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Ein langer Weg

Künstler, Clubs und Veranstalter fordern weitere Hilfen und Reformen von der Bundesregierung

Spezial/Schwerpunkt von Live Musik Kommission (LiveKomm)
veröffentlicht am 03.06.2022

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Künstler, Clubs und Veranstalter fordern weitere Hilfen und Reformen von der Bundesregierung

Claudia Roth. © Grüne im Bundestag, S. Kaminski

Künstler, Veranstalter und Clubbesitzer kämpfen nach wie vor mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Im Dialog mit der Bundesregierung fordern sie neue Hilfsprogramme und eine Verbesserung der sozialen Absicherung von Kulturschaffenden. Die Bundesregierung verspricht Hilfe, aber die Umsetzung dauert.

Die Corona-Pandemie hat die Schwächen der sozialen Absicherung von selbständigen Künstlern schonungslos offengelegt. Während angestellte Künstler schlimmstenfalls Kurzarbeitergeld erhielten, verloren Selbstständige häufig einen großen Teil ihres Einkommens. 

Das staatliche Hilfsangebot bestand im vereinfachten Zugang zur Grundsicherung ("Hartz-IV"), die je nach Behörde nicht unbedingt einfach war und gleichzeitig von vielen Betroffenen abgelehnt wurde.

Die Versprechen der Koalition

Im Ende 2021 beschlossenen Koalitionsvertrag versprach die aktuelle Bundesregierung aus SPD, FDP und Grünen, die soziale Lage der Künstler zu verbessern. So will sie Mindesthonorare in Förderrichtlinien des Bundes aufnehmen und Soloselbstständige und hybrid beschäftigte Kreative besser absichern, beispielsweise durch einen erleichterten Zugang zur Arbeitslosenversicherung. 

Ebenso kündigte sie damals an, die KSK finanziell zu stabilisieren und die erhöhte Zuverdienstgrenze aus selbstständiger nicht-künstlerischer Tätigkeit im Rahmen der KSK zu erhalten. Je nach Bedarf sollten Hilfsprogramme wie die Überbrückungs- und die Neustarthilfe sowie Neustart Kultur, das Kulturhilfsprogramm des Bundes fortgeführt werden.

Verlängerung von Neustart Kultur, Zuschuss für die KSK

Von diesen Ankündigungen hat der Bund mit dem neuen Haushaltsgesetz die Fortführung von Neustart Kultur bis zum 30. Juni 2023 umgesetzt. Das Programm ist im gesamten Zeitraum mit Mitteln von 2 Milliarden Euro ausgestattet.

Im Vergleich dazu nehmen sich die zusätzlichen 5 Millionen Euro für die Kultur- und Kreativwirtschaft im Etat der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien vergleichsweise gering aus. 

Ebenfalls beschlossen ist die Entlastung der Künstlersozialkasse (KSK) durch einen Bundeszuschuss von 60 Millionen Euro. Dennoch wird die Künstlersozialabgabe vermutlich auf 5 Prozent im Jahr 2023 steigen. Eine Verlängerung der Neustarthilfe bzw. der Überbrückungshilfe über Juni 2022 hinaus ist hingegen nicht zu erwarten.

Absichtserklärungen

Im Rahmen einer Diskussionsrunde von verschiedenen Kulturschaffenden mit Claudia Roth, der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil betonten die Vertreter der Kreativen, dass die existierenden Sozialversicherungssysteme die komplexen Beschäftigungsverhältnisse vieler Kultur- und Kreativschaffender nicht aussreichend erfassen. 

Viele Kulturschaffende sind eben nicht ausschließlich selbstständig oder sozialversicherungspflichtig beschäftigt, sondern “wechseln zwischen den Systemen”, auch weil viele Beschäftigungsverhältnisse projektbezogen und/oder befristet sind.

Claudia Roth und Hubertus Heil bekräftigten die Absicht der Bundesregierung, die im Koalitionsvertrag genannten Vorhaben umzusetzen. So erklärte Hubertus Heil: 

"Die Pandemie hat gezeigt, dass wir Kulturschaffende besser absichern müssen. Deshalb sieht der Koalitionsvertrag mehr Schutz durch die Arbeitslosenversicherung und bei der Altersvorsorge vor. Außerdem wollen wir die Künstlersozialkasse weiterentwickeln. Das alles werde ich vorantreiben."

Während solche Absichtserklärungen fraglos erfreulich sind, erwarten die Kultur- und Kreativschaffenden ihre zeitnahe Umsetzung. Auf keinen Fall sollten sie sich vertrösten lassen, bis die nächste Krise klarmacht, dass sich an ihrer strukturellen Benachteiligung in den Sozialversicherungsystemen nichts geändert hat.

Sorgen der Veranstalter

Nicht nur die Künstler, sondern auch die Veranstalter aller Sparten hoffen auf staatliche Hilfe in Hinblick auf die mögliche Wiedereinführung neuer Corona-Maßnahmen im Herbst/Winter 2022/23. 

Aktuell vermögen auch Experten nicht vorherzusagen, ob die "mildere" Omikron-Variante weiterhin das epidemiologische Geschehen beherrschen wird oder ob neue, gefährlichere Varianten wieder pandemische Maßnahmen erforderlich machen könnten. Von einem Anstieg der Infektionszahlen im Herbst/Winter 2022/23 ist in jedem Fall auszugehen.

Dieses Thema sorgt bei den Vertretern der Veranstaltungswirtschaft für große Befürchtungen, denn nach zwei von Schließungen und Veranstaltungsverboten geprägten Wintern stehen viele Betriebe mit dem Rücken zur Wand. 

Bei einem Treffen von Vertretern des Forums Veranstaltungswirtschaft und Mitgliedern des FAMA (Fachverband Messen und Ausstellungen) mit Katja Hessel, der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Finanzen standen Lösungskonzepte für die Krise der Veranstaltungsbranche im Mittelpunkt. 

Staatliche Ausfallversicherung?

Timo Feuerbach, Geschäftsführer des Europäischen Verbandes der Veranstaltungs-Centren (EVVC) warf einen düsteren Blick auf die bevorstehenden Herbst- und Wintermonate: "Viele Kunden verlieren immer mehr das Vertrauen, dass angekündigte Veranstaltungen im Herbst auch tatsächlich stattfinden." Feuerbach sprach sich für ein "klares Signal der Bundesregierung" aus, dass "Schließungen und Kapazitätseinschränkungen für den Herbst und Winter nicht zur Debatte stehen". 

Feuerbach forderte zudem mittelfristig eine "Ausfallversicherung, um Veranstaltungen auch zukünftig abzusichern." Die "Risiken einer Pandemie" ließen sich nämlich nicht mehr privatwirtschaftlich versichern. Mit "mittelfristig" ist gemeint, dass Veranstaltungen noch bis 31.12.2022 über die Ausfallversicherung des Sonderfonds für Kulturveranstaltungen abgesichert werden können. 

Nach dem Wegfall dieser Möglichkeit ab Januar 2023 können Veranstalter sich gegen pandemische Risiken aber nicht mehr versichern, weshalb sie von der Bundesregierung fordern, eine staatlich unterstützte Ausfallversicherung einzuführen. Staatssekretärin Hessel sagte zu, das Thema "innerhalb ihrer Fraktion und der Koalition" anzusprechen.

Weitere Forderungen

Außerdem erhofft das Forum Veranstaltungswirtschaft die Unterstützung des Bundes bei der Förderung der wirtschaftlichen Resilienz von Unternehmen der Veranstaltungswirtschaften. 

Dazu zählen konkret "Förderprogramme für neue Veranstaltungsformate", ein "Innovationsfonds", einen "erleichterten Zugang zu Fremdkapital" sowie "Unterstützung der Maßnahmen zur Nachhaltigkeit und Digitalisierung von Veranstaltungsstätten".

In Hinblick auf die Unterstützung von Veranstaltungsstätten besteht fraglos dringender Handlungsbedarf, da Liveclubs und Musikspielstätten schon seit längerer Zeit unter Druck stehen. Hier gilt es, endlich die Einstufung von Clubs als Kulturstätten durchzusetzen, die lange Zeit von der CDU verzögert bzw. blockiert wurde.

Lösungsvorschläge der Clubszene

Aber die Clubszene stellt nicht nur Forderungen, sie präsentiert auch Lösungsansätze. Beim Clubgipfel, einem öffentlichen Treffen von Vertretern des Musikspielstättenverbandes LiveKomm mit dem interfraktionellen Parlamentarischen Forum Festival- und Clubkultur in Berlin, betonten die Vertreter der Clubs die Notwendigkeit einer nationalen Teststrategie, falls es im Herbst wieder zu coronabedingten Einschränkungen kommen sollte. 

Als Positivbeispiel verwiesen sie auf den Erfolg der im vergangenen Winter in der österreichischen Hauptstadt Wien geschaffenen PCR-Testmöglichkeiten, durch die Kultur- und Gastrobetriebe länger geöffnet blieben - und das bei niedrigeren Kosten pro Test als für die Bürgertests in Deutschland. Auch die Einschränkungen selbst sollten bundesweit einheitlich gestaltet und umgesetzt werden - eine altbekannte Forderung, die leider nie verwirklicht werden konnte.. 

Um diese Ziele zu erreichen, soll ein Dialog zwischen der Clubszene, Wissenschaftlern und den Verantwortlichen der Gesundheitspolitik etabliert werden. Mitglieder des Parlamentarischen Forums Clubkultur sagten zu, sich um entsprechende Termine zu kümmern.

Die Politik ist gefragt

Es steht fest, dass nach zwei Jahren Corona-Pandemie politische Maßnahmen gefragt sind, um die Kultur- und Kreativwirtschaft in ihrer Vielfalt zu erhalten und zu stärken. Die Corona-Jahre haben zu einem Aderlass in der Branche geführt, der nicht schnell überwunden sein wird. 

Das Bewusstsein dafür ist bei Politikern vorhanden. So erklärte Claudia Roth bei dem oben erwähnten Dialog mit Kulturschaffenden: 

"Kunst und Kultur zu fördern und zu stützen, ihren Akteurinnen und Akteuren Sicherheit auch in schweren Zeiten zu geben, ist auch eine Absicherung unserer Demokratie. Denn Kunst und Kultur sind das Lebenselixier unserer Gesellschaft, die nicht nur in guten Zeiten unsere Anerkennung und Unterstützung verdienen, sondern auch gerade jetzt, während einer Pandemie und zu Zeiten, in denen in Europa wieder Krieg herrscht."

Jetzt besteht die Aufgabe darin, Worte in Taten zu verwandeln.

Unternehmen

Live Musik Kommission (LiveKomm)

Verband der Musikspielstätten in Deutschland e.V.

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