×

Keine Benachteiligung des Sports

Mehr Zuschauer bei Kultur-Veranstaltungen als beim Fußball - was steckt dahinter?

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 08.02.2022

coronakrise liveszene kulturpolitik konzertorganisation

Mehr Zuschauer bei Kultur-Veranstaltungen als beim Fußball - was steckt dahinter?

© Matheus Viana via Pexels

Die Debatte "Kultur vs. Fußball" existiert schon seit Beginn der Coronavirus-Pandemie. Nachdem aktuelle Beschränkungen die Belange der Kultur stärker berücksichtigen, beklagen sich Fußballvereine über die angebliche Benachteiligung – und verkennen damit die Lage.

In den letzten Wochen übten die Vertreter verschiedener Fußballvereine teilweise heftige Kritik an den Kapazitätsregeln für Fußballstadien. In manchen Bundesländern entstand sogar die Situation, dass bei Fußballspielen in großen Freiluft-Stadien weniger Zuschauer zugelassen waren als bei Veranstaltungen in Theatern, Konzert- und Opernhäusern.

Vielerorts waren Besucher von Sportevents in Hallen wie Eishockey-, Handball- oder Basketball-Spielen sogar gänzlich ausgeschlossen. Das betrachteten Vereinsvertreter, aber auch manche Medien als unangemessene Benachteiligung der Sportvereine und ihrer Fans.

Mehr Zuschauer in Theatern als in Stadien

Inzwischen hat sich die Situation zwar dahingehend verändert, dass in den meisten Bundesländern wieder bis zu 10.000 Zuschauer in Freiluftstadien zugelassen sind und Fußballvereine die Klagen zurückgezogen haben. Dennoch lohnt es sich mit dem Missverständnis aufzuräumen, dass für Kultur und Fußball die gleichen oder vergleichbare Regeln gelten müssen oder sollten.

Das gilt insbesondere deshalb, da die prozentuale Auslastung in Fußballstadien weiterhin hinter der maximal möglichen Kapazität zurückbleibt. Bei Kulturveranstaltungen darf häufig ein größerer Prozentsatz der vorhandenen Plätze genutzt werden.

Im ersten Jahr der Coronakrise zählte es zu den zentralen Forderungen von Kulturschaffenden sowie deren Institutionen und Verbänden, dass kulturelle Events nicht gegenüber Fußball- oder Sport-Veranstaltungen im Allgemeinen benachteiligt werden dürfen. 

Beseitigung einer Benachteiligung

Um das zu bekräftigen, veröffentlichten wir am 11. September 2020 einen Artikel mit dem Titel "Warum werden Fußballspiele in der Coronakrise gegenüber Konzerten bevorzugt?". Damals bestand in manchen Bundesländern ein krasses Missverhältnis zwischen den erlaubten Kapazitäten in Fußballstadien und der maximalen Zuschauerzahl bei Konzerten - und zwar drinnen und draußen!

Inzwischen hat sich die Situation umgekehrt. Das liegt sicherlich am wachsenden Bewusstsein dafür, dass die Durchführung von Kulturevents in der aktuellen pandemischen Lage auch in geschlossenen Räumen möglich ist, ohne Leben und Gesundheit der Besucher mutwillig zu riskieren. 

Es gibt schlichtweg keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass Theatervorstellungen oder Veranstaltungen unter 2G-Bedingungen in Konzert- oder Opernhäusern einen nennenswerten Einfluss auf die pandemische Lage besitzen. Das gilt insbesondere dann, wenn entweder die Abstandsregeln eingehalten werden oder Maskenpflicht auch am Sitzplatz gilt (oder beides). 

Auf der anderen Seite zählt bei Fußballspielen unter Vollauslastung die Anreise in überfüllten öffentlichen Nahverkehrsmitteln, das gemeinsame Treffen im Vorfeld sowie die gesellige Nachbetrachtung für viele Fans zur normalen Routine eines Stadionbesuchs. Bei diesen Aktivitäten ist die Infektionsgefahr aber weitaus höher als beim Aufenthalt unter freiem Himmel im Stadion.

Besonderer Schutz der Kultur

Der Vorrang von kulturellen Events ergibt sich auch daraus, dass das Grundgesetz die Kunstfreiheit in Art. 5 Absatz 3 schützt. Das erkennt auch die Beschlussvorlage des im Dezember 2021 verabschiedeten Infektionsschutzgesetzes ausdrücklich an. Darin heißt es: "Bei Untersagungen oder Beschränkungen im Bereich der Kultur muss daher der Bedeutung der Kunstfreiheit ausreichend Rechnung getragen werden."

Das bedeutet: Der Gesetzgeber muss bei Schließungen von Kultureinrichtungen, aber auch bei der Beschränkung ihres Betriebs, die grundgesetzlich geschützte Kunstfreiheit berücksichtigen. Daraus folgt, dass in kulturellen Veranstaltungsorten großzügigere Kapazitätsgrenzen gelten können als für Sportevents. 

Wenn das der Fall ist, handelt es sich keineswegs um eine unzulässige Bevorzugung der Kultur, sondern um eine gesetzlich gebotene Berücksichtigung ihres durch das Grundgesetz geschützten Status. Gleiches gilt im Übrigen für Gottesdienste und andere Formen der Religionsausübung. Einen vergleichbaren Status besitzen Sport- und Freizeit-Events nicht. 

Äpfel und Birnen vergleichen

Damit ist aber die Angelegenheit nicht erledigt. Vereinsvertreter vergessen gerne, dass es bei der Frage der Auslastung von Stadien nicht darum geht, ob die Spiele überhaupt stattfinden können. 

Fußballspieler können ihren Beruf ohne physisch anwesendes Publikum ausüben, da die Fans die Spiele im Fernsehen oder Internet verfolgen können. Die Vereine müssen zwar auf Gelder aus dem Ticketverkauf verzichten, erzielen aber sehr wohl Einnahmen aus den Übertragungsrechten. 

Bei performenden Künstlern wie Sängern, Musikern, Tänzern oder Theaterschauspielern ist die Situation völlig anders. Für diese Künstler geht es bei Kapazitätsbeschränkungen schlichtweg um die Frage, ob der Auftritt überhaupt stattfindet. Wenn er abgesagt wird, erzielt keiner der Beteiligten Einnahmen.

Die Option, Events kostenpflichtig per Livestream im Internet zu übertragen, greift bei Theaterstücken, Opern oder Konzerten insbesondere im Bereich der klassischen Musik nicht oder nur unter besonders günstigen Umständen. Die Zahl der Events wäre dafür deutschlandweit viel zu groß und die Nachfrage auch aufgrund der Altersstruktur der Besucher viel zu gering. 

Schwierige Lage der Musikclubs

Wenn kulturelle Events stattfinden dürfen, warum sind dann Musikclubs geschlossen? Ein Grund ist natürlich, dass Bund und Länder sich im Dezember darauf verständigt haben, Clubs und Diskotheken zu schließen.

Es gibt aber weitere Gründe: Selbst wenn Konzerte stattfinden könnten, lohnt sich deren Durchführung nicht, weil viele Clubs sich über ein Mischprogramm aus Konzerten und Partys finanzieren. Es lohnt sich schlichtweg nicht, nur vereinzelt Events durchzuführen.

Viele Konzerte sind außerdem Bestandteil einer größeren Tour, die aber nur wirtschaftlich ist, wenn die einzelnen Shows mit möglichst maximaler Auslastung in Clubs und Hallen durchgeführt werden. Diese Tourneen sind aber aktuell leider noch ein Ding der Unmöglichkeit, insbesondere dann wenn es sich um unbestuhlte Veranstaltungen handelt. 

Grundsätzlich sind aber auch Musikclubs Kulturstätten. Ihre kulturellen Events verdienen daher den gleichen Schutz wie ein Konzert in der Elbphilharmonie. Das Ziel muss daher darin bestehen, den Clubs und Hallen eine Perspektive für die Wiedereröffnung zu bieten. Wie diese aussehen kann, ist aber aktuell völlig unklar – und das ist eines der vielen Probleme von Konzertveranstaltern.

Ähnliche Themen

Deutscher Kulturrat und Claudia Roth begrüßen neue Corona-Beschlüsse

Ein Erfolg für die Kulturbranche

Deutscher Kulturrat und Claudia Roth begrüßen neue Corona-Beschlüsse

veröffentlicht am 10.01.2022   1

Starke Einschränkungen im Kulturbereich: Das sind die neuen Corona-Beschlüsse

Die Ergebnisse der MPK

Starke Einschränkungen im Kulturbereich: Das sind die neuen Corona-Beschlüsse

veröffentlicht am 22.12.2021   1

Bund und Länder beschließen zusätzliche Corona-Maßnahmen – starke Einschränkungen für die Kultur

Reaktion auf die steigen Inzidenz

Bund und Länder beschließen zusätzliche Corona-Maßnahmen – starke Einschränkungen für die Kultur

veröffentlicht am 02.12.2021   4

Newsletter

Abonniere den Backstage PRO-Newsletter und bleibe zu diesem und anderen Themen auf dem Laufenden!