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Universal zieht ins Feld

Massiver Konflikt: Universal zieht gegen KI-Fake-Songs von Drake und The Weeknd ins Feld

Spezial/Schwerpunkt von Florian Endres
veröffentlicht am 21.04.2023

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Massiver Konflikt: Universal zieht gegen KI-Fake-Songs von Drake und The Weeknd ins Feld

© Brian Ziff

Universal hat die Entfernung eines Songs von Streaming-Plattformen durchgesetzt, da dieser KI-generierte Stimmen von Drake und The Weeknd verwendet. Doch wieso reagiert das Label so empfindlich auf diesen neuen Trend, und was sind die möglichen Folgen für die Musikindustrie?

Anfang Februar 2023 stellten wir uns die Frage, ob die steigende Verbreitung Künstlicher Intelligenz eine finanzielle Bedrohung für Musikerinnen und Musiker darstellen könnte. Angeregt wurden wir u.a. von der Neujahrsbotschaft von Universal Music Group-CEO Lucian Grainge. 

Grainge kritisierte darin die zunehmende Verbreitung von – oftmals KI-generierter – "Low-Quality-Music", von "31-Sekunden-Tracks" und "funktionaler Musik", die keinerlei künstlerischen Wert besitze und einzig dem Zweck diene, die Einnahmen ihrer "Erschaffer" in die Höhe zu treiben.

Musik ohne Musiker

Nun verschärft sich das Problem der KI-generierten Musik mit der Anweisung von Universal an verschiedene Streaming-Plattformen, ein neues Feature der R&B-Stars Drake und The Weekend umgehend von ihren Plattformen zu entfernen. 

Der Grund: Obwohl sich Text, Songwriting und die beteiligten Stimmen stark nach ihren Vorbildern anhören, hatten weder Drake noch The Weeknd etwas mit dem "Heart on My Sleeve" betitelten Feature zu tun.

Stattdessen wurde das Stück von einer Person, die unter dem Alias "Ghostwriter" auftritt, angeblich vollständig per Künstlicher Intelligenz generiert, zuerst via TikTok verbreitet und dann auf Streaming-Plattformen wie Spotify, Apple Music und TIDAL hochgeladen. 

Der Alptraum wird wahr

Mit der viralen Verbreitung von "Heart on My Sleeves" scheint es, als würde die erst kürzlich formulierte Schreckensvision von Universal wahr werden: Laut Financial Times hatte das Label wenige Tage vor Veröffentlichung des Songs E-Mails an die betroffenen Streamingdienste verfasst.

Darin forderte Universal die Dienste auf, den Zugang zu ihren Musikkatalogen für die Entwickler/innen Künstlicher Intelligenzen zu sperren, damit diese das Angebot – darunter natürlich auch Tracks von Universal-Artists – nicht zum Trainieren von Musik-KI-Tools verwenden können. 

Bereits vor dem Auftauchen des Drake/The Weeknd-Features seien laut einem Universal-Insider zahlreiche KI-generierte Songs auf Spotify und Co. aufgetaucht, für die die UMG sofort Lösch-Anträge gestellt hätte – darunter auch ein weiterer Drake-Song, ein KI-generiertes Cover des Ice Spice-Songs "Munch", den der Musiker in einem Instagram-Video als den "letzten Strohhalm" bezeichnete. 

Eine "moralische Verantwortung"

Laut Financial Times heißt es in den Mails von Universal, dass künstliche Intelligenz und deren Entwickler/innen vom geistigen Eigentum von Musikerinnen und Musikern, sei es deren Stimme oder die Art und Weise, Texte oder Songs zu schreiben, profitierten.

Die Entwickelnden verletzten durch das Training von KI mit aktueller Popmusik nicht nur die Rechte am geistigen Eigentum der Künstlerinnen und Künstler – diese würden für die Verwendung ihrer Werke als "Trainingsmaterial" darüber hinaus auch nicht entlohnt. Als Label habe Universal daher eine moralische und kommerzielle Verantwortung gegenüber den Künstler/innen:

"Wir müssen die unerlaubte Nutzung ihrer Musik verhindern und Plattformen daran hindern, Inhalte aufzunehmen, die die Rechte von Künstler/innen und anderen Urheber/innen verletzen. Wir erwarten, dass unsere Plattformpartner/innen verhindern wollen, dass ihre Dienste in einer Weise genutzt werden, die den Artists schadet."

Dazu gehöre nicht nur, dass Streaming-Plattformen KI-Tools den Zugriff auf die angebotenen Songs verweigern, sondern auch – wie Universal nach der Veröffentlichung von "Heart on My Sleeve" noch einmal betonte – die unbedingte Kooperation mit Artists und Labels, was das Entfernen von unrechtmäßig hochgeladener Musik anginge. 

I against I

In der erwähnten Neujahrsansprache monierte Grainge die Zunahme von KI-generierter Hintergrund- und funktionaler Musik auf den Streaming-Plattformen, die auch tatsächlich – wie von uns berichtet – zu finanziellen Einbußen der Musiker/innen führen kann. Die aktuellen Entwicklungen werfen jedoch ethische Probleme auf, die weit über Grainges strukturelle Kritik hinausgehen. 

Was Universal nüchtern als die Verletzung des geistigen Eigentums bezeichnet, eröffnet die Frage, ob und wie sich Artists in Zukunft dagegen zur Wehr setzen müssen bzw. können, dass ihnen aus ihrer individuellen Persönlichkeit als Künstler/in plötzlich eine "Konkurrenz" erwachsen kann: Was tun, wenn den Fans – wie im Fall von "Heart on My Sleeve" geschehen – die Musik der eigenen KI-Imitation plötzlich gefällt?

Downward Spiral

Drake und The Weeknd hatten insofern Glück, dass "Heart on My Sleeve" von Anfang an als KI-generierter Song deklariert wurde. Doch wie wird zukünftig damit umzugehen sein, wenn Personen solche Tracks etwa als Leaks deklarieren, und es plötztlich nicht mehr klar ist, ob es sich um ein Original handelt oder nicht? Wie ist umzugehen mit der Marginalisierung von Künstler/innen, wenn sich stetig weiterentwickelte KI immer größere Anteile am Streaming-Markt sichert?

Darüber hinaus ist zu vermuten, dass die Art und Weise, wie KI-Tools verwendet werden, nicht bei solchen inhaltlich doch recht harmlosen Imitationen stehen bleibt: Music:ally wirft hier z.B. die Frage auf, wie damit umzugehen wäre, wenn Stars wie Drake beispielsweise via KI etwa ausländerfeindliche oder anderweitig diskriminierende Aussagen "in den Mund gelegt" würden. 

Whac-a-mole

Die surreal anmutende Situation, in der eine Künstlerin oder ein Künstler mit sich selbst in Konkurrenz zu treten scheint, hat natürlich wiederum auch monetäre Auswirkungen, womit sich der Kreis zu der zitierten Neujahrsansprache von Lucian Grainge schließt.

KI könnte in Zukunft tatsächlich dazu führen, dass Künstler/innen Gewinneinbußen durch von Dritten monetarisierte Imitationen entstehen – Imitationen, die unter "echter" Musik versteckt verbreitet werden könnten, und von denen bald wahrscheinlich niemand mehr sagen könnte, was noch echt ist und was nicht. Denn schon zum jetzigen Zeitpunkt klingt die Musik teilweise so täuschend ähnlich, dass man ohne weitere Recherchen zwischen Original und Fake gar nicht unterscheiden kann.

Das Problem wird dadurch verstärkt, dass diese Imitationen trotz des raschen Vorgehens von Universal auch so schnell nicht mehr aus dem Internet verschwinden werden. Das zeigen die ständigen Reuploads auf User-generated Content-Plattformen wie YouTube oder SoundCloud, die in sich selbst bereits ein Problem für Artists und Labels darstellen. 

Regulierte KI

Hier liegt sicherlich auch das primäre Anliegen der Universal Music Group für ihren "Feldzug": Die Sorge, dass das Label plötzlich Verluste durch KI-Imitate erleiden könnte, die genau jene Artist-Trademarks vewenden, in deren Entwicklung das Label investiert hat. So verwundert es wenig, dass Universal inzwischen Mitglied der Human Artistry Campaign ist, einem Zusammenschluss von Branchenverbänden aus der Kreativ-, Medien- und Sportindustrie.

Der Zusammenschluss fordert in einer Petition die Einführung von Richtlinien, die Künstliche Intelligenzen stärker regulieren sollen und an die KI-Entwickler/innen sich halten müssten – darunter u.a. die Verpflichtung des Nachweises und der Vergütung für die Verwendung von Inhalten zum Training Künstlicher Intelligenzen. 

Was machen andere Player?

Es wird dabei spannend zu erleben sein, wie sich die anderen großen Player der Musikindustrie, aber auch der Tech-Branche, positionieren. Universal spielt aktuell den Vorreiter, der sich massiv gegen die Beeinträchtigung seines Geschäftsmodells durch KI zur Wehr setzt. Von den anderen beiden großen Labels Warner und Sony ist keine vergleichbare Positionierung bekannt.

Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang die Weigerung Googles, die eigene Musik-KI MusicLM, die bereits jetzt leistungsfähiger als vergleichbare Services sein soll, zu veröffentlichen. Die Begründung: Es bestünde ein geringes Risiko, dass die KI das "Trainingmaterial" unverarbeitet übernehme, weshalb die Auswirkungen u.a. auf die Musikindustrie erst noch genauer erforscht werden müssten.

Notwendige Kritik

Eine so bedachte Herangehensweise an die Technologie, wie sie ausgerechnet Google an den Tag legt, hätte den Vorteil, dass die neue Technik nicht als disruptive Kraft die sowieso schon von strukturellen Problemen geplagte Musikindustrie aufwühlen würde, sondern produktiv eingesetzt werden könnte. 

Im aktuellen Klima ungebremster Innovation und gegenseitigen Übertrumpfens ist ein solch reflektierter Umgang hingegen kaum möglich. Die Komplexität des Themas und die Unmöglichkeit, die Folgen des Einsatzes von KI in letzter Konsequenz abzusehen, machen es darüber hinaus auch unmöglich, zeitnah mit nationalen und internationalen Standards zum Schutz von Künstler/innen zu reagieren.

Die von der KI-Technologie erzeugte Herausforderung ist so gewaltig, dass sie sich einfacher Lösungen entzieht. Schon aus diesem Grund wird das Thema nicht nur Musiker/innen sondern die gesamte Gesellschaft auf Jahre hinaus beschäftigen und es notwendig machen, fortwährende Innovation auch stets kritisch zu hinterfragen. 

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