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Doktor Nics Studioguide, Teil 2

Wie du deine Nervosität im Griff behältst, um deinen Part im Studio bestmöglich aufzunehmen

Tipps für Musiker und Bands von Doktor Nic
veröffentlicht am 01.12.2017

recording tonstudio

Wie du deine Nervosität im Griff behältst, um deinen Part im Studio bestmöglich aufzunehmen

Wie ihr euch am besten auf Studioaufnahmen vorbereitet. © pressmaster / 123RF

Im ersten Teil von Doktor Nics Studioguide habt ihr euch um die Songs gekümmert, eine Vorproduktion ist gemacht. Der Sound ist geklärt, die Bezahlung des Studios auch. Jetzt wird's ernst… Studiosituation! Genau jetzt bist du an der Reihe, deine Parts einzuspielen, und merkst: Das ist etwas völlig anderes als im Proberaum, völlig anders auch als auf der Bühne. Keine Panik: Mit den folgenden Tipps wirst du dem Studiokoller nicht zum Opfer fallen.

Teil 1 verpasst? Jetzt lesen, wie ihr euch am besten auf Studioaufnahmen vorbereitet.

Sei dir über deinen Part klar

Bestenfalls hast du deine Stimme natürlich aus dem Effeff drauf und deine Basslines oder Gitarrenlicks stecken dir nur so in den Fingern. Ist das nicht der Fall, dann checke das mit deinen Bandmates noch einmal gemeinsam genau ab:

Ist der Ton wirklich richtig? Machst du jetzt eine Pause in der Bridge? Ist die Bassline wirklich tight mit dem, was der Drummer tags zuvor eingetrommelt hat?

Nicht selten musst du im Studio Kleinigkeiten an deinen Parts ändern. Das kannst du zwar in der Vorproduktion schon ausmerzen, passiert aber trotzdem häufig genug. Bist du nicht gut darin, dir spontan etwas auszudenken, muss dir eben ein anderes Bandmitglied dabei helfen. Schließlich seid ihr eine Band, daher sollte jeder Ideen zu jedem Instrument mitbringen dürfen und können. Trotzdem bleibt die Vorbereitung natürlich das A und O.

Schäm dich für nichts und vor niemand!

Tja, du bist jetzt im Studio. Live kannst du mal einen Ton verhauen und mit gekonnten Jumps auf der Bühne überspielen. Im Studio geht das nicht oder nur ganz selten. Dort sollte schon alles stimmen. Mich hat das immer unheimlich unter Druck gesetzt.

Der erste Schritt, um dies zu bewältigen, ist: deine Bandmates sind auch nur Menschen und vor denen hast du dich nicht zu schämen. Als Band zieht ihr an einem Strang.

Selbst wenn du von einer Profi-Band als neuer Musiker gebucht wurdest, so haben diese zu respektieren, wenn du nicht auf Anhieb perfekt sein kannst. Überhaupt ist der erste Take nie der geilste. Take your time. Und wenn du ein blödes Gesicht beim Einzocken machst, dann ist das recht so.

Gehe offen mit Gegebenheiten um, die dir nicht passen. Verdammt, wenn es dir hilft, dann tu so als würdest du das ganze Ding gerade live abrocken und hau das Ding einfach einmal komplett runter. Hast du dann Fehler drin, kümmert ihr euch um einzelne Stellen.

Mach Pausen

Viele Musiker müssen sich in tausend Takes verbeißen, um den einen richtigen Take zu erwischen. Doch irgendwann braucht dein Hirn eine Pause. Iss' was, geh' Spazieren, mach' ein paar Push-Ups, trink' entspannt einen Tee, Kaffee oder zur Not mal ein Bier.

Zeitdruck ist gleichzeitig Freund und Feind für kreative Prozesse. Achte daher auch darauf, dass deine Pausen nicht zu lang werden.

Entspannen, wissen wann's nicht weiter geht und den Mut nicht verlieren

Aufnehmen kann unheimlich anstrengend werden, wenn du denselben Part immer und immer wieder versuchen musst. Ich persönlich bin nicht gut, wenn ich mich zu sehr in eine Nuance verbeiße und lasse diese lieber erstmal ruhen. Wie bei der Matheklausur, bei der du eine Aufgabe warten lässt, um zur nächsten zu springen, solltest du auch einen Part, der nicht klappen möchte, erstmal liegen lassen und einen leichteren Song spielen.

Wenn es gar nicht mehr geht: abbrechen und morgen wieder versuchen. Wichtig ist, sich nicht zu ärgern oder entmutigen zu lassen. Glaube an dich, dann wird alles schon gut. Mir helfen kleine Erfolge, um die großen Herausforderungen angehen zu können.

Suche nicht nach dem perfekten Take, aber gib dich auch nicht zu schnell zufrieden

Du solltest nahezu perfekt spielen, ja. Aber volle 100% zu erreichen ist schon etwas anderes. Gestehe dir selbst ein, wenn es einfach nicht besser geht.

Kriegst du es gar nicht hin, muss eine andere Line her oder ein anderer Musiker, dann ist das eben so. Aber den perfekten Take sollte man nicht anstreben, das gilt vor allem für Sänger.

Eine große Hilfe ist der "Fuck-up Take"

Ein Gegenentwurf: sag' dem Techniker nicht nach 3 Takes "Ja, ist okay so". "Okay" ist auch falsch. Eine große Hilfe ist der von mir sogenannte "Fuck-up Take". Du hast dir die Finger wund gespielt oder die Kehle aus dem Leib gesungen und der letzte Take war laut Techniker "sehr nice, den nehmen wir so". Dann sagst du "nein" und gibst bei einem allerletzten Take noch mal Vollgas:

Du schaltest den Kopf aus, vergisst die Aufnahmesituation um dich herum und genießt einfach nur den Song. Der Techniker speichert ja den letzten Take. In diesem letzten Take nun, in dem es scheißegal ist, wie perfekt du spielst, hast du nicht selten plötzlich richtig geile Momente drin.

Hast du also einen Song bis zu Perfektion durchgesungen, mach ihn noch mal mit allem Rotz und aller Energie, die dir noch bleibt und du schaffst manchmal den schönsten Take (oder verwendbare Teile davon) der ganzen Session. Wenn nicht, auch egal, denn du hast mit dem Take davor schon alles bewiesen. Das gute am Fuck-up Take ist, dass du eine schöne Erinnerung an den Song hast, weil du kurz mal nicht versuchst, alles gerade durchzupumpen.

Feier deine Songs ab

Was für Liveauftritte gilt, gilt auch im Studio. Die beste Zeit hast du, wenn du die Songs richtig geil findest, denn dann gibst du dir die meiste Mühe, ihn super einzuspielen. Auch das Gefühl des Einspielens oder Einsingens ist ein anderes, wenn man zu 100% hinter dem Song steht, den man gerade spielt.

Finde heraus, ob dir Isolation oder Gesellschaft besser hilft

Spielst du ein akustisches Instrument ein, musst du natürlich weitestgehend von allen Anwesenden isoliert sein, damit die Mikros nicht gestört werden. Elektrische Instrumente können aber bequem im Regieraum aufgenommen werden, was dir die Distanz zum Pult und damit etwas Druck nehmen kann. Es hat dann mehr etwas von einer Jamsession und ich persönlich spiele entspannter und damit besser.

Viele brauchen aber auch die vollkommene Isolation und Ruhe. Probiere beides aus und finde heraus, wie du am besten ablieferst. In seltenen Fällen müssen Musiker sogar komplett alleine sein, um sich richtig zu entfalten.

Höre dir nach einer Pause alles noch mal an und fälle deine Entscheidungen aus dem Bauch

Done! Du hast alles eingespielt – herzlichen Glückwunsch! Jetzt legst du dein Instrument (in meinem Fall den Bass) weg, lehnst dich zurück und lässt die pulsierenden Finger ruhen. Gönn dir diese Pause und höre dir dann das ganze Ding noch mal an.

Du brauchst ein wenig Distanz, um zu hören, ob dir eventuell etwas doch nicht gefällt, du etwas anders oder noch mal machen willst. Zu 90% fällst du diese Entscheidung unterbewusst und das sofort. Höre auf dein Bauchgefühl, wenn es dir sagt, einen Song so zu lassen oder zu ändern. Und dann steh zu deiner Entscheidung.

Es kommt oft anders als geplant. Und das ist okay!

Wenn nicht schon im Zuge der Vorproduktion, dann spätestens bei den Aufnahmen wirst du feststellen, dass Ideen, die du im Proberaum abfeierst, aufgenommen manchmal einfach doof klingen. Eine Studioaufnahme ist in der Regel auf Klick eingespielt und etwas weniger dynamisch als das, was ihr live oder bei der Probe macht. Vor allem Stimmen klingen anders. Wenn dann auch noch ein Produzent im Spiel ist, kann eine Aufnahme euren Song teilweise massiv verändern!

Lasst das ruhig zu, denn zu einem kreativen Produkt gehört auch, dass mal Sachen gestrichen und andere hinzugefügt werden. Es kommt sehr oft vor, dass ein Song ursprünglich ganz anders geschrieben wurde, als er dann tatsächlich produziert wird. Erst neulich hat ein Kumpel von mir einen Song geschrieben und bei den Aufnahmen wurde klar: das ist ein Reggea-Song! Daraus wurde ein richtig gutes Teil!

Bei Aufnahmen merken aber auch viele Musiker, an welche Grenzen sie stoßen. Sie selbst oder die Songs. Womöglich ist im Kontext einer Aufnahme dein Riff gar nicht mehr so geil. Macht vielleicht den Groove mit zu vielen Tönen kaputt. Da muss man im Zweifel dann auch schlucken, dass deine Band dir sagt: "Spiel' da was Einfacheres!".

Wichtig ist aber natürlich in erster Linie, dass deiner Band das Produkt am Ende gefällt – da muss es dann aber auch drin sein, dein eigenes Ego beiseite zu schieben.

Mehr Tipps erhältst du in unseren anderen Artikeln zum Thema Tonstudio.

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