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Tiefer Einbruch

Studie zeigt drastischen Rückgang der Ausgaben für Musik in der Corona-Pandemie

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 10.06.2022

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Studie zeigt drastischen Rückgang der Ausgaben für Musik in der Corona-Pandemie

Pandemiegerechte Konzerte konnten den starken Rückgang der Ausgaben im Live-Bereich nicht kompensieren. © Christian Grube

Mehr Zeit zum Musikhören dank Corona? Eine neue Studie zeigt, dass diese Gleichung so nicht zutrifft – und verdeutlicht zudem, wie stark die Ausgaben für Musik während der Pandemie zurückgegangen sind.

Die Studie der Universität Hamburg und der Kühne Logistics University untersuchte die Ausgaben der Verbraucher ("consumer spending", gemessen in Euro) und den Musikkonsum ("music consumption", gemessen in Stunden) für Musik vor und während der Corona-Pandemie im Hinblick auf Live-Musikveranstaltungen und den Tonträger- bzw. Streaming-Markt.

In halbjährlichen Untersuchungsabständen von Winter 2018/19 bis Winter 2020/21 befragten die Autoren insgesamt 2970 Teilnehmer, wobei 592 Teilnehmer an allen fünf Befragungen teilnahmen. Deren Aussagen wurden für die Analyse herangezogen.

Einbruch um mehr als 50 Prozent

Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen den drastischen Einbruch der Ausgaben für Musik. Im Schnitt gaben die Deutschen vor der Pandemie zwischen Winter 2018 und Winter 2019/20 zwischen 31,45 Euro und 35,70 Euro für Musik aus. 

Während der Pandemie sanken die Ausgaben für Musik auf 14,59 Euro im Sommer 2020 und auf 13,63 Euro im Winter 2020/21, was einem Rückgang von mehr als 50 Prozent entspricht. 

Deutlicher Rückgang der Ausgaben

Die Ausgaben für physische Tonträger gingen im Untersuchungszeitraum von 17-18 Euro pro Monat (Winter 2018/19 und 2019/20) auf 13,32 Euro im Winter 2020/21 zurück. Grund dafür ist fraglos die Schließung von Plattenläden, die durch das Online-Geschäft nicht kompensiert werden konnte.

Besonders drastisch sanken die Ausgaben für Live-Musik von 14,54 Euro im Winter 2019/2020 (also vor der Pandemie) auf 0,30 Euro im (Lockdown-)Winter 2020/21. Im Gegensatz dazu stiegen die Ausgaben für Streaming-Ausgaben für Spotify, Apple Music und Co von 2,34 Euro (Winter 2018/19) und 2,73 Euro pro Monat (Winter 2019/20) auf 3,14 Euro im Winter 2020/21. 

Abhängigkeit vom Live-Markt

Die Zahlen verdeutlichen, dass das Wachstum beim Streaming den dramatischen Rückgang bei den Live-Einnahmen nicht im Ansatz auszugleichen vermochte. 

Die Autoren der Studie erklären daher zu Recht, dass ihre Ergebnisse einmal mehr untermauern, wie stark viele Musiker vom Live-Markt abhängig sind. Die Frage ist nur, was Musiker dagegen tun können.

Sind Live-Streams ein Teil der Lösung?

Die Autoren der Studie erklären, Musiker und Bands sollten versuchen, mit Hilfe von Online-Livestream-Events Einnahmen zu erzielen. Nach ihren Ergebnissen haben ein Drittel der Befragten haben bereits einen Livemusik-Stream verfolgt und dafür im Durchschnitt sieben Euro ausgegeben.

Obwohl der Online-Live-Event-Markt sicherlich auch durch neue Technologien wie das Metaverse weiter wachsen wird, ist es nicht wahrscheinlich, dass er in baldiger Zukunft auch nur annähernd so groß sein wird, wie der Präsenz-Livemarkt. Es stellt sich daher die Frage, in welchem Umfang Einnahmeausfälle sich durch Online-Livestreams kompensieren lassen.

Rückläufiger Musikkonsum

Die Ergebnisse der Studie in Hinblick auf den Musikkonsum sind ebenso bemerkenswert, da sie häufig geäußerten Annahmen widersprechen. Der Musikkonsum der Deutschen sank kontinuierlich von 22,17 Stunden im Winter 2018/19 auf 19 Stunden im Winter 2020/21, nachdem er bis 2019 konstant angestiegen war.  

Das lag insbesondere am kontinuierlich abnehmenden Radiokonsum, der von 10,45 Stunden pro Woche im ersten Beobachtungszeitraum (Winter 2018/19) auf 8,05 Stunden pro Woche während der Coronapandemie im Winter 2020/21 zurückging. 

Das Wachstum der Premium-Streaming-Dienste von 1,67 Stunden zwischen Winter 2018/19 auf 2,24 Stunden pro Woche im Winter 2020/21 konnte den Rückgang beim Radiohören nicht ausgleichen, zumal der Konsum von werbefinanziertem Streaming im gleichen Zeitraum sogar von 0,81 Stunden pro Woche auf 0,59 Stunden pro Woche sank. 

Aufgrund der Pandemie ging auch die Zeit, welche die Deutschen bei Live-Musik-Events verbrachten von 0,32 Stunden im Winter 2019/20 auf 0,02 Stunden im Winter 2020/21 zurück. 

Auswirkungen der Pandemie

Während Lockdowns und Veranstaltungsverbote für den dramatischen Einbruch beim Livemusik-Konsum verantwortlich sind, handelt es sich beim Rückgang des Radiokonsums um einen Trend der schon vor der Corona-Pandemie existierte.

Der Wechsel vieler Arbeitnehmer ins Homeoffice führte aber dazu, dass der Radiokonsum weiter zurückging, da an vielen Arbeitsplätzen bzw. beim Pendeln mit dem Auto oder dem ÖPNV Radio gehört wird.

Weitere Gründe für den Rückgang des Radiokonsums sind die vorübergehenden Schließungen von gastronomischen Betrieben, Fitnessstudios und Einzelhandelgeschäften – allesamt Orte, an denen viel Radio gehört wird, wenn auch kaum aktiv.

Keine Kompensation

Das Wachstum des Premium-Streaming-Dienste geht vermutlich zumindest teilweise auf Kosten der werbefinanzierten Streaming-Dienste. Die Zeit, welche die Deutschen mit Musikstreaming verbrachten, stieg zwar an, aber, wenn man beide untersuchten Arten des Streamings zusammenfasst, nur von 2,48 Stunden auf 2,83 Stunden pro Woche.

Das ist ein Wachstum von immerhin 15 Prozent, das aber den Einbruch beim Radiohören weder in absoluten (3 Stunden weniger pro Woche) noch in relativen Zahlen (23% Rückgang) auszugleichen vermag. Die Autoren sehen daher traditionelle Radiosender vor einer signifikanten Herausforderung, die verlorenen Hörer zurückzugewinnen.

Wie geht es weiter?

Die Tatsache, dass die Studie nur Daten bis einschließlich Winter 2020/21 erhoben hat, bedeutet, dass sich die folgende Entwicklung anhand der Studie nicht nachvollziehen lässt. Es wäre auf jeden Fall spannend gewesen, die Entwicklung von Verbraucherausgaben und Musikkonsum weiter zu verfolgen.

Die Studie macht aber ein weiteres Mal klar, wie tief und wie verheerend der Einbruch der Musik- und Veranstaltungsbranche im ersten Jahr der Pandemie ausfiel, und das anhand der Ausgaben der Verbraucher. Das allein ist schon ein wertvoller Perspektivwechsel, weil die meisten anderen Analysen auf Seiten der Künstler oder Veranstalter ansetzen.

Die Studie zeigt auch, dass Lösungen nur in Ansätzen vorhanden sind. Die Einnahmeseite der Musiker (und allgemeiner: der Kulturschaffenden) langfristig und nachhaltig zu stärken, bleibt die große Herausforderung während und nach der Corona-Pandemie.

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