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"Du bist Einzelkämpfer in einem Meer von Künstlern"

Frustration und Depression: Der dunkle Pfad des Band-Diktators

Tipps für Musiker und Bands von Backstage PRO
veröffentlicht am 03.07.2018

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Frustration und Depression: Der dunkle Pfad des Band-Diktators

Wir beleuchten den dunklen Pfad des Band-Diktators. © photosvit / 123RF

Musik ist etwas Wundervolles und auch die verschiedenen Zweige der Musikbranche um die Kunst herum sind spannende Themen- und Arbeitsfelder. Doch wie bei allen Dingen gibt es auch hier Schattenseiten, die sich auftun. Dazu zählt der dunkle Pfad des Band-Diktators, den unser anonymer Autor in diesem Artikel aus seiner eigenen Erfahrung heraus etwas genauer beleuchten wird.

Um heutzutage mit seiner Band erfolgreich zu sein, braucht es, so könnt ihr das auch hier in etlichen Artikeln lesen, nicht nur einen Musiker, sondern zudem einen Manager – einen Verkäufer zugleich.

Wenn du eine Band nach vorn bringen willst, hast du Konkurrenz auf allen Seiten, Leute, die dich verarschen wollen und Leute, die vieles von dir erwarten. Du bist Einzelkämpfer in einem Meer von Künstlern, die alle der Überzeugung sind, dass genau sie es verdient haben, "es zu schaffen".

Du opferst dich auf, du riskierst, du kämpfst. Du bist der "Band-Chef" und regelst alles für deine Band. Was zurück kommt, ist nur ein Bruchteil deiner Mühen. Und oft ist das ein Leben lang so.

Unglaublich viel Zeit und Mühen

Doch wie geht man eigentlich mit Rückschlägen um? Was ist zu tun, wenn der große Eifer in Frustration umschlägt? Was ist, wenn die Musik, die dir einst so wichtig war, dich am Ende in ein großes Loch wirft?

Darüber frustriert zu sein, mit seiner Band nicht so berühmt zu sein, wie man sich das als Jugendliche(r) gewünscht hat, erscheint wie Meckern auf hohem Niveau. Tatsächlich ist es aber so, dass man oft unglaublich viel Zeit und Mühe investiert in etwas, das vielleicht niemals wahr wird.

Es ist heutzutage Fakt, dass man sich mit guter Musik allein in den seltensten Fällen verkauft. Da draußen sind unendlich viele tolle Musiker und Bands aller Stilrichtungen. Alle wollen auf Tour fahren. Alle wollen Platten verkaufen. Niemand ist mehr Fan, denn alle haben ihr Ding, sind Veranstalter oder Booker, Manager, Backliner, Designer, Techniker oder eben Musiker. Spielst du in einem Club, hast du kurz darauf immer Freundschaftsanfragen auf Facebook von Leuten, dessen Band du mitziehen könntest.

Genauso wirst du, ob bewusst oder unterbewusst, überall networken, größere Acts zu deinen Freunden zählen und dich auf sie berufen. Du wirst auf sozialen Medien deine Band promoten, bis dich deine genervten Schulfreunde blockieren. Du wirst für deine Veranstaltungen werben, du wirst deinen Kopf oben halten, auch wenn nur 10 zahlende Gäste dort waren. Du wirst immer weiter machen und hart arbeiten, um aus deinem kreativen Produkt etwas zu machen, wofür sich der Aufwand auch lohnt.

Doch du wirst auch Absagen kassieren. Deine Bandkollegen haben auch ihr eigenes Leben und werden, wenn du Pech hast, andere Prioritäten setzen. Du wirst arm sein, weil du Geld ausgibst ohne zu wissen, ob sich das Ganze finanziell lohnen wird. Du wirst dich selbst so sehr in deiner Aufgabe verlieren, dass dein Fell mit der Zeit nicht dicker wird, sondern dünner – bis du einfach nicht mehr kannst.

Das alles und noch vieles mehr ist mir bereits diverse Male passiert. Und nicht nur mir. Deshalb soll es hier ein Stück weit auch um die Branchenkrankheit Depression gehen.

Wie ich vom netten Kleinkünstler fast zum Wolf geworden wäre

Es ist eine dieser lokalen Shows gewesen, als mir ein Kumpel sagte:

"Aus deiner Band kann wirklich was Größeres werden, investiert da doch echt mal rein!"

Ich hatte schon lange nicht mehr daran geglaubt, dass ich wirklich mal im Musikbusiness sein werde – hatte mich immer als Vorstadtrocker gesehen. Doch ich fing Feuer. Ich begann, das Booking für meine Band zu übernehmen, mir ein Netzwerk aufzubauen, viele Hände zu schütteln und viele, viele E-Mails zu schreiben.

Ich schmiedete Pläne – verbrachte Stunde um Stunde mit der Recherche, um unsere Musik bestmöglich zu platzieren. Ich wurde so internet- und social media-affin wie noch nie, habe zur richtigen Zeit das Richtige gepostet, habe mich mit Algorithmen beschäftigt ebenso wie mit ungeschriebenen Dos and Don’ts.

Als erste Plattenverträge auf dem Tisch lagen, ich mich mit GEMA, Musikrecht, Autoversicherungen, Instrumentenversicherungen, Gastspielverträgen, Distribution und Pressearbeit vertraut gemacht hatte, wurde ich langsam aber sicher ein Anderer.

Aus dem Bassisten wurde ein Geschäftsmann

Aus dem Bassisten, der einfach gern zuhause geübt hat, um danach Mucke mit seinen Freunden zu machen, wurde ein Geschäftsmann, der 24/7 für die Promotion seiner Band (und anderer) gelebt hat.

Und das war nichts Schlechtes, denn meine Arbeit fruchtete. Ich erlangte langsam aber sicher Aufmerksamkeit. Ich fuhr auf internationale Tourneen. Auch außerhalb der eigenen Musik übernahm ich das Booking für andere Künstler.

Moment mal… ich? Waren da nicht noch drei Andere…?

Der Druck, den das schnelllebige digital century auf mich ausübte, war so enorm, dass sich mein Sichtfeld stark einschränkte. Aus einer Band von vier Freunden wurden drei Freunde und ein Einzelgänger, so fühlte ich mich zumindest streckenweise. Der Grund dafür war, dass ich lange das Gefühl hatte, der Einzige zu sein, der uns oben hält und nach vorn bringt.

Ich vernachlässigte Freunde, um mit tollen Businesskontakten abzuhängen. Ich übte für Organisatorisches wie Fototermine, Posts, Videodrehs und Shows sehr viel Druck auf meine Mitmusiker aus, denn ich tue das doch alles auch für sie…! Oder?

Das Ego ist meist der schlimmste Feind

Es kam auch Neid. Ich wurde beneidet und ich neidete vor allem andere. Ich gönnte selbst befreundeten Bands ihre Erfolge nicht und jeder Post, in dem es hieß "Wir spielen auf XY!" veranlasste mich dazu, mich an PC und Telefon zu hängen, um meine Band weiter zu pushen. Die Ellenbogen auf beiden Seiten wurden ausgefahren – Arroganz spielte in meine Persönlichkeit mit hinein.

Diese Arbeit war meine Droge. Ich konnte nicht ohne, aber sie frustrierte mich jeden Tag, denn es ist ein hartes Geschäft, in dem es häufig darum geht, zur richtigen Zeit mit den richtigen Leuten in Kontakt zu treten.

Kreativität kann man nicht erzwingen, doch genau das habe ich versucht. Immer weiter: mehr Songs, bessere Songs.

"Lass uns das so wie XYZ machen, die haben damit einen Mega-Erfolg!"

Wenn man den Blick für alles andere verliert, keine Sekunde des Tages offline oder mal nicht erreichbar ist, wenn man nach immer mehr strebt, obwohl man gerade eigentlich schon sehr stolz auf das Geschaffte sein kann, dann hat man ein Problem. Das kann man Workaholic nennen.

Meine Diagnose war eine ausgewachsene Depression.

Das wurde festgestellt, weil mich alles, worüber ich keine Kontrolle hatte, wahnsinnig machte. Bandmember krank, Bandmember muss arbeiten, Veranstalter sagt Konzert ab, Tourbooking klappt nicht, Wagen verreckt oder die Idee für den neuen Song ist einfach nicht so cool. Alles Dinge, die passieren, that’s life. Für mich jedes Mal auf Neue ein Weltuntergang.

Ich konnte nicht zufrieden sein und fing an mich zu fragen, wann ich das jemals sein werde – und wie es so gekommen ist.

Die Antwort darauf ist ziemlich simpel: wenn du dich nicht für deine Musik aufgibst, sondern für den Fame, den du damit erntest, liegt das Problem bei dir. Wie bekannt du bist, sollte nicht Teil deiner Identität und Selbstwahrnehmung sein – ergibt Sinn, oder? Das gilt nicht nur für Musiker und auch nicht nur für mich. Ich kenne einige Labelbetreiber, Veranstalter und Booker, die so verbissen in der Musikbranche kämpfen, dass sie schnell in private Probleme geraten. Soziale. Finanzielle.

Doch was kann man tun? Ist das das Plädoyer, einfach aufzugeben, wenn man es nicht schafft?

Meine Regeln für das Musikbusiness

Nein. Doch man muss wissen, was gut für einen ist. Die größten Musikmanager und auch die meisten großen Musiker sind Arbeitstiere und auch deshalb dort, wo sie jetzt stehen. No pain, no gain! Doch ist das auch DEIN Weg? Du weißt es nicht und genau das ist ja gerade das Problem. Es ist ein riskantes Spiel, dieses Business. Viele Bands kommen bis zu einem gewissen Grad, aber nicht weiter. Viele haben das Zeug dazu, regelrecht zu explodieren und tun das nicht. Viele verschwenden ihr Potenzial. Viele sind aber auch einfach im Reinen mit sich.

Ein guter Freund ist ein regelrechtes Genie was Musik angeht, und oft habe ich ihm gesagt "Mach da was draus", oder sogar "komm, wir werden damit richtig groß!" und ich konnte nicht verstehen, weshalb dieser Mensch da keinen Bock drauf hat.

Ich musste lernen, mit Rückschlägen umzugehen und auch, dass mein Ziel schon wichtig, aber nicht alles ist. Das hier sind meine Regeln seitdem:

Du kannst nicht alles kontrollieren. Vieles liegt nicht in deiner Hand und deshalb darf dich eine Absage nicht fertig machen.

Du kannst nicht alles haben. Die meisten Bands, die ich persönlich kenne und die ich als sehr erfolgreich bezeichnen würde, haben immer das Folgende gemeinsam: die Band ist der Job, aber von allen Mitgliedern. So viel Touren und so viel Recorden wie diese Acts machen, hat niemand einen anderen Vollzeitjob. Wie gesagt: riskant. Und wenn Mitglieder doch einen Job haben, dann wird SÄMTLICHER Urlaub für die Band aufgebraucht. Und alle ziehen an einem Strang. Erfolgreiche Bands haben zwar oft einen eindeutigen Band-Leader, benötigen aber keinen, denn jeder ist bereit, alles zu geben.

Lerne aus Fehlern. Wenn Rückschläge aus deinen Fehlern resultieren, dann lerne daraus, mache es besser, aber lasse den Kopf nicht hängen und zweifle an dir. Wie gesagt, wenn dieser ganze Kram deine Persönlichkeit verändert, ist irgendetwas nicht in Ordnung.

Ein paar Rückschläge sind nicht karrierevernichtend. Wichtiger Punkt, den ich zu lernen hatte: Eine Tour-Absage, weil dein Drummer krank ist oder eine schlechte Rezension in der Presse bedeutet nicht das Aus. Wer lange bleibt und weiter macht, gewinnt meistens auch. In irgendeiner Form. Stichwort "gewinnen":

Musik sollte kein Wettbewerb sein. Hör verdammt nochmal auf, das Ganze als ein großes Monopoly-Spiel zu sehen. Musik soll unsere Gefühle ausdrücken und diese Welt in irgendeiner Form zu einer besseren machen. Erfolg bedeutet Wettbewerb, aber achte darauf, dass du nicht anfängst, diese wunderbare Sache namens "Musik" zu beschmutzen, um dein Ego-Business-Ding durchzuziehen. Das wird in der Welt der Popmusik schon genug getan.

Ändere etwas, sobald die Musik nicht mehr im Vordergrund steht. Sobald du nur noch Songs produzierst, weil du eben einen neue Platte rausbringen musst oder gar Songs auf eine andere Weise machst, damit sie der Masse besser gefallen, begibst du dich auf deinen gefährlichen Pfad.

Besinne dich auf Freunde, die auch dann deine Freunde sind, wenn du kein erfolgreicher Musiker bist.

Besinne dich auf Freunde, die auch dann deine Freunde sind, selbst wenn diese nicht erfolgreich im Musikgeschäft sind. Networken ist wichtig für das Vorankommen. Freundschaften sind wichtig für dich.

Sei stolz auf das, was du bisher erreicht hast. Egal wie groß oder klein: wenn du bist wie ich, hast du im Alleingang wahrscheinlich schon mehr geschafft als manch anderer. Sei darauf stolz. Sei auf deine Band stolz, deine Kollegen und Freunde, die dich und deinen Kontrollzwang, dich – den Band-Diktator – ertragen und toleriert haben.

Erwartest du häufiger mal ein "Danke", dafür dass du alles organisierst? Mach den ersten Schritt und bedanke dich bei deiner Band. Sie wären ohne dich womöglich nicht so erfolgreich. Doch du wärst ohne sie gar nichts.

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