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Beteuerungen und Realität

Treibt der Bund in der Coronakrise ein falsches Spiel mit Musikern und Künstlern?

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 19.06.2020

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Treibt der Bund in der Coronakrise ein falsches Spiel mit Musikern und Künstlern?

Der Bund hat wiederholt Hilfen für Künstler angekündigt, aber bislang keine Taten folgen lassen. © Backstage PRO

Bezüglich der Hilfen für Musiker und Kulturschaffende sendet der Bund widersprüchliche Signale. Ein Minister kündigt Hilfen auf Basis des Umsatzausfalls an, die andere Ministerin verweist die Betroffenen auf den vereinfachten Zugang zu ALG II. Künstler brauchen aber kein Kommunikationschaos, sondern schnelle und effektive Hilfen.

Es klang wie eine gute Nachricht: In der ZDF-Talkshow Maybrit Illner vom 11. Juni 2020 kündigte Helge Braun, Chef des Bundeskanzleramts, ein neues Hilfsprogramm für Künstler an, das sich am Umsatzausfall orientieren und Hilfen von bis zu 9.000 Euro bereitstellen solle.

Allerdings steht diese Aussage in krassem Gegensatz zu einem Interview von Kulturstaatsministerin Monika Grütters mit der Neuen Musikzeitung (nmz). 

Ein Hoch auf die Grundsicherung

Darin pries sie erneut den bis zum 30. September verlängerten Zugang zur Grundsicherung (korrekt ALG II, oft als Hartz-IV bezeichnet):

"Mit der vollen Übernahme der Wohnkosten, dem erleichterten Zugang zum Kinderzuschlag und dem Verzicht auf eine Vermögensprüfung ist die aktuelle Form der Grundsicherung für viele Solo-Selbständige ein sehr faires Angebot, um die finanziellen Einbußen infolge der Corona-Krise zu verkraften. Es muss auch niemand seine Altersversorgung antasten."

Die zentralen Punkte ließ sie am 13. Juni auf Facebook posten:

Was sollen Musiker und Künstler angesichts dieser krass widersprüchlichen Aussagen denken?

Die vergessenen Berufsgruppen

Es stimmt, dass das Konjunkturpaket des Bundes umfangreiche Hilfen für Kulturinstitutionen und Unternehmen der Kulturbranche vorsieht. Was sich in den Plänen der Bundesregierung aber nicht findet, sind direkte Hilfen für Solo-Selbständige und Freiberufler, die über keine oder nur über geringe Betriebskosten verfügen. Zu dieser Gruppe zählen auch viele Musiker und andere Künstler.

Nicht umsonst übte der Verband der Gründer und Selbstständigen in Deutschland (VGSD) mit diesem Argument scharfe Kritik an den unzureichenden Hilfen. Die für Unternehmen gedachten Hilfen kommen bei Solo-Selbständigen mit geringen Betriebskosten nicht an, gleichzeitig handelt es sich aber um diejenigen Berufsgruppen, die Hilfe am dringendsten benötigen, denn faktisch können viele ihren Beruf aktuell gar nicht oder nur in geringem Umfang ausüben.

Im Gespräch mit Backstage PRO weist der Performance-Künstler Till Pöhlmann darauf hin, dass die Öffentlichkeit glaube, Künstlern werde mit dem Konjunkturpaket geholfen, aber das Geld fließe direkt an Vermieter, Banken oder Autoleasingfirmen. Außerdem seien die betroffenen Künstler weder arbeitslos noch arbeitssuchend, sie verfügten nur über keine Einnahmen. Die Gesamtsituation beschreibt er als außerordentlich demotivierend.

Vor großen Problemen stehen auch Selbstständige, die Grundsicherung beantragen möchten, aber in einer Bedarfsgemeinschaft leben (da sie z. B. verheiratet sind). In diesen Fällen wird aber das Einkommen des Ehepartners angerechnet, so dass Betroffene nur geringe oder keine Hilfen erhalten, das Familieneinkommen aber dramatisch geringer ausfällt. Von effektiver Hilfe kann in diesen Fällen keine Rede sein.

Unverständliche Aussagen

In besagtem Interview mit der nmz äußert sich Grütters auch zur Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern: "Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass Kultur in Deutschland Ländersache ist. Mehr als 85% aller staatlich finanzierten Kultur wird von den Ländern und Kommunen getragen. Ich appelliere immer wieder an meine Länderkollegen, im Kulturbereich so einheitlich wie nur möglich zu verfahren."

Diese Aussage vermittelt den Eindruck, dass Monika Grütters sich aus dem Thema der Hilfen für Solo-Selbstständige und Freiberufler eigentlich schon verabschiedet hat, denn natürlich verfahren die Länder nicht einheitlich. 

Wie wir in unserer Übersicht über Hilfsprogramme der Bundesländer für Musiker und Kulturschaffende gezeigt haben, gibt es in einigen Bundesländern aktuell Pläne, ausgelaufene Programme wieder aufzunehmen, andere bieten Stipendien, andere ein monatliches Einkommen und weitere haben mit dem Thema offensichtlich abgeschlossen.

Appelle sind nicht genug

Wenn Monika Grütters möchte, dass die Länder einheitlich handeln, dann muss sie mehr tun, als an sie zu appellieren. In diesem Fall muss der Bund bundesweit geltende Rahmenbedingungen festlegen, die dann die Länder ggf. erweitern können. 

So fordert Markus Graf, Leiter des Kompetenzzentrum Popularmusik Rheinland-Pfalz (pop:rlp) im Gespräch mit Backstage PRO ein Förderprogramm ähnlich der Corona-Soforthilfe, um Verdienstausfälle (z. B. Gagen) zu kompensieren. 

Der normale Musiker oder Künstler lande aktuell direkt im ALG II, ein Programm, das nicht für diesen Zweck gemacht sei und enormen bürokratischen Aufwand sowohl für den Antragsteller wie für die Behörden verursache. 

Graf kritisiert den "fehlenden politischen Willen" Solo-Selbständigen und Freiberuflern gezielt zu helfen und beklagt, dass die Politiker ein verheerendes Signal an den Nachwuchs der kreativen Berufe wie beispielsweise junge Musiker sendet: "Wenn es einmal ein Problem gibt, landest du direkt auf der untersten Stufe der sozialen Sicherung."

Im Augenblick herrscht bei vielen Betroffenen deshalb Frust und Enttäuschung. So erklärt Konzertveranstalter Frank Diedrich (bis 2018 Inhaber und Booker des Liveclubs Das Bett in Frankfurt) gegenüber Backstage PRO, die Bundesregierung missachte "die Bedürfnisse hunderttausender Freiberufler und Solo-Selbständiger und schickt sie zynisch zum Jobcenter. Es hat den Anschein als ob man berufliche Selbständigkeit und Selbstbestimmung bewusst abschaffen will. Ein großer Fehler, denn ohne die Selbständigen läuft im Kulturbereich nichts."

Es ist enttäuschend, dass das Handeln der Bundesregierung trotz gegenteiliger Beteuerungen hinter den Bedürfnissen der Kulturschaffenden zurückbleibt. Die Künstlerinnen und Künstler dieses Landes haben besseres verdient.

Update, 19. Juni: Inzwischen hat Helge Braun im Bundestag seine Aussagen relativiert. Von einem besonderen Programm für Solo-Selbständige ist keine Rede mehr, auch Braun verweist die Betroffenen auf den erleichterten Zugang zum ALG II ("Hartz-IV").

Darüber hinaus verwies er auf die Kulturhilfen des Konjunkturprogramms (Programm "Neustart Kultur", 1 Millarde Euro) und auf die Länder, die "herzlich eingeladen" seien, einen Unternehmenslohn "selbst zu machen".

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