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Die neue Corona-Realität

Konzert- und Festival-Veranstalter: Große Unsicherheit und Hoffnung auf 2021

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 24.04.2020

coronavirus musikmarkt liveszene

Konzert- und Festival-Veranstalter: Große Unsicherheit und Hoffnung auf 2021

Dunkle Wolken am Festival-Horizont. © Andre Havergo (bearbeitet)

Die Absage der Festival- und Open-Air-Saison trifft Veranstalter jeder Größe hart. Am schlimmsten ist aber die große Unsicherheit: Niemand weiß, wie es weitergeht. Wege aus der Krise zeichnen sich bislang nur in Ansätzen ab, während ungeklärte Fragen die Zukunft überschatten.

Wer fängt die Verluste auf?

Schon vor dem offiziellen Verbot von Großveranstaltungen wegen der Corona-Pandemie hatten viele Veranstalter die Festival- und Open-Air-Saison 2020 abgeschrieben. Deren Absage bzw. Verschiebung auf 2021 bedeutet aber den vollständigen Ausfall von Einnahmen. Die Verluste der Musikbranche insgesamt könnten sich im schlimmsten Fall auf 28 Milliarden Euro belaufen.

Wie zahlreichen Unternehmen der Tourismus-, Hotel- und Gaststättenbranche droht auch Veranstaltern jeder Größe die Zahlungsunfähigkeit, da die laufenden Kosten weiter anfallen, aber keine Einnahmen erzielt werden. Staatliche Hilfen bzw. zinsgünstige Kredite können die Ausfälle nicht vollständig kompensieren, weshalb die Rufe nach einem staatlichen Rettungsschirm für die Live-Branche lauter werden. 

Eine wirkliche Trendwende kann aber erst dann erreicht werden, wenn wieder ein regulärer Konzertbetrieb möglich ist. Bevor das aber der Fall ist, sind viele Fragen zu klären, auf die bislang nur unzureichende Antworten vorliegen.

Was ist eigentlich eine Großveranstaltung?

Den Veranstaltern macht zu schaffen, dass die Regelungen für Veranstaltungen alles andere als eindeutig sind. Das ist verständlich: Regierende Politiker sind vollauf damit ausgelastet, die aktuelle Krise zu bewältigen, die ja die gesamte Gesellschaft betrifft. 

Politiker verfügen nicht über fertige Rezepte, stattdessen müssen sie sehr kurzfristig weitreichende Entscheidungen treffen. Es ist nachvollziehbar, dass die exakte Definition von Großveranstaltungen nicht zu ihren obersten Prioritäten zählt.

Dennoch muss diese Frage so bald wie möglich geklärt werden, damit die Veranstalter überhaupt eine Grundlage erhalten, auf der sie planen können. Insbesondere Prof. Michow vom BDKV hat aus diesem Grund wiederholt eine einheitliche Regelung gefordert.

Die häufig genannte Zahl von 5.000 Menschen als Obergrenze ist dabei kaum hilfreich, weil sie aus den Zeiten vor dem Auftreten des neuartigen Coronavirus stammt. Naheliegender ist die Zahl von 1.000, die zu Beginn der Coronakrise zeitweise als Obergrenze diente. 

Allerdings bedeutet das nicht, dass Veranstaltungen bis 1.000 Besuchern durchgeführt werden können. Bestenfalls denkbar ist eine schrittweise Lockerung des Veranstaltungsverbots, sofern die Infektionszahlen in Deutschland im Rahmen bleiben. 

Wer möchte im Augenblick eine Veranstaltung durchführen?

Natürlich fiebern nicht nur die Besucher, sondern auch die Veranstalter dem Augenblick entgegen, wenn wieder "Großveranstaltungen" durchgeführt werden dürfen. Kleine Veranstaltungen könnten im Sommer in einigen Bundesländern stattfinden, wobei die Details völlig unklar sind.

Viele Veranstalter zweifeln angesichts der unklaren Situation aber selbst, ob es sinnvoll ist, Konzerte und andere Events mit mehreren hundert Personen durchzuführen. Kein Veranstalter möchte die Gesundheit der Künstler, Dienstleister und des Publikums gefährden.

Welche Regeln sollen gelten?

Veranstaltungen gibt es in ganz unterschiedlicher Form – von der schweißtreibenden Party im Club mit engem Körperkontakt bis zum bestuhlten Open-Air-Konzert mit gewissem Abstand. Während im letzteren Fall die Einhaltung von Abstands- und Hygienevorschriften zumindest theoretisch denkbar ist, erscheint sie im ersteren Fall ausgeschlossen.

Politik und Verwaltung müssen also Regeln für ganz unterschiedliche Veranstaltungen entwickeln, die in Hinblick auf die Größe, den genauen Charakter, ihren Ort (in geschlossenen Räumen oder im Freien) und eventuell auch die Altersstruktur der zu erwartenden Besucher differenzieren. Solche Regeln existieren aber noch nicht, weshalb Nachfragen bei Behörden im Augenblick ins Leere laufen.

Es ist daher wichtig, einen regionalen oder gar lokalen Flickenteppich zu vermeiden und möglichst einheitliche Regeln zu entwickeln. Gleichzeitig müssen Veranstalter damit rechnen, dass es Rückschläge in der Pandemie-Bekämpfung geben wird, die es nötig machen, eventuelle Lockerungen wieder zurückzunehmen.

Wie können Veranstalter Abstandsregeln bzw. Hygienevorschriften einhalten?

Wenn Konzerte und andere Veranstaltungen wieder durchgeführt werden, ist von der Geltung strenger neuer Regeln auszugehen, um auszuschließen, dass diese Events zum Hotspot neuer Infektionen werden, so wie das beispielsweise bei den Starkbierfesten in Bayern der Fall war.

Abgesehen von den Auswirkungen auf die Stimmung der Besucher gibt es aktuell noch keine erprobten Methoden oder gar gesetzliche Regelungen. Denkbar ist vieles: Maskenpflicht, Händedesinfektion am Eingang, zeitlich gestaffelter Einlass, Abstandswahrung durch entsprechend platzierte Stühle. Diese Maßnahmen sind aber nicht für alle Arten von Veranstaltungen geeignet. 

Eine bestuhlte Partynacht ist undenkbar, weshalb es wahrscheinlich erscheint, dass in Hinblick auf das Infektionsgeschehen besonders problematische Veranstaltungen in geschlossenen Räumen mit engem Körperkontakt besonders lange untersagt bleiben. Das gilt beispielsweise auch für Rock- oder Metalkonzerte mit Moshpits. 

Aber auch diese Einschätzung ist abhängig vom gesamten Infektionsgeschehen in Deutschland. Falls es zu massiven Ausbrüchen kommen sollte, wird jede Lockerung in Hinblick auf Veranstaltungen auf dem Prüfstand stehen.

Was passiert mit dem gastronomischen Angebot?

Ein mehr oder minder umfangreiches gastronomisches Angebot zählt zu den wichtigsten Einnahmequellen der Veranstalter. Wenn diese Möglichkeit wegfällt oder nur eingeschränkt besteht, drohen selbst bei ausverkauften Konzerten massive Verluste. 

Fest steht, Veranstalter benötigen Konzepte, um gastronomische Angebote auch in der Coronakrise anbieten zu können. Diese müssen aber erst entwickelt und erprobt werden, was einen weiteren Unsicherheitsfaktor erzeugt. Auch hier gibt es selbstverständlich noch keine gesetzliche Regelungen.

Wie wird der Ticketverkauf “nach der Krise” aussehen?

Viele Veranstalter hoffen selbstverständlich, dass das “ausgehungerte Publikum” wieder Karten kauft wie zuvor, sobald mittelgroße und große Open-Air-Veranstaltungen wieder stattfinden. 

Allerdings hängt das von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere von der Entwicklung der Pandemie, der Verfügbarkeit von Impfstoffen oder Behandlungsmethoden, den bis dahin möglichen Sicherheitsmaßnahmen und schließlich auch von der Haltung der Ticketkäufer. Niemand kann irgendeinen dieser Faktoren auch nur annähernd vorhersagen.

Aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit, massenhafter Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit wird das verfügbare Einkommen für Konzertbesuche beim Publikum sinken. Ob das Bedürfnis nach Unterhaltung und Ablenkung das kompensieren kann, ist ungewiss.

Was passiert mit den Gagen?

In den letzten Jahren kannten Gagen für Musiker nur eine Richtung: nach oben. Aufgrund der ungebrochenen Nachfrage nach Live-Unterhaltung entwickelten sich sogar Weltstars zu jährlichen Gästen hierzulande. Aber auch kleine und mittelgroße Acts profitierten vom boomenden Live-Markt. Das Wachstum dürfte mit der Coronakrise aber über Nacht zu Ende sein. 

Sofern Konzerte lediglich verschoben werden, besteht die Möglichkeit, die Shows noch zu den vertraglich vereinbarten Bedingungen durchzuführen, aber wie sieht es mit neuen Abschlüssen aus? 

Im Augenblick verschieben alle Veranstalter ihre Konzerte ins Spätjahr 2020 bzw. ins Jahr 2021, aber irgendwann wird das nicht mehr möglich sein. Wie hoch die Gagen dann sein werden, hängt von der Nachfrage nach Tickets ab bzw. davon, welche Veranstalter noch existieren!

Was passiert, wenn es auch 2021 keine Konzerte und Festivals gibt?

"Dann sind wir alle am Arsch" erklärt ein Veranstalter auf Nachfrage. Schließlich muss die Live-Branche irgendwann wieder Einnahmen erzielen, um weiterbestehen zu können. Ansonsten hilft wirklich nur ein staatlicher Rettungsschirm, um die Substanz der Konzert- und Festivalveranstalter zu retten. 

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