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Das Wort "Festivalsterben" macht die Runde

Engagement zwischen Begeisterung und Verzweiflung: Weshalb geraten viele Festivals in die Krise?

Spezial/Schwerpunkt von Markus Biedermann
veröffentlicht am 22.07.2015

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Engagement zwischen Begeisterung und Verzweiflung: Weshalb geraten viele Festivals in die Krise?

Wir erinnern uns gerne an das la pampa Festival zurueck, das es ab 2008 nur fuer einige Ausgaben gab. Viele weitere Festivals kamen und gingen - leider!. © MKB (Markus Biedermann, 2009)

Sommerzeit ist Festivalzeit! Große und kleine Open Airs machen Programm, ziehen ihr Publikum und allen geht es gut – doch einfach ist es längst nicht mehr, mit Festivals erfolgreich zu sein. Dieses Jahr erkennt man dies am Aus fürs Serengeti, Phono Pop, Musikschutzgebiet, Blackfield, Nonstock und andere Open Airs. Wir sprachen mit mehreren Festivalveranstaltern und Kooperationspartnern über die größten Probleme und Fallstricke.

Backstage PRO kooperiert mit vielen Festivalpartnern und schlägt dabei oft coole Slots für Newcomer raus. Dieses große Engagement der Festivalmacher wissen wir zu schätzen, weshalb wir ausgesprochen ungern Partner in diesem Bereich verlieren.

Immer ein Ende mit Schrecken

Aber so geschah's zum Beispiel im Jahr 2010, nachdem das Gelände des la pampa Festivals in Hagenwerder zum Opfer einer Überschwemmung geworden war. Alle Wiederbelebungsversuche halfen am Ende nichts; das Event war nicht mehr zu retten. Die Organisatoren scheiterten aber nicht nur am schlechten Wetter, sondern auch aufgrund schwacher Finanzmittel und der Bürokratie.

Fast forward um fünf Jahre: Jetzt bedauern wir, dass mit dem Musikschutzgebiet Festival ein weiteres langjähriges Kooperationsfestival von der Landkarte verschwinden wird. "Das Musikschutzgebiet nimmt sich 2016 eine Auszeit für private Projekte und Familie", so Lotta Heinisch, die zweite Vorsitzende des Musikschutzgebiet e.V.. In dieser Phase wolle man über eine Zukunft für das Event als Gemeinschaftsprojekt nachdenken.

Bisher ist jedoch alles außer der Auszeit noch völlig unklar. So bleibt an dieser Stelle vorerst nur ein kleiner Hoffnungsschimmer und die Erkenntnis, dass es von ganz privaten Gründen bis hin zum unberechenbaren, unkontrollierbaren Unwetter so einige Unwägbarkeiten gibt, die mit über das Schicksal von Festivals entscheiden. Als Musikfan erlebt man solche Entscheidungen und Ereignisse in jedem Fall als ein Ende mit Schrecken.

Ehrenamt ist auch Arbeit

Wenn Florian Haupt vom Veranstalter-Team des Phono Pop in Rüsselsheim über das eigene Festival-Aus im Interview sagt, dass die Orga des Open Airs zwar eine große Leidenschaft gewesen sei, diese "…aber immer noch zum täglichen Job quasi ehrenamtlich on top kam", dann verweist er neben persönlichen durchaus auch auf materielle Gründe für diesen Schritt. Ehrenamt ist eben auch Arbeit.

Die Veranstalter des Serengeti Festivals, das dieses Jahr ebenfalls zum letzten Mal über die Bühne geht, nennen in ihrer Begründung weitere entscheidende Punkte in dieser Richtung:

"Steigende Gagen, immer mehr Festivals bieten um die gleichen Bands, höhere Produktionskosten und eine weitgehende Kontrolle der Festivallandschaft durch wenige Großkonzerne haben letztlich zu einer Situation geführt, in der ein unabhängiges Open Air im Format des 'Serengeti Festivals' nicht mehr nachhaltig und budgetär seriös arbeiten kann“.

Das Serengeti sei natürlich ein größeres Festival als das Sound Of The Forest und habe eine andere Ausrichtung, stellt Oskar Dammel vom Orga-Team des Odenwälder Events fest. Aber auch ihm ist klar: "Der Wettkampf ist durchaus härter geworden. Wer mit Festivals Geld verdienen will, hat viel Konkurrenz."

Timo Kumpf vom Maifeld Derby Festival, das zuletzt eine kommunale Förderung von etwa 22.000€ erhielt, trat mit seinem Team vor kurzem im Rahmen des Mannheimer Beteiligungshaushalts an die Öffentlichkeit.

Die Bewohner der Stadt konnten bei diesem Online-Verfahren eigene Vorschläge einreichen und jene mit ihrer Stimme unterstützen, die sie von den Stadtpolitikern diskutiert und bestenfalls umgesetzt sehen wollen. Verhältnismäßig viele Stimmen fielen auf die Forderung der Maifeld-Festivalveranstalter nach einer nachhaltigeren Förderung. Gegenüber Backstage PRO betont Kumpf:

"Wir merken auch, dass es jedes Jahr schwieriger wird. Zum Teil hat das mit dem Festivalmarkt im Allgemeinen zu tun, wobei wir da durch unser kantiges Programm ein wenig unabhängiger als zum Beispiel das Serengeti sind. Aber Headliner brauchen wir auch und die werden immer teurer, das kann ich unterschreiben. Wobei uns auch vor allem die steigenden Infrastruktur-Kosten zunehmend Probleme bereiten."

Die tolle Freiluftveranstaltung auf Mannheims Maimarktgelände hat in den letzten fünf Jahren zwar mächtig an Prestige zugelegt, aber auch dieses Team inklusive der über 150 freiwilligen Helfer arbeitete bisher, ohne für die eigene Arbeitsleistung je einen Cent gesehen zu haben.

"Von Schulterklopfern kann ich meine Miete nicht bezahlen", sagt Timo Kumpf und fügt nachdenklich an: "Es wäre zwar schade nach fünf Jahren aufzugeben, aber aktuell ist dies zum ersten Mal ein Thema. Uns gibt keiner mehr Preisvorteile, weil alle denken, dass wir jetzt die große Kohle machen. Ist aber leider nicht so."

Steigende Kosten und strengere Rahmenbedingungen

Große Kohle ist mit großem Erfolg eben längst noch nicht garantiert. Und überhaupt: Woran misst sich der Erfolg eines Festivals? An der Größe, also etwa dem Umfang des Line-Ups oder allem voran anhand der Besucherzahlen? Und welchen Unterschied macht es in der Kasse, ob man ein kleines oder großes Event zu stemmen hat?

Stefan Kasseckert vom Trebur Open Air sieht kleinere Festivals grundsätzlich eher im Nachteil. Man müsse einerseits mehr auf Originalität, Lokalität und andere Alleinstellungsmerkmale setzen. Andererseits seien in manchen Bereichen aber Aufwand und Kosten gleich, egal ob man nun 1000 oder 10.000 Zuschauer habe. Als Beispiel nennt er die Fremdplakatierung in Städten, wofür man den gleichen Preis wie Großveranstalter zu zahlen habe.

Auch Kasseckert betont, dass man es als kleines Festival nur mit ehrenamtlichen Helfern schaffen könne. Er stellt ebenso heraus, dass es eine Explosion bei der Höhe der Gagen gibt, da Musiker ihr Geld live erspielen müssen. Dazu kämen noch weitere, generelle Kostensteigerungen. Diesen Mehraufwand könne man nicht einfach so an die Besucher weitergeben, die gegenüber Preiserhöhungen extrem empfindlich seien.

Doch nicht nur finanziell drückt in Trebur der Schuh. Gleichzeitig habe man mit immer strengeren behördlichen Auflagen zu kämpfen. Das kennt man auch in Mannheim, wo die Stadt zuletzt vor allem beim Thema Lautstärke empfindlicher reagierte als früher. Die Organisatoren der international bekannten Time Warp waren nach der diesjährigen Veranstaltung ins Rathaus zitiert worden, um dort über ein Konzept für ein künftig bitteschön leiseres Festival zu sprechen.

Beim TOA sorgt man sich zusätzlich noch darüber, dass es durch den Klimawandel eine Häufung an Unwettern gibt und sich manche branchenübliche Rahmenbedingung ins Negative wandelt. So werde zum Beispiel der Gebietsschutz von oben nach unten durchgereicht: "Bis zu 500 km für eine Band, die beim großen Festival irgendwo im Mittelfeld spielt! Die mittleren Festivals reichen das dann an die kleinen weiter", ärgert sich Stefan Kasseckert.

Die Probleme betreffen vor allem die Kleinen – aber nicht nur

Zu den genannten Schwierigkeiten geselle sich noch eine grundsätzliche Marktübersättigung, befürchtet man in Trebur. Und in der Tat gibt es ja durchaus viele Festivals, die in ihren Haupt- und Rahmenprogrammen deutliche Parallelen aufweisen.

Aufgrund dessen verlangen viele Besucher verstärkt nach Besonderheiten – alles müsse "…irgendwie hübscher sein und es muss mehr zum Erleben da sein als 'lediglich' die Bands", stellt Tim Oehmigen fest, der ab 2005 beim Booking des Mini-Rock-Festival mitwirkte und mittlerweile bei der in Berlin ansässigen Bookingagentur Yet Not Now arbeitet, die bis heute mit dem Event kooperiert.

"Was hier passiert ist ökonomisch ausgedrückt eine strukturell bedinge Inflation, die eben nur die Konzertindustrie betrifft – was im Übrigen auf große Firmen wie Marek Lieberberg und FKP Scorpio genauso zutrifft wie auf kleine Veranstalter: Die GEMA-Kosten steigen in die Höhe, ob zu Recht oder zu Unrecht. Personalkosten steigen durch neue Tarife und die Produktionskosten für das Rahmenprogramm steigen, auch aufgrund von höheren Ansprüchen der Besucher."

Für viele Veranstalter habe sich 2015 unter anderem auch deshalb zu einem schwierigen Jahr entwickelt, weil es durch die "…Revier-Kämpfe der Platzhirsche um Grüne Hölle und Rock am Ring" geprägt gewesen sei. Oehmigen kritisiert das Signal, das davon ausging: "Laute Töne auf den öffentlichen Plattformen spiegeln nicht den Erfolg einer Veranstaltung wider, sondern der Verkauf und die Realisierung vor Ort", stellt er klar.

Schließlich könne sich auch der Ehrgeiz fatal auswirken, das eigene Event um jeden Preis weiter wachsen zu lassen. Beim Mini-Rock habe man aus solchen Fehlern gelernt: "Wir bleiben bei unserer Kapazität und wollen lieber in unserer Erfahrung und unserer Freundschaft wachsen."

Knackpunkt Künstlergagen?

Wer aber absichtsvoll wachsen will, muss entsprechend booken. Ein Umstand, der neben der allgemeinen Entwicklung ebenfalls auf die Künstlergagen rückwirkt.

"Es gibt jedes Jahr ein paar 'hippe und neue' Bands, die gehypt werden, viele Festivals spielen und dann natürlich im nächsten Jahr deutlich höhere Gagen und Produktionskosten aufrufen. Das ist zum Teil gerechtfertigt, zum Teil nicht. Gute Bands werden sich aber entsprechend etablieren," sagt Oskar vom SOTF. Tim Oehmigen ergänzt diesen Gedanken, wenn er ausführt:

"Wo man noch vor wenigen Jahren gelächelt hat als Jack White sagte, dass sie unter einer Million $ nicht spielen, ist das heute gar nicht mal so unrealistisch für einen großen Headliner auf den Major-Festivals. Die Gründe dafür sind dabei nicht so wichtig, weil Veranstalter daran wenig rütteln werden – die Nachfrage ist einfach höher als das Angebot."

Komplett machtlos ist man als Booker aber nicht. Der Mitorganisator des SOTF entgegnet, dass man Gagen durch eine eigene gute Vernetzung und Information ja durchaus einordnen könne. Man müsse dann eben "…auch mal hart entscheiden eine Band nicht zu buchen, wenn ganz offenbar überzogene Gagenvorstellungen an den Tag gelegt werden. Gute Bands haben natürlich ihren Preis und sind diesen auch wert."

Ausweg Kooperation?

Oskar Dammel verweist außerdem darauf, dass mach sich grundsätzlich keine falschen Vorstellungen beziehungsweise Hoffnungen machen sollte, wenn das eigene Festival in einer Größenordnung weit unterhalb Ring'scher Gigantomanie rangiert:

"Kleinere Musikfestivals mit Liebe zum Detail und guter Musik sind eh nicht für das große Geld gemacht. Ich denke es sind genug Bands für alle da. Auch wenn manche Booking-Wünsche nicht in Erfüllung gehen können."

Dafür, dass man sich in der Region Südhessen zumindest untereinander das Leben nicht noch schwerer macht, hat sich ein informeller Austausch der Festivalmacher zwischen Gießen und Odenwald etabliert.

Das Trebur Open Air gehört dazu: "Diese Initiative läuft seit drei Jahren und ist sehr ergiebig. Für uns sind der Erfahrungsaustausch, die Synergien-Nutzung, gegenseitige Unterstützung, Expertenaustausch und andere Dinge wie die kostenlose Materialausleihe sehr wichtig", sagt Stefan Kasseckert.

Und so zieht man lieber gemeinsam an einem Strang im Wettbewerb um viele Festivalbesucher, ein tolles Line-Up und das eigene finanzielle Überleben. Lotta Heinisch fasst im Zuge ihrer Gedanken zum vorläufigen Abschied des MSG gut zusammen, was die Motivation für das jährliche Engagement zwischen Begeisterung und Verzweiflung hoch hält:

"Wir schauen jetzt über den eigenen Bühnenrand hinaus und freuen uns, wenn Fans qualitativ hochwertiger Livemusik weiterhin Veranstaltungen ähnlich unserem Festival besuchen. Statt Festivals nur anhand ihrer Größe oder den großen Namen im Line-Up auszuwählen, sollte man auch einfach mal ein kleineres Festival ansteuern und Bands sehen, bevor sie den Durchbruch schaffen. Dieser Entdeckungsprozess und Begleiterscheinungen wie eine außergewöhnliche Location oder sympathische Veranstalter sind Faktoren, die man sehr schnell zu schätzen weiß, wenn man sie einmal entdeckt hat."

Euer Feedback

Über Besucher mit solch einer Einstellung wird sich jeder Festivalveranstalter, jede Band und jeder ehrenamtlich engagierte Helfer freuen. Dennoch würde es alles andere als ein Schaden sein, wenn sich finanzielle und organisatorische Probleme wirklich lösen ließen. Dafür kann man den Verantwortlichen nur viel Glück und Erfolg wünschen!

Was ist dein Eindruck als Veranstalter – kannst du einige der hier vorgestellten Ansichten teilen? Kennst du die Probleme und entsprechen diese deinen eigenen Erfahrungen? Welche Entwicklung bei Festivals wünschst du dir als Musiker, wünscht ihr euch als Band? Gibt es konstruktive Vorschläge eurerseits, die einen Ausweg aufzeigen?

Unternehmen

Musikschutzgebiet e.V.

MSG Festival

Veranstalter, Booking-Agentur in 34576 Homberg (Efze)

Trebur Open Air

Veranstalter in 65468 Trebur

Sound of the Forest e.V.

Veranstalter in 64732 Bad König

Personen

Mini-Rock-Festival

Festival aus Horb

Sound of the Forest Festival

Musikerin aus Bad König

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