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Bundestag beschließt Urheberrechtsreform – deutsche Kreative fühlen sich im Stich gelassen

News von Backstage PRO
veröffentlicht am 24.05.2021

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Bundestag beschließt Urheberrechtsreform – deutsche Kreative fühlen sich im Stich gelassen

© Bundestag / Achim Melde

Der deutsche Bundestag hat am 20. Mai 2021 die umstrittene Urheberrechtsreform beschlossen. Die Kritik an der Ausgestaltung der Reform reißt derweil nicht ab: Kunstschaffende monieren die fehlende Selbstbestimmung über ihre Werke, Netzaktivist/innen fürchten Zensur.

Bei der durch den Bund beschlossenen Urheberrechtsreform handelt es sich um die Umsetzung der auf EU-Ebene erarbeiteten DSM-Richtlinie (Richtlinie für den Digital Single Market, den digitalen Binnenmarkt) in nationales Recht.

Der EU-Entwurf vom 17. April 2019 sah eine Modernisierung des Urheberrechts durch die Mitgliedsstaaten vor; die Frist für die Umsetzung verstreicht am 7. Juni 2021.

Bei dem Beschluss des Bundestages handelt es sich also gewissermaßen um eine "Punktlandung", zumal bekanntlich am 26. September Bundestagswahlen anstehen.

Notwendiges Update

Ziel der Urheberrechtsreform ist die Anpassung des Urheberrechts im digitalen Binnenmarkts der EU an die durch das Internet veränderten Voraussetzungen. Die Richtlinie sieht die Neuordnung der urheberrechtlichen Verantwortlichkeiten von Upload-Plattformen für die von Nutzer/innen hochgeladenen Inhalte vor.

Gleichzeitig soll sichergestellt werden, dass Zitate, Karikaturen, Parodien und Pastiches weiterhin möglich bleiben. Darüber hinaus wird den Kreativen ein Direktvergütungsanspruch gegen die Plattformen eingeräumt. 

Hier findet ihr alle wichtigen Informationen zur DSM-Richtlinie der EU, hier geht es zu einem Überblick über die wichtigsten Positionen zur Urheberrechtsreform in Deutschland. 

Laut Auskunft des Bundestages stimmten CDU/CSU und SPD für den Entwurf. AfD, FDP und Linksfraktion votierten gegen die Ausarbeitung der DSM-Richtlinie, die Grünen enthielten sich.   

Kritik am "deutschen Sonderweg"

Die Reaktionen auf die deutsche Ausgestaltung der europäischen Urheberrechtsreform fallen gespalten aus. Viele Kunstschaffende kritisieren noch immer den "deutschen Sonderweg" und sehen sich von der Politik im Stich gelassen.

Die Position der Künstlerinnen und Künstler haben diese in einem offenen Brief an die Bundesregierung dargelegt. Ihr deutlicher Aufruf, mit der Urheberrechtsreform die Uploadplattformen endlich "effektiv in die Verantwortung zu nehmen", wurde jedoch nach eigener Aussage auch in dem nun letztendlich beschlossenen Entwurf nicht beachtet. 

Zahlreiche Musik- und Kulturschaffenden kritisieren an der Reform, dass deren "Bagatellschranke" die Nutzung von bis zu 15 Sekunden Musik für nicht-kommerzielle Inhalte ermöglicht, ohne dass die User oder Plattformen dafür ein Entgelt zahlen müssten. Gerade Plattformen wie TikTok, deren Geschäftsmodelle auf Kurzvideos basieren, könnten von dieser Sonderregelung profitieren. 

Schwacher Trost

Obwohl Plattformen wie TikTok Künstler/innen zu größerer Popularität verhelfen und u.U. ein wichtiges Promo-Tool darstellen können, monieren die Kunstschaffenden, dass die deutsche Auslegung der EU-Vorlage den Lizenzmarkt für Musik mit dem Argument der Freiheit einschränkt. Die Richtlinie gelte in erster Linie dem Schutz der Geschäftsmodelle der Uploadplattformen, während die bestehenden Vertriebswege der Kreativen "torpediert" würden.

Einziger Trost für die Künstler/innen sei, dass durch ihren lautstarken Prostest zumindest das Tonträgerherstellerrecht aus der Direktvergütung entfernt wurde. Außerdem stärkt die Reform das Urheberpersönlichkeitsrecht, das regelt, dass Künstler/innen die Verwendung ihrer Musik unter bestimmten Umständen verbieten können. Ebenso gestärkt wurde der Melodieschutz.

Praxisfern und künstlerfeindlich

Auch die Verbände der deutschen Kulturbranche kritisieren die Ausgestaltung der Reform. Dr. Florian Drücke, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI), bezeichnet diese als eine Teilentmündigung der Rechteinhaberinnen und -inhaber, da ihnen die Kontrolle über entscheidende Teile ihrer Inhalte entzogen würde.

Mark Chung, Vorstandsvorsitzender des Verbandes unabhängiger Musikunternehmer*innen (VUT), kritisiert das neue Gesetz als "künstlerfeindlich, anti-europäisch und erschreckend praxisfern". Lizenzverhandlungen würden dadurch erschwert, jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen unumgänglich. Dr. Götz von Einem, Vorstandsmitglied des Deutschen Musikverleger-Verbands (DMV), schließt sich der Meinung von Drücke und Chung an: 

"Statt Urheber/innen, Künstler/innen und ihre wirtschaftlichen Partner zu stärken und die Macht der Plattformen zu begrenzen, wurde aus Angst vor der Netzgemeinde eine komplizierte Struktur entworfen, die in der Praxis alle Beteiligten vor große Herausforderungen stellen wird – und den Eindruck hinterlässt, dass die Politik kreativ Schaffenden nicht die Würdigung entgegenbringt, die sie verdienen."

Das Forum Musikwirtschaft hebt in seiner Kritik vor allem die durch die Pandemie ohnehin schon prekäre Lage der Künstler/innen hervor. Zusätzlich dazu, dass Einnahmen aus dem Live-Geschäft pandemiebedingt größtenteils ausbleiben, würden den Künstler/innen nun auch noch ihre "digitalen Lizenzierungswege durch die tatsächlichen Rechtsfolgen verbaut."

GEMA zeigt sich zufrieden

Eine weitaus positivere Bilanz zieht die Verwetungsgesellschaft GEMA. Sie begrüßt insbesondere, dass Plattormen wie YouTube oder Facebook künftig Lizenzvereinbarungen mit den Rechteinhaber/innen abschließen müssen, wenn ihre Werke auf deren Plattformen genutzt werden.

Laut dem GEMA-Vorstandsvorsitzenden Dr. Harald Heker ist dies die Grundlage für mehr Fairness im digitalen Musikmarkt. Heker betont jedoch gleichzeitig, dass die Vorgaben zu den Haftungsprivilegien der Plattformen und die Schrankenregelungen nicht weit genug gehen: Man müsse aufpassen, dass "ihre Auslegung nicht zur Lastung der Kreativen geht“.

Alles in allem zeigt sich die GEMA dennoch erfreut darüber, dass der Bundestag "viele Anregungen und Hinweise der Musikschaffenden" aufgegriffen habe. Besonders die Stärkung des Urheberpersönlichkeitsrechts sowie die Klarstellung des Melodienschutzes sieht Heker als wichtige Änderungen an.

Initiative Urheberrecht sieht Ziele erreicht

Ebenfalls zufrieden mit der Novelle des deutschen Urheberrechtsentwurfes zeigt sich die Initiative Urheberrecht (IU), in der inzwischen mehr als 35 Verbände und Gewerkschaften die Interessen von insgesamt rund 140.000 Urheber/innen und ausübenden Künstler/innen vertreten.

Laut der IU wird der neue Gesetzentwurf allen Interessen gerecht: Die Künstler/innen würden für die Nutzung ihrer Werke vergütet und ihre Persönlichkeitsrechte gewahrt; die Nutzer/innen hätten begrenzten Zugang zu den Werken und könnten diese für die nicht kommerzielle Entfaltung ihrer Kreativität nutzen. 

Im wesentlichen sei das Ziel der EU-Urheberrechtsrichtlinie, die Kreativen zu stärken, also erreicht worden. Insbesondere den neue Direktvergütungsanspruch sieht die IU als "Meilenstein für die Verbesserung der rechtlichen Stellung der Urheber/innen und ausübenden Künstler/innen." Auch wenn nicht alle Erwartungen erfüllt worden wären, so sei insgesamt doch "ein annehmbarer Interessenausgleich" gefunden worden.

Vieles bleibt unklar

Die Folgen der beschlossenen Urheberrechtsrichtlinie für die Internet-Nutzerinnen und -Nutzer sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abzusehen und werden sich wohl erst in der praktischen Umsetzung der Richtlinie durch die großen Plattformen zeigen.

Spannend ist hier vor allem die Frage, inwiefern die großflächige Lizenzierung von Inhalten durch die Plattformen tatsächlich funktionert bzw. funktionieren kann – sowohl finanziell als auch im Hinblick auf den notwendigen Organisationsaufwand. Dies wiederum dürfte empfindliche Auswirkungen darauf haben, welche Inhalte auf user uploaded content-Plattformen wie YouTube überhaupt noch hochgeladen werden dürfen und welche dann möglicherweise präventiv gesperrt werden. 

Zahlreiche Details der Richtline werden wohl außerdem erst gerichtlich geklärt werden müssen – darunter insbesondere die Frage nach dem Geltungsbereich der Bagatellschranke sowie dem letztendlich geltenden Verständnis z.B. von Pastiches oder Zitaten. 

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