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"Ein neues Modell würde alte Strukturen radikal verändern"

Ryan Rauscher über die Auswirkungen eines User-Centric Payment Modells für Streaming-Einnahmen

Interview von Florian Endres
veröffentlicht am 19.05.2023

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Ryan Rauscher über die Auswirkungen eines User-Centric Payment Modells für Streaming-Einnahmen

Ryan Rauscher. © Privat

In seiner Keynote beim Future Music Camp 2023 in Mannheim stellt Ryan Rauscher (BMG) eine Studie vor, die die Auswirkungen der Einführung eines User-Centric Payment-Modells für Streaming-Einnahmen untersucht. Einige Erkenntnisse der Studie und Auswirkungen der Umstellung verrät er uns vorab im Interview.

Backstage PRO: Ryan, kannst du uns zum Einstieg erklären, wie Künstler/innen derzeit auf Streaming-Plattformen entlohnt werden?

Ryan Rauscher: Aktuell erfolgt dies mittels des sogenannten "Pro-Rata"-Modells: Hier werden die Abo-Gebühren aller Musikstreaming-Abonnent/innen in einen Topf geworfen, bevor das Geld anteilig an die Künstler/innen verteilt wird. Bei Pro-Rata erfolgt das anhand des Anteils einer Künstlerin bzw. eines Künstlers an den Gesamt-Streams: Erhält ein Act 0,1 Prozent aller Streams auf einem Streamingdienst wie Spotify, dann bekommt er 0,1 Prozent aller ausgeschütteten Abo-Gelder.

"User-Centric bedeutet eine individuelle Verteilung der Gebühren"

Backstage PRO: Inwiefern unterscheidet sich das User-Centric Payment-Modell?

Ryan Rauscher: Beim User-Centric Modell gibt es keinen Gesamt-Topf, in dem alle Abo-Einnahmen gesammelt werden. Stattdessen wird die Abo-Gebühr jeder einzelnen Abonnentin und jedes einzelnen Abonnenten individuell verteilt – anteilig unter den Künstler/innen, die von diesem Abonnenten gestreamt wurden.

Zum Verständnis ist auch wichtig, dass beim hier diskutierten User-Centric Modell weiterhin in Streams "gerechnet" wird. Wie viel ein/e Künstler/in bekommt, hängt also davon ab, wie hoch deren bzw. dessen Anteil an den gesamten Streams eines Users ist.

Backstage PRO: Gibt es noch andere Wege, ein User-Centric-Modell umzusetzen?

Ryan Rauscher: Grundsätzlich könnten für User-Centric Modelle aber auch andere Kriterien herangezogen werden – anstelle von Streams etwa die tatsächliche Hördauer. Auch die öfter geforderte Berücksichtigung des Nutzungs-Kontextes – aktiv vs. passive Nutzung – könnte in einem User-Centric Modell umgesetzt werden.

User-Centric bedeutet lediglich, dass es keinen Gesamt-Topf der Einnahmen gibt, sondern die Abo-Gebühr jeder einzelnen Nutzerin bzw. jedes einzelnen Nutzers individuell verteilt wird, unabhängig vom gewählten Kriterium.

"Die Auswirkungen von UCPS wären signifikant"

Backstage PRO: Im Rahmen einer Studie hast du gemeinsam mit PRO MUSIK die Auswirkungen der Einführung eines User-Centric Modells auf die Streaming-Einnahmen untersucht. Welche Erkenntnisse haben sich aus dieser Studie ergeben?

Ryan Rauscher: Der Unterschied zwischen diesen Ansätzen mag nicht spektakulär klingen. Doch zeigt unsere Studie unter anderem, dass ein User-Centric Modell signifikante Auswirkungen auf die Verteilung der Streaming-Einnahmen haben kann. Gut ein Viertel aller Einnahmen könnten zwischen den Künstler/innen umverteilt werden – knapp ein Drittel aller Künstlerprofile könnte mindestens 40 Prozent mehr Einkommen aus dem Musikstreaming erzielen, während etwa ein Fünftel seine Einnahmen sogar mindestens verdoppeln könnte.

Backstage PRO: Welche Schlussfolgerungen ziehst du daraus?

Ryan Rauscher: Unter allen diskutieren Maßnahmen zum Musikstreaming haben Abrechnungsmodelle das Potential, die höchsten Zugewinne für individuelle Künstler/innen zu generieren. Gleichzeitig ist die Änderung des Abrechnungsmodells aber immer auch ein Nullsummenspiel: die Zugewinne der einen Künstlerprofile erfolgen auf Kosten anderer, da sich die zur Verfügung stehende Gesamtsumme ja nicht verändert. 

"Die Folgen der Umstellung sind einfach zu berechnen"

Backstage PRO: Ist eure Studie in der Lage, die Gewinner und Verlierer zu benennen?

Ryan Rauscher: Ja. Unsere Studie erläutert, welche Künstlerprofile weshalb profitieren würden. Wir erklären das Anreizsystem von User-Centric und übersetzen es in einfache Fragen, die dabei helfen eine eigene Position zu beziehen: Ist User-Centric vorteilhaft oder nicht?

Backstage PRO: Welche Faktoren sind entscheidend?

Ryan Rauscher: Unsere Studie erläutert die Faktoren und Eigenschaften, die entscheidend sind, ob ein Künstler von User-Centric profitiert oder nicht. In dieser Hinsicht sind drei Faktoren von besonderer Bedeutung: Die Songs der Künstler/innen müssen von möglichst vielen Usern gestreamt werden (User Reach), und zwar möglichst häufig: Artists profitieren vor allem von Nutzer/innen, die gerade ihre Songs oft, Songs anderer Musiker/innen dahingegen nur selten streamen (User Commitment).

Auch die Höhe der Abo-Gebühren, die die betreffenden User entrichten, spielt eine Rolle: Die Künstlerinnen und Künstler profitieren vor allem dann, wenn diese möglichst hohe Gebühren zahlen; Vergünstigungen durch Studenten- oder Familienrabatte wirken sich also negativ auf die Auszahlungen an die Artists aus (User Spend).

Backstage PRO: Wie kompliziert war es, die Auswirkungen zu ermitteln?

Ryan Rauscher: Unsere Studie zeigt, dass die Auswirkungen von User-Centric auf individueller Künstlerebene mit relativ wenig Daten und Aufwand berechnet werden können. Das ist eine ganz wesentliche Erkenntnis. Eine gewisse Bereitschaft vorausgesetzt, sollte es also möglich sein, alle Künstler/innen über die Auswirkung von User-Centric (und anderer Modelle) für ihre individuellen Einnahmen informieren zu können.

"Pro-Rata ist ein sehr eindimensionales System"

Backstage PRO: Welche weiteren Veränderungen würde der Wechsel zu einem User-centric-payment-Modell für Artists bewirken?

Ryan Rauscher: Neben der finanziellen Perspektive hat jedes Abrechnungsmodell stets Auswirkungen auf den kreativen Prozess: Je nach Modell werden unterschiedliche finanzielle Anreize gesetzt, die sich auch auf Songwriting, Producing und bspw. Arbeiten im Artists & Repertoire-Bereich auswirken: Bei Pro-Rata wird lediglich die Maximierung von Streams finanziell belohnt – alles andere ist im Prinzip für die Geldverteilung egal.

Bei User-Centric würde darüber hinaus finanziell belohnt, wenn ein/e Künstler/in mehr Nutzer/innen erreicht, wenn dieser Artists für die Nutzer/innen relativ "wichtig" ist und wenn er bzw. sie von Usern gehört wird, die höhere Abo-Gebühren zahlen. Das finanzielle Anreizsystem von User-Centric ist also variantenreicher als das sehr eindimensionale Pro-Rata.

Backstage PRO: Und für die User?

Ryan Rauscher: Für die Nutzer/innen bedeutet User-Centric, dass ihre Abo-Gebühr nur unter den Künstler/innen verteilt wird, die sie tatsächlich auch gehört haben. Im heutigen Pro-Rata Modell ist das nicht gegeben. Es zählt nur, wie viel eine Künstlerin bzw. ein Künstler insgesamt gestreamt wurde, egal von welchen Nutzer/innen.

Das bedeutet bspw. auch, dass User, die überdurchschnittlich viel Streamen, mehr Einfluss darauf haben, an welche Künstler/innen das Geld verteilt wird. Die Abo-Gebühr einer Nutzerin bzw. eines Nutzers mit relativ wenigen Streams fließt dagegen hauptsächlich zu Artists, die von anderen Nutzer/innen gehört werden.

"UCPS steht im Einklang mit den Zielen der Streamingdienste"

Backstage PRO: Welche Auswirkungen hätte die Einführung eines User-centric-payment-Modells für Streaming-Dienste?

Ryan Rauscher: Rein finanziell betrachtet, ändert sich für die Streamingdienste nicht viel, da sie weiterhin den gleichen Prozentsatz der Einnahmen an die Artists ausschütten. Allerdings liegt es in ihrem Interesse, dass die Einnahmen "sinnvoll" an die Künstler/innen verteilt werden. Diese Verteilung sollte die Nachfrage der Abonnent/innen wiederspiegeln. Gelingt das nicht, werden Inhalte finanziell belohnt, die eigentlich nicht nachgefragt sind.

Backstage PRO: Das heißt, die Streaming-Dienste sollten eigentlich ein User-Centric-Modell befürworten?

Ryan Rauscher: Das Anreizsystem des heutigen Pro-Rata Modells passt nicht zu den Zielen eines Streamingdienstes: Während der Streamingdienst die Anzahl der Abonnent/innen und deren Abogebühren maximieren möchte, kümmern sich Labels und Künstler/innen nur um die Maximierung der Streams, die an sich jedoch keine zusätzlichen Einnahmen für den Streamingdienst generieren.

Unter einem User-Centric Modell würden jedoch auch Künstler/innen und Labels für die Maximierung der User und deren Abo-Gebühren belohnt – und auch für das Akquirieren neuer Nutzer/innen für einen Streamingdienst. Die finanziellen Anreize und Zielsetzungen zwischen Streamingdienst, Musikindustrie und Künstler/innen wären dadurch mehr im Einklang.

"UCPS würde die Strukturen der Musikwirtschaft verändern"

Backstage PRO: Du hast bereits die Labels erwähnt – mit welchen Veränderungen wäre hier zu rechnen?

Ryan Rauscher: Für Labels hängen die finanziellen Auswirkungen davon ab, welche Künstler/innen sie vertreten – und ob diese durch User-Centric bessergestellt werden oder nicht. Das hängt von den drei oben genannten Einflussfaktoren ab.

Neben dem kurzfristigen finanziellen Impact hätte User-Centric – wie jedes alternative Abrechnungsmodell – Auswirkungen auf sämtliche der bereits angesprochenen Geschäftsprozesse, von A&R bis zum Marketing. Wenn nicht mehr nur Streams, sondern bspw. auch die User-Reichweite und deren Commitment maximiert werden muss, hat das entsprechend Einfluss auf sämtliche Marketingentscheidungen. 

Backstage PRO: Verschiedentlich haben manche Streaming-Dienste ein solches Modell schon angekündigt oder vorgeschlagen, aber die Umsetzung stockt, wofür manche die Labels verantwortlich machen. Wie beurteilst du die Lage?

Ryan Rauscher: Zum einen beweist SoundCloud durch Verträge mit Warner Music und kürzlich Merlin dass es möglich ist, (Major-)Labels für User-Centric Modelle zu gewinnen. Gleichzeitig gibt es mit Deezer und Tidal zwei Beispiele, die trotz großer Bemühungen bisher nicht in der Lage waren, ein alternatives Modell einzuführen.

Backstage PRO: Woran liegt das?

Ryan Rauscher: Da es keine transparenten Informationen zur Entscheidungsfindung gibt und die Labels kaum Aufklärung leisten oder sich öffentlich positionieren, ist zur Rolle der Rechteinhaber/innen hinsichtlich User-Centric wenig bekannt. So wissen wir beispielsweise lediglich von Universal Music, dass diese sich eher einem so genannten "Artist-Centric"-Ansatz zuzuwenden wollen.

Backstage PRO: Worum geht es dabei?

Ryan Rauscher: Zu den Details und inwiefern es dabei um das Abrechnungsmodell geht, ist wenig bekannt. Weshalb Universal vermeintlich Vorbehalte gegenüber User-Centric hat, wurde bislang auch nicht öffentlich ausgeführt. Festzuhalten bleibt, dass Künstler/innen von mehr Transparenz und einer offenen Diskussion profitieren würden. Wir hoffen, mit der Studie hierzu einen wichtigen Beitrag zu leisten. 

Backstage PRO: Vielen Dank für das Interview!

 

In seiner Keynote "Payment Option Transparency – How to Understand User-Centric & Co." am Donnerstag des Future Music Camps (25.05.2023, 14:00-14:30) stellt Ryan Rauscher die Ergebnisse der UCPS-Studie näher vor.

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