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"Kostenkalkulation ist wichtiger als reiner Idealismus"

Horst Brünnet (Antattack) über die Grenzen idealistischer Festivalplanung und das Saarland als Veranstaltungsort

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 28.11.2017

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Horst Brünnet (Antattack) über die Grenzen idealistischer Festivalplanung und das Saarland als Veranstaltungsort

Dr. Horst Brünnet. © SRC-Photography

Horst Brünnet ist seit Jahren im Saarland als Festivalorganisator tätig, unter anderem für die Antattack, AkustikOpen, RockCamp und Rockwell Festivals. Wir sprachen mit ihm über Erfolg und Scheitern als Festivalorganisator und die besonderen Schwierigkeiten im kleinsten Flächenbundesland.

Backstage PRO: Vor sieben Jahren haben wir schon einmal ein Interview mit dir geführt. Inzwischen ist viel passiert, daher freuen wir uns, heute wieder mit dir zusammenzusitzen. Ich würde gerne mit einem Rückblick auf das Rockwell-Festival beginnen. Wie war das damals?

Horst Brünnet: Saarwellingen hat eine lange Open-Air-Tradition, die bis in die 1980er Jahren zurückreicht. Als Jugendlicher war ich damals selbst vor Ort. Da ich bin selbst Musiker bin, wollte ich diese Tradition weiterführen und habe bereits 1998 mit Unterstützung der Gemeinde Saarwellingen ein Festival veranstaltet. Das war ganz nett, aber auch nicht mehr. 2004 starteten wir einen erneuten Versuch und ein Jahr später nahmen wir das Rockwell-Projekt in Angriff, für das wir glücklicherweise Fördergelder erhielten.

Backstage PRO: Das waren EU-Fördergelder?

Horst Brünnet: Ja, genau. Im Rahmen des "Jugend für Europa"-Programms der EU mussten wir alle anfallenden Kosten offenlegen, für die man prozentual bis zu einer Maximal-Summe von 10.000 Euro Zuschüsse erhielt. So ist das Rockwell-Festival entstanden. Damit konnten wir viele Dinge wie Sanitäranlagen, Security und weitere Posten finanzieren, allerdings keine Band. Außerdem waren wir auch verrückt genug, unser eigenes Geld zu investieren.

"Die Kosten wurden zum Problem"

Backstage PRO: Wie lange ging das Ganze?

Horst Brünnet: Das Rockwell-Festival bestand bis 2010. Da ich mich durch meine eigenen Erfahrungen und Leidenschaft für die Musik zunächst auf regionale Bands, vor allem aber auf die Förderung von Nachwuchs-Bands konzentriert habe, planten wir für die zwei Festival-Tage ca. 15 Bands ein, von denen jedoch nur drei oder vier Headliner waren.

Über die Jahre entwickelten sich die Kosten zu einem Problem. Da wir somit auch unsere Privatgelder investierten, ließ die Motivation zu wünschen übrig. Zudem zogen zwei Mitglieder unserer Crew berufsbedingt weg, was schlussendlich zur Auflösung des gesamten Rockwell-Teams führte. Ich schloss mich danach mit meinen alten Bekannten des Antattack-Event-Teams zusammen und wir führten das Rockwell Festival unter dem Namen RockCamp fort.

Backstage PRO: Wird es das RockCamp-Festival weiterhin geben?

Horst Brünnet: Nein, das RockCamp-Festival wird es in Zukunft nicht mehr geben. 2016 war das Rockcamp mit über 2000 Besuchern ein echter Erfolg. Für 2017 rechneten wir mit 1.800 Zuschauern zwar etwas pessimistischer, letztendlich kamen jedoch trotz guten Wetters, solidem Line-Up und sehr viel Unterstützung von Medien und Sponsoren nur 1.300 Leute. Daher setzen wir zurzeit noch das Antattack-Festival sowie das AkustikOpen-Festival fort.

Backstage PRO: Schade, aber das zeigt wie unberechenbar der Job eines Festivalveranstalters ist. War das im Nachhinein für dich eine deprimierende Situation, nachdem du so viel Energie, Kraft und Zeit hineingesteckt hattest?

Horst Brünnet: Ja, es war ein Festival, dass echt Potenzial hatte und klar war ich enttäuscht, dass es dieses Jahr nicht mehr funktionierte. Zwei Orte weiter findet jedes Jahr das Rocco del Schlacko-Festival mit 19.000 Besuchern statt, das mit seiner Camping-Kultur echten Volksfest-Charakter bekommen hat und inzwischen ein unverzichtbarer Teil der saarländische Kulturlandschaft ist.

Mit unserem Nachwuchsförderungs-Konzept sind wir da natürlich einem viel höheren Risiko ausgesetzt, da Newcomer keine Massenmagnete sind. Obwohl wenn wir dieses Jahr echt geile Bands wie Enter Shikari und Against Me am Start hatten: Im Saarland scheint das nicht anzukommen. In Medienstädten geht das sicherlich ohne Ende!

"Das Saarland hat einen strategischen Fehler begangen"

Backstage PRO: Wie genau sah euer Nachwuchsförderungs-Konzept aus?

Horst Brünnet: Unser Konzept sah die Kombination von Headliner-Bands mit Newcomern vor, die wir auf Empfehlungen unseres Netzwerkes aufbauten. Dabei habe ich festgestellt, dass es zumindest im Saarland beinahe unmöglich ist, mit Newcomer-Bands, die noch keinen Namen haben, eine signifikante Zahl von Besuchern anzulocken. Es ist eben ein Unterschied, ob eine Band aus New York oder Saarlouis stammt. Grundsätzlich haben wir bei unseren Projekten immer auf Public-Private Partnership gesetzt und die Kommunen mit ins Boot genommen, da unsere Events auch immer eine kulturelle Aufwertung für den Veranstaltungsort sind.

Backstage PRO: Was ist am Saarland als Veranstaltungsbundesland noch problematisch?

Horst Brünnet: Abgesehen von den vergleichsweise wenigen Einwohnern und dem ländlichen Charakter, spielt die saarländische Infrastruktur eine Rolle: Saarbrücken ist die einzige Konzertstadt mit Veranstaltungsorten wie dem E-Werk, der Garage oder der sehr in die Jahre gekommenen Saarlandhalle. Obwohl die Region Saar-Lor-Lux einen großes Einzugspotential birgt, ist die Nähe zu Luxemburg problematisch: Die Acts, die ihre Touren in Luxemburg starten, zahlen lediglich die dort anfallenden geringeren Steuern. Zudem sind die dortigen Locations gut subventioniert.

Ganz schizophren ist schließlich, dass der Saarländische Rundfunk, auch aus Mangel an Alternativen, lieber Events in luxemburgischen als in saarländischen Locations promotet. In dieser Hinsicht hat das Saarland einen strategischen Fehler begangen, indem es ein reines Fußballstadium gebaut hat, anstatt eine Multifunktionsarena zu errichten, von der das gesamte Bundesland profitiert hätte.

"Früher waren wir risikofreudiger"

Backstage PRO: Wie hat sich eure Herangehensweise an Musik-Events mit der Erfahrungen der letzten Jahre geändert?

Horst Brünnet: Früher waren wir risikofreudiger. Die Musik stand im Fokus und die Kalkulation ließen wir eher außen vor. Das hat sich definitiv geändert, denn die Kostenkalkulation steht inzwischen im Mittelpunkt und nicht mehr der reine Idealismus, der das Risiko eben in Kauf nimmt.

Backstage PRO: Während der Planung eines Festivals spielt die Band-Gage eine wichtige, finanzielle Rolle. Wie haben sich die Forderungen der Musiker mit der Zeit entwickelt?

Horst Brünnet: Die Band-Gagen lassen sich in drei unterschiedliche Bereiche klassifizieren: Es gibt es wirklich gute Newcomer-Bands für bis zu 2.000 Euro, etwas bekanntere zwischen 2.000-10.000 Euro sowie die großen Headliner ab 10.000 Euro, wobei kein Limit besteht. Gerade in letzterer Kategorie gilt es, die Bands gewissenhaft und sorgfältig auszuwählen, um größere Verluste zu vermeiden. Natürlich steigen die Forderungen der Bands auch mit den Jahren, vor allem bei solchen, die einen Hype erleben. Manche Agenturen entwickeln deshalb echt utopische und unangemessene Vorstellungen. Dafür gibt es jedoch auch Bands, die 2017 nicht viel mehr verlangen als 2007. Meistens geben wir ein Angebot ab und erhalten dann eine Antwort. Teilweise schicken die Agenturen uns nur einen Smiley zurück (lacht).

Backstage PRO: Kannst du uns etwas zum Antattack-Festival sagen?

Horst Brünnet: Das Antattack-Festival legt den Fokus auf Deutsch- und US-Punk und findet jährlich im April statt, wenn die Konkurrenz anderer Festivals gering ist. Zwischenzeitlich mussten wir die Location wechseln, so dass das Antattack-Festival jetzt in der Neuen Gebläsehalle in Neunkirchen stattfindet. Die Location ist aufgrund ihres Kulturdenkmal-Ambientes inzwischen das Herzstück der Veranstaltung. Unser neustes Baby ist das vorhin erwähnte AkustikOpen-Festival, das uns wieder unserem idealistischen und risikofreudigeren Konzept näher bringt.

Backstage PRO: Wie ist das AkustikOpen-Festival aufgebaut?

Horst Brünnet: Es handelt sich hierbei um ein Singer/Songwriter-Festival. Sicherlich auch kein Thema für große Massen, wenn nicht gerade Ed Sheeran auftritt (lacht). Dennoch haben wir mit dem familiären Ambiente ein Event geschaffen, das mit seinem regionalen Line-up bei den Besuchern gut ankommt: Von 400-500 Zuschauern im ersten Jahr, steigerten wir uns im zweiten auf 2.200 Besucher und sind mittlerweile bei soliden 1.000-1.500 Zuschauer angelangt und das alles bei freiem Eintritt.

Dr. Horst Brünnet

Dr. Horst Brünnet, © SRC-Photography

Backstage PRO: Wie hat euch dabei die Zusammenarbeit mit Backstage PRO weitergeholfen und was schätzt ihr an unserer Plattform?

Horst Brünnet: In erster Linie schätzen wir natürlich die zusätzliche Werbung, die wir durch eure Plattform, die angemeldeten Bands, Votings und den Facebook-Seiten von Backstage PRO erhalten. Im Rahmen vom Rockcamp-Festival war es ebenfalls interessant und toll sich durch die zahlreichen Bewerbungen der Bands zu klicken. Diese Kooperationen waren eindeutige Win-Win-Situationen.

Backstage PRO: Nun bist du ja durch und durch mit deinem Job und Projekten beschäftigt und dazu noch verheiratet. Bleibt da überhaupt noch Zeit für eigene Musik?

Horst Brünnet: Na klar! Musik ist mein wichtigstes Hobby und ist damit ein großer Bestandteil meiner Wochenenden und Freizeit. Neben dem Ausfeilen meiner eigenen Sänger und Songwriter-Skills, spiele ich zusätzlich in einer Band und bin in einem 2-Mann Pub-Projekt tätig und meine Ehefrau, naja sie hat mich eben so kennengelernt (lacht).

Backstage PRO: Das freut uns! Wir danken dir für das Interview und wünschen viel Glück für 2018.

Unternehmen

Antattack Event GmbH

Veranstalter in 66793 Saarwellingen

RockCamp Festival

Veranstalter in 66793 Saarwellingen

RockWell Festival

Veranstalter in 66793 Saarwellingen

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