Düstere Aussichten
Jens Michow hält über die Hälfte der Livebranche für "nicht überlebensfähig"

© Sicong Li via Unsplash
Im Interview mit tagesschau.de bezeichnet Jens Michow die Novemberhilfen und Überbrückungshilfe III als "passgenauere Hilfsprogramme" und "beachtliche Maßnahmen". Beide Programme berücksichtigten die speziellen Anforderungen der Branche. Gleichzeitig warnt Michow, dass die Maßnahmen noch zu wenig sein könnten:
"Unternehmen mit einem Umsatz von über 500 Millionen Euro sind nicht antragsberechtigt. Da dazu bei verbundenen Unternehmen alle Umsätze eines Unternehmensverbunds zusammengerechnet werden, betrifft das nahezu alle größeren Veranstaltungsunternehmen."
Gerade solche größeren Unternehmen bzw. Unternehmensverbünde hätten sehr hohe Fixkosten zu bestreiten, und wären so ebenfalls auf Hilfen angewiesen. Weiterhin kritisiert Michow, dass die im Ausland erwirtschaftete Umsätze nicht berücksichtigt und die Hilfen für Soloselbstständige auf lediglich 5000 Euro begrenzt werden.
Abgeschrieben
Michow weist weiterhin darauf hin, dass Veranstalterinnen und Veranstalter in den letzten Monaten viel Geld in die Hand genommen haben, um alle Voraussetzungen für die Umsetzung der Hygieneanordnungen zu gewährleisten – und dass diese Anstrengungen weitestgehend ignoriert worden seien:
"Würden die Länder mit uns über das Machbare reden, würden sie feststellen, dass bei Veranstaltungen weitaus mehr Sicherheit geboten werden kann als zum Beispiel in öffentlichen Verkehrsmitteln."
Michow sieht mindestens 50 Prozent der Branchenunternehmen als wirtschaftlich nicht mehr überlebensfähig an: "Irgendwann sind bei jedem die Rücklagen aufgebraucht."
Rückkehr zur Normalität?
Einen annähernd "normalen" Konzertbetrieb hält Michow erst dann wieder für möglich, wenn die Bevölkerung flächendeckend geimpft wurde. Er gibt jedoch auch an, dass es noch ungewiss sei, wann etwa die Einreise von ausländischen Künstler/innen wieder möglich ist. Am meisten Sorgen bereiten Michow aber um Veranstaltungen abseits vom Mainstream:
"Wird es nach der Krise überhaupt noch hinreichend Veranstalter geben, um tatsächlich alle Genres und Größenordnungen des Kulturbetriebs zu präsentieren? Um den Mainstream mache ich mir weniger Sorgen; aber dass es noch genügend Unternehmen geben wird, die sich auch mit den vergleichsweise schmalen Gewinnmargen bei kleinen Jazz-, Blues- oder Singer/Songwriter-Konzerten arrangieren können, wage ich zu bezweifeln."
Ein weiteres gravierendes Problem sieht Michow auch darin, dass es unsicher ist, ob es in Zukunft noch genügend Veranstaltungsdienstleister/innen wie Ton- und Lichttechniker/innen, Bühnenbauer/innen, Produktionsleiter/innen oder Aufbauhelfer/innen geben wird:
"Ohne ihre Leistungen funktionieren Veranstaltungen nicht. Wir beobachten aber jetzt schon, dass sie sich beruflich anders orientieren, da sie im Veranstaltungsgeschäft keine Perspektive mehr sehen."
Das vollständige Interview mit Jens Michow findet ihr hier.
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