente Personen beteiligten. Zudem stellten sich die leidenschaftlichen, loyalen "Swifties" natürlich vollauf auf die Seite der Sängerin und Songwriterin.

Abgesehen von den öffentlichen Leidenschaften ist natürlich auch den Labels nicht entgangen, dass Swifts Neuaufnahmen höchst erfolgreich und lukrativ sind – nicht zuletzt für Taylor Swift selbst. So hat sie bei Big Machine Records nur geschätzte 15 Prozent der Einnahmen ihrer Album-Verkäufe erhalten, bei Republic Records, das die neuen Versionen veröffentlicht, sind es vermutlich an die 50 Prozent.

Lange Fristen als Antwort?

Die Furcht vor einem Einnahmeverlust steht sicherlich auch hinter Versuchen von Major und Indie Labels, die bisherigen Fristen für Neuaufnahmen von Songs durch bei ihnen unter Vertrag stehende Künstler zu verlängern.

Während bislang Fristen von 5 bis 7 Jahren oder 2 Jahre nach Ablauf des Vertrags üblich waren, enthalten Verträge von Major Labels wie Universal, Warner und Sony mit neuen Acts nun Fristen von 10 oder 15 Jahren. 

Nach Aussage von Gandhar Savur, der als Rechtsanwalt die Band Cigarettes After Sex vertritt, nahm ein großes Indie-Label sogar eine Frist von 30 Jahren in einen Vertrag auf.

Übertrieben oder angemessen?

Grundsätzlich sind Neuaufnahmen von alten Songs nichts Neues. So nahmen David Bowie, Jeff Lynne, Townes Van Zandt, U2, R.E.M., TLC und viele andere einzelne Songs erneut auf, andere Künstler wie die Bryan Ferry, Kate Bush, Neil Young, Sparks oder Lucinda Williams veröffentlichten sogar vollständige Alben mit Remakes ihrer eigenen Musik.

In den meisten Fällen bevorzugen Fans aber die Originale. Taylor Swifts Erfolg mit den Neuaufnahmen hat schlichtweg keine Parallele in der Popmusik der Gegenwart. 

Schon aufgrund der gewaltigen finanziellen Risiken und geringen zu erwartenden Ertrags hat kein anderer Künstler jemals den Versuch unternommen, einen Großteil seines Katalogs neu aufzunehmen. 

Ein seltener Fall

Insofern spricht vieles dafür, dass der von Billboard zitierte Anwalt Josh Binder Recht hat, wenn er erklärt, das Taylor Swift-Szenario sei selten. Die meisten Künstler machten nie von ihren Re-Recording-Rechten Gebrauch:

"Die Position der Labels ist: 'Hey, wenn wir einen Haufen Geld ausgeben, um diese Marke mit euch zu schaffen, dann solltet ihr nicht versuchen, Platten zu machen, die mit uns konkurrieren'. Wir versuchen, sie [die Fristverlängerung] zu bekämpfen. Wir versuchen, sie [die Frist] so kurz wie möglich zu halten. Aber ich finde nicht, dass es das wichtigste Thema ist, das es zu bekämpfen gilt."

Gleichwohl zeigt die Vorgehensweise der Labels, dass sie jedes Schlupfloch, das sich auf Künstlerseite auftut, sofort zu stopfen versuchen.

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