×

Dreigliedriger Ansatz

Spotify will ab 2024 neues Abrechungsmodell für Streams einführen

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 27.10.2023

spotify streaming universal deezer

Spotify will ab 2024 neues Abrechungsmodell für Streams einführen

© Spotify

Derzeit nutzen die meisten Streaming-Dienste ein Pro-Rata-Abrechnungsmodell, das seit längerem in der Kritik steht. Ab 2024 plant Spotify Änderungen, durch die "rechtmäßige" Künstler*innen und Rechteinhaber*innen in den nächsten fünf Jahren zusätzliche Zahlungen in Höhe von 1 Milliarde US-Dollar erhalten sollen.

Berichten von Music Business Worldwide (MBW) und Billboard zufolge soll der Streaming-Dienst in den letzten Wochen mit verschiedenen Musikrechteinhaber*innen, darunter Major Labels und wichtigen Independent-Labels, über die Details eines neuen Abrechnungsmodells für Streams gesprochen haben.

Spotify reagiert damit auf den Druck der Major Labels, die seit längerem beklagen, dass Musik echter, bei ihnen unter Vertrag stehender Künstler*innen in Hinblick auf Auszahlungen genauso behandelt werden wie KI-generierte Musik, White Noise oder Naturgeräusche.

Spotify will sein Pro-Rata-Abrechungsmodell beibehalten, aber mit drei Änderungen dafür sorgen, dass "rechtmäßige Künstler*innen" mehr Geld erhalten. Wichtig: Es handelt sich um Pläne, die bisher nur diskutiert und öffentlich vorgestellt, aber noch nicht endgültig beschlossen sind. Im Einzelnen umfassen sie:

1. Die Einführung eines Schwellenwerts für jährliche Mindeststreams

Noch müssen Titel auf Spotify nur länger als 30 Sekunden abgespielt werden, um eine Auszahlung auszulösen, egal wie oft sie angehört werden. Das soll sich ändern.

Bevor ein Titel auf Spotify Tantiemen generiert, muss er künftig eine bestimmte Zahl an jährlichen Streams aufweisen. Dadurch wird voraussichtlich ein Teil der Titel, die bisher 0,5 Prozent des Tantiemenpools von Spotify ausmachten, entmonetarisiert werden. Das bedeutet, für diese Streams erhalten Rechteinhaber kein Geld.

[Update!] Damit Künstler*innen oder Rechteinhaber*innen nach dem geplanten Modell weiterhin mit einem Song Geld verdienen, muss dieser mindestens 1000 Mal im Jahr abgespielt werden. 

Weitere Informationen zur Schwelle von 1000 Streams gibt es hier.

Durch diesen Schritt will Spotify knapp 40 Millionen US-Dollar einsparen, die zurück in Spotifys Gesamt-Tantiementopf fließen würden und damit letztlich bei denjenigen Künstler*innen oder Rechteinhaber*innen landen würden, die mehr Streams aufweisen können.

Welche Auswirkungen sind zu erwarten?

Die spannende Frage lautet: Welche Auswirkungen hat die Auswirkung einer Mindeststreamzahl auf Künster*innen und Rechteinhaber*innen? 

Fest steht, dass die Einführung einer Mindeststreamanzahl vor allem mittleren und größeren Künstler*innen und Rechteinhaber*innen nützt, denn die besagten 0,5 Prozent des Tantiemenpools werden ja nach dem Pro-Rata-Modell umverteilt. Major Labels und große Indie-Labels dürften mit dieser Entscheidung nicht unzufrieden sein.

Auf der anderen Seite wird Indie-Acts mit lediglich 1000 Streams im Jahr nicht wirklich etwas "weggenommen", da sie keine signifikanten Beträge verlieren. Völlig unklar ist auch die Frage, in welchem Umfang es sich bei Titeln, die pro Jahr weniger als 1000 Mal gestreamt werden, überhaupt um menschliche Erzeugnisse handelt.

Änderung sorgt für Missverständnisse

Der Artikel des US-Online-Magazins Stereogum mit dem Titel "Spotify Reportedly Plans To Pay Even Less In Royalties To Less-Popular Artists" (dt. "Spotify will angeblich noch weniger Tantiemen an weniger beliebte Künstler zahlen") beruht unserer Ansicht auf einem Missverständnis.

Die Pläne von Spotify bedeuten nicht, dass der Streaming-Dienst kein Geld an Künstler*innen ausschütten will, die weniger als 0,5 Prozent des gesamten Tantiemenpools erhalten. Diese Schwelle wäre ja geradezu irrsinnig hoch.

Stattdessen sind nur 0,5 Prozent des Tantiemenpools von den geplanten Änderungen durch die Einführung einer Mindeststreamzahl betroffen, 99,5 Prozent hingegen nicht.

2. Finanzielle Bestrafung bei Betrug

Seit längerem investiert Spotify in Technologien, um systematischen Streaming-Betrug zu erkennen. Darunter fallen beispielsweise künstliche Streams durch KI-Tools oder sogenannte Streamingfarmen, die dazu dienen, auf illegale Weise Streaming-Zahlen zu erhöhen.

Durch Manipulationen dieser Art entgehen ehrlichen Künstler*innen und Rechteinhaber*innen ihre Tantiemen – und das bisher ohne schwerwiegende Konsequenzen für die Betrüger*innen.

In Zukunft will Spotify Titel, deren Abspielzahlen durch offensichtlichen Streaming-Betrug in die Höhe getrieben wurden, auch weiterhin von der Plattform entfernen. Darüber hinaus sollen die Vertreter*innen des betroffenen Titels  – einschließlich Labels – pro Track eine Geldstrafe zahlen müssen.

Auch in diesem Fall sind die Details unklar, so beispielsweise die Definition von "offensichtlichem Betrug" und die Höhe der Geldstrafen. Grundsätzlich dürfte aber Einigkeit bei allen Akteur*innen bestehen, dass Streaming-Betrug definitiv stärker bekämpft werden muss als bisher.

3. Erhöhung der Mindestspielzeit für "Nicht-Musik"

Bislang werden Musikstücke und "White Noise"-Tracks gleich behandelt. Nach 31 Sekunden Hörzeit zählt der Stream als "vollwertig" und ist damit für die Auszahlung von Tantiemen berechtigt. Im Gegensatz zu Musikstücken lassen sich White-Noise-Tracks oder Naturgeräusche leicht in 31-Sekunden-Segmente aufteilen. Damit optimieren die Hersteller*innen dieser Geräusche ihre Streaming-Einnahmen.

Jährlich knapp 35 Millionen Euro Bruttogewinn gehen Spotify durch White Noise Podcasts durch die Finger, weshalb das Unternehmen bereits im September in Erwägung zog, Weißes Rauschen zu entfernen und künftige Uploads zu verbieten.

Diese Überlegungen werden zwar nicht in die Tat umgesetzt, in Zukunft will Spotify White Noise und ähnlichen Inhalten dennoch den Kampf ansagen.

Ab 2024 müssen alle nicht-musikalischen "Lärm"-Titel eine höhere Mindestspielzeit erreichen, um Tantiemen zu generieren. Wie lang genau die geplante Mindestspielzeit sein wird, ist nicht bekannt, die Rede ist aber von mehreren Minuten.

Je nachdem wie lange die Mindestspielzeit ausfällt, wäre es nicht mehr möglich, Geräusche in 31 Sekunden dauernde Segmente aufzuspalten, um für jedes abgespielte Segment eine Tantiemenzahlung zu erhalten. Abhängig von der Länge des Mindestspielzeit könnte Spotify die Tantiemenauszahlungen an die "Geräusch-Hersteller*innen" drastisch reduzieren.

1-Milliarden-Dollar-Plan

Quellen erklärten gegenüber MBW, dass der Streaming-Dienst darauf hofft, in den nächsten fünf Jahren 1 Milliarde Dollar an Tantiemen hin zu "wirklich arbeitenden Künstler*innen" zu lenken.

Das angepasste Modell würde allerdings nicht die Größe des gesamten Tantiemenpools verändern, der an Urheber*innen und Rechteinhaber*innen ausgezahlt wird, sondern lediglich seine Verteilung.

Noch nicht offiziell

Noch sind die Änderungen nicht offiziell bestätigt. Auf Anfrage von MBW erklärte Spotify:

"Wir evaluieren immer, wie wir Künstler*innen am besten dienen können, und diskutieren regelmäßig mit Partnern, wie wir die Integrität der Plattform fördern können. Wir haben zu diesem Zeitpunkt keine Neuigkeiten zu verkünden."

Reformbemühungen bei Streaming-Diensten

Die Maßnahmen von Spotify verdeutlichen: Die Streaming-Vergütungs-Debatte ist beim Marktführer angekommen. Sie verdeutlichen aber auch, dass Spotify nicht unbedingt auf Druck von Musikerinnen und Musikern reagiert, sondern auf die wachsende Kritik der Musikindustrie, namentlich der Major Labels.

Diese sehen – durchaus nachvollziehbar – ihre Einnahmen durch das Überhandnehmen von auf Streaming-Plattformen hochgeladenen Tracks und insbesondere durch den Boom an "Nicht-Musik", also White Noise und anderen Geräuschen, geschmälert.

Die Deezer/Universal-Pläne

Wie die Spotify-Änderungspläne mit dem von Deezer und Universal Music angekündigten "künstlerzentrierten" Streamingmodell zusammenpassen, das ab Oktober zunächst in Frankreich eingeführt werden soll, ist völlig unklar.

Zwischen den Spotify-Plänen und dem Deezer/Universal-Modell existieren durchaus Gemeinsamkeiten. So will auch Deezer Streaming-Betrug stärker bekämpfen.

Noch weitaus radikaler, als Spotify es vorhat, will Deezer White-Noise, Geräusche und andere "Nicht-Musik" von Tantiemenzahlungen ausschließen und mit eigenen Kreationen ersetzen. Zudem plant Deezer "echte" Künstler*innen mit einem "doppelten Boost" zu belohnen, der Tantiemenzahlungen maximal vervierfacht.

Kleine Schritte

Die Spotify-Pläne gehen nicht so weit, haben aber den Vorteil, auf die komplizierte "Boost"-Mechanik von Deezer/Universal zu verzichten, die stets die Frage aufwerfen wird, wer denn "echte Künstler*innen" sind.

Insgesamt sind die Maßnahmen von Spotify, sofern sie umgesetzt werden, aber nur ein kleiner Schritt hin zu mehr Streaming-Gerechtigkeit. Da sie hauptsächlich den Major Labels und größeren Acts nutzen, ansonsten aber alles beim Alten lassen, wird die Debatte weitergehen.

Die Einführung eines user-zentrierten Auszahlungssystems scheint aktuell weder von Streaming-Diensten noch von der Musikindustrie geplant zu sein. Dieses Modell würde dazu führen, dass die Einnahmen jedes Users tatsächlich den Künstler*innen zugute käme, die er auch tatsächlich hört.

Es ist bedauerlich, dass dieses ebenso einfache wie logische System aktuell keine Option zu sein scheint.

Ähnliche Themen

Spotify-Aktie erlebt Höhenflug wegen Preiserhöhungsplänen

Fokus auf Profitablilität

Spotify-Aktie erlebt Höhenflug wegen Preiserhöhungsplänen

veröffentlicht am 08.04.2024

Europäisches Parlament fordert bessere Streaming-Vergütung für Musiker

Für Fairness und Transparenz

Europäisches Parlament fordert bessere Streaming-Vergütung für Musiker

veröffentlicht am 19.01.2024   7

PRO MUSIK und weitere Verbände fordern Stopp der Spotify-Vergütungsänderungen

Gegen die Grenze von 1.000 Streams

PRO MUSIK und weitere Verbände fordern Stopp der Spotify-Vergütungsänderungen

veröffentlicht am 08.12.2023   1

Neue Details: Das steckt hinter den Spotify-Reformen und dem 1000-Streams-Schwellenwert

Halbherzig und unzureichend

Neue Details: Das steckt hinter den Spotify-Reformen und dem 1000-Streams-Schwellenwert

veröffentlicht am 28.11.2023   20

Newsletter

Abonniere den Backstage PRO-Newsletter und bleibe zu diesem und anderen Themen auf dem Laufenden!