"Nicht zu lange nachdenken – machen!"
Drei Projekte, die Hoffnung für Musikerinnen und Musiker in der Pandemie machen
coronakrise liveszene Öffnungsperspektiven veranstaltungskonzepte
Die Bärlauchbühne beim Wanderzirkus. © Steffen Köble
Musikerinnen und Musiker nicht nur in Deutschland warten auf ein Ende der Corona-bedingten Einschränkungen. Nach einer Zeit der Streaming-Konzerte wird es endlich wieder Zeit, vor etwas mehr Publikum als nur Kameramann, Regie und Tontechniker zu spielen. Doch nicht nur das Ende der Maßnahmen ist derzeit noch nicht in Sicht.
In Anbetracht der zahlreichen Terminverschiebungen aus dem vergangenen Jahr ist es weiterhin denkbar, dass freie Termine von Promotern, Venues, Privatleuten usw. bereits mit Terminverschiebungen aus 2020 gefüllt sind – Pech für viele Bands und Künstler/innen, die auf der Suche nach neuen Auftrittsmöglichkeiten sind.
Kreativität ist gefordert!
Für unseren Redakteur Steffen Knauss stellen diese Unsicherheiten jedoch keinen Grund dar, den Kopf in den Sand zu stecken. Vielmehr gilt es, selbst aktiv zu werden und trotz der Widrigkeiten eigene Konzerte auf die Beine zu stellen.
Für Partybands, Punkrocker und alles, was einen Moshpit erfordert, ist es natürlich weiterhin schwierig, wie gewohnt auftzutreten. Aber jede Band, die mit kleinem Setup oder sogar komplett akustisch auftreten kann, hat die Chance ihre Musik abseits von Liveclubs und Open Air-Bühnen aufzuführen.
Als Beispiel stellt Steffen uns drei Projekte von Musiker/innen vor, die durch Corona zum Eventmanager mutiert sind: Den "Kultur Lümmel" von Heinz Ratz, Steffen Köbles "Wanderzirkus", und den "Wanderzirkus 2.0" auf dem Kulturhof Erpfenhausen von Sonja Banzhaf und Benny Jäger.
Heinz Ratz' Kultur Lümmel: Ein Oldtimer als Bühne
Backstage PRO: Heinz, wie muss man sich ein Konzert mit deinem aktuellen Projekt, dem Kultur Lümmel vorstellen?
Heinz Ratz: Wie ein normales Konzert – auf der Pritsche eines Mercedes-Oldtimers aus den 80ern! Wir haben Tontechnik montiert, mit der wir bis zu 300 Zuhörerinnen und Zuhörer beschallen können, außerdem professionelle Lichttechnik und einen leisen Stromgenerator. Wir haben also eine eigene mobile Bühne, mit der wir jederzeit und überall sofort los spielen können: Wir fahren mit dem Kultur Lümmel zu unserem Publikum und sind fünfzehn Minuten nach Ankunft spielbereit.
Backstage PRO: Inwiefern hilft das Konzept Bands und Musiker/innen in Zeiten von Corona – und wo macht der "Lümmel" überall Station?
Heinz Ratz: Durch den kleinen Rahmen und dadurch, dass die Konzerte draußen stattfinden, können wir strenge Corona-Auflagen mühelos einhalten. Außerdem spielen wir immer mit lokalen Bands und Musiker/innen zusammen. Der Lümmel ist somit eine Art musikalische Arche Noah für alle.
Wenn die Pandemie es zulässt, sind wir von Mai 2021 bis in den späten Herbst des Jahres unterwegs, und zwar bundesweit – wobei wir im Mai und Juni in Süddeutschland starten. Die Termine findet ihr auf unserer Website.
Backstage PRO: Wie hast du das Projekt finanziert?
Heinz Ratz: Die Investition für das Projekt lagen deutlich über 30.000 Euro. Davon habe ich knapp 20.000 Euro durch Crowdfunding-Unterstützung bekommen; 6.000 Euro Zuschuss kamen vom Deutschen Musikfonds. Für den Rest hab ich unser altes Tourauto verkauft.
Der Kultur Lümmel unterwegs, © Heinz Ratz
Backstage PRO: Wie ist die Reaktion bis jetzt?
Heinz Ratz: Sehr gut seitens der Kulturämter, Clubs und des Publikums. Verhalten seitens der Ordnungsämter.
Backstage PRO: Gibt es für Bands die Möglichkeit mitzumachen?
Heinz Ratz: Ja! Wenn es keine zu großen Besetzungen und/oder technisch zu aufwändige Bands sind, sehr gerne! Am Besten wendet ihr euch dazu per Mail an mich oder mein Team; die Kontaktadresse findet ihr hier. Im besten Fall übernehmen andere Künstlerinnen und Künstler sogar das Konzept, das wäre wunderbar: Lauter rollende Bühnen, die dann zu kleinen Festivals zusammenkommen.
Backstage PRO: Was sind aus deiner Erfahrung heraus die Erfolgskriterien wenn man als Musiker selbst aktiv werden will?
Heinz Ratz: Vor allem eins: Nicht ewig theoretisieren, sondern tun!
Der Wanderzirkus von Steffen Köble
Im Gegensatz zum Kultur Lümmel, bei dem die Band zum Publikum kommt, wandern die Zuhörer bei Steffen Köbles Wanderzirkus zu den Bands.
Backstage PRO: Steffen, wie können wir uns den Wanderzirkus vorstellen?
Steffen Köble: Die Gäste bekommen eine handgezeichnete Wanderkarte und erscheinen zu einer vereinbarten Zeit an einem vereinbarten Ort. Sie laufen los und treffen unterwegs im Wald oder am Weg auf drei kleine improvisierte Bühnen, auf denen 1-2 Künstler/innen stehen. Die Bands bieten ein ca. 20- bis 30-minütiges, intimes Programm – ganz nah und exklusiv. Gespielt wird meist unplugged, da es keinen Strom gibt.
Backstage PRO: Für welches Publikum ist denn ein solches Projekt vor allem geeignet?
Steffen Köble: Grundsätzlich für alle. Meinem Eindruck nach hatten wir immer ein sehr gemischtes Publikum – ausgenommen Menschen, die nicht so gut zu Fuß sind. Gefreut haben mich am meisten die Familien; vor allem die Jugendlichen und kleinen Kinder. Die sind vielleicht nicht ganz freiwillig mitgewandert, aber deren Gesichter haben als die Musik losging, immer vor Freude gestrahlt.
Backstage PRO: Wie hoch sind die Investitionen und der organisatorische Aufwand?
Steffen Köble: Die Investitionen sind nicht hoch, wenn freie Zeit zur Verfügung steht. Das notwendige Material hatte ich größtenteils zuhause; gekauft habe ich so gut wie nichts. Der organisatorische Aufwand ist doch etwas größer: Mit jedem Gast musste ich Mails schreiben, um alles abzuklären. Der Zirkus rotiert den ganzen Tag im zwanzig Minuten Takt, jede wandernde Einheit hat Ihren festen, einmalig vergebenen Platz. Ein Fehler in der Absprache/Organisation wirkt sich da verheerend aus.
Backstage PRO: Würdest du also sagen, dass neben der Abhängigkeit vom Wetter die Logistik die größte Herausforderung ist?
Steffen Köble: Auf jeden Fall. Allerdings war es hilfreich, dass der ganze Zirkus eine etwas verwegene und geheimbündlerische Aura hatte. Man musste "Insider" sein und meine Emailadresse kennen. Die ganze Veranstaltungen war nicht öffentlich und es gibt bis heute im Netz nichts dazu zu finden. Da ist man gerne dabei und stellt keine bequemen Konsumansprüche als Gast. Was es natürlich entspannter für den Verantwortlichen, in diesem Falle mich, machte.
Backstage PRO: Wie hast du die Künstlerinnen und Künstler für den Wanderzirkus ausgesucht?
Steffen Köble: Die Idee des Wanderzirkus ist eigentlich aus der Not geboren: Ich wollte unbedingt selbst weiter auftreten, trotz Coronaverordnungen. Also waren meine eigenen Duos und Trios als teilnehmende Bands schon mal gesetzt. Zusätzlich haben dann noch Kollegen aus meinem erweitertem Umfeld gespielt. So gesehen war der Wanderzirkus eine Selbsthilfeaktion.
Backstage PRO: Du sprichst in der Vergangenheitsform?
Steffen Köble: Ja, denn mittlerweile ist das Format zumindest hier in meinem Heimatdorf Lauterbach Geschichte. Aber ich hoffe auf Kolleginnen die das Format in Ihrem Umfeld umsetzen. Es steht zur freien Verfügung – traut euch, es funktioniert!
Backstage PRO: Wie geht es jetzt weiter?
Steffen Köble: Im zweiten Corona-Jahr habe ich ein neues Konzept etwickelt, den "Rastgarten Friedluftfrei". Dieses Projekt muss man sich eher wie eine mehr oder weniger öffentlich Probe unter freiem Himmel vorstellen.
Der Wanderzirkus 2.0 auf dem Kulturhof Erpfenhausen
Sonja Banzhaf und Benny Jäger haben das Konzept von Steffen Köble übernommen und selbst einen Wanderzirkus auf ihrem idyllischen Kulturhof organisiert.
Backstage PRO: Sonja und Benny, wie lief euer "Wanderzirkus 2.0"?
Sonja & Benny: Wir hatten insgesamt drei Bühnen, die vormittags und nachmittags bespielt wurden. Also drei Künstler/innen bzw. Gruppen, wenn den ganzen Tag gespielt wurde, oder eben mit Wechsel in der Mittagspause. Die Resonanz war überwältigend. Die Gäste waren begeistert und viel sagten, dass müssten wir 2021 wieder machen.
Backstage PRO: War die Veranstaltung ein großer organisatorischer Aufwand? Wart ihr etwa auf zusätzliches Personal angewiesen, oder konntet ihr alles zu zweit stemmen?
Sonja & Benny: Wir haben im Vorfeld viele Stunden zu zweit am PC zugebracht, um die Kommunikation mit den Gästen abzuwickeln. An den Tagen selbst hatten wir dann ein wenig Personal: Ordner am Parkplatz (die Anzahl hing vom Platzangebot ab), eine Person an der Getränkestation und zwei am Grill.
Backstage PRO: Wie lief das Genehmigungsverfahren?
Sonja & Benny: Wir haben auf dem Ordnungsamt angerufen und erklärt, was wir an welchem Standort machen wollen. Die haben uns dann gesagt, an wen wir uns zusätzlich noch wenden müssen, da die Bühnen aufgrund ihrer Lage im Wald in unterschiedliche Zuständigkeiten gefallen sind.
Backstage PRO: Habt ihr auch Fördermittel erhalten – und habt ihr vielleicht sogar Tipps für die Antragstellung?
Sonja & Benny: Wir wurden durch das "Kunst trotz Abstand"-Förderprogramm von Baden-Württemberg unterstützt. Wieso gerade wir ausgewählt wurden – keine Ahnung. Ich denke aber, dass vor allem innovative Ideen eine Chance bekommen.
Backstage PRO: Konnten die Besucher für die Bands Geld spenden?
Sonja & Benny: Ja, wir haben am Ende vom Weg Spendenkassen aufgestellt.
Backstage PRO: Habt ihr vor auch in diesem Jahr wieder einen Wanderzirkus durchzuführen? Und wenn ja wo können sich Bands bewerben?
Sonja & Benny: Ja, wir wollen das auch 2021 nochmal in Angriff nehmen. Der offizielle Bescheid sollte Ende Mai kommen. Wir stellen die aktuellen Infos dann auf unsere Homepage. Bewerben kann man sich, wenn wir eine Förderung bekommen, per E-Mail. Wenn wir keine Förderung erhalten, werden wir keinen Wanderzirkus durchführen können.
Habt ihr selbst Ideen zum Musizieren in Zeiten von Corona, oder vielleicht sogar schon ein Konzept erfolgreich umgesetzt? Dann schreibt es uns in die Kommentare!
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