×

Unendlicher Streit?

Konflikt zwischen Universal und TikTok eskaliert weiter – und schadet Musikern

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 19.04.2024

tiktok universal streaming musikbusiness

Konflikt zwischen Universal und TikTok eskaliert weiter – und schadet Musikern

Das UMG-Headquarter in Santa Monica, Kalifornien. © Coolcaesar via Wikimedia (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Umgheadquarters.jpg) / Lizenz: CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Der Streit zwischen Universal und TikTok droht weiter zu eskalieren. Berichten zufolge bereitet Universal Klagen wegen fortdauernder Urheberrechtsverletzungen gegen TikTok vor. Welche Folgen hat das aber für Künstlerinnen und Künstler? Und wem nützt der Konflikt eigentlich?

Nachdem Universal Music und die Universal Music Publishing Group TikTok dazu gezwungen haben, die von ihnen verwalteten Songs von der Plattform zu nehmen, ist TikTok nun dazu verpflichtet dafür zu sorgen, dass diese Songs nicht erneut hochgeladen werden.

TikTok hat zwar Content-Filter, um das zu verhindern, aber modifizierte Versionen, zum Beispiel beschleunigte oder verlangsamte Versionen der Lieder, werden nicht erkannt und können erneut hochgeladen werden. Das hat Folgen.

Strafe für Wiederholungstäter

UMG hat TikTok mehr als 37.000 sogenannte Takedown Notices geschickt, also Aufforderungen zum Löschen bestimmter Inhalte. TikTok hat diese zwar umgesetzt und die betroffenen Videos stummgeschaltet, doch das amerikanische Copyright Law macht die Lage für TikTok schwieriger.

Es fordert nämlich, dass Wiederholungstäter strenger geahndet werden. TikTok als Plattformanbieter ist verpflichtet, die Betreiber entsprechender Accounts nach dem Hochladen verbotener Inhalte zu ermahnen und bei Wiederholung die Accounts zu löschen. 

Das könnte TikTok jetzt zum Verhängnis werden, da TikTok laut Digital Music News Wiederholungstäter bisher nicht ermahnte oder entfernte. Daher soll Universal in den letzten Wochen gezielt Takedown Notices verschickt und akribisch die Konsequenzen für betroffene Accounts geprüft haben, um nun rechtlich gegen TikTok vorgehen zu können. 

Dieses Vorgehen ist nicht ganz unproblematisch, da die wenigsten Nutzer im Detail über das Copyright einzelner Songs und/oder die Verfügbarkeit dieser Songs auf TikTok Bescheid wissen dürften.

Taylor Swift schert aus

Aber auch für Universal ist die Lage weniger komfortabel, als es vielleicht den Anschein hat. Der Musikkonzern hat sich mit dem Schritt, die Lieder zu entfernen, bei Artists, Creators und Usern unbeliebt gemacht. TikTok sieht das laut Digital Music News als Chance, die aktuelle Situation einfach auszusitzen.

Taylor Swifts Entscheidung, ihre Lieder wieder auf TikTok zur Verfügung zu stellen, verdeutlicht, dass nicht alle Künstlerinnen und Künstler Universals Entscheidung zur Eskalation mittragen. 

Die Gründe für ihre Entscheidung bleiben unklar, könnten jedoch mit der am 19. April 2024 bevorstehenden Veröffentlichung ihres neuen Albums zusammenhängen.

Die Sache mit den Verlagsrechten

Da auch die Universal Music Publishing Group (UMPG) TikTok gezwungen hat, die von ihnen verlegten Lieder zu entfernen, verschwindet auch Musik von Artists von TikTok, die gar nicht bei Universal Music (dem Label) unter Vertrag stehen, sondern nur mit Songwriter*innen zusammengearbeitet haben, die ihre Lieder über die UMPG verlegen.

Ein Artikel von Variety berichtet von zahlreichen Musiker*innen, die sich darüber beschweren, dass alle ihre Songs entfernt wurden, obwohl sie gar nicht in einer vertraglichen Bindung mit Universal stehen. So hat beispielsweise Rapper Hoodie Allen ein Lied mit einem Songwriter geschrieben, der später einen Vertrag mit UMPG schloss. Die Folge ist, dass keines seiner Lieder aktuell auf TikTok verfügbar ist.

Besonders dramatisch ist die Lage für Acts, die bei Universal unter Vertrag stehen, in der Vergangenheit erfolgreich ihre Musik auf TikTok promotet haben und jetzt diese Möglichkeit nicht mehr haben. So erklärte Universal-Künstler Conan Gray nur halb im Scherz: "Meine Karriere ist vorbei. Ich werde sicherlich keinen Hit mehr haben". 

Die auch für Britney Spears und Katy Perry tätige Songwriterin Bonnie McKee, die in Kürze ein neues Album veröffentlichen wird, erklärte gegenüber Variety:

"Über TikTok wird ein neuer Song bekannt gemacht - und jetzt schaltet ihr den gesamten Katalog eines Artists stumm? Die Labels erklären, dass TikTok so wichtig ist und drängen ihre Künstler*innen dazu, [auf der Plattform] aktiv zu sein, und jetzt können sie das nicht?"

In vielen Statements ist die Angst verschiedener Musikerinnen und Musiker spürbar, dass neu veröffentlichte Musik von "niemandem" gehört wird, weil TikTok als Medium zur Promotion dieser Musik nicht mehr zur Verfügung steht.

Gegenseitige Abhängigkeit

Eigentlich ist es für beide Unternehmen nicht sinnvoll, den Streit weiter eskalieren zu lassen, denn beide sind gewissermaßen voneinander abhängig. TikTok ist zwar kein Streamingdienst, ist aber aufgrund der Aufmachung der Plattform von Musik abhängig. 

Ohne Musik geht TikToks gesamtes Konzept nicht mehr auf. Durch den Rückzug von Universal fallen eine Vielzahl von Liedern weg, die für diese Plattform im allerhöchsten Maß wichtig sind. 

Das kann mittelfristig dramatische Folgen für die Kurzvideoplattform haben, die stark vom Wohlwollen ihrer User abhängig ist. Wenn diese User auf TikTok nicht mehr die Songs finden, die sie bisher stets genutzt haben, kann das dazu führen, dass die Plattform viel von ihrer Attraktivität verliert.

Promo-Kanal fällt weg

Auf der anderen Seite ist TikTok das aktuell wichtigste Medium, um Musik bekannt zu machen. Der bereits zitierte Artikel von Variety beschreibt, wie vehement Labels ihren Artists raten, ihre Musik auf TikTok zu promoten. Was aber sollen sie tun, wenn das nicht mehr möglich ist?

Besonders für große Album Releases und erste Singles fällt ein wichtiger Promo-Kanal weg. TikTok bringt die Leute dazu, die angeteaserten Lieder auf Streamingplattformen zu hören und bekannt zu machen. Dadurch verdienen Artists und Labels. 

Die Behauptung von Universal die Lizenzzahlungen von TikTok würden nicht in nennenswertem Maß zu den Einnahmen des Unternehmens beitragen, mag auf den ersten Blick korrekt sein, verkennt aber die indirekten Einnahmen, die Universal durch die Promotion von Songs auf TikTok erzielt – und die jetzt wegfallen. 

Wer setzt sich durch?

Der Streit zwischen den beiden Konzernen wirkt wie ein verbissener, mit scharfen Tönen geführter Machtkampf, bei dem beide den jeweiligen Kontrahenten zum Einknicken zwingen wollen. Ob das funktioniert, ist aktuell völlig unklar. 

Fest steht aber schon jetzt, dass die weitere Eskalation des Streits das Potential hat, Artists, Universal und TikTok nachhaltig zu schaden.

Ähnliche Themen

Universals Musik kehrt nach neuer Lizenzierungsvereinbarung auf TikTok zurück

Endlich eine Einigung

Universals Musik kehrt nach neuer Lizenzierungsvereinbarung auf TikTok zurück

veröffentlicht am 02.05.2024

US-Gesetz soll TikTok-Verkauf erzwingen – und dann?

Kompliziertes Verfahren

US-Gesetz soll TikTok-Verkauf erzwingen – und dann?

veröffentlicht am 26.04.2024   2

Universal-Artist ruft zur Umgehung des TikTok-Boykotts auf

Verbreitung modifizierter Musik

Universal-Artist ruft zur Umgehung des TikTok-Boykotts auf

veröffentlicht am 23.04.2024

Taylor Swifts Musik ist zurück auf TikTok

Plötzliche Rückkehr

Taylor Swifts Musik ist zurück auf TikTok

veröffentlicht am 16.04.2024   1

Newsletter

Abonniere den Backstage PRO-Newsletter und bleibe zu diesem und anderen Themen auf dem Laufenden!