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Ein systemisches Problem

GEMA-Studie zeigt Benachteiligung von Musikschaffenden beim Audio-Streaming

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 09.09.2022

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GEMA-Studie zeigt Benachteiligung von Musikschaffenden beim Audio-Streaming

© Soundtrap via Unsplash

Dass Musikschaffende in der Streaming-Ökonomie ganz unten in der Nahrungskette stehen, ist keine neue Erkenntnis. Die neue Streaming-Studie der GEMA belegt diese Benachteiligung nun eindrucksvoll mit Zahlen.

Zwischen April und August 2022 führte die Forschungsgruppe von Goldmedia im Auftrag der GEMA eine Studie zum Thema Musikstreaming in Deutschland durch. Dafür nahmen 4000 GEMA-Mitglieder an einer Online-Befragung teil, größtenteils Komponist/innen, aber auch Textdichter/innen und Musikverlage.

Große Unzufriedenheit

Im Fokus der Studie stand die Untersuchung der Verteilung der monatlichen Abo-Einnahmen der unterschiedlichen Streaming-Plattformen sowie die Haltung der Musikschaffenden zur aktuellen Situation der Streaming-Ökonomie.

Die Studie ergibt ein eindeutiges Missverhältnis der Verteilung der Einnahmen zwischen Streaming-Anbietern und Labels auf der einen sowie Musikschaffenden auf der anderen Seite. Das wenig überraschende Ergebnis der Umfrage zeigt eine große Unzufriedenheit der Musikschaffenden mit dem aktuellen Zustand der Streaming-Ökonomie.

Ungebrochenes Wachstum

Dass Streaming in der Musikbranche eine immer größere Rolle spielt, lässt sich an der Anzahl der Nutzer/innen leicht erkennen. So streamen im Jahr 2021 etwa 45 Prozent der Deutschen – eine Versechsfachung seit 2013.

Die Bedeutung des Streamings wird mit großer Wahrscheinlichkeit weiter zunehmen, während sich der Markt für physische Tonträger vermutlich rückläufig entwickeln wird. Beim Musik-Streaming handelt es sich also um einen Wachstumsmarkt: Der Gesamtumsatz aller Streaming-Anbieter in Deutschland wird 2022 voraussichtlich die 2-Milliarden-Euro-Grenze überschreiten.

Großes Potential

Streaming stellt somit für Musiker/innen eigentlich eine gute Möglichkeit dar, ihre Musik einem breiten Publikum bekannt zu machen. Trotz steigender Nutzungszahlen und der großen wirtschaftlichen Bedeutung profitieren viele Musikschaffende bisher kaum vom Erfolg des Musikstreamings.

Damit Streaming nicht nur für Konsumenten, sondern auch für Musikschaffende lukrativ wird, müsste sich die Verteilung der Einnahmen grundlegend ändern. Das ist auch die Ansicht der Befragten der GEMA-Studie: 89 Prozent beurteilen die Vergütung, die Musiker/innen aus dem Streaming erhalten, als unangemessen.

GEMA Goldmedia Streaming Chart: Angemessenheit (2022)

GEMA Goldmedia Streaming Chart: Angemessenheit (2022), © Goldmedia/GEMA

Ein genauerer Blick auf die Verteilung der Erlöse eines typischen deutschen Musikstreaming-Abos zeigt die Gründe.

Tantiemen und Rechte

Der monatliche Preis für das Abo eines Streaming-Dienstes liegt in der Regel bei 9,99 Euro. Nach Abzug der Mehrwertsteuer verbleibt ein Netto-Erlös von 8,39 Euro. Von diesen 8,39 Euro behalten die Streaming-Dienste durchschnittlich 30 Prozent (2,52 Euro). Die verbliebenen 5,88 Euro werden zwischen Leistungsschutzrechts- und Urheberrechtsinhabern aufgeteilt.

Das Urheberrecht bezieht sich auf das Recht an der Komposition selbst (Text und Musik), die Leistungsschutzrechte auf die konkrete Aufnahme. Inhaber der Leistungschutzrechte sind sowohl ausübende Künstler ("performing artists"), die die Komposition eingespielt haben, vor allem aber die Labels.

Die Urheberrechte liegen bei den – in der Regel – in Verwertungsgesellschaften (wie der GEMA) zusammengeschlossenen Komponist/innen und Textdichter/innen. Ebenfalls an den Einnahmen der Urheberrechte beteiligt sind Musikverlage, obwohl sie keine Urheber/innen sind.

Einseitige Aufteilung

Streaming-Dienste müssen sowohl an die Inhaber/innen der Leistungsschutzrechte wie die der Urheberrechte Lizenzgebühren zahlen. Entscheidend ist aber, wie diese aufgeteilt werden. Die Inhaber/innen der Leistungsschutzrechte erhalten ungefähr 79 Prozent (4,62 Euro), die Inhaber/innen der Urheberrechte erhalten ca. 21 Prozent (1,26 Euro).

Von den 4,62 Euro durchschnittlicher Einnahmen der Leistungsrechtsinhaber erhalten die Labels 77 Prozent (3,56 Euro), während die ausübenden Künstler – je nach den Konditionen ihrer Verträge mit den Labels – nur ungefähr 1,26 Euro ( 23%) erhalten.

GEMA Goldmedia Streaming Chart: Aufteilung Nettoerlöse (2022)

GEMA Goldmedia Streaming Chart: Aufteilung Nettoerlöse (2022), © Goldmedia/GEMA

Die 1,26 Euro der Urheberrechtsseite werden in Deutschland wie folgt über die GEMA verteilt: Etwa 64 Prozent, also 81 Cent erhalten somit Komponist/innen und Texter/innen. Die übrigen 36 Prozent gehen an Musikverlage. Zusammengenommen erhalten Musikschaffende gerade einmal 1,87 Euro (rund 22 %) der Nettoeinnahmen – deutlich weniger als die Streamingdienste (2,52 Euro) und die Labels (3,56 Euro).

Klarer Nachteil für Streaming

Zum Vergleich lohnt sich ein Blick auf andere Verwertungsformen von Musik. Die
Streaming-Vergütung orientiert sich hinsichtlich der Aufteilung der Einnahmen am Verkauf von Tonträgern und impliziert somit eine Parallele zwischen einem Stream und dem Verkauf einer Platte oder einer CD.

Allerdings ist Streaming anderen Formen der Musikverwertung, z. B. dem Abspielen eines Songs im Radio deutlich ähnlicher als der Tonträgerverkauf. Bei der Nutzung von Musik im Radio erfolgt die Verteilung der Einnahmen zwischen den Inhabern der Urheber- und der Leistungsschutzrechte fast im Verhältnis von 1:1.

Kommt die Anpassung?

Dass beim Streaming die Einnahmen im Verhältnis 79:21 zugunsten der Inhaber/innen der Leistungsschutzrechte aufgeteilt werden, nützt vor allem den Labels, während die Komponist/innen und Textdichter/innen, aber auch die Musikverlage benachteiligt werden.

In diesem Zusammenhang ist bedeutsam, dass das unabhängige Copyright Royality Board der USA, das dort die unterschiedlichen Vergütungssätze festlegt, schon seit längerem dabei ist, Vergütungen auf der Urheberrechtsseite anzuheben. Eine solche Anpassung könnte sich auch in Deutschland positiv auf die Vergütung von Komponist/innen auswirken.

Veraltete Strukturen

Das Missverhältnis in der Aufteilung der Streaming-Einnahmen stößt vielfach auf Kritik. Bei den Verträgen im Bereich Musikstreaming handele es sich um veraltete Strukturen, die dringend angepasst werden müssen, so Sylvia Kollek von der Fair Share Initiative.

Zu sehr orientiere sich das heutige digitale am physischen Produkt, obwohl sich der Musikmarkt an einem ganz neuen Punkt der Musikverwertung befinde. Früher gaben Labels viel Geld für die Produktion und den Vertrieb von Tonträgern aus. Diese Ausgaben sind aufgrund der zunehmenden Bedeutung des Streamings stark gesunken, was sich in der Verteilung aber nicht widerspiegelt.

Kritik der Komponisten

Ein näherer Blick auf die Umfrageergebnisse ergibt ein Stimmungsbild der GEMA-Mitglieder, bei denen es sich überwiegend um in Deutschland ansässige Komponist/innen, Textdichter/innen und Musikverleger/innen handelt. 70 Prozent von ihnen generieren Einnahmen aus Streaming.

Die Unzufriedenheit mit der Streaming-Ökonomie bezüglich der Höhe der Einnahmen wird sowohl auf Urheberrechts- als auch auf Leistungsschutzrechtsseite deutlich. Auf einer Zufriedenheitsskala von 1 bis 10 schneiden beide Seiten fast gleich schlecht ab: (2,3 Urheberrecht, 2,7 Leistungsschutzrecht). Dabei stehen die Befragten dem Streaming gar nicht grundsätzlich negativ gegenüber.

Viele Baustellen

Der Großteil der Befragten fordert eine Weiterentwicklung der Abrechnungsmodelle der Streaming-Anbieter mit einer verbesserten Vergütung der Urheber. Die Plattformen sollen nach Ansicht der Befragten außerdem einen niedrigeren Anteil der monatlichen Abo-Einnahmen einbehalten und stärker gegen Streaming-Betrug vorgehen.

Eine Mehrheit der Teilnehmer/innen der Umfrage hält auch die Abogebühren für zu niedrig und kritisiert die Existenz kostenloser, werbefinanzierter Angebote. Eine Hauptforderung betrifft die fehlende Transparenz: Musikschaffende und Kreative, die hinter den musikalischen Werken stecken, sollen auf den Streaming-Plattformen sichtbarer gemacht werden.

Diese Forderung erstreckt sich auch auf den Prozess des Erstellens von Playlisten und die Funktionsweise der Algorithmen auf Streaming-Plattformen.

Enormer Handlungsbedarf

Es gibt also ein großes Verbesserungspotenzial in der Streaming-Branche: Obwohl Streaming inzwischen allgegenwärtig ist und einen erheblichen Einfluss auf das Hörverhalten der Nutzer/innen besitzt, benachteiligt das Vergütungsmodell Urheber und ausübende Musiker gleichermaßen.

Die Lage ist deshalb besonders dramatisch, weil der jahrelang boomende Live-Markt aktuell vor großen Problemen steht und Musikschaffende eine zweite verlässliche Einnahmequelle dringend benötigen.

In diesem Zusammenhang ist ein (allerdings noch sehr vages) Modell in Frankreich von Interesse, das Mindestvergütungen für Künstler vorsieht. Auch die Erhöhung der Tantiemen für Songwriter in den USA könnte hierzulande positive Auswirkungen haben.

Deutliche Benachteiligung

Streams erzeugen einen viel geringeren Erlös als verkaufte Tonträger und besonders Musikschaffende werden durch sie finanziell benachteiligt. Über die Hälfte der Befragten stimmen der Aussage, Streaming-Erlöse werden zwischen Musikrechteinhabern unausgewogen aufgeteilt, vollkommen zu.

Auch, wenn Streaming eine Innovation ist, die die Musikwirtschaft in der Zukunft weiterhin prägen wird – die Studie der GEMA zeigt eindrucksvoll, dass sich bei der Verteilung der Einnahmen langfristig etwas ändern muss, sodass die Musiker/innen, ohne die Streaming-Plattformen überhaupt nicht existieren würden, endlich fair beteiligt werden. 

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