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Viele Absichten

Das bedeutet der Koalitionsvertrag der Ampel für Kultur und Kreativwirtschaft

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 26.11.2021

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Das bedeutet der Koalitionsvertrag der Ampel für Kultur und Kreativwirtschaft

Claudia Roth. © Kristian Schuller

Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung aus SPD, Grünen und der FDP enthält auch zahlreiche Pläne für Veränderungen und Reformen im Bereich Kultur und Kreativwirtschaft. Die größte Resonanz dürfte aber eine Personalie erzielen.

Eine Kulturministerium wird es auch in Zukunft nicht geben, sehr wohl aber eine neue Staatsministerin für Kultur und Medien. Diese Personalie wird sicherlich in den nächsten Tagen allerorts heftig diskutiert werden, handelt es sich doch bei der künftigen Staatsministerin um Claudia Roth von den Grünen.

Eine vieldiskutierte Personalie 

Blendet man die mit ihrer Person verknüpften Emotionen aus, so steht fest, dass Roth als ehemalige Managerin von Ton Steine Scherben in den Jahren 1982-1985 definitiv die erste Kulturstaatsministerin ist, die einem popkulturellen Umfeld entstammt. Alle ihre Vorgängerinnen und Vorgänger entstammten dem Bereich, den man gemeinhin als "Hochkultur" bezeichnet.

Für Claudia Roth ist die Berufung auf diesen Posten sicherlich ein später Höhepunkt ihres politischen Lebens. Man darf vermuten, dass die kommunikationsfreudige Grünen-Politikerin sich auch den Gesprächswünschen der kulturpolitischen Akteure von der Hoch- bis zur Popkultur nicht verschließen wird. Dass sie kein Fähnchen im Wind darstellt, hat sie zudem als Vizepräsidentin des Bundestags seit 2021 bewiesen.

Allgemeine Ziele der Koalition

SPD, Grüne und FDP erklären im Koalitionsvertrag (Download als PDF), sie wollten sich für "eine starke Kulturszene und Kreativwirtschaft" einsetzen, "die fortbestehen und wieder erblühen kann". Die neue Koalition will "ihre Vielfalt und Freiheit sichern, unabhängig von Organisations- oder Ausdrucksform, von Klassik bis Comic, von Plattdeutsch bis Plattenladen." 

Die Koalition bekennt sich zu einer "diskriminierungsfreien Kultur- und Medienpolitik", will für "Barrierefreiheit, Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit" und plant, die Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankern. Die Regierung bezeichnet dies im Koalitionsvertrag als Beitrag zur Sicherung der Demokratie. (S. 121 KV)

Soziale Lage im Blickpunkt

Besonders ausführlich äußert sich der Koalitionsvertrag zur Verbesserung der sozialen Lage von Künstlerinnen und Künstlern und macht stellt erste Maßnahmen vor, die teilweise konkret, teilweise aber auch eher vage sind (S. 122 KV). So will die Koalition

  • Mindesthonorierungen in Förderrichtlinien des Bundes aufnehmen,
  • Soloselbstständige und hybrid beschäftigte Kreative besser absichern,
  • Die KSK finanziell stabilisieren,
  • Die erhöhte Zuverdienstgrenze aus selbstständiger nicht-künstlerischer Tätigkeit im Rahmen der KSK erhalten,
  • Bürokratie abbauen.

Die "besondere Bedeutung" der KSK für die soziale Absicherung von "Kreativen und Kulturschaffenden" und das Ziel, diese zu erhalten, betont der Koalitionsvertrag auch im Zusammenhang mit Maßnahmen, die Selbstständigen helfen sollen (S. 69). 

Die Stärkung der KSK ist sicherlich für viele Kulturschaffende eine erfreuliche Nachricht, ebenso die Aufnahme von Mindesthonoraren. Besonders interessant wird zu erleben, ob die erhöhte Zuverdienstgrenze im Rahmen der KSK wirklich dauerhaft bleibt.

Konkrete Maßnahmen für Selbstständige

Zur Verbesserung der sozialen Lage von Selbstständigen nennt Koalitionsvertrag weitere Maßnahmen, darunter einen erleichterten Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung. Er kündigt weiterhin eine Prüfung an, ob der Zugang ohne Vorversicherungszeit ermöglicht werden solle.

Außerdem plant die Koalition die Neustarthilfe im Rahmen der Überbrückungshilfe III Plus "so lange wie benötigt" fortzuführen. Um Selbstständige in "zukünftigen schweren Krisen" bei der "Finanzierung ihrer Lebensunterhaltungskosten schneller und besser helfen zu können", will die Koalition "Vorsorge für steuerfinanzierte Wirtschaftshilfen" treffen, aber "kein neues Regelsystem" schaffen. Zudem sollen Geschäftsführer einer GmbH "Anspruch auf Arbeitslosengeld" erhalten.

Der erleichterte Zugang zur Arbeitslosenversicherung für Selbstständige ist eine Dauerforderung der Selbstständigenverbänden, mit denen die neue Regierung in einen Dialog eintreten will. Wie bei vielen anderen Maßnahmen auch gilt es abzuwarten, wie die genaue Umsetzung erfolgen soll.

Akzente der Kulturförderung

Die Kulturförderung durch die Neustart-Kultur-Programme soll fortgeführt werden. So soll ein leichterer Übergang aus der Pandemie in den Normalbetrieb für Unternehmen der Kultur- und Kreativbranche gewährleistet werden.

Künftig sollen aber auch die Kulturstiftung des Bundes und der Bundeskulturfonds als Innovationstreibende gestärkt werden. Die Ampel will Strukturen der Freien Szene stärken und den ländlichen Raum und strukturschwache Regionen besonders fördern.

Die neue Regierung hat es sich weiterhin zum Ziel gesetzt, dem "Gender Pay Gap" entgegenzuwirken. Jury und Gremien sollen paritätisch und divers besetzt und die Amtszeiten begrenzt werden.

In diesen Zusammenhang gehört auch, dass Clubs und Livemusikspielstätten als Kulturstätten anerkannt werden. Die Ampel will die lange verzögerte Anpassung der Baunutzungsverordnung und der TA Lärm zu ihren Gunsten endlich umsetzen. Zudem kündigt die Koalition eine Weiterentwicklung der "Musikspielstättenförderung" an. 

Die Koalition will auch mit einer "Filmförderungsnovelle in enger Abstimmung mit der Filmbranche und den Ländern die Filmförderinstrumente des Bundes und die Rahmenbedingungen des Filmmarktes neu ordnen, vereinfachen und transparenter machen. (S.122/23)

Diese Ankündigungen könnten, sofern sie umgesetzt werden, einiges an Leben in die deutsche Förderungslandschaft bringen. Wie Musikspielstätten künftig stärker gefördert werden, bleibt abzuwarten, aber allein die Ankündigung weckt Hoffnungen.

Wenn Musikclubs künftig als Kulturorte anerkannt würden, wäre das aber die lange erhoffte und vielfach geforderte Reform gegen das Clubsterben.

Neue Einrichtungen 

Um die Kooperation auf allen Ebenen zu verbessern, plant die Ampelkoalition die Einführung eines "Plenums der Kultur". Das Plenum soll sich aus Vertretern der Länder, Kommunen, Kulturproduzierenden, Verbänden und der Zivilgesellschaft zusammensetzen. 

Zusätzlich dazu soll innerhalb der Bundesregierung ein Ansprechpartner bzw. eine Ansprechpartnerin für die Kunst- und Kreativwirtschaft bestimmt werden.

Ebenso kündigt die Koalition die Schaffung einer zentralen Anlaufstelle für "green culture" an, die die Veranstaltungs- und Kulturbranche ökologisch fit machen soll. Ebenso sieht der Koalitionsvertrag die Schaffung eines Kompetenzzentrums für digitale Kultur vor, "das Kulturakteurinnen und Akteure berät, vernetzt und qualifiziert." (S. 122)

Medien und Urheberrecht

Bezüglich des Urheberrechts will sich die Ampel-Koalition für einen "fairen Interessensausgleich" einsetzen. Dazu zählt sie auch die Verbesserung der "Vergütungssituation für kreative und journalistische Inhalte". Die gerade in Kraft getretene Urheberrechtsreform wird " u.a. in Hinblick auf Praxistauglichkeit" evaluiert. (S. 123).

Die Abstimmung zwischen Europa-, Bundes- und Landesrecht im Bereich der Medien soll mit Hilfe einer Bund-Länder-AG optimiert werden. Ziele dieser Arbeitsgemeinschaft sind die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen und die Bekämpfung von Hassrede und Desinformation im Internet.

Dass das Urheberrecht wenige Monate nach Inkrafttreten erneut evaluiert werden soll, ist einigermaßen bemerkenswert. Es wird spannend zu erleben, zu welchem Ergebnis die neue Koalition kommt und was sie genau plant.

Restitution geraubter Kunst

Der Koalitionsvertrag nimmt es sich außerdem zum Ziel, sich für eine stärkere Erinnerungskultur einzusetzen. Durch die Verstetigung und Modernisierung des Bundesprogramms "Jugend erinnert", die Restitution von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut und der Stärkung der Bundesstiftung Aufarbeitung soll ein Schritt in die richtige Richtung getan werden.

Auch soll die Digitalisierung und Provenienzforschung zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten vorangetrieben werden. Objekte aus diesen Kontexten sollen zurückgegeben werden. (S. 124/25).

Versuch einer Einschätzung

Es liegt in der Natur der Sache, dass unverbindliche Dokumente wie Koalitionsverträge schnell von der Realität überholt werden. Daher wird es interessant zu erleben, welche der zahlreichen Ankündigungen die Koalition tatsächlich umsetzt. 

Teilweise steht der Koalitionsvertrag deutlich in Tradition der Kulturpolitik der letzten zwei Jahre. Zahlreiche coronabedingte Ausnahmeregelungen sollen fortgeführt und/oder verstetigt werden.

Inwiefern die Ampel-Koalition darüber hinaus neue Akzente schaffen wird, muss sich gerade darin zeigen, welche konkreten Maßnahmen sie aus den Plänen des Koalitionsvertrags entwickelt.

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